Dardistan
(Land der Dardu, früher Darada, s. Karte »Zentralasien«), [* 2]
Land in Hochasien, das im N. vom Karakorum (mittlere Paßhöhe 5550 m), im W. von der Gebirgskette, welche Tschitral im N. abschließt (mit Gipfeln bis 5594 m Höhe), im O. von der Gebirgskette zwischen dem Indus und dem Krischnaganga (Diamer, 8114 m), im NO. von den Landschaften Rongdo und Balti begrenzt wird. Das Land ist in viele Thäler zerlegt, deren mittlere Höhe zu 1500 bis 2000 m angenommen werden kann; erforscht ist nur das Thal [* 3] von Gilgit bis Jassin durch Hayward, der hier 1870 ermordet wurde, dann von Hasora bis Gilgit durch Leitner, den die Regierung des Pandschab 1864 zu sprachlichen Untersuchungen dahin absandte.
Der Reisende A. Schlagintweit wurde 1856 durch Aufstände in Gilgit am Vordringen nördlich von Hasora verhindert. Das Gilgitthal ist reich an Wein und Aprikosen, erzeugt auch vorzüglichen Weizen. Die Thäler zu beiden Seiten des Indus sind wahrscheinlich im Klima [* 4] wie in Produkten dem nahen Tschitral ähnlich und mögen in geschütztern Lagen an fruchtbarem Ackerland wie Getreide [* 5] keinen Mangel haben; die Bergflächen sind dagegen kalt und unbewohnbar. Gerühmt wird schon von den alten Geographen wie im indischen Epos der Goldreichtum, den neuere Nachrichten bestätigten.
Abgeschlossen und nur auf wenigen
Pässen zugänglich (die
Reise von
Srinagar, der Hauptstadt von
Kaschmir,
[* 6] bis
Gilgit erfordert 22 Tagereisen,
von Skardo am
Indus dahin 14 Tagemärsche), wurde Dardistan
langer Zeit als ein Sitz der
Wunder und
Heiligkeit betrachtet. Die
Bevölkerung
[* 7] bilden die
Dardu (Darada, von den angrenzenden Völkern Kandschut genannt, deren Hauptstamm sich selbst
Schinaki oder Schinalok nennt), jetzt schiitische
Muselmanen, im 3. Jahrh.
v. Chr. Buddhisten.
Arischen Stammes, sind sie breitschulterig, gut proportioniert, mit braunem, auch schwarzem Haar [* 8] und braunen Augen. Thätig und ausdauernd, fassen sie schnell und haben scharfen Verstand. Sie kleiden sich in Wolle, eine wollener Sack dient als Mütze, die Füße werden mit Leder umbunden. Sie zeigen in den Lebensgewohnheiten und Sitten große Ähnlichkeit [* 9] mit den Bewohnern des nördlichen Kaschmir; ihre Sprache [* 10] ist aber merkwürdigerweise eine sanskritische, die in viele Dialekte zerfällt, mit Beimischung persischer Wörter.
Auch zum Schreiben bedient man sich persischer Schriftzeichen. Die
Dardu sind somit
Arier, wie die Bewohner
im
Kuenlün und in
Turkistan.
Ihre Zahl kann nicht groß sein; selbst die Hauptorte, wie
Gilgit, bestehen nur aus 200
Häusern.
In politischer Beziehung zerfällt Dardistan
in so viele staatliche
Gemeinschaften (Chanate), wie es
Thäler gibt. Es werden eine
Menge
Namen genannt; die bedeutendsten dieser Gebiete sind die von Hasora,
Gilgit und Jassin. Der
Radscha
von
Kaschmir sucht sie unter seine Botmäßigkeit zu bringen und führt fortwährend
Krieg gegen sie.
Durchschlagende Erfolge sind noch nicht erzielt worden; doch wurden die Landschaften Gilgit wie Jassin von den letzten Reisenden durch kaschmirsche Truppen verwüstet gefunden. Gefährlich sind die Dardu den Karawanen, welche von Badachschan durch Wakhan nach Kaschgar gehen. Der Darkotpaß nach dem Oxus, längs des War Tschagam, wurde von Europäern noch nicht begangen; zum Transport größerer Massen, insbesondere für europäisches Militär, scheint dieser Paß [* 11] russischerseits für gangbarer gehalten zu werden als die durch Tschitral dahin führenden und 1870-71 erforschten Pässe, denn »der nächste Weg aus Turkistan nach Indien (heißt es) führt die russische Armee durch Kaschmir«.
Vgl.
Leitner, Results of a tour
in Dardistan
etc.
(Lahor 1867-70, 4 Bde.);
»On the races and languages of Dardistan«
(im
Journal der
Londoner
¶
mehr
Ethnologischen Gesellschaft 1870) und den Aufsatz über Dardistan
im »Geographical Magazine« (Lond. 1875).