Danǐel,
nach Ezechiel 14, 14, 20; 28, 3 eine
[* 1]
Figur der israel. Sage, ein Mann der grauen Vorzeit,
ein wegen seiner Gerechtigkeit wie
Noah und
Hiob berühmter Mann. Diesem Daniel
hat ein zur Zeit der Religionsnot (etwa 165
v. Chr.)
schreibender Schriftsteller das kanonische
Buch Daniel
in den Mund gelegt, indem er ihn infolge eines Mißverständnisses
für einen Zeitgenossen des Ezechiel hielt. Hierdurch wird Daniel
zu einem in
Babylonien lebenden
Juden. Das
Buch ist sonach ein
Pseudepigraph, d. h. eine derjenigen spätjüd.
Schriften, welche vom Verfasser aus der Feder eines berühmten
Mannes der Vergangenheit hergeleitet werden, um ihrem
Inhalte
eine größere
Autorität zu sichern. Diese den neuern litterar.
Sitten widersprechende Gepflogenheit erklärt sich daraus,
daß in jener Zeit die Zugehörigkeit zum Gesetz oder zu alter Überlieferung die religiösen
Gedanken und
Sitten legitimiert.
Das
Buch Daniel
ist ein prophetisches
Pseudepigraph oder eine
Apokalypse (s.
Apokalyptik) und zwar die älteste, alle
spätern beeinflussende.
Mit der Herleitung einer Weissagung von einem Manne der Vorzeit ist der Zwang gegeben, diejenige, in ihrem Geschichtsverlaufe doch bekannte Zeit in den Bereich der Weissagung zu ziehen, die zwischen dem wirklichen und dem fingierten Autor verflossen ist. Es geschieht so, daß die einzelnen Ereignisse verhüllt angedeutet werden. Eben dadurch verrät sich aber die wirkliche Zeit der Abfassung. Denn bis zu dieser pflegt eben alles in einer künstlich dunkel gehaltenen Geschichtsdarstellung zu verlaufen, um dann in wirkliche Weissagung überzugehen.
Daran verrät sich auch die Abfassungszeit des kanonischen
Buches Daniel
aufs deutlichste. Das
Buch setzt nicht nur den
Ausbruch
des makkabäischen
Aufstandes (167
v. Chr.), sondern auch die ersten
Siege des
Judas (166-165) voraus, weiß aber noch nichts
von der Wiedereinweihung des
Tempels (25.
Kislev 165), steht vielmehr aufs stärkste unter dem Eindrucke, daß derselbe entweiht
ist, ohne jede
Ahnung, daß eine solche
Wendung bevorstehe, erwartet vielmehr in absehbarer Zeit den
Anbruch
der messianischen Zeit.
Die Absicht des also 165 schreibenden Verfassers ist, seinem Volke Mut einzuflößen, damit es trotz aller Unglücksfälle im Kampfe gegen Antiochus aushalte. Er erreicht dies, indem er im Spiegel [* 2] der Vergangenheit, an den Schicksalen D.s und seiner Genossen, deutlich macht, daß ihm der Sieg bleiben muß, wenn es am Gesetze festhält und das Martyrium nicht scheut. Zum Troste weissagt er, daß diese Verfolgungen die letzten sein werden, welche das Volk Gottes zu erdulden hat.
Der
Tyrann
Antiochus wird bald gestürzt werden, dann wird das Messianische
Reich anbrechen. Die im Martyrium Umgekommenen werden
es mit genießen, trotzdem sie vorher gestorben sind, denn sie werden von den
Toten auferweckt werden.
Die
Darstellung zerfällt in einen erzählenden
Teil
(Kap. 1-6) und einen visionären. Der erste
Teil erzählt unter zahlreichen
groben Verstößen gegen den Geschichtsverlauf die
Schicksale, welche der fromme Daniel
mit seinen Genossen unter Nebukadnezar,
Belsazar und
Darius dem
Meder gehabt hat. Daniel
und seine Genossen sind Abbilder eines gesetzestreuen
Juden,
die Könige Nebukadnezar,
Belsazar,
Darius mit ihren unsinnigen
Befehlen Abbilder des die
Religion verfolgenden
Antiochus.
Die Visionen erzählen den wunderbaren Aufschluß, welchen Daniel
über die Zukunft erhält. Das
Reich des
Antiochus ist die von
den
Propheten geweissagte letzte, schlimmste
Phase des
Weltreichs, binnen 3 ½ Jahren bricht das Messianische
Reich an. Damit führen sie den vom ersten
Teil gegebenen Trost, daß der
Sieg den Gesetzestreuen bleibt und die
Tyrannen von
Gott gestraft werden, noch weiter aus. Eigentümlich ist im
Buche Daniel
noch, daß
Kap. 2-7 in westaramäischer,
oder wie
Kap. 2, 4 irrtümlich sagt: chaldäischer,
Sprache
[* 3] geschrieben sind.
Die frühe Stelle, welche das Buch im hebr. Kanon einnimmt (vor Esra), erklärt sich aus der hohen Wertschätzung, welche es genoß, und der Herleitung von einem Manne des Exils. In der griech. Bibel [* 4] ist es gar hinter Ezechiel gesetzt worden, und an dieser Stelle steht es auch in der kath. Vulgata und in Luthers Bibel. Die neuern Versuche prot. Theologen (Hengstenberg, Hävernick, Keil u. s. w.), der jüd. Tradition zu Liebe die Herkunft des Buches aus der Zeit des Exils nachzuweisen, verdienen keine ernstliche Widerlegung. -
Vgl. Kamphausen, Das
Buch Daniel
und die neuere Geschichtsforschung (Lpz.
1893).