Dänemark.
[* 2] Im Zeitraum 1883-87 haben sich verschiedene Veränderungen in Produktion und Handel bemerkbar gemacht, wie aus folgender Übersicht über Einfuhr und Ausfuhr der wichtigsten Artikel hervorgeht. Es betrug bei folgenden Warengattungen:
Mehreinfuhr | Mehrausfuhr | |||
---|---|---|---|---|
jährlicher Durchschnitt (in Mill. Kronen) | ||||
1878-82 | 1883-87 | 1878-82 | 1883-87 | |
Kolonialwaren | 23.1 | 17.1 | - | - |
Getränke | 1.2 | 2.4 | - | - |
Manufakturwaren | 31.1 | 32.9 | - | - |
Metalle | 16.6 | 20.0 | - | - |
Holz | 9.6 | 11.6 | - | - |
Steinkohlen | 10.2 | 12.9 | - | - |
Tiere | - | - | 48.2 | 43.9 |
Fettwaren | - | - | 20.5 | 40.6 |
Getreide etc. | - | 3.9 | 24.6 | - |
Der Rückgang der Mehreinfuhr von Kolonialwaren ist unter anderm so zu erklären, daß die Mehreinfuhr von Zucker [* 3] 1878-82 durchschnittlich jährlich 23,7 Mill. kg im Wert von 10,7 Mill. Kronen [* 4] betrug, 1883 bis 1887 durchschnittlich nur 15,5 Mill. kg im Wert von 5,9 Mill. Kr. In derselben Zeit war aber die einheimische Rohrzuckerproduktion von 2,6 Mill. kg bis 15,1 Mill. kg jährlich gestiegen. Aus der Verwandlung der Mehrausfuhr von Getreide [* 5] etc. in Mehreinfuhr darf man nicht schließen, daß die dänische Landwirtschaft zurückgegangen ist.
Neuerdings wird die Viehzucht [* 6] bevorzugt, was namentlich aus den Exportzahlen der Fettwaren hervorgeht; die Mehrausfuhr dieser Waren ist in der Periode 1883-87 gegenüber den Jahren 1878-82 auf das Doppelte gestiegen, und im einzelnen betrug die Mehrausfuhr in den zwei Jahren 1882 u. 1887 von Speck und Schinken 4,6 Mill., resp. 22,5 Mill. kg, von Butter 10,9 Mill., resp. 19 Mill. kg, von Eiern 45 Mill., resp. 107 Mill. Stück. Die gesamte Einfuhr betrug 1883-87 durchschnittlich jährlich 2395 Mill. kg, die Ausfuhr 547 Mill. kg, resp. 254,8 und 179,0 Mill. Kronen; für 1887 stellte ¶
mehr
sich der Wert der Einfuhr auf 250,7 Mill., derjenige der Ausfuhr auf 187,8 Mill. Kr. In ausländischer Schiffahrt liefen ein und aus 48,386 Schiffe [* 8] mit einer Warenmenge von 2,2 Mill. Registertonnen, in inländischer Schiffahrt 43,611 Schiffe mit 0,8 Mill. Registertonnen. Anfang 1888 zählte die Handelsflotte 2877 Segelschiffe von 127,127 Registertonnen und 281 Dampfschiffe von 89,915 Registertonnen.
Die Einnahmen des dänischen Staats betrugen im Zeitraum 1882/83-1886/87 durchschnittlich jährlich 52,8 Mill. Kr., die Ausgaben 44,2 Mill.; im J. 1887/88: 54,3 Mill., resp. 59,9 Mill. Kr., von diesen letzten waren 26 Mill. Militärausgaben. Im Finanzjahr 1888/89 beliefen sich die Einnahmen auf 55,9 Mill., die Ausgaben auf 60,2 Mill. Kr., darunter außerordentliche 12,5 Mill. Kr. (für die Befestigung Kopenhagens, die Flotte etc.). Die Forderungen für militärische Zwecke bilden eine der wesentlichsten Ursachen des jetzigen abnormen Zustandes im Staatsleben (seit 1885 ist kein vom Reichstag bewilligtes Budget erschienen); namentlich ist das Folkething gegen die Befestigung Kopenhagens, die Regierung hat indessen verschiedene Fortifikationen vorgenommen, welche die Stadt vor einem plötzlichen Überfall schützen sollen.
Neuerdings hat man in Kopenhagen [* 9] mit Neubauten für die polytechnische Lehranstalt, ein neues Kunstmuseum etc. begonnen. Ferner werden die Freilager vergrößert und die Einrichtung eines Freihafens eifrig diskutiert. In der letzten Reichstagssession wurden die Mittel zu mehreren neuen Eisenbahnlinien in Jütland und Seeland bewilligt. Die Staatsschuld Dänemarks, welche im März 1887 zu 3½ Proz. konvertiert wurde, beträgt 193 Mill. Kr.
(Geschichte.) Die Lage in Dänemark
blieb seit 1885 im wesentlichen unverändert dieselbe: das Folkething weigerte sich, die Befestigung
von Kopenhagen zu genehmigen, das Ministerium Estrup behauptete, gestützt auf den König und das Landsthing,
seinen Posten. Nun schärfte sich der Gegensatz mehr und mehr zu einem Kampf um die Herrschaft im Staat, um die Frage, ob in Dänemark
die
Verfassung eine konstitutionelle oder eine parlamentarische Regierung vorschreibe.
Dies letztere anzuerkennen und das Ministerium Estrup zu entlassen, weil die Mehrheit des Folkethings es forderte, dazu wollte sich König Christian IX. unter keinen Umständen verstehen, während die Linke des Folkethings den dahin gehenden Bescheid des Königs und den Erlaß des provisorischen Finanzgesetzes als Vergewaltigung und Verfassungsbruch bezeichnete. Nach der Wiedereröffnung des Reichstags (5. Okt.) beschloß das Folkething sofort 12. Okt. mit 79 gegen 17 Stimmen, das vorläufige Finanzgesetz vom 1. April nicht anzuerkennen und deshalb schlechtweg abzulehnen, worauf die Minister sämtlich den Sitzungssaal verließen; der Abgeordnete Pingel nannte sie deswegen 16. Okt. »Diebe und Einbrecher«, ohne daß der Präsident Berg den Redner zur Ordnung gerufen hätte. Am 21. Okt. feuerte ein junger Mensch, Namens Rasmussen, in Kopenhagen zwei Schüsse auf den Ministerpräsidenten Estrup ab, ohne jedoch zu treffen. Die Regierung sah in diesem Attentat einen Antrieb, ihre Macht zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit zu verstärken. Nachdem sie den Reichstag auf zwei Monate vertagt hatte, erließ sie 27. Okt. ein vorläufiges Gendarmeriegesetz, durch welches die Zahl der Gendarmen auf dem Land erheblich vermehrt und die Gendarmerie militärisch organisiert wurde, und 2. Nov. eine zeitweilige Ergänzung des Strafgesetzbuchs behufs vernünftiger Beschränkung der Rede- und Preßfreiheit; die Riffelvereine, welche sich zu Schützenvereinen mit politischer Farbe herausgebildet hatten, waren schon im Mai verboten worden. Um dem Budgetstreit ein Ende zu machen, schlug Estrup dem im Dezember wieder zusammentretenden Reichstag die Annahme eines Zusatzes zur Verfassung vor, wonach, wenn Lands- und Folkething sich über das Budget nicht haben einigen können, jedes Haus zehn Mitglieder wählen und diese als gemeinschaftlicher Ausschuß die streitigen Punkte beraten und in geheimer Abstimmung entscheiden sollen, so daß der von der Mehrheit gefällte Ausspruch sofort Gesetzeskraft erhält. Indes das Folkething war zur Versöhnung nicht geneigt, lehnte den Estrupschen Vorschlag ein für allemal ab und unterließ es sogar, den König zu Neujahr 1886 zu beglückwünschen. Die Regierung ihrerseits erhob gegen Abgeordnete wegen Gesetzesverletzung Anklage: ein Schullehrer, Ravn, wurde wegen Beleidigung des Königs zu 3 Monaten, Berg selbst wegen Widersetzlichkeit gegen die Polizei zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt und mußte die Strafe sofort verbüßen. Als das Folkething Anfang 1886 wiederum alle Vorlagen der Regierung, das vorläufige Riffelgesetz, ein Gesetz zur Abstellung der Arbeitslosigkeit u. a., endlich auch das Finanzgesetz von 1885/86 und die Budgetvorlage für 1886/87, verwarf, ermächtigte eine königliche Resolution das Ministerium zur Bestreitung der laufenden Ausgaben. Als die Mehrheit des Folkethings dagegen als einen Verfassungsbruch protestierte, wurde der Reichstag geschlossen und darauf zum 1. April wieder ein vorläufiges Finanzgesetz verkündigt. Während des Sommers erließ die Regierung ein vorläufiges Preßgesetz (13. Aug.), welches die Verantwortlichkeit der Redaktion einer Zeitung verschärfte.
Da infolge des Verfassungskonflikts nicht nur die ganze Gesetzgebung stockte, sondern auch die materielle und geistige Entwickelung des Landes geschädigt wurde, so war ein Teil der Linken unter Führung des Grafen Holstein-Ledreborg zu einer Verständigung mit der Regierung geneigt, falls dieselbe das verfassungsmäßige Recht der Kammer achte und auf die provisorischen Finanzgesetze verzichte; man war bereit, die sogen. Verwelkungspolitik, d. h. die sofortige Ablehnung aller Regierungsvorlagen, fallen zu lassen und in eine sachliche Beratung derselben einzutreten.
Berg wollte freilich von einer Verständigung nichts wissen. Indes die Regierung wollte von ihrem vom Folkething hauptsächlich bekämpften Plan der Land- und Seebefestigung Kopenhagens, welche inzwischen, unterstützt durch freiwillige Beiträge, schon begonnen worden, nicht ablassen und legte im Oktober 1886 dem Landsthing eine Gesetzvorlage hierüber vor; das Landsthing war bereit, 54 Mill. hierfür zu bewilligen. Die Mehrheit des Folkethings lehnte jedoch alle in das Budget für die Landesverteidigung eingestellten Summen ab, und da die Sitzungsperiode desselben abgelaufen war, so wurde es aufgelöst, noch ehe das Budget für 1887/88 erledigt war. Bei den Neuwahlen gewann die Rechte in Kopenhagen drei Sitze; die Provinzen wählten aber Mitglieder der Opposition, so daß die bisherige Mehrheit des Folkethings unverändert blieb. Dieselbe wählte nach dem Rücktritt Bergs Högsbro zum Präsidenten, strich aber wieder die 5 Mill. für die Landesverteidigung im Budget, welche das Landsthing herstellte, so daß wiederum kein verfassungsmäßiges Finanzgesetz bis zum 1. April zu stande kam und ein provisorisches erlassen werden mußte. Als ¶
mehr
der Reichstag im Oktober 1887 wieder eröffnet wurde, legte die Regierung dies provisorische Finanzgesetz dem Folkething sofort zur nachträglichen Genehmigung vor, ebenso den Voranschlag des Budgets für 1888/89, aus welchem die Ausgaben für die Befestigung Kopenhagens ausgeschieden und damit auch das Defizit fast beseitigt war; die Einnahmen betrugen 53,778,000 Kr., die Ausgaben 55,878,000 Kr. Die Kosten der Landesverteidigung wurden vom Folkething durch Vorlage des vom Landsthing genehmigten Gesetzes verlangt.
Obwohl die Mehrheit der bisherigen Opposition zu einer Versöhnung geneigt schien, lehnte sie 18. Okt. das provisorische Finanzgesetz für 1887/88 doch rundweg ab, da es die Ausgaben für die Befestigung Kopenhagens enthielt, worauf das Folkething vertagt wurde. Nach dem Wiederzusammentritt des Reichsrats verhandelte das Folkething im Januar 1888 über die Befestigungsvorlage, wobei besonders die kostspielige Landbefestigung Kopenhagens von der Linken als überflüssig, ja als schädlich angegriffen wurde.
Der Entwurf wurde einem Ausschuß überwiesen, der sich mit der Beratung nicht beeilte. Auch über das Budget konnte zwischen beiden Häusern keine Einigung erzielt werden, so daß, nachdem die Sitzungen geschlossen worden, 1. April abermals ein provisorisches Finanzgesetz verkündet wurde. Die Regierung sah mit Gleichmut einer noch mehrjährigen Dauer dieses Provisoriums entgegen, bis die Landbefestigung Kopenhagens in der Hauptsache vollendet sei; dann werde man sich mit dem Folkething verständigen.
Einstweilen kam sie dem Volk entgegen, indem der König an seinem 70. Geburtstag, 8. April, eine Amnestie für politische Vergehen erließ und der Staatsrat die Verschärfung des Strafgesetzes vom und das Preßgesetz von 1886 aufhob. Im Mai wurde die große Ausstellung für nordische Industrie, Landwirtschaft und Kunst in Kopenhagen, welche die Erinnerung an die vor 100 Jahren erfolgte Aufhebung der Leibeigenschaft verherrlichen sollte, eröffnet; dieselbe hatte großen Erfolg, und viele Fürsten, auch Kaiser Wilhelm II. von Deutschland, [* 11] besuchten den dänischen Hof. [* 12]
Die Mehrheit des Folkethings blieb allerdings unversöhnt und beteiligte sich auch nicht am 25jährigen Regierungsjubiläum des Königs Christian das dennoch glänzend gefeiert wurde. Auch 1889 wurde daher noch kein gesetzmäßiges Budget zu stande gebracht. Die Regierung konnte diesen Zustand ruhig ansehen, da sie keiner neuen Einnahmequellen bedurfte. Trotzdem wäre ihr ein günstigerer Ausfall der Neuwahlen sehr erwünscht gewesen, weswegen sie das Folkething auflöste und für den 21. Jan. Neuwahlen anordnete, nachdem sie verschiedene Reformen, namentlich im Finanzwesen, ferner die Anlegung eines Freihafens in Kopenhagen in Aussicht gestellt hatte. Dennoch fielen die Wahlen ungünstig für die Regierung aus. Die Rechte verlor 4 Sitze, davon 3 in Kopenhagen, und sank auf 24 Mitglieder, die Opposition stieg auf 78 Stimmen, also mehr als drei Viertel des Things. Auch mehrere Sozialisten wurden gewählt. Die Lage der Dinge blieb also unverändert.
Zur Litteratur: Weitemeyer, Dänemark
, Geschichte und Beschreibung etc. (Kopenh. 1888);
Goos und Hansen, Das Staatsrecht des
Königreichs Dänemark
(Freiburg
[* 13] 1889).