Titel
Döllinger
,
1) Ignaz,
Mediziner, geb. zu
Bamberg,
[* 3] studierte daselbst, in
Würzburg,
[* 4]
Wien
[* 5] und
Pavia, erhielt 1794 eine
Professur an der
Universität zu
Bamberg, ging 1803 als
Professor der
Anatomie nach
Würzburg, 1823 nach
Landshut
[* 6] und 1826 nach
München,
[* 7] wo er starb. In
Würzburg war Döllinger
zu
Schelling in nähere Beziehungen getreten, dessen
Einfluß sich in seinem
»Grundriß der
Naturlehre des menschlichen
Organismus« (Bamb. 1805) deutlich zu erkennen gibt. Döllinger
gebührt
der
Ruhm, gestützt auf vergleichend-anatomische und physiologische
Arbeiten seiner
Schüler, wie v.
Baer, Pander, D'Alton, in
Deutschland
[* 8] eine wahrhaft wissenschaftliche
Entwickelungsgeschichte
[* 9] der organischen
Wesen begründet zu
haben. Von seinen
Schriften verdienen besondere Erwähnung: »Wert und Bedeutung der vergleichenden
Anatomie« (Würzb. 1814);
»Beiträge zur Entwickelungsgeschichte des Gehirns« (Frankf. 1814);
»Grundzüge der Physiologie« (Regensb. 1835, 2 Hefte);
»Grundzüge der Entwickelung des Zell-, Knochen- und Blutsystems« (das. 1842).
2) Johann Joseph Ignaz, gelehrter kathol. Theolog, Sohn des vorigen, geb. zu Bamberg, ward 1822 Kaplan in der Bamberger Diözese, 1823 Lehrer am Lyceum zu Aschaffenburg, [* 10] von wo er 1826 als Professor der Kirchengeschichte und des Kirchenrechts an die Universität München übersiedelte. Zu dieser Würde, welche ihm nur vorübergehend, von 1847 bis 1849, abgenommen worden war, traten mit der Zeit die eines Propstes zu St. Cajetan, Reichsrats und Mitglieds der Akademie der Wissenschaften. Auch war er Mitglied der bayrischen Ständekammer seit 1845 und dann wieder seit 1849 sowie 1848 und 1849 auch der Frankfurter Nationalversammlung. Für die durchaus ultramontane Tendenz, von welcher seine damalige Wirksamkeit geleitet war, sind unter seinen zahlreichen Schriften am bezeichnendsten geworden: »Die Reformation, ihre innere Entwickelung und ihre Wirkungen« (Regensb. 1846-48, 3 Bde.; Bd. 1, 2. Aufl. 1851) und »Luther, eine Skizze« (Freiburg [* 11] 1851), Werke, die seinen Namen fast zum Symbol des katholisch-kirchlichen Korpsbewußtseins in seiner leidenschaftlichsten Protestantenfeindschaft gemacht haben.
Aber seit seiner Romreise von 1857, seit dem italienischen
Krieg von 1859 und noch mehr seit dem vatikanischen
Konzil von 1870 trat ein Umschwung in Döllingers
Überzeugungen ein, welcher zuerst 1861 in zwei zu
München gehaltenen
Vorträgen
sich offenbarte, darin die Möglichkeit einer völligen Aufhebung der weltlichen
Gewalt des
Papstes dargelegt war.
Schon jetzt stark angefeindet, unterwarf er sich und zog in der
Schrift
»Kirche und
Kirchen,
Papsttum und
Kirchenstaat«
(München
1861) noch einmal gegen den
Protestantismus zu
Felde, nachdem schon weit gründlichere wissenschaftliche Leistungen in seinen
Schriften: »Hippolytus und Kallistus« (Regensb. 1853),
»Heidentum und Judentum, Vorhalle zur Geschichte des Christentums« (das. 1857),
»Christentum und
Kirche in der Zeit der Grundlegung« (das. 1860, 2. Aufl.
1868) erschienen waren. Einen neuen
Schritt vorwärts that er 1863, als er mit
Haneberg und
Alzog eine Versammlung katholischer
Gelehrten nach
München berief, daselbst eine
Rede über »Vergangenheit und Gegenwart der katholischen
Theologie« (Regensb. 1863)
hielt und bald darauf sein Werk »Die Papstfabeln des
Mittelalters«
(Münch. 1863) erscheinen ließ. Eine
scharfe
Kritik des
Syllabus und auch der bereits in der
Luft liegenden Unfehlbarkeitslehre enthielt das von ihm und seinen
Kollegen
Friedrich und
Huber
ausgearbeitete
Buch
»Janus«
[* 12] (Leipz. 1869). Während des
Konzils erhob er von
München aus in
zwei
Gutachten vergeblich seine warnende
Stimme gegen die
Verkündigung der päpstlichen
Unfehlbarkeit und gab das
Signal zur
Entstehung des
Altkatholizismus (s. d.). Dieser nahm nun freilich schon auf seinem ersten
Kongreß zu
München durch sein Vorgehen zu selbständiger Gemeindebildung eine Wendung, in deren
Folge Döllinger
, welcher
bloß den Standpunkt der
Notwehr innerhalb der alten
Verfassung einzuhalten gedachte, sich nicht mehr persönlich
an der Weiterentwickelung der
Sache beteiligte.
Wie wenig aber damit ein
Rückschritt in der
Richtung nach
Rom
[* 13] verbunden und beabsichtigt war, zeigten gleich 1872 seine
»Vorträge
über die Wiedervereinigung der christlichen
Kirche«, ein wahrhaft versöhnender
Abschluß der hochbedeutenden
und in vieler Beziehung tragischen Wirksamkeit Döllingers
, dem um diese Zeit die
Universitäten zu
Wien,
Marburg,
[* 14]
Oxford
[* 15] und
Edinburg
[* 16] den juristischen und philosophischen Doktorhut verliehen, während die zu
München ihn zum
Rektor wählte. Als
Frucht
seiner gelehrten Muße erschien noch: »Sammlung von
Urkunden zur Geschichte des
Konzils von
Trient«,
[* 17] Bd.
1: »Ungedruckte
Berichte und
Tagebücher«
(Nördling. 1876, 2
Tle.). Seither haben verschiedene
Vorträge, welche Döllinger
in seiner
Stellung als Vorsitzender der königlichen
Akademie hielt,
Zeugnis wie von seiner fortgesetzten Arbeitslust, so auch davon abgelegt,
daß er keinen
Schritt rückwärts zu thun willens ist.