Czechisches
Recht. Das Czechisches Recht
, soweit es auf
Grund der wenigen und überdies nicht immer zuverlässigen
Nachrichten der ältesten böhm.
Chronisten (insbesondere
Cosmas, gest. 1125, und seine Fortsetzer) in seiner ursprünglichen
Gestaltung konstruiert werden kann, zeigt den gleichen Charakter wie die
Rechte der den
Czechen stammverwandten
Polen,
Russen
und Serbo-Kroaten. Die eigentümlichen Formen einer Gentilverfassung von welcher sich bei allen slaw.
Völkerschaften
Spuren vorfinden, und welche bei den Südslawen in den sog. Hauskommunionen bis auf die
Gegenwart sich erhalten haben, erscheinen auch im C. R. nicht bloß als Grundlagen des gesamten Privatrechts
, sondern üben
einen merklichen Einfluß auch auf die
Entwicklung des öffentlichen, insbesondere des
Staatsrechts aus.
Das älteste Gesetz über die Erbfolge auf dem Herzogsstuhl von
Böhmen,
[* 2] das Gesetz
Herzog
Břetislaws I.
von 1055, bestimmt in Übereinstimmung mit dem Grundprincip der gesamten czecho-slaw. Familienverfassung,
es habe von mehrern Mitgliedern der regierenden Familie der jeweilig
Älteste den
Thron
[* 3] zu besteigen. Dieses Princip des Seniorats,
welches auch bei den übrigen
Slawen thatsächlich in Geltung stand, bisweilen auch grundgesetzlich ausgesprochen
wurde, erhielt sich in
Böhmen bis ins 13. Jahrh. hinein (1216). Auf dem gleichen Princip war auch das
Institut der Gesamtbürgschaft
aufgebaut. Indes lassen sich die einzelnen, der ältesten
Periode der czech. Recht
sgeschichte angehörenden Rechtsinstitute
nur durch Vergleichung mit den über das älteste Recht
sleben der übrigen slaw.
Völker vorhandenen
Quellen feststellen. (S.
Slawisches Recht.)
Das älteste, speciell czech. Recht
sdenkmal bildet das in lat.
Sprache
[* 4] geschriebene, mit vielen czech. technischen
Ausdrücken
untermengte sog.
Statut
Herzog Konrad
Ottos (1189-91). Dieses
Statut (jus Conradi) gewährt ein
Bild der czech. Gerichtsverfassung
und des Recht
sganges vor den sog. Gaugerichten (Cuden, s. d.).
Daneben trat für Streitigkeiten über geringfügigere Gegenstände eine Art Schiedsgericht (slubný sud) zusammen. Neben
prozessualischen enthält das Jus Conradi auch mehrere Bestimmungen über Privat-, namentlich
Erb- und Familienrecht
, sowie
auch über
Strafrecht. So wie nun die Ottonischen
Statuten auf bestehende Recht
sgewohnheiten ausdrücklich verweisen, setzen
auch die spätern Gesetze der böhm. Könige und die besonders im 14. Jahrh.
zahlreicher auftretenden
Rechtsbücher (das sog. Rosenberger Recht
sbuch, der Ordo judicii terrae,
Andreae a Duba Explanatio
juris terrae Boemiae, das erste und letzte in czech.
Sprache geschrieben) das Vorhandensein eines ziemlich ausgebildeten Gewohnheitsrechts
voraus. Der böhm. hohe
Adel hielt fest an diesem Charakter des
Rechts und hinderte alle Versuche der böhm.
Könige
(Přemysl Ottokar II., Wenzel II. und
Kaiser
Karl IV., dessen
Entwurf eines Gesetzbuchs, die sog. Majestas
Carolina, 1355 zurückgezogen
wurde), an
Stelle schwankender Recht
sgewohnheiten ein festes Gesetz zu stellen.
Im 13. und 14. Jahrh. begann die Städtegründung und damit die Einführung des deutschen Rechts, das sich bei den Kolonisten im Lande und dann auch bei der einheimischen Landbevölkerung selbst verbreitete. Dadurch wurde das czecho-slaw. Recht, neben welchem ursprünglich das deutsche nur als Sonderrecht eines Standes gelten sollte, thatsächlich allmählich selbst zu einem Ausnahmsrechte, und die Geltung desselben beschränkte sich auf den Adelstand allein, der ihm aber nun eine um so größere Pflege angedeihen ließ. Es kamen Darstellungen zu stande, die (wie das sog. Neunbücher-Recht Vict. von Vschehrds von 1499) ein klares Bild des gesamten czech. Rechtssystems boten, teilweise auch (wie das sog. Tobitschauer Rechtsbuch von 1482 bis 1486) gesetzliche Autorität hatte und den spätern Kodifikationen des Landrechts zu Grunde gelegt wurden.
Die älteste Kodifikation des czech. Landrechts erfolgte unter der Regierung König Wladislaws II. 1500, und es reihen sich dieser sog. Landesordnung die Landesordnungen von 1530, 1549 und 1564 für Böhmen an, während in Mähren neben einer kurzen Landesordnung von 1516 die Landesordnungen von 1535 (von den Ständen ohne königl. Bewilligung 1545 neu gedruckt) und 1562 zu stande kamen. Diese Landesordnungen, welche in erster Reihe Bestimmungen über das Prozeßverfahren vor dem Landrechte enthalten, überdies jedoch vielfach Fragen des Privat-, Straf- und des Staatsrechts feststellen, fußen meistens auf Entscheidungen des Landgerichts, welche in der sog. Landtafel (s. d.) verzeichnet wurden. Die Kodifizierung des Landrechts hinderte jedoch keineswegs die Beeinflussung desselben durch die Stadtrechte, unter denen inzwischen das Stadtrecht von Prag [* 5] immer mehr Ansehen erlangt und die Geltung namentlich des Magdeburger Rechts auf ein stets engeres Gebiet beschränkt hatte.
Nach der Schlacht am Weißen Berge (1620) wurde dem böhm. und mähr. Adel in der sog. «verneverten» Landesordnung Kaiser Ferdinands II. (für Böhmen von 1627, für Mähren von 1628, beide 10. Mai) das Recht der Mitwirkung bei der Gesetzgebung ausdrücklich entzogen, das Gesetz als alleinige Quelle [* 6] des Rechts erklärt und die Absicht des Kaisers direkt ausgesprochen, das böhm. und mähr. Landrecht nicht nur mit dem Stadtrechte, sondern auch mit den in den übrigen österr. Ländern in Geltung stehenden Rechten in Einklang zu bringen. Diese Landesordnung wurde durch königl. Novellen und Deklaratorien erläutert und vervollständigt und durch dieselben der Rechtszustand des Landes dem in den übrigen österr. Ländern bestehenden immer mehr genähert. Gleiches geschah auf dem Gebiete des Stadtrechts; das Prager Stadtrecht, das 1579 von P. K. Koldin zusammengestellt und von Kaiser Rudolf II. bestätigt und 1610 für ganz Böhmen als ausschließlich geltend erklärt worden war, wurde durch kaiserl. Entschließungen von 1680 und 1697 für alle Städte Mährens und Schlesiens, 1784 schließlich auch für den Bauernstand Mährens als ausschließlich geltendes Gesetzbuch eingeführt.
Die österr. Gesetzbücher des 18. Jahrh. wurden sofort nach ihrer Bestätigung auch in den böhm. Län-
^[Artikel, die man unter Cz vermißt, sind unter Tsch oder Č aufzusuchen.] ¶
mehr
dern eingeführt, und der formellen Geltung des Czechisches
Recht wurde in jeder Beziehung ein Ende gesetzt durch das nach Erlaß des Allgemeinen
bürgerlichen Gesetzbuchs vom ergangene Hofdekret vom worin im Anschlusse an §. 11 des erstern erklärt
wurde, daß keinem der in einzelnen Provinzen und Landesbezirken Österreichs früher geltenden Statuten
und besondern Rechte die kaiserl. Bestätigung erteilt würde, dieselben also ihre Gesetzeskraft vollständig verlieren sollten.
Indessen die materielle Wirksamkeit einzelner Grundsätze des Czechisches
Recht, insoweit sich dieselben als eine
der Grundlagen der modernen österr. Gesetzgebung darstellen, kann nicht bezweifelt werden. - Quellenausgaben sind: Jireček,
«Codex juris bohemici» (bis jetzt 8 Tle., Prag 1867-83);
Brandl, «Kniha Tovačovská» (Brünn [* 8] 1868);
ders., «Kniha Rožmberská» (ebd. 1872);
«Die Landtafel des Markgrafentums Mähren», hg. von Chlumecky, Chytil, Demuth und Wolfskron (ebd. 1854);
Emler, «Reliquiae tabularum terrae regni Bohemiae» (2 Tle. in 9 Bdn., Prag 1870-77).
Litteratur. Jireček, Das Recht in Böhmen und Mähren (1 Bd. in 2 Abteil., Prag 1865-66);
ders., Slovanské právo v Čechách a na Moravě (3 Bde., ebd. 1863-72);
Jičinský, Vývin českého právnictvi (ebd. 1865);
J. F. ^[Johann Ferdinand] Schmidt von Bergenhold, Geschichte der Privatrechtsgesetzgebung und Gerichtsverfassung im Königreich Böhmen (ebd. 1866);
Ott, Beiträge zur Rezeptionsgeschichte des röm. kanonischen Prozesses in den böhm. Ländern (Lpz. 1879);
Randa, Přehled vzniku a vývinu desk čili knih věřejných, hlavně v Čechách a na Moravě (Prag 1870);
Hanel, Vliv práva něm. v Čechách i na Moravě (ebd. 1874) u. a. Eine große Anzahl von Artikeln zur czech.
Rechtsgeschichte ist auch enthalten in den Zeitschriften: Právník (Prag seit 1861); Casopis českého Museum (ebd. seit 1827); Časopis matice moravské (Brünn seit 1869).