Cypern
[* 2] (bei den Griechen
Kypros, türk. Kibris), türk.
Insel des
Mittelmeers
[* 3] unter englischem Protektorat, liegt zwischen
34° 34' und 35° 43' nördl.
Br., in der von den
Küsten
Syriens und
Kilikiens gebildeten nordöstlichen
Ecke des genannten
Meers und hat eine ungefähr rechteckige Gestalt, doch mit einer langen, schmalen, gegen
NO. gestreckten
Halbinsel (s.
Karte).
Ihre größte
Länge beträgt fast 230, ihre
Breite
[* 4] 96 km, der Flächeninhalt 9601 qkm (174,3 QM.). Die
wichtigsten
Vorgebirge sind: das
Kap
Gatti (Kurias der Alten) im S.,
Kap
Greco (Pedalion) gegen SO.,
Kap St.
Andrea (Dinareton) im
NO.,
Kap Kormachiti (Krommyon) im N. und
Kap Epiphanios (Akamas) im
NW. Das
Innere der
Insel wird von zwei
Gebirgsketten von O. nach W. durchzogen, der Nordkette,
welche im
Pentedaktylon 756 m gipfelt und aus
Kalk besteht, und dem
plutonischen
System des Troodos (Chionodes der Alten, 2010 m hoch), zu welchem die östlicher gelegenen
Berge Machäras (Aoos, 1440
m)
und Stavrovuni
(Olympos, 700 m hoch) gehören. Zwischen beiden Gebirgsreihen fließt der Pidias (Pediäos), der beträchtlichste
Fluß Cyperns
, der auf der Ostküste mündet; die übrigen
Flüsse
[* 5] trocknen im
Sommer größtenteils aus,
und die
Bewässerung der
Insel ist daher im allgemeinen nicht eben reichlich.
Trotzdem blühte Cypern
im
Altertum durch außerordentlichen Kulturreichtum. Der
Aphrodite
[* 6] heilig, die hier aus dem Schaum des
Meers aufgestiegen sein sollte und in
Paphos einen prachtvollen
Tempel
[* 7] hatte, galt die
Insel der damaligen
Welt als Vereinigungspunkt
aller
Anmut und Lieblichkeit, freilich auch aller Üppigkeit und
Frechheit. Man pries und feierte das liebliche
Klima,
[* 8] die strotzende
Vegetation, den
Reichtum an
Produkten aller Art, wie namentlich an
Kupfer
[* 9] (das von Cypern
seinen
Namen hat),
köstlichem
Wein,
Kristall
(»Diamant
[* 10] von
Paphos«),
Seesalz etc. Auch die
Cypressen und Cyperkatzen, heute auf
Cypern
fast verschollen, erinnern an die
Insel.
Ackerbau,
Bergbau
[* 11] und
Industrie, die besonders kunstvolle
Teppiche, kostbare Tischgedecke,
reiche
Kleider,
Thonwaren,
[* 12] wohlriechende
Salben etc. schaffte, standen in hohem
Flor, und die zahlreichen kleinen Gemeinwesen,
welche an den
Küsten bestanden und meist im
Besitz trefflicher Häfen waren, wie
Amathus,
Paphos,
Salamis,
Kition
etc., waren sämtlich blühend und wohlhabend.
Für den großen Wohlstand des alten Cypern
zeugt auch die reiche
Ausbeute der von
Cesnola (s. d.) veranstalteten
Ausgrabungen,
welche eine große
Menge von
Statuen,
Reliefs, Thonvasen (vgl.
Vasen)
[* 13] und Metallarbeiten zu
Tage gefördert haben. Diese als cyprische
Altertümer in verschiedenen
Museen aufbewahrten
Arbeiten zeigen eine eigentümliche Mischung von ägyptischem,
asiatischem und altgriechischem
Stil und sind meist phönikischen Ursprungs. Die Zahl der Bewohner soll in jenen
Zeiten oft
eine
Million betragen haben. Auch jetzt noch zeichnet sich die
Insel trotz der jahrhundertelangen Vernachlässigung durch
Fruchtbarkeit
aus.
Das Klima ist im Sommer sehr heiß, im Winter übermäßig kalt; im Frühling (Mitte Februar bis Mitte April) ist die ganze Insel ein einziger Blumenteppich. Der Osten ist wärmer als der gebirgige Westen. Im Sommer regnet es nie (so einst unter Konstantin 36 Jahre lang gar nicht, so daß die Bewohner auswanderten), im Winter oft 30-40 Tage lang, so daß die Bäche übertreten. Die Hitze erzeugt namentlich an der Küste oft Fieber. Mit dem Ackerbau ist es übel bestellt, und die von Natur reich ausgestattete Insel ist überhaupt sehr herabgekommen.
Die ehemals reichen Waldungen sind ohne Plan ausgenutzt und verwüstet worden; an Anpflanzungen denkt man erst in allerneuester Zeit. Der Boden ist ausgetrocknet und die Kulturfähigkeit überhaupt beeinträchtigt. So liegt mehr als die Hälfte der Insel als Wüstenei, und nur etwa der fünfte Teil derselben ist angebaut. In den Ackerbaudistrikten, besonders in der Thalebene des Pidias, wird die Bewässerung des Bodens mit Hilfe von unterirdischen Kanälen und Schöpfrädern bewirkt; doch ist dieselbe noch bedeutender Ausdehnung [* 14] fähig. Ende September oder Anfang Januar, d. h. vor oder nach den hier vorherrschenden Winterregen, geschieht die Aussaat; Ende Mai ist die Ernte. [* 15] Weizen, Gerste, [* 16] Hafer, [* 17] Linsen und Sesam werden vorzugsweise gebaut, als Erdfrüchte nur im Gebirge ¶
mehr
die Kartoffel, in den Ebenen die Kolokasie; Tabak [* 19] und Baumwolle [* 20] wenig. Der Weinbau gedeiht bis über 1000 m Höhe, wird aber vernachlässigt; nur etwa 60 qkm sind mit Reben bepflanzt. Der Cyperwein ist seit dem Altertum hochberühmt, leider aber hat die englische Verwaltung die früher drückende Besteuerung des Weinbaues beibehalten. Das vorzüglichste Gewächs ist der Vino della Commanderia, so genannt, weil die Strecke (bei Limisso), auf der er gewonnen wird, einst eine Kommende der Templer war.
Der Ölbaum wird ebenfalls vernachlässigt, und bei der Anwendung höchst unvollkommener Pressen geht ein großer Teil des wertvollen Materials verloren. Bedenklich wird die Zunahme der Heuschrecken [* 21] (Stauronotus), die nur mit der Pflugschar wirksam bekämpft werden können. Gleicherweise vernachlässigt sind die Vieh- und die Seidenzucht sowie die ehemals so berühmte Bienenzucht, [* 22] welch letztere dennoch jährlich ca. 800,000 kg Honig und 200,000 kg Wachs produziert.
Von Haustieren trifft man nur Ziegen, Schafe [* 23] und Schweine. [* 24] Die sonstige Thätigkeit der Bewohner, deren Zahl sich 1881 auf 186,173 (95,015 männliche, 91,158 weibliche; etwa ¾ Christen, ¼ Mohammedaner; der Sprache [* 25] nach 42,638 Türken und 140,793 Griechen, ferner einige Hundert Araber und Engländer etc.) belief, beschränkt sich auf Fabrikation von Teppichen, Baumwoll- und Seidenzeugen, Töpferwaren und feinem Leder. Die Ausfuhr besteht (außer in Wein) hauptsächlich in Salz, [* 26] starken Stiefeln, Rosinen, Johannisbrot, Baumwolle, und die Einfuhr umfaßt namentlich Textilwaren, Zucker, [* 27] Tabak, Reis.
Die Hauptstadt der Insel ist Levkosia (ehemals Nicosia genannt), Sitz eines Erzbischofs, unter welchem die Bischöfe von Bapho, Larnaka und Kerynia stehen; der vorzüglichste Hafen- und Handelsplatz ist Larnaka. An der Ostküste liegt Famagusta, an der Westseite Bapho, das alte Paphos. Verwaltet wird die in sechs Distrikte geteilte Insel von einem von der Königin von Großbritannien [* 28] ernannten High Commissioner, der zugleich Oberstkommandierender ist, und dem ein gesetzgebender Rat von 4-8 Mitgliedern, welche zur Hälfte von der Krone aus den Beamten, zur Hälfte aus angesehenen Einwohnern gewählt werden, zur Seite steht. Die Einnahmen betrugen 1884/85: 172,063 Pfd. Sterl., die Ausgaben 112,037, wozu noch der Tribut an die Türkei [* 29] mit 92,746 Pfd. Sterl. kommt, so daß England ein Defizit von 32,720 Pfd. Sterl. zu decken hatte.
Geschichte. Die ersten Bewohner Cyperns
waren Semiten vom Stamm der Chetiter. Sehr früh siedelten sich
Phöniker an, gründeten die bedeutendsten Städte der Insel, wie Salamis, Paphos, Amathus, Soloi u. a., und verpflanzten ihre
Götterkulte dahin. Später kamen griechische Einwanderer verschiedener Stämme, vorzugsweise Ionier und Dorier, welche mehrere
(neun) monarchische Kleinstaaten gründeten. Seit dem 8. Jahrh. v. Chr. war Cypern
dem assyrischen Reich unterworfen,
unter welchem aber die griechischen und phönikischen Fürsten als Vasallen weiterherrschten.
Nach dem Fall von Assyrien übte Tyros eine Art Oberherrschaft, bis Amasis von Ägypten
[* 30] es um 560 eroberte. Mit Ägypten kam Cypern
525 unter
die persische Herrschaft, der es die Griechen 478-449 entrissen. 410 vereinigte König Euagoras von Salamis
die ganze Insel zu einem der Sprache nach schon fast ganz griechischen Reich und behauptete nach längern Kämpfen gegen den
König Artaxerxes II. seine Selbständigkeit bis an seinen Tod 374. Nach der Schlacht bei Issos unterwarf sich Cypern
333 Alexander
d. Gr. Nach Alexanders Tod wurde die Insel ein Zankapfel zwischen Antigonos und Ptolemäos I., an deren Kämpfen
sich auch die kleinen Fürsten der Insel beteiligten. Ptolemäos blieb endlich Sieger und vereinigte Cypern
wieder mit Ägypten. Doch
überließen es die Ptole-
[* 2]
^[Abb.: Karte der Insel Cypern.]
¶
mehr
mäer zeitweise einem jüngern Zweig ihres Hauses als Sekundogenitur. 58 machte es Cato zu einer mit Kilikien vereinigten römischen
Provinz. Cäsar und Marcus Antonius gaben zwar der Insel wieder mehrere Fürsten aus dem Geschlecht der Ptolemäer zu Herrschern;
aber Augustus machte sie nach der Schlacht bei Actium zur Konsularprovinz. Von dieser Zeit an wird Cypern
in der
alten Geschichte kaum mehr erwähnt. Bei der Teilung des Römerreichs fiel es dem oströmischen Reich zu und wurde von Statthaltern
aus kaiserlichem Geblüt regiert. In diese Zeit fällt der Aufstand der Juden unter Artemon, der den kaiserlichen Befehl zur
Folge hatte, daß kein Jude je wieder die Insel betreten dürfe.
Von den Sarazenen 647 zweimal erobert, fiel Cypern
doch jedesmal an die Byzantiner zurück. Von den kaiserlichen Statthaltern machte
sich Komnenos I. unabhängig, nahm den Kaisertitel an, und seine Nachkommen behaupteten den Thron,
[* 32] bis Richard Löwenherz, der 1191 auf
seinem Kreuzzug in 25 Tagen die ganze Insel eroberte, den komnenischen Kaiser Isaak gefangen nahm und um
25,000 Mk. Silber an die Tempelherren verkaufte, welche es jedoch an England zurückgaben, worauf Richard 1193 den König von
Jerusalem,
[* 33] Guido von Lusignan, damit belehnte.
Unter der Herrschaft der Lusignans blühte Cypern
wieder auf. Nachdem mit Hugo II. 1267 die männliche Linie
des Hauses Lusignan ausgestorben war, bestieg ein natürlicher Sprößling desselben, Hugo III., Sohn des Prinzen Heinrich von
Antiochia, den Thron von Cypern.
Einer seiner Nachkommen, Jakob II., hatte eine Venezianerin, Caterina Cornaro (s. d.), zur Frau, welche 1489 ihre
Rechte auf die Herrschaft von Cypern
der Republik Venedig
[* 34] überließ, die sich im Besitz derselben behauptete,
bis 1570 der Feldherr des Sultans Selim II. nach der tapfersten Gegenwehr des Marco Antonio Bragadino (s. d.), der elf Monate lang
Famagusta verteidigte, die Insel eroberte und dem türkischen Reich einverleibte, wobei 20,000 Christen niedergehauen, 2000 zu
Sklaven gemacht und große Schätze erbeutet wurden.
Den Türken selbst soll die Eroberung der Insel 50,000 Mann gekostet haben. Mehemed Ali bemächtigte sich im Juli 1832 auch Cyperns
und wurde 1833 von der Pforte förmlich damit belehnt; aber schon 1840 kam die Insel an die Pforte zurück. Durch den Vertrag
vom wurde Cypern
an England abgetreten; doch behielt sich der Sultan seine Souveränitätsrechte
sowie den Überschuß der Einnahmen über die Ausgaben vor. Später verpflichtete sich England zur Zahlung eines Tributs von 92,746
Pfd. Sterl. an die Pforte. 1882 erhielt Cypern eine neue Verfassung.
Vgl. Engel, Kypros (Berl. 1841);
Unger und Kotschy, Die Insel Cypern (Wien [* 35] 1865);
v. Löher, Cypern, Reiseberichte (Stuttg. 1878);
J. ^[richtig: S. W. für Samuel White] Baker, Cypern im Jahr 1879 (deutsch, Leipz. 1880);
Cesnola, Cypern, seine alten Städte, Gräber und Tempel (deutsch, Jena [* 36] 1879);
Mas Latrie, Histoire de l'île de Chypre sous le règne des princes de la maison de Lusignan (Par. 1851-61, 3 Bde.);
Derselbe, L'île de Chypre, sa situation présente, etc. (das. 1878);
v. Löher, Cypern in der Geschichte (Berl. 1878);
Holwerda, Die alten Kyprier in Kunst und Kultus (Leiden [* 37] 1885).
Eine umfassende Karte von Cypern, aufgenommen von Kitchener und Grant, erschien zu London [* 38] 1885 (15 Bl. in 1:63,360).