Creux
du Van (Le) (Kt. Neuenburg, Bez. Boudry). 1455-981 m. Typischer und grossartiger halbkreisförmiger Felsenzirkus, einer der schönsten des Juragebirges; im normalen Gewölbe der obern Juraschichten (Kimmeridge-Argovien) der Chasseralkette eingeschnitten, w. der Montagne de Boudry und 17 km wsw. Neuenburg. Za. 1 km weit, nach O. geöffnet, sonst aber völlig geschlossen. Die Sohle des Zirkus ist bedeckt mit Bergsturz- und Moränenmaterial, das thalauswärts bis in die Schluchten der Areuse hineinreicht. Aus der hier 166 m hohen und den Grund des Zirkus um 280 m überragenden senkrechten Felswand tritt als eine Art mächtiger Bastion der sog. Falconnaire vor; an seinen Fuss schmiegt sich eine Felsnische, die sog. Roche aux Noms, die mit Inschriften aller Art, z. T. von hervorragenden Naturforschern herrührend, über und über bedeckt ist. Den Gipfel des
mehr
Falconnaire krönt eine kleine felsige Plattform, das sog. Echo, so geheissen wegen dieses hier sich auffallend deutlich bemerkbar machenden akustischen Phänomens. Der obere Rand der Felsen des Creux du Van, an den sich die Bergweiden des Soliat (höchster Punkt in 1467 m) anschliessen, bildet auf eine Länge von 600 m die Grenze zwischen den Kantonen Waadt und Neuenburg. Nach Prof. Ayer ist der Ausdruck Van eine keltische Wurzel, die «Fels» bedeutet und sich in Ortsnamen des Wallis noch häufig findet; als Diminutive davon gelten der im Jura oft vorkommende Ausdruck Vanel und das Freiburger Vanil. Die Schreibweise Creux du Vent ist demnach eine unbegründete, trotz des an schönen Tagen oder bei schwacher Bise (O.-Wind) oft durch diese Hohlform aufwärts steigenden starken Luftzuges, der leichte Gegenstände (wie Hüte, Zeitungen etc.) bis zum Rand der Felswand mit sich heraufnimmt.
Der gewöhnliche Weg in den Creux du Van geht von Noiraigue über Derrière Cheseaux und die in 981 m am Eingang zum Zirkus gelegene Ferme Robert (oder Maison du Creux du Van; Staatseigentum), die ein sehr beliebtes und stark besuchtes Ausflugsziel ist. Ein anderer Weg führt von der Ferme des Oeillons aus im Zickzack («sentier des quatorze contours») durch den Wald des Dos d'Ane bis zum Soliat hinauf (Noiraigue-Le Soliat 2 Stunden). Endlich kann man auch vom Saut de Brot (in den Gorges de l'Areuse) aus die Ferme Robert und von Bevaix und Gorgier aus über den Col du Lagua oder die Chaille und Grand' Vy den obern Rand des Zirkus erreichen.
Aus den mit Schutt überführten Argovienmergeln entspringt mitten im Zirkus eine starke Quelle, die Fontaine Froide (1148 m), deren Wasser das ganze Jahr hindurch die gleichförmige niedere Temperatur von 4,1° C. aufweist. Sie ist jetzt gefasst und versorgt das Dorf Noiraigue. Von der Fontaine Froide aus kann die über dem Zirkus gelegene Hochfläche mit den Bauernhöfen Le Soliat und La Grand' Vy entweder durch den über die sehr steilen Waldhänge s. der Quelle sich aufwärts windenden Fusspfad Le Single oder durch den Weg La Paroisse erreicht werden, der längs der Côte de la Déracinée schräg ansteigt und mit mässiger Steigung über den Pré aux Favres zur Bergweide der Grand' Vy führt. Die dichten und wilden Wälder dieser Gegend haben dem braunen Bären noch bis in die neuere Zeit hinein ein Rückzugsgebiet geboten; das letzte Stück dieses Raubtieres wurde um 1770 vom Eigentümer der Ferme du Creux, David Robert, erlegt. Um die bemerkenswerte Flora des Creux du Van vor der Ausrottung zu bewahren, hat der Club Jurassien 1876 eine 25 ha umfassende Fläche der Schuttzone am Fuss der s. Wände des Zirkus als sein Eigentum erworben. Die gesamten übrigen Waldungen am Creux du Van sind im Besitz des Staates Neuenburg, der einen am S.-Fuss des Dos d'Ane gelegenen Teil davon der 1889 gegründeten Société du Parc du Creux du Van zur Einrichtung eines interessanten Wildparkes (Hirsche, Rehe, Gemsen) eingeräumt hat.
Flora.
Der Creux du Van ist eine der in botanischer Hinsicht am häufigsten untersuchten und am besten bekannten Gegenden des Jura. Neben einer gewissen Anzahl von seltenen Arten der Waldzone finden mehrere alpine Arten im Grunde des Zirkus die zu ihrem
mehr
Gedeihen notwendige Feuchtigkeit und kühle Temperatur; anderen gewähren die Schutthalden und die sich daran anschliessenden Felswände die ihnen zusagenden trockenen und warmen Standorte, und auch auf den Bergweiden über dem Zirkus wachsen noch einige interessante Arten. Man könnte aus dem Creux du Van mit Leichtigkeit etwa hundert für die Flora des Jura seltene oder wenigstens nicht häufige Pflanzenarten nennen; wir beschränken uns hier auf die Aufzählung der bemerkenswertesten unter ihnen. Am Fusse des Felsenzirkus gedeiht eine ganze Kolonie von ausgesprochen alpinen Arten: Ranunculus alpestris, Arabis alpina, Empetrum nigrum, Rhododendron ferrugineum (?) *, (* Die mit einem [?] versehenen Arten sind früher gefunden worden, scheinen aber heute nicht mehr vorzukommen.) Circaea alpine, Soldanella alpina (?), Tozzia alpina, Salix hastata; daneben finden sich einige Waldpflanzen, wie z. B. Pirola minor, die interessanten Orchideen Listera cordata, Epipogium aphyllum, Corallorhiza innata, Cypripedilum calceolus (Frauenschuh), und endlich zwei Torfpflanzen: Lycopodium annotinum und Vaccinium uliginosum (Rauschbeere). An trockenen und warmen Felshalden: Dryas octopetala (durch die «Jäger» auf sog. Schweizerthee leider stark gefährdet), die schöne Anthyllis montana (eine im Jura sehr seltene mediterrane Art), Thalictrum majus, Erysimum ochroleucum (eingeführt), Centranthus angustifolius, Cynoglossum germanicum, Aster alpinus u. a.
Selten oder nicht häufig sind ferner: Thalictrum minus, Ranunculus platanifolius, Helianthemum alpestre, Coronilla vaginalis, Potentilla villosa, P. alpestris und P. caulescens, Rosa rubrifolia, Sorbus hybrida, S. scandica und S. chamæmespilus; Sempervivum tectorum, Meum athamanticum, Bupleurum longifolium, B. ranunculoides und B. falcatum; Heracleum alpinum, Anthriscus torquata, Pinguicula vulgaris v. alpicola; mehrere Arten von Pippau und Habichtskräutern: Crepis aurea, C. blattarioides, C. succisæfolia und C. paludosa; Hieracium cæsium, H. glaucum, H. glabratum, H. humile, H. porrectum, H. bifidum, H. Godeti, H. prenanthoides u. a.; ferner Campanula linifolia, Arctostaphylos uva ursi (Bärentraube), Scrophularia Hoppei, Linaria alpina v. petræa, Lysimachia nemorum, Androsace lactea, Daphne alpina, Salix retusa, Gymnadenia odoratissima, Herminium monorchis, Allium victorialis und A. fallax; Carex gynobasis, C. nitida, C. humilis, C. ornithopoda, C. maxima etc.; Phleum alpinum und P. Micheli; Poa caesia! (einziger bekannter Standort im Jura), P. Chaixii und P. hybrida; Festuca pumila; einige Farnkräuter: Aspidium lonchitis, Cystopteris montana, Scolopendrium officinale, Blechnum spicant etc. Näheres in dem von Ch. Godet erstatteten Bericht über einen botanischen Ausflug zum Creux du Van am 13. Juli 1869 (Bull. de la soc. botan. de France. XVI, 1869); ferner mehrere Notizen von Tripet, P. Godet, Robert und Lerch im Rameau de Sapin und Bull. de la soc. des sc. nat. de Neuchâtel; Dubois, A. Les Gorges de l'Areuse. Neuchâtel 1902.