Cousin
(franz.), s. Kousin.
Cousin
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Im Meyers Konversations-Lexikon, 1888
Cousin
(franz.), s. Kousin.
Cousin
(spr. kusäng), 1)
Jean, franz. Bildhauer und
Maler, geb. 1501 zu Soucy bei
Sens, scheint
sich anfänglich der
Glasmalerei
[* 2] gewidmet zu haben.
Schöne Werke dieser Art im französischen Renaissancegeschmack sind: im
Dom zu
Sens die
Legende des heil.
Eutropius (1530), vier Gemälde in der
Kirche
St.-Gervais zu
Paris
[* 3] (1551), die der
Kapelle des
Schlosses Fleurigny bei
Sens etc. Doch hat Cousin
auch in
Öl gemalt, darunter das
Jüngste Gericht im
Louvre,
das indessen trotz seiner fleißigen Ausführung geringen
Geschmack in der
Komposition zeigt; jedenfalls wurde Cousin
von seinen
Landsleuten, die ihn den französischen
Michelangelo nannten, sehr überschätzt.
Auch als Bildhauer erfreut sich Cousin
eines bedeutenden Ansehens; die liegende
Statue von
Phil. de
Chabot im
Louvre ist ein lebendiges, frisch aufgefaßtes Werk. Der vielseitige
Künstler schrieb auch: »La vraie science de la pourtraicture«
(zuerst Par. 1571 u. öfter; u. d. T.:
»L'art de desseigner, revu etc. par
Fr. Jollain«),
ferner
»Livre de perspective« (das. 1560 u. öfter). 200 zum
erstenmal veröffentlichte
Zeichnungen Cousins
gab Lalanne heraus (»Le
[* 4] livre de fortune«,
1884). Cousin
starb um 1590.
Vgl.
Didot, Étude sur
Jean Cousin
(Par. 1872);
Derselbe,
Recueil des œuvres choisies de
Jean Cousin
(40 Tafeln,
das. 1872).
2) Victor, berühmter franz. philosophischer Schriftsteller, geb. zu Paris als Sohn eines armen Handwerkers, ward, als Schüler von Maine de Biran und Royer-Collard durch diese zum Studium der Philosophie bestimmt, schon 1815 des letztern Stellvertreter an der philosophischen Fakultät und Professor der Philosophie an dem Lycée Bonaparte. Durch seinen Lehrer Laromiguière in den Sensualismus, durch Royer-Collard in die Philosophie der schottischen Schule eingeweiht und durch die letztere dem Kritizismus Kants nahegebracht, welchen er mittels einer lateinischen Übersetzung des Hauptwerks des letztern sich anzueignen strebte, trat er 1817 eine philosophische Studienreise nach Deutschland [* 5] an, auf welcher er Hegels und im folgenden Jahr Schellings Bekanntschaft machte, von welcher Zeit der Einfluß deutscher Philosophie in Frankreich datiert.
Nachdem er 1820 seine Vorlesungen aus politischen
Gründen hatte einstellen müssen, auf einer
Reise in
Deutschland als politischer
Umtriebe verdächtiger Karbonaro verhaftet und nach
Berlin
[* 6] gebracht worden war, welchen Aufenthalt
er benutzte, um sich (durch
Gans und
Michelet) näher mit der Hegelschen
Philosophie vertraut zu machen, durfte er 1828 seine
Vorlesungen wieder eröffnen, ward 1830 Mitglied der
Akademie und stieg nach der
Julirevolution rasch von
Stufe zu
Stufe, wurde Generalinspektor der
Universität, 1831
Staatsrat und mit Erstattung eines
Berichts über das preußische
Unterrichtswesen beauftragt, 1832
Direktor der
Normalschule und Pair, endlich (März 1840) im
Ministerium
Thiers
Minister des
öffentlichen
Unterrichts, legte diesen
Posten jedoch schon im
Oktober wieder nieder und lebte seitdem als
Privatmann seinen
Studien. Er starb in
Cannes infolge eines Schlaganfalls. Cousin
ist der Begründer der sogen. eklektischen
Schule, die ihren Standpunkt zwischen der französischen (zu welcher er
¶
die Sensualisten, die schottischen und deutschen Skeptiker rechnet, als welche ihm Kant und Fichte
[* 8] erscheinen) und der deutschen
Schule nimmt, als deren Repräsentanten er Schelling und Hegel, seine »deux illustres amis«, betrachtet. Jene opfert der Psychologie
die Ontologie und führt zum Skeptizismus, diese der Ontologie die Psychologie und verwandelt jene dadurch
in eine bloße Hypothese. Cousin
dagegen beginnt mit der Psychologie und wird durch diese selbst (aus sicherm Weg) zur Ontologie
geführt.
Die Identität des Denkens und Seins, zu welcher die Skeptiker niemals gelangen, und die von den spekulativen Philosophen, welche
sie zu ihrem Ausgangspunkt machen, niemals bewiesen worden sein soll, ist nach Cousin
eine Thatsache des Bewußtseins,
welche durch Analyse des letztern außer Zweifel gesetzt wird. In dem unmittelbaren und spontanen Akte der reinen Vernunft erlösche
(ähnlich wie in Schillings intellektualer Anschauung) jede Spur subjektiver Beschränktheit.
In den Vorlesungen von 1828, in welchen alle Wissenschaft auf drei Fundamentalideen der Vernunft: das Unendliche, das Endliche und die Beziehung zwischen diesen beiden, zurückführte, näherte er sich dem Standpunkt des deutschen (absoluten) Idealismus so sehr, daß ihm dieselben den Vorwurf zuzogen, er habe die Philosophie in Frankreich entnationalisiert. Um demselben zu entgehen, knüpfte er in der 1845 erfolgten Umarbeitung seines zuerst 1817 erschienenen Hauptwerks: »Le Vrai, le Beau et le Bien« (23. Aufl. 1881) an den Begründer der Philosophie in Frankreich, Descartes, an, indem er die psychologische Methode als Basis der philosophischen Fassung beibehielt.
Getreu dem idealistischen Prinzip, den Ursprung der Ideen im Geiste statt in der äußern Sinneswelt aufzusuchen, verwarf
er auch in der Kunst die gemeine Nachahmung der äußern Natur und empfahl deren Verschönerung nach dem Vorbild der im Geist
lebendigen Idee. Von dieser Zeit an wurde seine Philosophie mehr eine Bekämpfung der sensualistischen und materialistischen
Lehren,
[* 9] zu welcher er auch die Hilfe der Religion in Anspruch nahm, als eine strenge Wissenschaft. Um die
Belebung des sittlichen Ernstes auf dem Gebiet der Wissenschaft und Kunst hat sich Cousin
sehr verdient gemacht.
Die größten Verdienste aber hat er sich um die Verbreitung des Studiums der Geschichte der Philosophie (nach seinem von Leibniz entlehnten Grundsatz, daß in jedem System ein Funke Wahrheit enthalten sei), namentlich der französischen des Mittelalters, und um die Hebung [* 10] des öffentlichen Unterrichtswesens (nach deutschem Muster) erworben. Außer seinen Übersetzungen des Platon (Par. 1822-38, 12 Bde.), des Cartesius (das. 1824, 6 Bde.) und der Tennemannschen »Geschichte der Philosophie« (das. 1831, 2 Bde.) nennen wir von seinen Schriften: die »Fragments philosophiques« (das. 1826);
die »Nouveaux fragments« (das. 1829);
»De la métaphysique d'Aristote« (das. 1837);
die »Fragments de philosophie Cartésienne« (das. 1845) und »Études sur Pascal« (1842, 6. Aufl. 1877).
Die Resultate seiner Reise nach Deutschland teilt er mit im »Rapport sur l'état de l'instruction publique dans quelques pays de l'Allemagne« (Par. 1832, 2 Bde.; 3. Aufl. 1840; deutsch von Kröger, Altona [* 11] 1832-37, 3 Bde.),
die seiner Reise nach den Niederlanden in der Schrift »De l'instruction publique en Hollande« (Par. 1837; deutsch von Kröger, Altona 1838, 2 Bde.). Außerdem besorgte er eine Ausgabe des Proklos (Par. 1820 f., 5 Bde.) und der Werke Abälards (mit Jourdain und Despois, 1849-59, 2 Bde.),
nachdem er
1839 den bisher unveröffentlichten
Traktat Abälards: »Sic et non« herausgegeben hatte. Seine öffentlichen Vorlesungen, von Stenographen nachgeschrieben, erschienen
als »Cours de philosophie« (Par. 1836) und »Cours de l'histoire de la philosophie moderne« (7. Ausg., das.
1866, 8 Bde.). Letzteres Werk bildet zugleich die erste und zweite Abteilung einer Gesamtausgabe von Cousins
Schriften. Die dritte Abteilung ist betitelt: »Fragments philosophiques« (Par. 1847-48, 4 Bde.),
die vierte: »Littérature« (das. 1849, 3 Bde.),
die fünfte: »Instruction publique« (das. 1850, 3 Bde.). In der letzten Zeit seines Lebens widmete er sich mit Vorliebe der Schilderung hervorragender Frauen und des geistigen Lebens des 17. Jahrh., so in den Schriften: »Jacqueline Pascal« (1844);
»Madame de Longueville« (1853);
»Madame de Hautefort« (1856);
»La société française au XVII. siècle« (1858, 2 Bde.);
»La jeunesse de Mazarin« (1865).
Seine Bibliothek, im Wert von 1 Mill. Frank, vermachte er der Sorbonne.
Unter seinen Schülern sind Jouffroy, Ch. de Rémusat, Bartholméß, Janet die bekanntesten. Letzterer hat ihn nach seinem Tod in der
»Revue des Deux Mondes« gegen die heftigen Angriffe seitens der Schule. A. Comtes und des Materialismus verteidigt. Über
Cousins
Philosophie vgl. Rob. Zimmermann, Studien und Kritiken, Bd. 1, S. 384 ff.
(Wien
[* 12] 1879); Janet, Victor Cousin
et son œuvre (Par. 1885).
Im Meyers Konversations-Lexikon, 1888
Seine Biographie schrieb noch Jules Simon (Par. 1887).