Corpus
evangelicorum
(lat.), die geschlossene
Körperschaft, in welche die protestantischen deutschen
Reichsstände auf den
Reichstagen zusammentraten, wenn die
Verhandlungen
Religions- und kirchliche Angelegenheiten betrafen.
Ausdrücklich und regelmäßig geschah dies erst seit dem
Westfälischen
Frieden. Vorher waren dergleichen Vereinigungen weder
allgemein noch von Dauer, wie z. B. das
Torgauer
Bündnis 1526 und der 1531 geschlossene
Schmalkaldische
Bund.
Als aber nach dem Augsburger Religionsfrieden das Bedürfnis gemeinsamer Vertretung und Wahrung der Interessen der evangelischen Stände gegenüber den katholischen sich fühlbar machte, traten sie allmählich als eine geschlossene Körperschaft auf, deren Haupt der Kurfürst von Sachsen [* 2] und später der Kurfürst von der Pfalz war, bis 1633 der schwedische Reichskanzler Oxenstierna die Leitung der Geschäfte übernahm. Durch den Westfälischen Frieden (Art. V, § 8 und 52) wurde sodann ausdrücklich festgesetzt, daß im Reichstag in kirchlichen Angelegenheiten nicht nach Stimmenmehrheit entschieden, sondern zwischen protestantischen und katholischen Ständen als zwischen zwei besondern, gleichberechtigten Korporationen auf gütliche Weise verfahren werden solle.
Bei der ersten
Sitzung und eigentlichen Konstituierung des Corpus evangelicorum
auf dem
Reichstag zu
Regensburg
[* 3] erhielt Kursachsen wieder das
Direktorium. Als der
Kurfürst
Friedrich
August I. 1697 durch seinen Übertritt zur katholischen
Kirche unfähig wurde, die protestantischen Kirchenangelegenheiten ferner zu leiten, übergab er die
Direktion 1698 dem
Herzog
Friedrich II. von Gotha,
[* 4] ordnete ihm jedoch das Geheimratskollegium in
Dresden
[* 5] bei, das er deshalb in Bezug
auf die Besorgung kirchlicher
Dinge vom
Gehorsam gegen seine
Person entband.
Als
Herzog
Friedrich schon 1700 zurücktrat, übernahm der
Herzog
Johann
Georg von
Sachsen-Weißenfels die Oberleitung. Auch als
der
Kurprinz
Friedrich
August II. 1717 zur katholischen
Kirche übergetreten war, blieb die
Direktion bei
Kursachsen, obgleich Kurbrandenburg darauf Anspruch machte, dessen
Wahl
Hannover
[* 6] und andre
Stände hintertrieben. Insofern das
Corpus evangelicorum
durch den
Westfälischen
Frieden als besondere
Körperschaft eingesetzt war, stand demselben das
Recht zu, Versammlungen zu
halten, Beschlüsse zu fassen und
Vorstellungen an den
Kaiser zu richten; doch fruchteten die
Vorstellungen
desselben zu gunsten der
Rechte der
Protestanten meist weniger als die
Drohungen der mächtigern protestantischen
Reichsstände.
Seit 1770 bestanden zwei ständige
Deputationen, die eine zur Untersuchung der Religionsbeschwerden, die andre zur
Aufnahme
der sechs dem Corpus evangelicorum
zugehörenden
Kassen. Im J. 1806 ging das G. zugleich mit der deutschen
Reichsverfassung zu
Grabe.
Vgl.
Frantz, Das katholische
Direktorium des Corpus evangelicorum
(Marb. 1880).