Corneille
(spr. -néj), Pierre, franz. Dramatiker, geb. zu Rouen, [* 3] wo sein Vater Generaladvokat war, erhielt seinen Unterricht bei den Jesuiten, bildete sich zum Juristen aus und wurde 1624 Advokat in Rouen. 1629 erhielt er durch Kauf zwei jurist. Ämter, mit denen ein nicht unbeträchtliches Einkommen verbunden war, und brachte sein erstes Stück, das Lustspiel «Mélite», mit Erfolg auf die Bühne zu Paris. [* 4] Es folgten 1632 die Tragikomödie «Clitandre» und die Lustspiele «La veuve», «La galerie du palais», «La suivante» und «La Place royale» (1633), die viel Beifall fanden.
Durch diese
Arbeiten erwarb sich Corneille
ein großes Verdienst um
die Hebung des franz.
Lustspiels, da sie sich
durch gewähltere
Sprache,
[* 5] anständigere Haltung und natürlichere Handlung vor den Komödien seiner Vorgänger vorteilhaft
auszeichneten. Damals umgab sich der Kardinal Richelieu mit Dichtern, die
Lustspiele nach seinen Angaben ausführen mußten;
Corneille
soll das Wohlwollen des mächtigen Ministers dadurch sich verscherzt haben, daß er
bei den ihm zur Ausführung übertragenen Lustspielentwürfen zu viel Selbständigkeit bewies.
Anfang 1635 trat Corneille
mit seiner ersten
Tragödie «Médée» hervor, einer Bearbeitung von
Senecas gleichnamigem
Stück. Mit dem
romantischen Zauberspiel «L’Illusion comique» (1636) schließt die Lehrzeit
des Dichters ab. Im Nov. 1636 wurde sein erstes Meisterwerk, die
Tragikomödie (später
Tragödie) «Le
[* 6] Cid», auf dem
Marais aufgeführt. Der beispiellose Erfolg, die begeisterte Bewunderung, die der «Cid»
fand, erweckte den Neid; der Dramatiker Scudéry wußte unter Zustimmung des Kardinals die neugestiftete
Akademie zu veranlassen,
ihre Meinung über den «Cid» auszusprechen, was sie
nach längerm Zögern that in ihrer ersten für die Öffentlichkeit bestimmten
Arbeit, den «Sentiments de l’Académie française
sur la tragicomédie du Cid»; durch die hier als Gesetz ausgesprochene
Theorie von den drei Einheiten wurde ein romantischer
Stoff, wie der aus dem
Spanischen des
Guillen de
Castro entlehnte des «Cid» es war, als ungeeignet
für die strenge Regel-
^[Artikel, die man unter C vermißt, sind unter K aufzusuchen.] ¶
mehr
mäßigkeit der klassischen Tragödie bezeichnet. In seinen folgenden Trauerspielen fügte sich Corneille
den Forderungen der Akademie,
auch bearbeitete er von nun an in der Regel aus der Geschichte des Altertums entlehnte Stoffe. 1640 trat Corneille
mit zwei Dramen:
«Horace» und «Cinna»,
hervor, durch die er den gegen ihn erhobenen Vorwurf mangelnder Schöpferkraft glorreich widerlegte.
Von der franz. Kritik ward «Cinna» für
sein bestes Werk gehalten, doch dürfte «Polyeucte» (1642) höher zu stellen
sein.
In dem «Mort de Pompée» (1643) tritt ein seinen spätern Schöpfungen zum Nachteil gereichender Hang zum Schwülstigen schon stark hervor. C.s Bearbeitung des «Menteur» (1644) nach Ruiz de Alarcon bedeutet den Anfang der Charakterkomödie in Frankreich. Schon in seinem Lieblingsstück, der Tragödie «Rodogune» (1647), ist C.s Dichterkraft nicht mehr auf der Höhe. Von da ab bewegt sich C.s dichterische Kraft [* 8] in niedersteigender Linie; da er die Charakterzeichnung mehr und mehr vernachlässigt und seine Stärke [* 9] in überraschenden Situationen und künstlichen Verwicklungen sucht, wird das Interesse, das die Handlung und die Personen seiner Tragödien hervorrufen, immer schwächer.
Von diesen Stücken der letzten Periode (1645-74) verdienen nur «Don Sanche d’Aragon» (1650) und «Nicomède» (1651) noch
Erwähnung. Corneille
war 1647 Mitglied der Französischen Akademie geworden, hatte dann, nach dem Mißerfolg des
«Pertharite» (1652),
der Bühne den Rücken gewandt und seine Muse der geistlichen Dichtung («Imitation de Jésus-Christ», 1656)
gewidmet. Durch den Oberintendanten Fouquet wurde Corneille
bewogen, seine Thätigkeit als Dramatiker wieder aufzunehmen,
und so erschienen, mit «Oedipe» (1659) beginnend, noch zahlreiche nach
derselben Schablone gearbeitete Stücke. Von seinem jüngern Zeitgenossen Racine wurde Corneille
jetzt gänzlich
verdunkelt. Seit 1662 lebte der Dichter in Paris, wo er starb. Seine letzten Lebensjahre wurden durch dramat. Mißerfolge,
ökonomische Sorgen und Todesfälle in der Familie vielfach getrübt. In seiner Vaterstadt wurde ihm 1834 ein Standbild (s.
Tafel: Französische Kunst IV,
[* 7]
Fig. 2) errichtet.
Corneille
war der eigentliche Schöpfer der dramat. Poesie und der heroischen regelmäßigen Tragödie in Frankreich; von seinen 33 Stücken
werden die vorzüglichsten noch immer mit Beifall gegeben. Sein Beiname «der große Corneille»
ist unangetastet geblieben und
sein Ansehen hat durch die Zeit gewonnen, obschon Voltaires und Laharpes Kritik es zu schmälern geeignet
war. Die Schwächen in der Anlage mehrerer seiner Stücke zeigte Lessing mit schlagender Kritik. Das einseitig Heroische seiner
Charaktere und der Mangel an innerer Wahrheit sind nicht mehr bestrittene Mängel seiner Tragödien.
Seine wenigen Prosaschriften behandeln dramaturgische Fragen. Unter den zahlreichen Ausgaben der Werke sind hervorzuheben: C.s eigene wichtige (2 Bde., Par. 1648; 4 Bde., 1664; 4 Bde., 1682), die von Voltaire kommentierte (12 Bde., Genf [* 10] 1764; neue Aufl., 8 Bde., ebd. 1774), die grundlegende Gesamtausgabe von Marty-Laveaux (12 Bde.,Par. 1862-68; neue Aufl. 1887). Der «Cid» erschieß deutsch zuerst von Greflinger (1679), sämtliche Stücke von J. J. ^[Johann Jeremias] Kummer (Gotha [* 11] 1779-81). -
Vgl. Taschereau, Histoire de la vie et des
ouvrages de Corneille
(Par. 1829; 3. Aufl., 2 Bde.,
1869);
Saint-René Taillandier, Corneille
et ses contemporains (ebd. 1864);
Picot, Bibliographie Cornélienne (ebd. 1875);
Levallois,
Corneille
inconnu (ebd. 1876);
Guizot, Corneille
et son temps (7. Aufl., ebd. 1880);
Faguet, Corneille
(ebd. 1886);
Bouquet, Points obscurs et nouveaux de la vie de P. Corneille
(ebd. 1888);
Lieby, Corneille Études sur le théâtre classique (ebd. 1892).