Gnäus
Marcius, röm.
Patrizier, zeigte schon als
Jüngling entschlossenen
Mut und zeichnete sich besonders
bei der Belagerung der Volskerstadt
Corioli aus, weshalb
er den Ehrennamen Coriolanus erhalten haben soll.
Bald aber verdunkelte
er den
erworbenen
Ruhm durch seine rücksichtslose Schroffheit gegenüber dem
Volk. Als nämlich zur Linderung
einer
Teurung der
Senat in
Sizilien
[* 2]
Getreide
[* 3] aufgekauft hatte, wollte Coriolanus dasselbe dem
Volk nur unter der
Bedingung überlassen
wissen, daß es auf das vor kurzem eingesetzte Volkstribunat verzichte.
Er wurde deshalb von den
Volkstribunen in
Anklagestand
versetzt und trotz der eifrigen Bitten der
Patrizier von den Tributkomitien (491
v. Chr.) für schuldig
erklärt, worauf er voll Rachedurst nach
Antium zu den
Volskern ins
Exil ging.
Von diesen neben
AttiusTullius zum
Feldherrn gewählt, brach
er an der
Spitze eines
Heers in das römische Gebiet ein und drang
bis in die
Nähe von
Rom
[* 4] vor (488). Von hier aus verwüstete er die Ländereien der
Plebejer, verschonte
aber die der
Patrizier, um den
Samen
[* 5] zu neuem
Hader in
Rom auszustreuen. Hier war alles in der äußersten
Bestürzung; das
Volk
beschuldigte den
Senat des Einverständnisses mit Coriolanus und weigerte sich, die
Waffen
[* 6] zu ergreifen; der
Senat
sah sich daher genötigt, mit Coriolanus in Unterhandlung zu treten. Coriolanus erklärte aber den an ihn abgesandten
Senatoren: ehe er sich auf eine Unterhandlung einlassen könne, müsse den
Volskern alles ihnen früher entrissene Land zurückgegeben
werden.
Auch die
Priester und
Augurn, die, mit ihren heiligen Amtsinsignien angethan, im feindlichen
Lager
[* 7] erschienen,
brachten keinen günstigere
Bescheid zurück.
Endlich zogen die römischen
Frauen, an ihrer
Spitze des Coriolanus alte
Mutter Veturia
und seine
Gattin Volumnia mit seinen beiden kleinen
Söhnen, ins
Lager. Die mahnende Anrede der
Mutter brach Coriolans Trotz.
Mit den
Worten:
»Rom hast du gerettet,
Mutter, aber deinen Sohn hast du verloren!« ließ er das Zeichen
zum
Rückzug geben.
Die Nachrichten über sein Ende lauten verschieden. Nach einigen soll ihn
Tullius des
Verrats angeklagt und einen
Aufstand gegen
ihn angestiftet haben, in welchem er erschlagen worden sei; nach andern soll er ein hohes
Alter erreicht und sein
Exil oft
beklagt haben. Die
Frauen errichteten an dem
Ort, wo sie ihr Vaterland gerettet hatten, der weiblichen
Fortuna einen
Tempel,
[* 8] in welchem Veturia Oberpriesterin wurde. Coriolanus'Leben hat Plutarch beschrieben; seine
Schicksale haben
Shakespeare und unter den
DeutschenCollin zu
Tragödien verarbeitet.
der Beiname, den der röm. Patricier Gnäus Marcius nach den röm. Geschichtsbüchern für die 493 v.Chr.
durch seine Tapferkeit herbeigeführte Eroberung Coriolis erhielt, eines wichtigen Waffenplatzes der Volsker. Als Hungersnot
das Volk bedrückte, riet er im Senat dazu, die aus Sicilien angelangten Getreidevorräte den Plebejern
vorzuenthalten, wenn sie sich nicht zur Abschaffung des erst 3 Jahre vorher errungenen Tribunats verständen. Die Tribunen
luden ihn hierauf vor die plebejische Volksversammlung, die damals zuerst zum Gericht über einen Patricier zusammengerufen
wurde. Coriolanus ward verurteilt und ging zu seinem Gastfreunde, dem Könige der Volsker, AttiusTullius, nach
Antium ins Exil.
Als nun anläßlich der Feier der Circensischen Spiele die Volsker mit Attius nach Rom strömten, warnte letzterer nach einer
zwischen ihm und Coriolanus getroffenen Verabredung die Konsuln vor einem angeblichen Handstreiche der Volsker. Infolgedessen wurden
die Volsker genötigt, vor Anbruch der Nacht Rom zu verlassen, und erklärten wegen dieser BeleidigungRom
den Krieg. Coriolanus, neben AttiusTullius zum Feldherrn erwählt, eroberte 488 die röm. Kolonie Circeji, drang siegreich durch ganz
Latium vor und lagerte
sodann fünf Milien vor Rom bei den Cluilischen Gräben, von wo aus er die Äcker der Plebejer verwüsten
ließ, während er die der Patricier schonte.
Die Plebejer weigerten sich zu den Waffen zu greifen, da sie die Patricier im Einverständnis mit ihrem Standesgenossen wähnten;
so sandte in der Bedrängnis der Senat fünf Konsulare an Coriolanus, die ihm den Beschluß, daß seine Verbannung aufgehoben sei,
überbrachten. Aber Coriolanus verlangte auch die Zurückgabe alles bis dahin den Volskern abgenommenen Landes
und gewährte eine Frist von 33 Tagen. Am 31. Tage kamen zehn Konsulare zu ihm; doch Coriolanus gab nichts von seiner Forderung nach.
Als am folgenden Tage auch die Priester ihn vergeblich angefleht hatten, stieg die Verzweiflung in Rom aufs äußerste. Da
zogen am dritten Tage die edelsten Frauen, geführt von Coriolanus' greiser Mutter Veturia und seiner Gattin Volumnia,
die seine beiden kleinen Söhne an der Hand
[* 9] hatte, in das Lager. Durch die Thränen seiner Mutter ward sein Trotz gebeugt. «Du
hast zwischen dem Vaterlande und deinem Sohne gewählt; ich entsage der Rückkehr», sprach er zu ihr,
und führte das volsk. Heer zurück.
Die Erzählung, daß er hierauf sogleich von den erbitterten Volskern ermordet worden sei, und eine andere, daß er sich selbst
den Tod gegeben habe, beruht auf einer spätern Umbildung der ältern Sage. Nach den ältern Quellen lebte er unter den Volskern
noch lange und ist erst als Greis, oft über das Elend der Verbannung klagend, gestorben. Die Erzählung von Coriolanus ist ganz unhistorisch:
sie widerspricht in vielen Punkten direkt feststehenden Thatsachen. Plutarch hat Coriolanus' Leben beschrieben; Shakespeare sein Schicksal
in einer Tragödie behandelt. –
Vgl. Mommsen, Die Erzählung von Gn.
Marcius Coriolanus (im «Hermes»,
[* 10] Bd.
4, Berl. 1869, und in den«Röm. Forschungen», Bd. 2, ebd. 1879).