Comenĭus,
Johann Amos, Begründer der neuern Pädagogik, geb. 29. (28.) März 1592 in dem mährischen Städtchen Nivnitz bei Komne (Ungarisch-Brod) als Sohn eines Müllers. Früh verwaist, kam er erst in seinem 16. Lebensjahr zu dem Besuch einer lateinischen Schule. Nachdem er 1612 das berühmte, später zur Universität erhobene Gymnasium zu Herborn bezogen, wo J. H. ^[Johann Heinrich] Alsted mit seiner encyklopädischen Richtung und seinem Chiliasmus tiefen Eindruck auf ihn machte, schloß er seine Studien nach kurzem Aufenthalt in Heidelberg [* 3] (1613) mit einer Reise nach Holland und England.
Schon 1614 treffen wir ihn als Rektor der Brüderschule in Prerau, wo er, durch Ratich angeregt, bereits als pädagogischer Schriftsteller sich versuchte. 1816 ^[richtig: 1616] ward er Prediger und Lehrer in Fulnek, dem Hauptsitz der Brüdergemeinde. 1621 verlor er durch Plünderung seine Habe, 1624 durch die Vertreibung aller evangelischen Prediger aus Böhmen [* 4] und Mähren Amt und Herd. Zwei edle Männer, Karl von Zerotin und Georg von Sadowski von Sloupna, gewährten ihm jahrelang Aufnahme und Muße zu schriftstellerischer Thätigkeit, bis er 1628 sein Vaterland verlassen mußte und zu Lissa [* 5] in Polen eine Stätte fand für neue, bald weltberühmte Wirksamkeit als Leiter des dortigen Gymnasiums.
Seinen Ruf begründeten namentlich die beiden Schriften: »Janua linguarum reserata« und »Didactica magna seu omnes omnia docendi artificium« (»Große Unterrichtslehre«, deutsch von Lindner, Wien [* 6] 1877; von Beeger und Zoubek, 4. Aufl., Leipz. 1883). Daneben war er seit 1632 Senior der böhmisch-mährischen Brüdergemeinden. Durch Vermittelung des Engländers Samuel Hartlieb erschien 1639 sein »Pansophiae prodromus« in London, [* 7] und schon 1641 folgte er einer damit in Verbindung stehenden Einladung nach England, wo sich selbst das Parlament mit seinen pädagogischen Reformvorschlägen beschäftigt hatte.
Schon vorher hatte er einen
Ruf zur Schulreform in
Schweden
[* 8] abgelehnt.
Da aber auch das englische
Projekt durch die Revolutionswirren
vereitelt wurde, so war es eine besonders günstige Wendung des
Geschickes, daß er in einem reichen niederländischen
Edelmann,
Ludwig de
Geer, einen für seine
Pläne begeisterten, freigebigen
Gönner fand. Da derselbe sich zu
Norrköping
in
Schweden aufhielt, so war Comenius
veranlaßt, eine
Reise dahin zu unternehmen, welche ihn in persönlichen
Verkehr brachte mit
Oxenstierna, der sich längst für ihn interessiert hatte, und mit dem
Erzieher
Gustav
Adolfs, Skyte, welcher ihm, in Übereinstimmung
mit
Geer,
Elbing
[* 9] in
Preußen
[* 10] als passenden Wohnort für seine weitern didaktischen
Arbeiten vorschlug.
Vom
Herbst 1642 bis zu Anfang des
Jahrs 1648 lebte Comenius
daher in angestrengter Thätigkeit in
Elbing, teils unterrichtend, teils
wissenschaftliche
Pläne ausführend, schließlich empfindlich bedrückt durch äußere Verhältnisse. Im J. 1648
wurde er
Bischof der
Böhmischen
Brüder und nahm seinen
Wohnsitz wieder in
Lissa, wo er die »Methodus linguarum novissima«
nebst einigen andern sprachlichen
Arbeiten erscheinen ließ. Erfolglos bemühte er sich während der Friedensverhandlungen
um günstige
Bedingungen für seine
Glaubens- und Gemeindegenossen.
Der
Fürst
Rákóczy rief ihn 1650 nach
Sáros-Patak in
Siebenbürgen, wo er ganz nach seinen
Grundsätzen
eine höhere
Schule einrichten durfte. Aber der plötzliche
Tod des
Fürsten brachte alle Einrichtungen ins
Stocken. Nach zweijährigen
Anstrengungen kehrte Comenius
enttäuscht nach
Lissa zurück. Als unvergängliche
Frucht dieser
Episode erschien zu
Nürnberg
[* 11] (Noribergae,
typis et sumptibus
Michaelis Endteri) der in
Ungarn
[* 12] verfaßte
»Orbis sensualium pictus,
hoc est omnium fundamentalium
in mundo rerum et
in vita actionum pictura et nomenclatura« (1657, oft aufgelegt und nachgeahmt; zuletzt neubearbeitet von
A.
Müller, Nürnb. 1835). Im April 1656 eroberte und zerstörte ein polnisches
Heer die Stadt
Lissa.
Mit Verlust von
Hab und
Gut, darunter dem größten Teil seiner
Handschriften, zog Comenius
über
Hamburg,
[* 13] wo er
zwei
Monate krank lag, nach
Amsterdam,
[* 14] wo
Lorenz de
Geer,
Ludwigs Sohn, ihm ruhigen Aufenthalt und die Möglichkeit, eine Gesamtausgabe
seiner pädagogischen Werke (1657) zu veranstalten, gewährte.
In den letzten Lebensjahren wendete er sich ganz mystischen
Spekulationen zu, zu denen ihn einst Alsted angeregt hatte. Am starb er, ein 80jähriger
Greis; in der
Kirche zu
Naarden hat man vor wenigen
Jahren seine Ruhestätte gefunden.
Die bleibende Bedeutung des Comenius
für das
Unterrichts- und Erziehungswesen beruht darin, daß er einerseits, ohne die
Forderungen
des kirchlichen, staatlichen und geselligen
Lebens zu verkennen, vor allem auf naturgemäße
Erziehung
drang, die nach seiner Auffassung mit wahrhaft christlicher
Erziehung zusammenfiel, und anderseits, gestützt auf
Bacons Vorgang,
die
Anschauung der wirklichen
Welt, nicht die Belehrung aus den
Schriften alter oder neuer
Gelehrten als Ausgangspunkt für allen
Unterricht annahm.
Auch in der genauern Ausführung seiner Grundgedanken finden sich neben manchem Seltsamen und Überspannten viele geistvolle Gedanken von bleibendem Wert. Allen Unterricht verteilte er auf die vier Stufen der Mutterschule, Muttersprach-, Lateinschule und Akademie, deren jeder er regelmäßig sechs Jahre zuteilte. Nach seinem Tod erschien unter dem Titel: »Panegersia« (»Allgemeiner Weckruf«) eine »Allgemeine Beratung über die Verbesserung der menschlichen Dinge. An das Menschengeschlecht, vor andern aber an die Gelehrten, Religiosen und Machthaber von Europa« [* 15] (Halle [* 16] 1702),
eine sehr merkwürdige, aber bisher kaum beachtete
Schrift,
von welcher der
Philosoph
Krause 1811 einen wortgetreuen
Auszug veröffentlichte, der in H.
Leonhardis
Schrift »Der Philosophenkongreß
als
Versöhnungstag«
(Prag
[* 17] 1869) wieder abgedruckt worden ist. Zur
Feier seines 200jährigen Todestags wurde
in
Leipzig
[* 18] einer von ihm mehrfach vorgetragenen
Idee gemäß eine pädagogische Zentralbibliothek (Ende 1882: 31,000
Bände)
unter dem
Namen der
Comenius-Stiftung begründet. 1874 erichtete ^[richtig: errichtete] man ihm in
Prerau ein Denkmal. Eine Sammlung
von Comenius'
»Pädagogischen
Schriften« gab
Lion heraus (2. Aufl.,
Langens. 1883).
Vgl. außer dem Leutbecher,
Comenius'
Lehrkunst (Leipz. 1853);
Gindely, Über Comenius'
Leben und Wirksamkeit in der
Fremde
(Wien 1855);
Pappenheim, Comenius
, der Begründer
der neuern
Pädagogik (Berl. 1871);
Seyfarth, Comenius
¶
mehr
nach seinem Leben und seiner pädagogischen Bedeutung (2. Aufl., Leipz. 1872);
Beeger und Zoubek, J. A. Comenius
nach seinem Leben und seinen Schriften (das. 1883);
v. Criegern, J. A. Comenius
als Theolog (das. 1881).