Colbert
Colbertismus - Colchag

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Seite 4.201.(spr. -bär), Jean Baptiste, franz. Finanzminister, geb. zu Reims, [* 2] Sohn eines mäßig begüterten Kaufmanns, ward Kommis in einem Pariser Bankhaus, bildete sich durch Reisen, arbeitete dann im Büreau des Staatssekretärs Letellier und bewies so große Einsicht im ¶
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Verwaltungsfach, daß ihn Letellier dem ersten Minister, Mazarin, empfahl. Dieser übertrug ihm die Verwaltung seines Vermögens und erhob ihn 1654 vom Finanzintendanten zum Staatsrat und Sekretär [* 4] der Königin. Von Mazarin noch auf dem Sterbebett dem König empfohlen, wurde er von Ludwig XIV., den er freimütig mit dem traurigen Stande der Finanzen bekannt machte, 1661 zunächst als Kommis eines Finanzrats, erst 1669 als Generalkontrolleur der Finanzen (Finanzminister) an die Spitze der Verwaltung gestellt.
Streng rechtlich, von unermüdlicher Arbeitskraft und umfassendem Blick, freilich auch eigensinnig, hart und habgierig, widmete
alle seine Zeit und Kraft
[* 5] dem Dienste
[* 6] des Königs. Nach genauen vierjährigen Untersuchungen über den finanziellen
Stand des Staats zeigte sich, daß das Steuer- und Abgabensystem in der vollkommensten Verwirrung sich befand, und daß in den
vorhergehenden unruhigen Zeiten eine greuliche Unordnung eingerissen war. Daher schuf Colbert
zuerst einen Finanzrat, der dem König
jährlich ein Verzeichnis der Ausgaben und Einnahmen vorlegen mußte, was der Verschwendung ein Ziel setzte.
Eine Justizkammer überwachte die Pachter und Beamten, gleichmäßige Besteuerung und einfachere Erhebung der Steuern traten
ein. Während Colbert
die Steuern verminderte und die Rückstände bis 1656 erließ, deckte er den Ausfall durch Herabsetzung der
Renten und Verminderung der Beamten und Pensionäre. Dabei wurde aber das Interesse der Krone aufs eifrigste
gewahrt, die Domänen wurden für die Krone zurückgenommen, und da die Prachtliebe Ludwigs XIV. ungeheure Summen in Anspruch
nahm, so trat Colberts
Thätigkeit nicht selten in einseitiger Weise in den persönlichen Dienst des Königs; vollends die steten
Kriege nötigten Colbert
, durch Mittel, welche bisweilen das Interesse des Landes verletzten, Geldquellen zu eröffnen;
dahin gehörten: Vorschuß auf künftige Einnahme, Errichtung neuer Renten gegen Kapitalzahlungen, Verkauf neugeschaffener Ämter,
Verpfändung von Domänen, Erhöhung der Steuern.
Korinth (Stadt)

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Kanal.
Die Staatseinnahmen stiegen zwar, namentlich durch die Einführung neuer Steuern, von 84 Mill. auf 116 Mill.;
aber das Wohl der niedern Klassen, besonders des Bauernstandes, wurde vernachlässigt. Das System, die Steuern
zu verpachten, führte zu furchtbaren Erpressungen seitens der Pachter. Indessen hat Colbert
doch Großes geschaffen. Vor allem förderte
er die Industrie, baute den Kanal
[* 7] von Languedoc und ein Netz von Kunststraßen, erhob Marseille
[* 8] und Dünkirchen
[* 9] zu Freihäfen, stiftete
Ausfuhrprämien und Assekuranzkammern, hob den Kolonialhandel, errichtete Handelsgesellschaften, kaufte
Niederlassungen auf den westindischen Inseln Martinique, Guadeloupe, Santa Lucia, Grenada etc., sandte Kolonisten nach Cayenne,
brachte durch Besiegung der Flibustier die Besitztümer dieser Seeräuber auf Santo Domingo
[* 10] an Frankreich und hob den Handelstraktat
mit den Holländern auf, wodurch der französischen Nation alle bis dahin jenen zugestandenen Einfuhrbegünstigungen
zugewendet wurden.
Die Verbesserung des französischen Seewesens ging mit diesen Schöpfungen Hand
[* 11] in Hand. Colbert
scheute keine Opfer, der französischen
Flagge gegen die Seeräuber des Mittelländischen Meers Sicherheit zu verschaffen; er legte den Hafen von Rochefort an und errichtete
zu Brest, Toulon,
[* 12] Dünkirchen und Havre
[* 13] Seearsenale, um die zum Teil verfaulte Kriegsflotte herzustellen,
kaufte er im Ausland mehrere Kriegsschiffe, brachte es aber bald dahin, daß in Frankreich selbst die besten Fahrzeuge gebaut
wurden, und hatte 1662 die französische Flotte
auf 60 Linienschiffe und 40 Fregatten, 20 Jahre später auf das Doppelte gebracht.
Für die Bemannung führte er die Konskription in der Küstenbevölkerung ein. Die französische Handelsflotte
wurde die dritte der Welt. Handel und Industrie nahmen durch Zollschutz und Staatsunterstützung (Merkantilsystem) einen mächtigen
Aufschwung. Dagegen litt der Ackerbau durch Ausfuhrverbote, hohe Steuern u. a. sehr, und der Bauernstand befand sich in so
elender Lage, daß wiederholt Aufstände ausbrachen und Colbert
furchtbar gehaßt wurde. Auch die bürgerliche
und peinliche Gesetzgebung ward durch ihn verbessert, die Religionsfreiheit beschützt.
Rom

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Rom.
Die Zahl der Festtage und der Klöster wurde vermindert. Außer für materielle Interessen, sorgte Colbert
auch für Kunst und Wissenschaft;
er stiftete 1663 die Akademie der Inschriften und 1666 die der Wissenschaften, errichtete 1671 die Bauakademie,
reformierte die Malerakademie, stiftete für sie in Rom
[* 14] eine französische Schule, unterstützte Gelehrte und Astronomen, gründete
den botanischen Garten
[* 15] und die Sternwarte
[* 16] zu Paris,
[* 17] ließ unter Cassinis Leitung die große Vermessung Frankreichs vornehmen, sammelte
Kunstschätze, bereicherte die königliche Bibliothek und ließ prächtige Gebäude aufführen. Er war endlich
der eifrigste Gehilfe des Königs in der Errichtung eines unbeschränkten Absolutismus.
Als er aber sich endlich wiederholt genötigt sah, der Verschwendung und Prachtliebe des Königs entgegenzutreten und zur Sparsamkeit
zu mahnen, fiel er bei demselben in Ungnade, so daß Ludwig XIV. ihn nicht einmal auf seinem Sterbelager besuchte. Das Volk
war durch die Höhe der Abgaben und die empörende Härte bei ihrer Eintreibung gegen Colbert
so erbittert, daß, als er starb,
sein Leichenzug durch Militär gegen die Menge geschützt werden mußte. Dennoch waren die äußern Erfolge des Systems so glänzend,
daß es viele Nachahmer fand. Colbert
hinterließ ein Vermögen von 10 Mill. und den Titel eines Marquis de Seignelay,
der auf seinen ältesten Sohn überging, welcher später die Verwaltung der Marine erhielt. Interessant ist das von Colbert
eigenhändig
entworfene »Mémoire pour son fils, sur ce qu'il doit observer pendant le voyage qu'il va faire à Rochefort«.
Vgl.
Clément, Lettres, instructions et mémoires de Colbert
(Par. 1862-73, 7 Bde.;
Nachtrag 1882);
Derselbe, Histoire de Colbert
et de son administrativ (das. 1874, 2 Bde.);
Neymarck, Colbert
et son temps (das. 1877, 2 Bde.);
Gourdault, Colbert
, ministre de Louis XIV (6. Aufl., Tours
[* 18] 1885). -
Sein jüngerer Bruder, Charles, Marquis von Colbert
-Croissy, trat in den diplomatischen Dienst, war Gesandter
in England und auf dem Nimwegener Friedenskongreß und erhielt später durch die Gunst der Maintenon das auswärtige Ministerium.