Cocaïn
,
C17H21NO4 , das wirksame
Alkaloid der Kokablätter (s.
Koka). Das Cocaïn
krystallisiert
in großen farblosen Prismen, schmeckt bitterlich, die Zungennerven vorübergehend gefühllos machend, schmilzt bei 98°,
löst sich schwer in Wasser, leicht in
Alkohol, noch leichter in
Äther. Der chem. Konstitution nach ist Cocaïn
der Methylester
einer Säure des Benzoylecgonins, C16H19NO4 , das neben dem Cocaïn
in den Kokablättern
vorkommt.
Beim
Kochen mit
Alkalien oder Säuren zerfällt das Benzoylecgonin in
Benzoesäure und Ecgonin,
C9H15NO3 , das als eine β-Oxypropionsäure aufzufassen ist, in der ein Wasserstoffatom durch
einen am
Stickstoff methylierten Tetrahydropyridinrest erfetzt ist. Die ganze Formel des Cocaïn
würde demnach die folgende
sein:
C5H7N(CH3).C(OCO.C6H5).CH2.COOCH3.
Es ist für die Fabrikation des Cocaïn
wichtig, dah man dasselbe aus dem Benzoylecgonin und dem
Ecgonin durch Einwirkung von
Methylalkohol und von
Benzoylchlorid synthetisch wieder darstellen kann. Das Cocaïn
bildet mit Säuren
meist krystallisierbare, in Wasser leicht lösliche, schwach bitter schmeckende
Salze, von denen das salzsaure Cocaïnum
muriaticum
s. hydrochloricum, C17H21NO4.HCl ^[C17H21NO4.HCl], neuerdings eine
sehr ausgedehnte
therapeutische Verwendung findet und nach Vorschrift des
Arzneibuchs für das
Deutsche Reich
[* 2] in den
Apotheken vorrätig gehalten
wird.
Dasselbe bildet ein weißes, krystallinisches, schwach sauer reagierendes Pulver, welches sich leicht in Wasser und
Weingeist
löst. Das Cocaïn
gehört zu den narkotischen
Mitteln. Innerlich genommen, steigert es in kleinen Gaben ähnlich
wie das
Opium und der ind. Hanf die Funktionen des
Gehirns und bewirkt Aufheiterung,
Abnahme des Schlaf- und Nahrungsbedürfnisses,
das Gefühl von Leichtigkeit und erhöhter Arbeitsfähigkeit, sodaß anhaltende geistige oder Muskelarbeit ohne
Ermüdung
verrichtet wird, während es in größern Gaben die Hirnfunktionen herabsetzt und Müdigkeit, Schlaf und
Betäubung erzeugt.
Man verordnet es mit
Vorteil als stimulierendes
Mittel bei verschiedenen Schwächezuständen, auf anstrengenden
Märschen und Bergbesteigungen, gegen nervöse
Dyspepsie, Kolik,
Erbrechen der Schwangern und Seekranken, sowie zur Behandlung
von Morphiumsüchtigen und Alkoholisten. Größte Einzelgabe ist 0,05 g, größte Tagesgabe 0,15 g.
Ungleich wichtiger ist seine äußerliche Anwendung als örtlich anästhesierendes und schmerzstillendes
Mittel, wodurch es sich sehr schnell als ein ganz unentbehrliches Heilmittel eingeführt hat. Wenn man die äußere
Haut
[* 3] oder
eine der verschiedenen zugänglichen Schleimhäute
(Auge,
[* 4]
Nase,
[* 5] Mund,
Rachen,
Kehlkopf,
[* 6] Scheide,
Mastdarm) mit einer zweiprozentigen
oder noch besser mit einer konzentriertern (10-20prozentigen) Cocaïn
lösung bepinselt oder beträufelt oder in die
Haut
einspritzt, so tritt sehr rasch durch
Lähmung der peripheren
Enden der sensiblen
Nerven
[* 7] eine vorübergehende
Anästhesie der
betreffenden Partien ein, während welcher operative
Eingriffe ohne jedwede Schmerzempfindung des
Kranken ausgeführt werden
können. Zu Einspritzungen in die
Haut benutzt man am besten schwache (1-2prozentige) Lösungen.
Außer dieser örtlichen
Anästhesie macht sich auf der bepinselten Schleimhaut infolge Verengerung der
peripheren
Gefäße eine deutliche Erblassung, bei Einträufelung in das
Auge eine vorübergehende Erweiterung der
Pupille bemerkbar.
Man bedient sich dieser anästhesierenden Wirkung des Cocaïn
in allen jenen Fällen mit dem größten Nutzen, in
denen die Chloroformnarkose entweder gar nicht oder nur mit großen Schwierigkeiten und Unbequemlichkeiten
angewendet werden kann, so besonders bei kleinern
Operationen an der
Haut, in der
Augenheilkunde, bei laryngoskop. und rhinoskop.
Untersuchungen und
Operationen, in der
Ohren- und Zahnheilkunde sowie gegen schmerzhafte Wunden,
Geschwüre,
Verbrennungen der
Haut, heftige
Nervenschmerzen
u. dgl.
Wie alle narkotischen
Mittel, führt auch das Cocaïn
bei fortgesetzter mißbräuchlicher Anwendung zu schwerer
körperlicher und geistiger Zerrüttung. Man pflegt diesen Zustand, der manche
Ähnlichkeit
[* 8] mit der Morphiumsucht hat, als
Cocaïn
sucht oder
Cocaïnismus zu bezeichnen. Derartige
Kranke magern bei unverminderter Nahrungsaufnahme außerordentlich
schnell ab, nehmen eine bleiche, fast leichenähnliche
Gesichtsfarbe an und werden bei dem Versuch, ihnen das gewohnte
Cocaïn
zu entziehen, von
Herzklopfen,
Herzschwäche,
Dyspnoe und
Ohnmacht befallen. Bei fortgesetztem Cocaïn
gebrauch stellen sich
dann bald Schlaflosigkeit,
Abnahme des Gedächtnisses und der Willenskraft,
Gesichtshallucinationen und vorübergehende psychische
Verwirrungen, schließlich voll-
^[Artikel, die man unter C vermißt, sind unter K aufzusuchen.] ¶
mehr
ständige Geistesstörung (Cocaïn
omanie) ein, die in der Form der hallucinatorischen Verrücktheit als sog.
Verfolgungswahn auftritt. Nur rechtzeitige Entziehung des Mittels vermag den Kranken zu retten, die Behandlung selbst kann nur
in einer geschlossenen Anstalt erfolgreich durchgeführt werden.
Cocaïn
wird jetzt meist in reinem Zustande und in Form seiner salzsauren Verbindung in europ. Fabriken aus
dem seit 1884 von Peru
[* 10] aus gelieferten Rohcocaïn
gewonnen. Letzteres, mit einem Reingehalt von 80 bis 97 Proz.,
kommt hauptsächlich über Hamburg
[* 11] in den Handel. Salzsaures Cocaïn
kostet (1893) 530 M. das Kilogramm, reines Cocaïn 7 ½ M. das Dekagramm.