Cobden,
Richard, der berühmte Vertreter des Freihandels, geb. zu Dunford bei Midhurst in Sussex als Sohn eines kleinen Grundeigentümers, welcher, nachdem er seine Habe verloren, eine zahlreiche Familie in großer Dürftigkeit hinterließ. Nachdem er in seiner Jugend hatte Schafe hüten müssen, verließ er, im Besitz geringer Schulbildung, früh das elterliche Haus und fand in London bei einem Verwandten, der eine Kattunfabrik besaß, Verwendung in einer untergeordneten Stelle.
Durch Fleiß und Tüchtigkeit schwang er sich zum auswärtigen Agenten für sein Haus empor, als welcher er Nordamerika und einen großen Teil von Europa bereiste, und wurde dann Teilhaber eines Kattungeschäfts in Manchester. Die Fabrikation eines bessern Kattuns und namentlich geschmackvollerer Dessins, als Manchester zuvor erzeugt hatte, brachte ihn bald in den Besitz eines blühenden Geschäfts. Die Aufmerksamkeit des Publikums zog er zuerst durch zwei politische Flugschriften: »England, Irland und Amerika« und »Rußland«, auf sich.
Die letztere war bestimmt, den Glauben an die unermeßlichen Hilfsquellen dieses gefürchteten Reichs zu beseitigen und nachzuweisen, daß die große nordische Macht zur Freundin Englands nur durch Herstellung freien Verkehrs zwischen beiden Ländern zu machen sei. Auch erstere Schrift entwickelte ein System des Friedens, verwarf den alten Lehrsatz von dem Gleichgewicht der Mächte und bezeichnete es als Aufgabe Englands, seine Handelsverbindungen und seinen moralischen Einfluß über die ganze Erde auszudehnen.
Den Einfluß, den beide Schriften dem Verfasser bei der industriellen Aristokratie Lancashires eintrugen, benutzte er 1835 zur Gründung des Athenäums, eines der geistigen und sittlichen Ausbildung der in den Fabriken und Kontoren Manchesters beschäftigten jungen Leute gewidmeten Instituts. Manchester befand sich damals noch unter der Jurisdiktion eines aristokratischen Grundherrn. Cobden brachte es dahin, daß der Lord of the manor einem Gemeinderat Platz machte, in welchen er selbst als Alderman gewählt wurde. Kurz darauf ward er auch Präsident der Handelskammer.
mehr
Inzwischen hatte er auf einer Reise nach den Vereinigten Staaten die dortigen industriellen Zustände studiert, besuchte dann Ägypten, die Türkei, Griechenland und 1838 Deutschland. Hier faßte er die Idee eines Vereins zum Schutz der Interessen des Mittelstandes gegen die Übergriffe der Aristokratie, welche zur Gründung der Anti-cornlaw-league führte. Als 1838 die Handelskammer über eine Petition wegen Modifikation der Korngesetze beratschlagte, forderte Cobden die gänzliche Abschaffung derselben, und wirklich erhielt sein Amendement die Stimmenmehrheit.
Die am an das Parlament gerichtete Vorstellung fand in den industriellen Kreisen großen Anklang, und zahllose Petitionen schlossen sich an. Mit der jetzt erfolgenden Gründung der League, unter welchem Namen sich die Verteidiger des Freihandels zusammenschlossen, begann Cobdens öffentliche Wirksamkeit. Von der Stadt Stockport 1841 in das Parlament gewählt, ergriff er in der ihm ihrer Majorität nach feindseligen Versammlung das Wort fast nur in der Frage des freien Handels und namentlich der Aufhebung der Kornzölle. So wußte er in der Session von 1843 bei dem Antrag auf Untersuchung des Notstandes im Land in meisterhafter Rede die Verschiedenheit des Interesses der Bodenaristokratie von dem des eigentlichen Landmanns in klares Licht zu setzen.
Zugleich entwarf er ein erschütterndes Gemälde der Leiden des Volkes im Norden von England und machte den Premierminister als Hauptstütze der Korngesetze persönlich für alles Unglück verantwortlich. Den Bestrebungen der League kamen 1845 die Aussichten auf eine sehr geringe Ernte zu statten, infolge deren der Unwille der Mittelklassen gegen die Korngesetze so bedenklich stieg, daß der begabteste Staatsmann der gegnerischen Seite, Sir Robert Peel, die Notwendigkeit erkannte, dem gewaltigen Druck von außen nachzugeben. Cobden aber erklärte sich, als Peel Anfang 1846 seinen Plan zur Abschaffung der Kornzölle vorgelegt hatte, gegen die darin für diese Maßregel festgesetzte dreijährige Frist und drang auf vollständige Aufhebung dieser Zölle.
Ernstliche Erkrankung hielt ihn lange Zeit von dem Parlament fern, und erst in den letzten Sitzungen der sogen. Monsterdebatte über die Peelsche Bill und den von der Toryseite gestellten Antrag auf Verwerfung derselben war er wieder gegenwärtig. In einer damals gehaltenen Rede zollte er Peel öffentlich den Dank, den ihm das Land wegen seiner Meinungsänderung schulde. Als gegen Mitte dieses Jahrs mit der Annahme der Peelschen Korngesetzbill in beiden Häusern des Parlaments der Sieg der League entschieden war, beantragte Cobden ihre Auflösung.
Peel selbst hatte ihn in seiner berühmten Rede vom als denjenigen bezeichnet, dem das Verdienst dieser segensreichen Reform einzig und allein gebühre. Die siebenjährige anstrengende Agitation hatte nicht nur Cobdens Gesundheit, sondern auch seinem Vermögen große Nachteile gebracht. Die Erkenntlichkeit seines Volkes suchte ihn in letzterer Beziehung durch Eröffnung einer Subskription, die 100,000 Pfd. Sterl. eintrug, zu entschädigen. Er unternahm sodann eine Erholungsreise und besuchte Frankreich, Spanien, Italien, Deutschland, Rußland und Schweden.
Von dem Wahlkreis York-Westriding ins Parlament gewählt, gab er nunmehr sein Kattungeschäft auf und widmete sich ganz der Politik. Unter seiner Mitwirkung erfolgte 1849 die Aufhebung der Navigationsakte. Seine Bestrebungen galten fortan namentlich der Einführung zweckmäßiger Ersparungen in der Staatsverwaltung und der Ausdehnung des parlamentarischen Stimmrechts. Zugleich bewies er sich als Beförderer der Friedensgesellschaften, an deren Versammlungen (unter andern in Frankfurt 1850) er sich eifrig beteiligte.
Von dieser Tendenz war auch sein dem Parlament vorgelegter Antrag auf Einführung eines internationalen Schiedsgerichts, welcher zwar 1849 mit 176 gegen 97 Stimmen durchfiel, aber, 1851 erneuert, die Erklärung Lord Palmerstons hervorrief, daß er die Grundsätze desselben vollkommen gutheiße und möglichst anzuwenden suchen werde. In seiner Flugschrift »1793 and 1853« suchte er zu beweisen, daß die ganze Schuld des Revolutionskriegs von 1793 und die meisten seiner übeln Folgen vielmehr England und seinen Verbündeten als dem Pariser Konvent zuzuschreiben seien.
Seine Parteinahme für Rußland während des russisch-türkischen Kriegs sowie das von ihm zu Anfang 1857 beantragte Tadelsvotum gegen Sir John Bowrings kriegerisches Verhalten in China, welches eine Niederlage Palmerstons und die Auflösung des Parlaments zur Folge hatte, entzogen ihm einen Teil seiner Popularität, und er fiel deshalb, als er sich um den Parlamentssitz für Huddersfield bewarb, bei der Wahl durch. Nachdem er einige Zeit in Amerika zugebracht, ward er nach seiner Rückkehr mit großer Majorität von Rochdale wieder ins Parlament gewählt, wo er sich als schlagfertiger Gegner jeder Kriegs- und Einmischungspolitik hervorthat. 1860 begab er sich nach Paris, um beim Abschluß des englisch-französischen Handelsvertrags thätigen Anteil zu nehmen.
Unverkennbar übte Cobden einen großen Einfluß auf Regierung, Parlament und öffentliche Meinung aus, die seine und Brights Grundsätze im wesentlichen zu den herrschenden erhoben. Er starb nach kurzer Krankheit. Außer in seinem Vaterland wurde ihm auch in Verviers ein Standbild gesetzt. Zum Andenken an ihn ist ein Cobden-Klub gestiftet worden, dem angesehene englische Staatsmänner und als Ehrenmitglieder auch fremde Volkswirte angehören. Derselbe hält alljährlich in Greenwich ein Festmahl ab, das als eine Art internationaler Versammlung von hervorragenden Anhängern der Freihandelsidee angesehen werden kann, und gibt außerdem Studien und Flugschriften im Geiste dieser Idee heraus.
Cobdens Schriften und Reden erschienen gesammelt als »Political writings« (2. Aufl., Lond. 1867, 2 Bde.) und »Speeches on questions of public policy« (hrsg. von J. ^[John] Bright und Rogers, das. 1870, 2 Bde.).
Vgl. F. v. Holtzendorff, Richard Cobden (3. Aufl., Berl. 1874);
Mad. Salis-Schwabe, Richard Cobden Notes sur ses voyages, correspondances, etc. (Par. 1879);
John Morley, Life of Richard Cobden (Lond. 1881, 2 Bde.);
Walcker, R. Cobdens volkswirtschaftliche und politische Ansichten (Hamb. 1885).