Circénsische
Spiele
(Ludi circenses), die ältesten römischen
Spiele, die als
Pferde- und
Wagenrennen schon in der Königszeit
gefeiert wurden; aber auch später deutet sich ihr hoher
Rang darin an, daß man mit ihnen gerade gern
ein
Fest schließen ließ. So war es beim
Fest der
Ceres (19. April), des
Apollo (13. Juli), der »großen
Mutter« (10. April), der
Flora (3. Mai), des
Augustus (12. Okt.). Nur circensisch
war das Marsfest (12. Mai). Im allgemeinen gewannen die circensischen
Spiele der
Römer
[* 2] eine
weit höhere Bedeutung als die Hippodromien der Griechen. Was sie an religiöser Bedeutung einbüßten, gewannen sie reichlich
an politischer: in den
Zeiten der
Republik suchten die höhern
Magistrate durch sie das souveräne
Volk bei guter
Laune zu erhalten.
Dies Überbieten der
Kräfte brachte die im
Zirkus vorgenommenen
Spiele auf die Zahl von sieben.
Voraus ging
dem
Schauspiel selbst oft ein
Aufzug
[* 3] (pompa circensis) vom
Kapitol aus mitten durch die Stadt zum
Circus maximus.
Der Magistrat, welcher die Spiele veranstaltete, eröffnete den Zug; es folgten die Götterbilder, auf prächtigen Wagen gefahren, oder kleinere Bildnisse derselben, auf den Schultern getragen; dann kamen die zum Wettkampf bestimmten Rosse, Wagen, Kämpfer, Magistrate und Priester, endlich Opfertiere, Geräte etc. Nachdem der Zug die Spina im Zirkus einigemal umschritten, wurde ein Opfer gebracht, worauf die eigentlichen Spiele begannen. Unter jenen sieben Arten stand das Pferde-, namentlich aber das Wagenrennen obenan.
Gewöhnlich fuhren je vier Gespanne in die Schranken (carceres) vor, wo sie das Signal erwarteten. Jedes einzelne Rennen (missus) bestand aus vier Gespannen, von denen jedes durch eine andre Farbe, die weiße, rote, grüne oder blaue, ausgezeichnet war, deren jede unter den Zuschauern ihre Partei hatte. Domitian fügte noch die goldene und purpurne hinzu, welche indes nicht lange bestanden zu haben scheinen. Diese Faktionen erregten oft stürmische Auftritte, besonders werden die Grünen und Blauen häufig in Epigrammen genannt.
Gewöhnlich wurden 25 Rennen nacheinander aufgeführt, bisweilen noch mehr. Die Renner, gewöhnlich von den besten Rassen, wurden zu keinen anderweitigen Verrichtungen gebraucht und lange zuvor eingeübt. Besonders mußte das Roß der linken Seite wegen der Wendung um die Meta gut dressiert sein, wie auch hier hauptsächlich die Kunst des Wagenlenkers (agitator) sich zeigte. Errang ein Agitator einen Vorsprung, so konnte er sich von der Spina entfernen und an der Meta seine Wendung mit desto größerer Sicherheit ausführen, weil er den Verlust doch immer wieder einbrachte.
Die circensischen
Wagenlenker trieben nur dieses
Geschäft und waren anfangs größtenteils Sklaven. Erst später ward das
Lenken des
Wagens noble
Passion, und selbst
Kaiser, z. B.
Nero, Domitian,
Commodus,
Caracalla, Heliogabal, traten als
Agitatoren
auf. Jedes Rennen bestand in sieben
Umläufen (s.
Circus). Wessen Gespann nach der siebenfachen Umkreisung
nur um einen
Schritt oder einen
Fuß früher an der
Linie, wo das Rennen begonnen hatte, angelangt war als die übrigen, der
trug den
Preis davon, der in
Palmen
[* 4] und
Kränzen bestand, womit die
Sieger geschmückt wurden.
Doch konnten sich diese circensischen
Preise an
Ehren nicht mit den olympischen messen, verwandelten sich
auch in der spätern Zeit in eine Geldbelohnung. Das letzte oder 25. Rennen hieß Missus aerarius, weil es ursprünglich
mit Sammelgeld bestritten ward. Überstieg man die Zahl der 25 Rennen, so beschränkte man die der
Umläufe um die
Meta auf
fünf; bisweilen erhöhte man auch die Zahl der zu einem Missus nötigen
Wagen.
Augustus führte statt
des Zwei-,
Drei- und Viergespannes das Sechsgespann ein; in der
Folge kamen auch Gespanne von
Hirschen und andern
Tieren vor.
Dem
Wagen pflegte ein
Reiter voranzusprengen, genau gekleidet wie der Wagenlenker, man weiß nicht, ob als Ersatzmann.
Außer dem Cursus equorum finden wir folgende Schaustücke, um welche im Verlauf der Zeit die circensischen
Spiele vermehrt
worden waren: gymnische
Spiele, wie
Laufen,
Ringen und
Faustkampf;
eine Art Turnier (ludus Trojae), ein Scheingefecht zu Pferde; [* 5]
Tierhetzen, die jedoch nach Erbauung der Amphitheater (besonders nach Cäsars Zeit) seltener im Zirkus aufgeführt wurden;
Gladiatorenkämpfe, entweder Mann gegen Mann oder Schar gegen Schar (Cäsar ließ je 300 Reiter, je 500 Fußkämpfer, je 20 Elefanten miteinander kämpfen);
militärische Evolutionen und Manöver, von jungen Bürgern (je 60 und mehr gegeneinander) ausgeführt, schon zur Zeit der Punischen Kriege üblich und noch unter Hadrian beliebt;
endlich die Sechsmännerspiele
beim Marsfest (seit
¶
mehr
Augustus), ausgeführt von den sechs Turmen der Ritterschaft. - Zur Zeit der Republik gewann mancher Ehrgeizige das souveräne
Volk durch Spiele des Zirkus; in der Hand
[* 7] der Kaiser waren sie vollends ein Mittel, um es von aller Politik abzuziehen. »Duas tantum
res anxius optat, panem et circenses!« (»Es verlangt nur
nach zwei Dingen: nach Brot
[* 8] und circensischen
Spielen!«) grollt Juvenal (Sat., X, 81). Man eilte schon um Mitternacht nach dem
Zirkus, um noch Freiplätze zu finden.
Auch in den Provinzen fanden die circensischen
Spiele bald Eingang. So erbaten einst die Trevirer, nachdem ihre Stadt zerstört
worden, vom Kaiser nichts angelegentlicher als Zirkusspiele
, und zu Alexandria wie zu Antiochia in Syrien
kam es zwischen den verschiedenfarbigen Faktionen nicht selten zu blutigen Auftritten. Es erhielten sich diese circensischen
Spiele noch lange nach der Kaiserzeit, am längsten die Wagen- und Pferderennen; ja, noch 1204 sah man dergleichen von den Venezianern
nach der Eroberung Konstantinopels in dem dortigen Hippodrom aufführen.
Tier- und Menschenhatzen scheinen, jedoch ohne die Pompa circensis, noch in den Zeiten Theoderichs stattgefunden zu haben. Das siegende Christentum machte dem Unwesen als öffentlicher Festfeier allmählich ein Ende. Die bildenden Künste brachten Szenen aus den circensischen Spielen auf die vielfachste Weise zur Anschauung, besonders finden sich Wagen- und Pferderennen häufig in Mosaiken, auf Reliefs, Lampen, [* 9] geschnittenen Steinen, Münzen [* 10] etc.
Vgl. Friedländer in Becker-Marquardts »Handbuch der römischen Altertümer«, Bd. 4; Derselbe, Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms, Bd. 2 (5. Aufl., Leipz. 1881).