Mit einer
Schrift
in dieser
Größe sollen zuerst
CicerosBriefe von Sweynheim und Pannartz
(Rom
[* 2] 1467) gedruckt worden sein, woher ihre Bezeichnung
stammt. (S. Schriftarten.)
MarcusTullius, röm. Redner und Schriftsteller, geb. 3. Jan. 106
v. Chr. auf dem väterlichen Gute bei
Arpinum,
einer Stadt in Latium, als älterer Sohn desMarcusTulliusCicero, eines wohlhabenden röm. Ritters, der in
ländlicher
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Zurückgezogenheit sich auch mit Wissenschaften beschäftigte. Der Vater zog bald mit ihm und seinem jüngern BruderQuintus,
der bessern Ausbildung der Söhne wegen, nach Rom, wo Marcus durch seine Lernbegierde und Fähigkeiten sich hervorthat und bei
den ersten damaligen Rednern, Crassus und Antonius, Zutritt erhielt. Von seinem 17. Jahre an widmete er
sich unter der Leitung des berühmten Rechtsgelehrten Quintus Mucius Scävola (des «Augurs») dem Studium des Rechts, diente
im 18. Lebensjahre im Bundesgenossenkriege, kehrte aber bald zu Beredsamkeit und Recht, worin ihn nach dem Tode des Scävola
dessen gleichnamiger, noch berühmterer Neffe («der Pontifex») unterrichtete, und daneben auch zu philos.
Studien zurück, worin ihn besonders der Unterricht des AkademikersPhilon förderte. 25 J. alt, trat er zuerst vor Gericht
auf, und zwar in Civilprozessen, dann in einer Kriminalsache (Verteidigung des auf Vatermord angeklagten Sextus Roscius aus
Ameria). Zu seiner weitern Ausbildung unternahm er 79 eine Reise zunächst nach Athen,
[* 4] wo er die angesehensten
Philosophen, wie den AkademikerAntiochus und die Epikureer Phädrus und Zeno hörte, dann nach Kleinasien und Rhodus, wo er hauptsächlich
den Unterricht des Rhetors Apollonius Molon und des StoikersPosidonius genoß. Nach 2 Jahren kehrte er nach Rom zurück und
verheiratete sich mit Terentia. 76 wurde ihm einstimmig die Quästur übertragen. Diese verwaltete er 75 in
Sicilien, wo er sowohl für Rom (große Getreidelieferungen bei der dort herrschenden Teuerung) als auch für die Sicilier im
besten Sinne thätig war.
Nach der Rückkehr nach Rom bewarb er sich 70 um die kurulische Adilität und führte mit glänzendem
Erfolge im Auftrage der ProvinzSicilien die Anklage wegen Erpressung gegen den trotz aller Schändlichkeiten von einflußreichen
Staatsmännern unterstützten, vom Redner Hortensius verteidigten PrätorCicero Verres. Dieser ging ins Exil, ohne das Ende des
Prozesses abzuwarten. Da C. während desselben nur eine kurze einleitende Rede (die erste «Verrinische») gehalten hatte,
so veröffentlichte er nachträglich die große Anklageschrift.
Als Ädil erwarb er sich durch weise Freigebigkeit die Gunst des Volks, das ihm für das J. 66 einstimmig die Prätur übertrug.
Bei der Bewerbung um das Konsulat galt es die Unterstützung des Pompejus zu gewinnen. Er sprach darum für den Antrag des
Manilius, dem Pompejus zu seinem Oberbefehl über die Meere und Küsten die Führung des Krieges in Asien
[* 5] mit weitgehenden Vollmachten
zu übertragen. Trotz der Intriguen mehrerer seiner Mitbewerber, besonders des Catilina (s. d.), wurde er zum ersten Konsul
für das J. 63, zu seinem Kollegen allerdings sein Gegner Antonius ernannt.
Damit erreichte er den Höhepunkt seines polit. Lebens. Den Hauptglanz verlieh seinem Konsulat die Thatsache,
daß es ihm gelang, die Verschwörung Catilinas zu vereiteln, nach dessen Fall ihn die ersten Männer der Nobilität als den
Retter des Vaterlandes begrüßten. Doch seine Feinde ruhten darum nicht, und das von Cicero eingehaltene summarische
Verfahren gegen die Catilinarier gab ihnen eine Waffe gegen ihn in die Hand.
[* 6] Die von Cäsar wiederholt angebotene Verständigung
lehnte er ab, und Pompejus war ein unzuverlässiger Gönner. Cicero sah allmählich sein Ansehen sinken und sogar seine Sicherheit
bedroht. Um ihn zu stürzen, setzte der TribunClodius ein Gesetz durch, welches die Strafe der Landesverweisung
auf die
Hinrichtung eines Bürgers ohne Urteil setzte.
Der dadurch bedrohte Konsular legte Trauerkleider an, und gleich ihm thaten dies viele Ritter, auch die Mehrzahl der Senatoren.
Aber bei den Machthabern fand Cicero keinen Schutz gegen Clodius, und so wählte er 58 v. Chr. eine freiwillige
Verbannung, die aber Clodius nachträglich auch noch über ihn durch einen eigenen Volksbeschluß aussprechen ließ, durchirrte
Italien
[* 7] und nahm endlich seine Zuflucht nach Thessalonich zum Quästor Cu. Plancius. Clodius ließ indes durch seine BandenC.s
Haus auf dem Palatin niederbrennen, seine Landhäuser plündern und auf jener Brandstätte einen Tempel
[* 8] der
Freiheit erbauen. Selbst C.s Gattin und Kinder waren Mißhandlungen ausgesetzt.
Indessen bereitete sich zu Rom eine Änderung zu Gunsten des Verbannten vor. Nachdem bereits im J. 58 Schritte zu diesem Zwecke
gethan waren, stellte besonders auf Anregung des Pompejus der neue Konsul P. Cornelius Lentulus Spinther einen Antrag auf Zurückberufung,
und Anfang Aug. 57 wurde diese von der Volksversammlung beschlossen. Von den italischen Städten freudig begrüßt, kam Cicero Anfang
September nach Rom zurück, wo sein Einzug einem Triumph glich. Für die erlittenen Verluste wurde ihm eine Geldentschädigung
zuerkannt, die Weihung des Tempels auf seinem Hausplatze für ungültig erklärt und der Wiederaufbau
gestattet.
Allein trotzdem war C.s Glanzzeit vorbei. Eingeschüchtert, schwankte er zwischen der Partei der Optimaten und der Triumvirn
hin und her, bald mehr im Vordergrund des polit. Lebens, bald als Redner vor den Gerichten thätig, bald zurückgezogen,
mit rhetorischer und staatsphilos. Schriftstellerei beschäftigt. 53 v. Chr. trat er in das vornehme Kollegium
der Augurn ein. Der Tod des Clodius (52) befreite ihn von seinem gefährlichsten Gegner; er verteidigte dessen MörderMilo, der
sein Freund und Rächer war, doch ohne Erfolg. 51 wurde Cicero vom Senat wider Wunsch und Neigung zum Statthalter von Cilicien
ernannt.
Als solcher unternahm er einen Kriegszug gegen räuberische Gebirgsvölker und ward von den Soldaten mit
dem Titel Imperator begrüßt. Als er Anfang 49 nach Rom zurückkehrte, war die Feindschaft zwischen Cäsar und Pompejus schon
zum offenen Ausbruch gekommen. Nach vergeblichen Versuchen, die beiden Gegner zu versöhnen, schloß sich dann der Schwankende
zunächst dem Pompejus an (ohne mit Cäsar zu brechen), blieb aber, während jener nach Griechenland
[* 9] ging,
in Italien, wo er in Formiä eine Zusammenkunft mit Cäsar hatte.
Erst als diese kein befriedigendes Resultat ergab, ging er zu Pompejus, dessen Lager
[* 10] der Vereinigungspunkt aller Führer
der Optimatenpartei war. Nach der pharsalischen Schlacht begab er sich mit Erlaubnis Cäsars nach Italien
zurück, welches CäsarsStellvertreterAntonius verwaltete, und beschäftigte sich nun ganz mit Litteratur und Philosophie.
Er schied sich 46 von seiner Gemahlin Terentia und heiratete eine schöne und reiche Erbin, Publilia, deren Vormund er war,
von der er sich aber noch vor Ablauf
[* 11] eines Jahres ebenfalls trennte. Sein Bestreben im polit. Leben ging
für jetzt nur dahin, so gut als möglich sich in die neu geschaffene Lage zu finden.
Die Ermordung des Diktators, an der er unbeteiligt war, die er aber, nachdem sie geschehen, als eine Rettung des Staates laut
pries, schien dem Redner eine neue Laufbahn zu eröffnen. Aber bald
^[Artikel, die man unter C vermißt, sind unter K aufzusuchen.]
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sah er sich enttäuscht: Antonius trat an CäsarsStelle. Auch in diesem unruhvollen Jahre fand er so, aufs Land zurückgezogen,
Muße für gelehrte Beschäftigungen. Da er sich aber auch als Schriftsteller nicht mehr sicher fühlte, ging er nach Griechenland,
kehrte aber, als Antonius aus Rom weggezogen, bald zurück und verfaßte jene berühmten 14 Reden gegen
Antonius, die er nach dem Vorbilde des Demosthenes «Phillipicae» nannte, von denen aber nicht alle, wenigstens
nicht in der jetzigen Form, wirklich gehalten worden sind.
Aus Haß gegen Antonius glaubte er den jungen Octavius als Werkzeug gegen jenen begünstigen zu müssen. Als aber nach dem
Siege über Antonius bei Mutina, und nach dem Tode der beiden Konsuln Hirtius und Pansa, Octavius die Maske der Ergebenheit gegen
den Senat abgeworfen, sich mit Hilfe seiner Legionen des Konsulats bemächtigt und sogar mit Antonius und Lepidus ein Bündnis
geschlossen hatte (Triumvirat), war es mit C.s Einfluß und bald auch mit seinem Leben vorbei. Sein Name
stand auf der Ächtungsliste, Antonius hatte es verlangt.
Als Cicero dies erfuhr, begab er sich an die Meeresküste und schiffte sich ein, kehrte aber ans Land zurück, um
in seinem Landhause bei Formiä zu verweilen. Seine ergebenen Sklaven versuchten, ihn in einer Sänfte
wieder nach dem Meere hinzutragen; aber bald wurden sie von den Mördern erreicht. Cicero verbot allen Widerstand, ließ die Sänfte
niedersetzen und streckte sein Haupt den Mördern entgegen. So starb Cicero7. Dez. 43 v. Chr. in einem Alter von beinahe 64 Jahren.
Seinen Kopf und seine Hände ließ Antonius auf derselben Rednerbühne befestigen, von welcher herab der
Redner, wie Livius sagt, eine Beredsamkeit hatte hören lassen, die nie eine menschliche Stimme wieder erreicht hat.
C.sTod verursachte eine allgemeine Trauer. Cicero hinterließ, da seine von ihm zärtlich geliebte Tochter Tullia (zuerst an CiceroPiso
Frugi, nach dessen frühem Tode an Furius Crassipes, und nach der Scheidung von diesem an P. Cornelius
Dolabella verheiratet, aber auch von diesem schließlich wieder geschieden) vor ihm gestorben war, nur einen Sohn, MarcusTulliusCicero, der mit dem Vater geächtet, später von Octavian 30 v. Chr. zum Konsul-Suffectus, dann zum Statthalter von Syrien
ernannt wurde.
C.s persönlicher Charakter, für dessen Kenntnis sein zum Teil erhaltener Briefwechsel die Hauptquelle
ist, zeigt manche schöne Seiten. Er besaß ein warmes Herz für seine Angehörigen und Freunde, auch für alles Große, und
einen rastlosen Eifer für seine eigene Ausbildung; auch durch Sittenreinheit überragte er die meisten seiner Zeitgenossen.
Mit diesen guten Eigenschaften waren allerdings auch Schwächen verbunden, wie Unentschlossenheit, Mangel
an Festigkeit
[* 13] und Konsequenz, Eitelkeit und Selbstgefälligkeit, die in seinem Thun und Reden ungescheut zu Tage tritt.
Während er daher als Staatsmann nicht hochzustellen ist, nimmt er ohne Frage den ersten Platz unter seinen Zeitgenossen
auf dem Felde der Litteratur, vor allem der Beredsamkeit ein. Schon von Natur reich begabt mit Verstand
und Einbildungskraft, bildete er sich durch unermüdliches Studium zum ersten Meister der röm. Redekunst aus. Durch seine Vermittelung
griech. Bildungselemente ist Cicero ein Förderer röm.,
aber auch allgemeiner humaner Bildung und ein Träger
[* 14] menschlicher Kultur geworden.
Neuere Gesamtausgaben C.s sind die von Orelli (2. Aufl., fortgesetzt von
Baiter und Halm, 4 Bde., Zür.
1845-63), die von Baiter und Kayser (11 Bde., Lpz. 1860-69),
die von R. Klotz (11 Bde., 2. Ausg., ebd.
1869-74) und die neueste, die von Cicero F. W. Müller (ebd. 1878 fg.). Deutsche
[* 15] Übersetzungen seiner Werke
sind in Stuttgart
[* 16] (vollständig in 76 Bändchen 1827-78 bei Metzler und in 160 Lieferungen bei Hoffmann; neue Ausg.,
Berlin
[* 17] bei Langenscheidt) erschienen; unter den Specialübersetzungen (Briefe an Atticus und an Quintus Cicero) ist die von Ch. M.
Wieland hervorzuheben. Merguet giebt ein Lexikon zu den SchriftenC.s heraus (Tl. 1: zu den Reden, 4 Bde.,
Jena
[* 18] 1877-84; Tl. 2: zu den philos. Schriften, Bd. 1-3, ebd. 1884-93).
Ausgaben sämtlicher Reden C.s mit Kommentar lieferten Manutius (Vened. 1546) und Lambinus (ebd. 1570); mit kritischen
und erklärenden Anmerkungen Klotz (Lpz. 1835-39). Von den Ausgaben einer Auswahl von Reden sind hervorzuheben die
von Madvig (5. Aufl., Kopenh. 1867), die des Waisenhauses zu Halle
[* 19] (22. Aufl., von Heine, 1893), die von Eberhard und Hirschfelder
(2. Aufl., Lpz. 1879); ferner Ausgaben einiger Reden mit lat. Kommentarien von Halm und Jordan (ebd. 1845 fg.), die von Halm
mit deutschen Anmerkungen (ebd. 1850 fg., in wiederholten Auflagen erschienen), die in der Teubnerschen
Sammlung erschienene (ebd. 1856 fg.), endlich die (noch nicht vollendete) von H. Nohl: «Ciceronis orationes selectae scholarum
in usum». Als unecht gilt fast allgemein die dritte der «post reditum»
gehaltenen. Zu einzelnen Reden giebt es Kommentare von Asconius (s. d.) und außer- dem zu einer größern
Anzahl Reden Scholien (hg. von Orelli, in der Gesamtausgabe C.s).
Die rhetorischen SchriftenC.s (mit welchen von jeher ein nichtciceronianisches Werk, die «Rhetorica
ad Herennium» [s. Cornificius] verbunden wird) sind: die Jugendarbeit «De inventione» (hg. von Weidner, Berl. 1878),
die drei
Bücher«De oratore», wohl das beststilisierte Prosawerk der lat. Litteratur
(hg. von Ellendt, Königsb. 1840; Bake, Amsterd. 1863; Sorof, 2. Aufl., Berl.
1882; Stangl, Prag
[* 20] 1893),
der Dialog «Brutus, de claris oratoribus» (hg. von Jahn, 4. Aufl. von Eberhard, Berl. 1877),
der «Orator»
(hg. von Ellendt, Königsb. 1825; Jahn, 3. Aufl., Berl. 1869; Piderit, 2. Aufl.
1876; Heerdegen, Lpz. 1884) und einige kleinere. Eine Auswahl gab Weißenfels
[* 21] heraus (Lpz. 1893).
Die philosophische Schriftstellerei C.s ist für uns weniger wertvoll wegen ihres Inhalts als wegen ihrer Form. Cicero, dem der
philos. Geist völlig abging, ist hier wirklich, außer etwa in kleinern Abhandlungen, nur Übersetzer, aber als solcher hat
er die lat. Sprache
[* 22] wesentlich bereichert und geschmeidigt und seine Landsleute für philos. Fragen empfänglich
gemacht. Hierher gehören die Schriften«De republica» (hg. aus einem Palimpsest [s. d.] - soweit erhalten
- zuerst von Mai, Rom 1822, zuletzt von Osann, Gött. 1847),
«De legibus» (hg. von Bake, Leid. 1842, und von Vahlen, 2. Aufl.,
Berl. 1883; erklärt von Du Mesnil, Lpz. 1879),
«De finibus bonorum et malorum» (epochemachende Ausgabe von Madvig, Kopenh.
1839, 1869 u. 1876),
«Academica» (hg. von Reid, Lond. 1874),
«Tusculanae disputationes» (hg. von Kühner, 5. Aufl., Hannov.
1874; von Tischer und Sorof, 8. Aufl., Berl. 1884),
«De natura deorum» (hg. von Schömann, 4. Aufl., Berl.
1876, und A. Goethe, Lpz. 1887),