Chur
(Kt. Graubünden, Bez. Plessur). 596 m. Gem. und Stadt. Hauptstadt des Kantons Graubünden und Hauptort des Bezirkes Plessur, bildet zugleich einen der 39 Verwaltungs- und Gerichtskreise des Kantons. Die Stadt liegt am Ausgange des Schanfiggerthales in sehr geschützter Thaleinbuchtung an der Plessur und 2,2 km oberhalb deren Einmündung in den Rhein. Sie «wird eingeschlossen vom grossartigen Bergrahmen des breitstirnigen Calanda, des schroff aus der Rheinebene emporsteigenden Montalins und des schön bewaldeten Pizokelberges». Während die Vereinigten Schweizerbahnen in Chur endigen, führt die von Davos her kommende schmalspurige Rätische Bahn bis nach Thusis; die Linien Reichenau-Ilanz und Thusis-St. Moritz derselben sind im Bau begriffen und sollen bis im Sommer 1903 vollendet sein. Bevor die Linie Chur-Thusis der Rätischen Bahn gebaut war, bildete Chur den Ausgangspunkt fast aller in das Innere des Kantons führenden Postkurse; heute gehen die meisten Posten von Reichenau und Thusis aus, in Chur haben nur noch die über Churwalden nach dem Engadin (über Julier und Albula) und Davos, sowie die nach Arosa und Tschiertschen führenden Kurse ihren Ausgangspunkt.
Immerhin ist der Postverkehr, namentlich während der Sommermonate, noch ein sehr bedeutender. Das nämliche gilt auch vom Depeschen- u. Telephonverkehr. Chur ist der Sitz der Direktion des X. eidgen. Postkreises, des Inspektorates des VI. Telegraphenkreises, der Direktion des III. Zollkreises und der Direktion der Rätischen Bahn. Residenz des Bistums Chur (s. diesen Art.), das die Kantone Graubünden, Uri, Schwyz, Unterwalden, Glarus und Zürich, sowie das Fürstentum Lichtenstein umfasst.
Die Häuserzahl Churs beträgt 966; davon treffen auf den bischöflichen Hof u. die alte geschlossene Stadt 336; 630 liegen ausserhalb dieser Grenzen. Die Zahl der Einwohner beläuft sich auf 11706, wovon 7732 Ref. u. 3974 Kathol.; ihrer Muttersprache nach scheiden sich die Einwohner in 9403 Deutsche, 1449 Romanen, 724 Italiener, 85 Franzosen u. 45 Angehörige anderer Sprachen. Ein verhältnismässig kleiner Teil der Bevölkerung, vielleicht ca. 6%, gehört den Landwirtschafttreibenden an; Wiesenbau und Viehzucht vermögen in Chur, wo die Milch jederzeit gut verwertet werden kann, ihren Mann wohl zu ernähren; jedoch sind auch der Obst- und Weinbau nicht unbedeutend, wogegen der Ackerbau sich in ziemlich engen Grenzen hält.
Der Hauptteil der Bevölkerung ist der kaufmännische; nachdem der Transithandel aufgehört hat, hat sich der Innenhandel sehr erfreulich entwickelt; zahlreiche Vertreter zählt besonders der (Veltliner-) Weinhandel. Zwei Banken, die Graubündner Kantonalbank, eine reine Staatsbank, und die private «Bank für Graubünden" vermitteln einen grossen Teil des Geldverkehrs für den ganzen Kanton Graubünden. Das Gewerbe leistet in einzelnen Zweigen, namentlich der Schreinerei, recht Tüchtiges; dagegen hat das Fabrikwesen bisher sich noch nicht stark entwickelt, immerhin bestehen eine Anzahl Etablissemente, die zusammen einer grossen Zahl von Personen Brot geben; so zwei Wollspinnereien und -webereien, die sich mit der Fabrikation des sog. Bündnertuches beschäftigen, einige Baumwollstickereien, eine Chokoladefabrik, eine Lack- u. Farbenfabrik etc. Einige hundert Arbeiter beschäftigt die Reparaturwerkstätte der Vereinigten Schweizer Bahnen.
Die Stadt scheidet sich in 3 verschiedene Teile: 1. den im O. derselben auf einem Plateau am Abhang des Mittenberges, eines Ausläufers des Montalin, liegenden bischöflichen Hof;
2. die alte Stadt, die im O. an den Fuss des Mittenbergs sich anlehnt und im S. durch die Plessur begrenzt wird und 3. die im W., hauptsächlich aber im NW. und N. der alten Stadt aus zahlreichen zerstreuten Häusern bestehende Neustadt.
Eine Vorstadt bildet das auf
mehr
dem linken, s. Ufer der Plessur nach W. verlaufende Welsche Dörfli, sowie das 2½ km n. gelegene Masans, das eigene Kirche und Schule hat.
Auf dem bischöflichen Hofe, wo unzweifelhaft die erste römische Anlage der Stadt war, stehen die Domkirche, das bischöfliche Schloss, die Häuser der Domherren und die katholische Schule, etwas weiter oben das Priesterseminar St. Luzius (bis anfangs des 19. Jahrhunderts Prämonstratenserkloster) mit hübscher Kirche; die Gymnasium, Realschule und Lehrerseminar umfassende, von ungefähr 400 Schülern besuchte paritätische Kantonsschule und das 100 Schülern Raum bietende Konvikthaus derselben.
Sehr sehenswert ist vor allem die Domkirche, deren ursprünglicher Bau Bischof Tello ums Jahr 780 zugeschrieben wird, unzweifelhaft zum Teil aber bis ins 4. Jahrhundert zurückreicht. Der Ausbau des Domes ging sehr langsam vor sich; hieraus erklärt sich die Mischung verschiedener Stilelemente vom byzantinischen bis zum spätgotischen. 1282 wurde die damals noch mit einem flachen Dache versehene Kirche eingeweiht. In ihrem Innern enthält sie verschiedene Kunstdenkmäler, Bilder von Dürer, Holbein dem jüngeren, Lukas Kranach, J. Stumm und der in Chur geborenen Angelika Kaufmann, einen sehr schönen von J. Russ in Luzern in Holz geschnitzten und von M. Wohlgemut aus Nürnberg bemalten Hochaltar, Sarkophage, Grabmonumente, Sakramentshäuschen, Reliquienkästchen, Monstranzen, Messgewänder, Paramente und Urkunden aller Art. -
Das in seinem Hauptteil im Barokstil des 18. Jahrhunderts gehaltene bischöfliche Schloss ist ebenfalls ein verschiedenen Zeiten angehörender Bau; im N. lehnt es sich an den römischen Turm Marsöl, in dem sich die Privatkapelle des Bischofs, Archiv und Bibliothek befinden.
In der Stadt selbst, d. h. der ehemals von Mauern und Graben umgebenen Alt-Stadt, die wie die meisten alten Städte noch recht enge Gassen aufweist, sind bemerkenswert die beiden reformierten Kirchen zu St. Martin und zu St. Regula, die zwar keine besonderen Sehenswürdigkeiten bieten, das Rätische Museum mit der sehr sehenswerten Sammlung der historisch-antiquarischen Gesellschaft, den naturhistorischen Sammlungen und der Kantonsbibliothek; das Regierungsgebäude, das Staats- und Bankgebäude, das städtische Rathaus mit der im Stil der spätern Renaissance getäfelten Bürgerratsstube, das neue städtische Schulhaus, die sehr schöne in orientalischem Stil erbaute von Planta'sche Villa, die nunmehr in den Besitz der Rätischen Bahn übergegangen ist und derselben als Verwaltungsgebäude dient, und das Geburtshaus der Malerin Angelika Kaufmann.
Auf dem längst zu einer öffentlichen Anlage umgewandelten alten Friedhof befindet sich das Denkmal des bündnerischen Dichters Johann Gaudenz von Salis-Seewis (geb. † den kleinen Vorplatz vor dem Rätischen Museum ziert das Denkmal des um die Erforschung des Kantons in naturwissenschaftlicher Beziehung sehr verdienten Dr. med. Ed. Killias (1829-1891), und in der Anlage vor dem Regierungsgebäude erhebt sich das Vazeroler Denkmal, ein dreiseitiger Obelisk aus weissem Marmor, zur Erinnerung an das der Ueberlieferung nach (urkundlich jedoch nicht verbürgte) im Jahre 1471 zu Vazerol geschlossene Bündnis der drei rätischen Bünde.
Die in breitem Gürtel von N. nach W. sich um die alte Stadt herumziehende Neustadt zählt viele freundliche Landhäuser; aber auch die geräumige und gut eingerichtete Kaserne, das städtische Krankenhaus, das Kreuzspital, von dem gemeinnützigen Kapuziner Pater Theodosius Florentini gegründet, befinden sich in dieser Gegend, während ein drittes Spital, das «Krankenasyl auf dem Sand», eine Stiftung des 1881 verstorbenen Bürgermeisters Chr. Bener in Chur, auf der entgegengesetzten Seite ö. der Stadt, am Ausgang des Plessurthales, liegt. In etwas weiterer Entfernung, in dem wunderschönen im N. der Stadt sanft gegen O. ansteigenden Lürlibad, befindet sich die kantonale Irren- u. Krankenanstalt Waldhaus, mit Raum für ca. 250 Kranke; mit derselben verbunden ist die Loë-Anstalt, eine von Baron Klemens von Loë herrührende Stiftung, in welcher 20 heilbare körperlich Kranke unentgeltlich Aufnahme finden. In geringer Entfernung von der Anstalt Waldhaus ist das bürgerliche Altersasyl, weiter n. das bürgerliche Waisenhaus, während zwei andere Waisenanstalten, der «Foral» u. die
mehr
«Hosangsche Stiftung», im W. der Stadt sich befinden. Reichlich gesorgt ist für Bildungszwecke; ausser den Primarschulen u. der schon erwähnten Kantonsschule gibt es in Chur auch noch eine städtische Sekundarschule, eine gewerbliche und eine kaufmännische Fortbildungsschule, eine Koch- und Haushaltungsschule, eine Frauenarbeitsschule und das katholische Töchterinstitut Constantineum.
Chur weist im Verhältnis zu seiner Höhenlage ein ausserordentlich mildes Klima auf; darum gedeihen denn auch an geschützten Stellen Kastanien und Feigen, und an den sonnigen Halden der Umgebung reift ein feuriger Wein. Nach langjährigen Beobachtungen beträgt die mittlere Jahrestemperatur 9,44° C., diejenige des Frühlings 9,36°, diejenige des Sommers 17,99° und diejenige des Winters 0,68°. Die Niederschlagsmengen sind sehr gering und betragen im Durchschnitt nur 840 mm per Jahr.
Nebel sind in Chur ausserordentlich selten; dringen dennoch etwa einmal im Spätherbst solche durch das Rheinthal bis nach Chur herauf, so verschwinden sie nach sehr wenigen Tagen, oft auch schon nach ein paar Stunden; sehr oft aber erfreut sich Chur des schönsten Sonnenscheines und des glanzvollsten Himmels, wenn das Rheinthal von Sargans abwärts im tiefsten Nebel steckt und in Zürich, St. Gallen und andern Städten wochenlang kein Fleckchen blauen Himmels zu sehen ist. - Eine grosse Annehmlichkeit von Chur bilden die zahlreichen, stets sehr gut unterhaltenen, prächtigen Waldspaziergänge in dessen Umgebung.
Den Naturfreund erfreut eine reiche Flora, die auf kleinem Gebiete neben Vertretern der südlichen Kastanienzone solche der Alpenregion aufweist. Von südlichen Arten nennen wir Coronilla Emerus, Astragalus Monspessulanus, Oxytropis pilosa, Colutea arborescens, Ononis rotundifolia - Alles Papilionaceen, die besonders in den Thalschaften des s. Tirol reichlich entwickelt sind. Noch charakteristischer sind die sonst der Hauptsache nach auf den S.-Fuss der Alpen beschränkten Lappula deflexa, Galium tenerum und G. rubrum, Anemone montana, Tommmasinia verticillaris, Laserpitium Gaudini.
Eine Anzahl von Arten vom sö. Alpenfuss erreichen um Chur ihren westlichsten Standort, besonders das in der Schweiz sonst nirgends vorkommende Dorycnium suffruticosum. Für die Umgegend Churs kennzeichnend sind ferner: Thesium rostratum, Rhamnus saxatilis, Allium pulchellum, Helianthemum Fumana, Tunica saxifraga, Linaria Cymbalaria, Lappula myosotis, Anchusa officinalis, Lactuca perennis, Bryonia alba, Centaurea maculosa, Artemisia absinthium, Linosyris vulgaris, Galium lucidum, Iris germanica, Lilium bulbiferum, Limodorum abortivum, Stupa pennata und St. capillata. Diese letztern Pflanzen, die auch im Wallis und anderswo vorkommen, verraten ein bevorzugtes Klima. Es ist unbestreitbar, dass auch Chur im Sommer sich der günstigen klimatischen Bedingungen des Graubündner Hochplateaus erfreut. Sehr vollständige Angaben über die Flora Churs finden sich in der Festschrift: Naturgeschichtl. Beiträge zur Kenntnis der Umgebungen von Chur. Chur 1874.
Quellen, die von Parpan und der Lenzerheide 14-19 km weit hergeleitet werden, versehen die Stadt mit vortrefflichem Trinkwasser.
Die Besiedelung der Umgebung von Chur in vorrömischer Zeit bezeugen die Funde von Gegenständen aus der Bronze- und Eisenzeit, so z. B. einer Sichel und anderer Bronzeobjekte beim Welschen Dörfli, eines Bronzebeiles beim Lürlibad, einer Lanzenspitze am Sonnenberg, einer Fibula aus der Eisenzeit, etc.
Der Ursprung der Stadt ist in der vorrömischen, alträtischen Zeit zu suchen. Römische Schriftsteller des 3. und 4. Jahrhunderts nennen die Curia Raetorum als
mehr
Militärstation (Itinerar des Antoninus und Peutinger-Tafel); eine befestigte römische Ansiedelung, die den Zweck hatte, die teils nach S. über die Alpen, teils nach N. zum Bodensee und dem s. Germanien sich erstreckenden Strassenzüge zu schützen, wurde sehr wahrscheinlich kurz nach der Unterwerfung der Rätier durch die Römer (15 Jahre v. Chr.) angelegt und zwar auf jener hiezu sehr geeigneten Felsterrasse, welche heute den bischöflichen Hof trägt. Von dem ursprünglichen Castrum hat sich noch der Turm Marsöl erhalten, wogegen ein zweiter, Spinöl, zerfallen ist.
Dass die Stadt bald zu einer gewissen Bedeutung gelangte, beweist der Umstand, dass schon im Jahre 451 ein Bischof Asimo genannt wird. Für eine römische Ansiedelung auch ausserhalb des Castells, namentlich im Welschen Dörfli, der auf der linken Seite der Plessur sich westwärts hinziehenden Vorstadt, in St. Margarethen und bei der Biene (wo heute das städtische Krankenhaus steht), sprechen zahlreiche Funde von Mauerresten, Münzen, Idolen (besonders 1806, 1851 und 1895) etc. Zum Schutze gegen einen von N. kommenden Feind hatten die Römer bei Masans eine noch im Mittelalter bestehende Letzi erbaut.
Die im bischöflichen Hof entdeckte und heute im Rätischen Museum aufbewahrte Mosaik stammt aus der ersten Zeit nach der Einführung des Christentums, da der Bau der Domkirche in Angriff genommen wurde. Unter den ersten Bischöfen finden wir eine Anzahl von bedeutenden Männern; von einem derselben, Valentinianus, hat sich eine Inschrift erhalten. Von wichtigen Urkunden aus alter Zeit ist besonders zu nennen das Testament des ums Jahr 700 gestorbenen Bischofs Tello. Ein in Masans gefundener Münzschatz datiert aus der Zeit Otto des Grossen.
Nach Auflösung des weströmischen Reiches kam das Land im Jahre 493 unter die Herrschaft der Ostgoten, welcher 536 die der Franken folgte, unter welchen ein mächtiges, vielleicht einheimisches Geschlecht, die Victoriden, das Land als Praesides Raetiae verwaltete. Durch Besetzung des bischöflichen Stuhles suchten sie die geistliche und weltliche Macht in ihrer Hand zu vereinigen, ein Verhältnis, dem Karl der Grosse 814 durch Einsetzung eigener Grafen ein Ende machte.
Durch Schenkungen, welche die deutschen Kaiser dem durch Drangsale verschiedener Art verarmten Bistum machten, geriet die Stadt immer mehr unter die Botmässigkeit desselben und wurde auch vielfach in dessen Fehden hineingezogen. Unter der ursprünglich wohl nur ackerbautreibenden Bevölkerung bildete sich aber nach und nach, wohlinfolge des lebhaften Transites u. der Entwicklung der Gewerbetätigkeit, ein selbstbewusster Bürgerstand, der auch seinen Anteil an der Stadtverwaltung haben wollte. Da das Bistum diesem Anspruche nur Widerstand entgegensetzte, kam es zu Reibereien, und 1418 zu einer förmlichen Belagerung, Erstürmung und Plünderung des bischöflichen Hofes durch die Bürgerschaft. In dem durch Zürich und einzelne Gotteshausgemeinden vermittelten Frieden wurde das Bistum zur Abtretung verschiedener Rechte an die Stadt verpflichtet.
Die Ansprüche der Bürgerschaft waren damit aber noch nicht befriedigt, und es blieben auch in der Folgezeit Reibereien nicht aus, jedoch ohne dass die Stadt weitere Freiheiten und Rechte erlangt hätte. Als dann aber im Jahre 1464 die Stadt Chur durch eine grosse Feuersbrunst fast ganz zerstört worden war, verlieh ihr Kaiser Friedrich III. neben verschiedenen andern sehr wichtigen Rechtsamen die Befugnis, sich um 700 Mark vom Bistum gänzlich loszukaufen und sich eine Zunftverfassung zu geben.
Die freie Reichsstadt Chur nahm von da an einen kräftigen Aufschwung, doch gestaltete sich ihre Entwicklung in der Folge nicht sehr ruhig. Die Stadt, welche 1526 sich zur Reformation bekannte - als Reformatoren in Chur wirkten besonders Joh. Comander, 1523-1557 Pfarrer zu St. Martin, Ph. Galitius, 1550-1566 Pfarrer zu St. Regula -, wurde mit den Drei Bünden in alle die wilden politischen und religiösen Parteikämpfe und Kriege hineingezogen und hatte zudem mehrmals durch schwere Feuersbrünste, Pestseuchen u. Missernten schwer zu leiden.
Erst im 18. Jahrhundert folgte eine Periode grösserer Ruhe, aber auch politischer Stagnation, aus welcher die in den neunziger Jahren einmarschierenden Russen u. Franzosen das ganze Land sehr unsanft aufrüttelten und Chur speziell einer finanziellen Erschöpfung des Gemeinwesens sowohl als der einzelnen Bürger entgegenführte. Erst von 1803 an, in welchem Jahre Graubünden definitiv mit der Eidgenossenschaft verbunden wurde, datiert eine im grossen und ganzen friedliche und gedeihliche, nur durch kleinere Stürme unterbrochene Entwicklung des Kantons, sowohl als seiner Hauptstadt, die der Mittelpunkt eines regen politischen, geistigen und wirtschaftlichen Lebens wurde. Im Jahre 1840 musste auch die bis dahin beibehaltene Zunftverfassung einer den modernen Begriffen besser entsprechenden weichen. An der Spitze der Stadt stunden nun ein frei aus den gesamten Bürgerschaft gewählter Bürgermeister, Kleiner und Grosser Stadtrat; die zahlreichen Niedergelassenen hatten am Regimente noch keinen Teil, bis im Jahre 1874 durch eine abermalige Revision der Verfassung an Stelle der Bürgergemeinde die Einwohnergemeinde mit einem
mehr
Stadtpräsidenten, Kleinem und Grossem Stadtrat an der Spitze trat.
Die Bürgerschaft mit Bürgermeister u. Bürgerrat besteht seither nur noch als eine rein bürgerlich ökonomische Korporation zur Verwaltung des ausgeschiedenen bürgerlichen Vermögens. Das geistige Leben der Stadt erhielt reiche Anregung durch eine Anzahl bedeutender Männer, die als Lehrer an der Kantonsschule wirkten, das wirtschaftliche wurde mächtig gefördert durch den Bau der ins Innere des Kantons führenden Strassen, deren Netz sich immer mehr ausbreitete, sowie durch die im Jahre 1858 eröffnete Eisenbahn nach Zürich und St. Gallen, erlitt aber einen herben Schlag durch die Eröffnung der Gotthardbahn, welche den bisher über die Bündner Alpenpässe geleiteten Transit völlig abzog.
Glücklicherweise ist es Chur seither gelungen, andere Einnahmsquellen zu eröffnen, und es darf darum getrost gesagt werden, dass die Stadt fortwährend in einer Periode gedeihlicher Entwicklung sich befindet. Es geht dies auch sehr deutlich aus der zwar nicht sehr schnellen, aber stetigen Zunahme der Bevölkerung hervor. Die Einwohnerschaft zählte bei der eidgenössischen Volkszählung von 1860: 6990;
1870: 7487;
1880: 8753;
1888: 9259 u. 1900: 11706 Köpfe.