Christologīe
die »Lehre [* 2] von Christus« und zwar von seiner Person in erster, in zweiter Linie auch von seinem Werk, der wichtigste Teil der christlichen Glaubenslehre. Sofern, von der Seite der Theologie (s. d.) im engern Sinn betrachtet, die ¶
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Leistung des Christentums (s. d.) nur als höchste Blüte [* 4] und Vollendung aller bereits auf der alttestamentlichen Vorstufe wirksamen Kräfte eines im Volk Israel heimischen Gottesbewußtseins erscheint, hätte eine Trennung vom Judentum keineswegs zu den notwendigen Ergebnissen des christlichen Gedankenfortschritts gehört. Was diese Wirkung mit sich führte, war vielmehr der Anspruch Jesu, Messias (s. d.) zu sein. Nun erscheint freilich die Messiasidee selbst wieder nur als eine reife Frucht der gesamten alttestamentlichen Entwickelung, und wenn Jesus von Nazareth sich jederzeit »Menschensohn« nannte und auch von andern, wenigstens gegen das Ende seines öffentlichen Auftretens, »Davidssohn« und »Gottessohn« nennen ließ, so that er dies eben in dem Sinn, wie schon das Alte Testament mit allen diesen Ausdrücken den Messias gekennzeichnet hatte (s. Jesus Christus). So lautet denn auch das erste christliche Dogma selbst bei dem paulinisch gesinnten Verfasser des dritten Evangeliums und der Apostelgeschichte einfach dahin: »Jesus von Nazareth ist der Messias« (Apostelgesch. 9, 22);.
er wird als solcher »das Reich Israel wieder aufrichten« (Luk. 24, 21;. Apostelgesch. 1,6),.
»auf Davids Thron [* 5] sitzen« (Luk. 1,32;. Apostelgesch. 2, 30),.
sein Volk »erretten von seinen Feinden« (Luk. 1, 71).
Soweit war das Christentum vollständig eingetreten in den volksmäßigen Vorstellungskreis des Judentums. Um so weniger aber ließ sich mit der jüdischen Rechtgläubigkeit und dem gesamten religiösen Bewußtsein des Volkes die Thatsache in Übereinstimmung setzen, daß dieser Messias den schimpflichen und gottverlassenen Verbrechertod am Kreuz [* 6] gestorben war. Wie stimmte dies zu der Überzeugung von der messianischen Hoheit Jesu als des »Sohnes Gottes«? Dies war die erste brennende Frage im Christentum.
Die Urgemeinde beruhigte sich hierüber zunächst im Bewußtsein, daß die Thatsache des Todes ausgeglichen sei durch das einzigartige Wunder der Auferstehung. Dazu kam als ein zweites Moment der Glaube an die Wiederkunft Jesu. Im Anschluß an seine Selbstbezeichnung als »Menschensohn« (welcher nach Dan. 7, 13. 14 mit den Wolken des Himmels kommt und ein ewiges Reich stiftet) erwartete man von der allernächsten Zukunft die Wiederkunft des Messias zum Gericht und zur Errichtung des Tausendjährigen Reichs (s. Chiliasmus).
Damit war die erste folgenreiche Fortbildung der jüdischen Messiaslehre gegeben. Diese wußte nur von einer einmaligen Erscheinung des Messias; das Christentum lehrte eine doppelte, die eine der Vergangenheit angehörig, die andre der Zukunft; jene eine Erscheinung in Schwachheit, diese in Herrlichkeit. Aber wozu war denn jenes am Kreuz endende Vorspiel überhaupt nötig? Stand es doch mit dem von den Propheten so glänzend ausgemalten Bilde des theokratischen Königs in grellem Widerspruch! Nein! sagte schon das vorpaulinische Christentum, das alttestamentliche Bild ist nicht richtig aufgefaßt, wenn man neben den Lichtseiten die Schattenseiten übersieht.
Eine im Hinblick auf die vollendete Thatsache erfolgende neue Durchforschung der Schrift führte vielmehr zu dem Resultat, daß schon die alttestamentlichen Bücher vertraut seien mit der Idee eines leidenden Messias. Die Jünger gedachten des leidenden Gerechten (Psalm 22. u. 69), des büßenden Knechts Gottes (Jes. 53),. und ihr »Herz brannte« (Luk. 24, 32). bei solchen Aussichten auf Lösung des quälenden Widerspruchs. Jetzt singen innerhalb der christlichen Gemeinde die Reden an von »bestimmtem Ratschluß und Vorhersehen Gottes«, wodurch der Messias bei seinem ersten treten den Händen der Gottlosen überantwortet worden sei (Apostelgesch. 2, 23). Den Zweck dieses Dahingebens der edelsten Frucht Israels in den Tod legte man dann, prophetischer Andeutung (Jes. 53, 4. 5. 12) folgend, in die Errettung der großen sündigen Menge des Volkes, d. h. man faßte den Tod Jesu unter dem Gesichtspunkt der Sühne »für unsre Sünden« auf (1. Kor. 15, 3. 4).
Bei aller Entschiedenheit der Gegensätze, welche das Urchristentum in sich barg, lag somit ein dogmatischer Einheitspunkt im Glauben an den Sühnetod und die Auferstehung des Stifters, an seine Wiederkunft zur Errichtung des Reichs (1. Kor. 15, 11). Je gewisser man sich in dieser Verehrung des »Sohnes Gottes« mit Gott selbst geeinigt und versöhnt wußte, desto mehr mußte auch der Ausdruck »Sohn Gottes« an Inhalt und Bedeutung gewinnen und das Bekenntnis von der Messianität Jesu einer über das Maß des Menschlichen hinausgehenden Anschauung von seiner Natur und Würde zustreben.
In der Offenbarung des Johannes erscheint darum Jesus bereits als »der Erste und der Letzte« (1, 17),
als »der Anfang der Kreatur« (3, 14),
als »das Wort Gottes« (19, 13). So gewiß sich Ähnliches auch in der jüdischen Messiaslehre findet, so unleugbar
berührt sich die Christologie
der judenchristlichen Offenbarung bereits mit der Paulinischen Theologie auf der einen,
mit der Johanneischen auf der andern Seite. Diese beiden Formen stellen die fortgeschrittensten, alles Judentum bereits entschieden
überbietenden Typen der neutestamentlichen Christologie
dar. In der Paulinischen und Johanneischen Theologie erscheint Christus nicht
mehr bloß als letztes Glied
[* 7] in der Entwickelung des Alten Bundes, sondern aus dem idealen Repräsentanten
des jüdischen Volkes, dem Messias, ist schon bei Paulus das Urbild der Menschheit und Ebenbild der Gottheit, aus einer einzelnen,
erst im Verlauf der Geschichte ins Leben getretenen, das religiöse Leben auf seinen Gipfel führenden Erscheinung ist ein schöpferisches
Prinzip dieser ganzen Geschichte, ein Organ der göttlichen Schöpferkraft in der Weltregierung geworden,
durch welches Gott von vornherein alles ins Werk gesetzt hat
(1. Kor. 8, 6). Die Mittel, durch welche Paulus mit seiner Christologie
dergestalt
die populären jüdischen Messiasbegriffe überbot, waren ihm durch die damalige Schultheologie an die Hand
[* 8] gegeben, welche
sich allen begrifflichen Primat in der Form einer zeitlichen Priorität anschaulich zu machen pflegte.
So ist auch Christus hier eine vor ihrem geschichtlichen Sein schon dagewesene Persönlichkeit, ein präexistentes Wesen geworden
(1. Kor. 10, 4). Als Mensch aber mußte er auftreten, um den Tod erleiden zu können, Jene zuvor schon eingeleitete Beziehung
des Todes Christi zur Sünde hat nämlich Paulus dahin erweitert und vertieft, daß er denselben nach Analogie
der levitischen Opferordnung als Sühnopfer
(Röm.
3, 25),. als notwendiges Mittel zur Lösung des vom Gesetz auf die sündige Menschheit geworfenen Fluches
(Gal. 3, 10. 13), als
schlechthinnige Vorausbedingung aller Erlösung und Versöhnung, als Quellpunkt einer neuen Gerechtigkeit
der Gotteskinder faßte
(Röm.
4, 25). Eine der Sache nach das gleiche Ziel, aber mit andern Mitteln erreichende Lehrform war es, wenn der im Hebräerbrief und
besonders im vierten Evangelium vertretene christliche Alexandrinismus ohne weiteres die Platonisch-stoische Logoslehre, welche
schon der Jude Philo mit dem alttestamentlichen Gottesbegriff in Verbindung gesetzt hatte, auf die historische
Persönlichkeit Jesu anwandte, wodurch dieselbe in eine neue Beleuchtung
[* 9] trat und endgültig als der
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schon bei der Weltschöpfung beteiligte, zur vorausbestimmten Zeit ins Fleisch eingetretene und nach vollbrachter Versöhnung
wieder zu Gott zurückgekehrte Logos erschien (s. Menschwerdung). Diesen Schritt that erst der vierte Evangelist, während zwei
frühere sich damit begnügt hatten, einen nachweisbar ältern Typus der evangelischen Geschichte, darin Jesus als Sohn Josephs
und Marias auftritt
(Mark. 6, 3;.
Matth. 13, 53),. mit einer
Vorgeschichte zu vermehren, kraft welcher die Gottessohnschaft, die man sich sonst als im Moment der Taufe beginnend vorgestellt,
auf die Zeugung selbst bezogen und nahezu physisch gefaßt wurde
(Matth. 1, 18. 23;
Luk.
1, 35). So hört schon im Verlauf der neutestamentlichen Entwickelung die Christologie
auf, Messiaslehre zu sein,
und wird statt dessen ein Stück Gotteslehre.
Man hielt zwar die menschlichen Anschauungen von Christus in der Form fest, daß auch Paulinische und Johanneische Kreise [* 11] noch in ihm den beglaubigten und bevollmächtigten Durchführer der göttlichen Zwecke in der Menschenwelt erblickten; zugleich aber faßte man ihn als ein Wesen auf, dessen Daseinskreis irgendwie mit dem göttlichen selbst sich deckte oder doch in denselben hineinfiel. Abgestreift aber und als häretisch gebrandmarkt war schon gegen Ende des 2. Jahrh. die Vorstellung der entschiedenen Judenchristen (s. Nazarener), der sogen. Ebionitismus, welcher die Göttlichkeit Christi in die höchste Stufe der Geistesbegabung, in die Vollendung des alttestamentlichen Prophetentums, verlegte, ihn selbst aber lediglich als Menschen gelten ließ.
War aber Christus für die jetzt entstehende katholische Kirche eine ewige und göttliche Persönlichkeit, so schien der streng und schlechthin einheitliche Gottesbegriff aufgehoben. Hinwiederum wollte und konnte man auch nicht zwei Götter lehren, denn damit wäre man in das Heidentum zurückgesunken. Es erfolgte daher eine Ausgleichung beider Seiten, eine Lösung des geschlungenen Rätsels in doppelter Weise. Anschließend an die Johanneische Lehre, wonach zwischen Gott und seinem in dem geschichtlichen Jesus Wort ein eigentümliches Verhältnis der Wesenseinheit besteht, erkannte schon eine im Lauf des 2. Jahrh. populär gewordene Vorstellung eine Verschiedenheit der Subjekte kaum mehr an; man sah in Christus einfach die Erscheinung des Vaters (Monarchianismus, Modalismus).
Der so sich ergebenden Gefahr, Gott im Menschen oder den Menschen in Gott zu verlieren, begegneten die hervorragendsten Kirchenlehrer des 3. Jahrh., indem sie sich wieder mehr an die Paulinische Lehre anschlossen, welche den Sohn so bestimmt persönlich vom Vater unterscheidet, daß sie ihn zu dem letztern sogar in ein entschiedenes Verhältnis der Abhängigkeit setzt (Hypostasianismus, Subordinatianismus). Eine einigende Formel wurde in dieser Zeit noch nicht gesunden; erst im sogen. Arianischen Streit (s. d.), welcher fast das ganze 4. Jahrh. erfüllte, gelangte der Prozeß zwischen beiden Parteien zum Austrag.
Auf den das Verhältnis des Vaters zum Sohn definitiv feststellenden Kirchenversammlungen von Nicäa (325) und Konstantinopel [* 12] (381) wurden die bestehenden Gegensätze einfach nebeneinander gestellt, d. h. man stellte als Glaubensgeheimnis die Sätze auf, der Sohn sei dem Vater gleich an Wesen, aber doch eine verschiedene Person, also nicht ungezeugt, wie der Vater, aber doch auch nicht geschaffen, wie die Welt, sondern in ewiger Weise vom Vater erzeugt, »wahrhaftiger Gott vom wahrhaftigen Gott«.
Dieser ganzen Bewegung lag
das religiöse Interesse zu Grunde, sich der unendlichen Bedeutung des christlichen
Heils in der Anschauung der Person dessen bewußt zu werden, welcher dasselbe gebracht und ein für allemal begründet hatte.
Die Christologie
galt der Kirche als Ausdruck des Werts des ganzen Christentums. Wie dieser ein absoluter, so war die Person seines Stifters
eine absolute, und es konnte die Entwickelung des dogmatischen Denkens über diese Person zu ihrem Ruhepunkt
erst da gelangen, wo dieselbe unter Wahrung ihres menschlichen Charakters zugleich in einem Verhältnis zu Gott stand, welches
keine Steigerung mehr zuließ.
Ist Christus nach dem christlichen Gesamtbewußtsein der ausschließliche Vermittler der Vateroffenbarung Gottes, der eigentliche
Schöpfer eines nach dem Urteil der gläubigen Christenheit ausreichenden Gottesbewußtseins, so ist er
darum auch das Organ, womit diese christliche Menschheit Gott wahrnimmt, wie das Auge
[* 13] das Organ ist, womit die natürliche Menschheit
das Licht
[* 14] wahrnimmt. Wie für diese das Licht im Auge, so ist für jene Gott in Christus, und das Bekenntnis von der Gottheit Christi,
die Quintessenz der Christologie
, ist etwa nach Analogie des Satzes zu verstehen: »Das Auge ist das Licht des Leibes«
(Matth. 6, 12). Die
alte Kirche aber setzte gemäß den Denkformen, in welchen sie sich zu bewegen hatte, an die Stelle dieser religiösen Beurteilung
eines religiösen Verhältnisses eine metaphysische Betrachtung und kam so nach durchgekämpften arianischen,
nestorianischen, monophysitischen und monotheletischen Streitigkeiten endlich am Schluß des 7. Jahrh. zu dem fertigen Christusbild der
Dogmatik: Eine gottmenschliche Person mit zwei Naturen und zwei Willen, wesensgleich nach der einen Seite mit dem »ungezeugten«
Vater, nach der andern mit den »geschaffenen« Menschen (ausgenommen die Sünde),
selbst aber weder ungezeugt noch geschaffen, sondern »von Ewigkeit gezeugt«.
Während auf Innehaltung dieser Bestimmung der Christologie
seitens der Kirche mit vollkommener Ausschließlichkeit gedrungen wurde
und bald keiner, der sich in diesen Gang
[* 15] der Entwickelung nicht zu schicken wußte, noch ein Recht der Existenz in der Kirche,
ja aus der Welt überhaupt mehr besaß, konnte man während eines ganzen Jahrtausends hinsichtlich des
Werkes Christi, jener zweiten Hälfte der Christologie
, die verschiedenartigsten und unfertigsten Lehrmeinungen vernehmen.
Erst die Scholastik hielt sich wieder enger an die Paulinischen Vorstellungen. Der erste, der dieselben in einen dialektisch gefaßten, durch die juristische Schablone des Mittelalters bedingten Ausdruck brachte, war Erzbischof Anselm von Canterbury, welcher in einer bis dahin nicht erreichten Vollständigkeit der Argumentation den Gedanken durchführte, daß Gott zur Wiederherstellung der ihm durch die Sünde entzogenen Ehre und zugefügten Beleidigung notwendig habe Mensch werden müssen, um so als Gottmensch durch freiwilligen Tod die Schuld abzutragen, die außer ihm niemand abtragen konnte, und den Widerstreit der göttlichen Liebe mit der göttlichen Gerechtigkeit und Heiligkeit auszugleichen (s. Versöhnung). Über diese sogen. Satisfaktionstheorie entbrannte ein heftiger Streit zwischen den Schulen des Thomas von Aquino und des Duns Scotus, als ersterer, in Anselms Fußstapfen tretend, besonderes Gewicht auf das »überschüssige Verdienst« des Todes Jesu legte, letzterer hingegen das Zureichende desselben in Abrede stellte und die Lehre von der sogen. Acceptilation (s. d.) anbahnte. Die Mystiker versenkten sich bald ¶