Titel
Choiseul
(spr. schŏasol),
Name einer alten franz. Adelsfamilie, der von dem kleinen
Flecken Choiseul
bei
Langres in der
Champagne herrührt. Die
Familie stammte von den
Grafen von
Langres ab und teilte sich in mehrere
Zweige;
mehrere berühmte
Marschälle und Staatsmänner gehörten ihr an.
1)
Etienne
François,
Herzog von Choiseul
-Amboise,
Marquis von Stainville, franz. Staatsmann, geb.
Sohn des
Grafen Stainville, der in
Diensten des
Herzogs
Franz von
Lothringen toscanischer
Geschäftsträger
in
Paris
[* 2] war, wurde in einem Jesuitenkollegium erzogen, trat dann in den Militärdienst und zeichnete sich im österreichischen
Erbfolgekrieg bei
Prag
[* 3] (1741) so aus, daß er ein Infanterieregiment erhielt. Nach seiner Rückkehr trat er in den
Hofdienst
und wurde der Günstling und
Vertraute der
Marquise von
Pompadour, welche seine Fähigkeiten und seine Gewandtheit
für ihre
Zwecke benutzte.
Durch ihre
Gunst wurde er 1748 zum
Generalleutnant und 1758 zum
Herzog von Choiseul
erhoben, eine
Würde, welche Choiseuls
Großvater
aufgegeben hatte. Er heiratete die Tochter des reichen
Bankiers
Crozat, mit der er in glücklicher, doch kinderloser
Ehe lebte.
Die
Pompadour machte ihn 1756 zum
Gesandten in
Rom und
[* 4] dann in
Wien,
[* 5] wo er die
Allianz mit
Österreich
[* 6] gegen
Friedrich d. Gr. zu stande zu bringen wußte. Trotzdem, daß diese
Politik
Frankreich die größten
Opfer auferlegte und sehr
unpopulär war, hielt Choiseul
, der nach
Bernis'
Sturz 1758 das
Ministerium des
Auswärtigen übernahm, auf das
Geheiß seiner Beschützerin daran fest, konnte aber ungeachtet seiner angestrengten Thätigkeit nichts ausrichten, da die
Generale fast alle unfähige Hofleute waren. Choiseul
übernahm daher, um den
Krieg nachdrücklicher zu führen, 1761 das
Kriegs-,
später auch das Marineministerium und überließ das
Auswärtige seinem
Vetter Choiseul
, nachmaligem
Herzog von
Praslin.
Auch brachte er zur
Hebung
[* 7] des französischen Einflusses das bourbonische Familienbündnis zwischen
Frankreich,
Spanien,
[* 8]
Parma
[* 9] und
Sizilien
[* 10] zu stande, das aber ohne sonderliche Bedeutung blieb. Erst als Choiseul
1763
Frieden schloß, machte er
sich populär und wurde dies noch mehr, als
er den König zur Aufhebung des Jesuitenordens in
Frankreich
bewog, eine
Maßregel, die von der
Pompadour begünstigt wurde, da die
Jesuiten gegen sie intrigierten. Choiseul
ging aber noch weiter, und obgleich 1764 seine
Beschützerin starb, beschloß er doch,
Frankreich von der römischen
Kurie ganz zu trennen und eine unabhängige
gallikanische Kirche
zu gründen; er ließ daher 1768
Avignon und
Venaissin besetzen.
Papst
Clemens XIV. aber wußte den König wieder für sich zu gewinnen und so Choiseuls
Plan zu vereiteln. Choiseul
schmeichelte der
Eitelkeit der
Nation und beschäftigte sie durch immer neue, glänzende Aussichten. Dabei sorgte er für
Hebung des
Handels und
der
Industrie, hob die
Kolonien
Santo Domingo,
[* 11]
Martinique,
Guadeloupe u. a., vereinigte
Corsica
[* 12] mit
Frankreich,
setzte
Flotte und
Heer in tüchtigen
Stand, legte
Militärschulen an und förderte die wissenschaftliche Thätigkeit.
In der auswärtigen Politik vertrat er ernstlich das Interesse Frankreichs: er unterstützte die polnische Konföderation und verwickelte Rußland in den Krieg mit der Pforte;
er schickte französische Offiziere nach Ostindien, [* 13] um dessen Fürsten gegen England zu bewaffnen, und leitete geschickt die Fäden der politischen und diplomatischen Intrigen, weshalb ihn die Kaiserin von Rußland le cocher de l'Europe nannte.
Bei dem plötzlichen
Tode des
Dauphins und seiner Gemahlin sowie
des Schwiegervaters des
Königs,
Stanislaus
Leszczynski, eines Jesuitenfreundes, streuten die
Jesuiten, aber ohne
Grund, das Gerücht einer
Vergiftung durch aus. Die königliche
Gunst verlor Choiseul
nicht durch diese
Verleumdung, sondern erst durch
die neue Mätresse des
Königs,
Dubarry, welcher Choiseul
seine Verachtung nicht verhehlte. Durch einen
Krieg gegen
England, der seine
eifrig betriebenen Seerüstungen im
Glanz des
Siegs zeigen sollte, wollte E. die verlorne
Gunst wiedergewinnen.
Choiseuls
Gegner aber stellten ihn wegen der dazu angeknüpften geheimen
Verbindung mit
Spanien als
Verräter dar,
Ludwig XV.
sandte darauf dem
Minister zugleich mit dem
Abschied einen Verhaftsbefehl. Doch durfte sich Choiseul
nach seinem Landsitz
Chanteloup an der
Loire begeben, wo er fast fürstlich
Hof
[* 14] hielt.
Ludwig XVI. gestattete bei seiner Thronbesteigung 1774 Choiseul, in der
Hauptstadt zu wohnen und wieder am
Hof zu erscheinen, wo er mit Auszeichnung behandelt wurde. Er starb Seine
Witwe
opferte ihr
Vermögen, um seine
Schulden zu bezahlen. Die 1790 unter seinem
Namen herausgegebenen
»Memoiren«
sind unecht.
Vgl. K. v. Schlözer, Choiseul und seine Zeit (Berl. 1848);
Grasset, Madame de Choiseul et son temps (Par. 1874).
2) Marie Gabriel Auguste Laurent, Graf von Choiseul-Gouffier, franz. Diplomat und Altertumsforscher, geb. genoß einen klassischen Unterricht, wodurch in ihm früh der Wunsch rege ward, Griechenland [* 15] selbst zu besuchen, den er aber erst 1776 befriedigen konnte. Die Resultate seiner Forschungen legte er in der »Voyage pittoresque de la Grèce« (1780-1824, 3 Bde. mit 300 Kupfertafeln) nieder, einem Werk, das ihm 1784 die Mitgliedschaft der französischen Akademie erwarb. Bald darauf zum Gesandten in Konstantinopel [* 16] ernannt, konnte er seine Studien mit Eifer weiter verfolgen; doch zogen ihm seine Sympathien für Griechenland manche Anfechtungen zu. Als die Revolution ausbrach und das Königtum gestürzt wurde, weigerte er sich, die Republik anzuerkennen, und richtete seine diplomatischen Noten an die Brüder Ludwigs XVI. Als daher die republikanische Armee am Rhein dergleichen Depeschen auffing, ward seine Verhaftung ¶
mehr
eingeleitet; doch floh er nach Rußland und wurde von Katharina II. ehrenvoll aufgenommen. Paul I. ernannte ihn zum Staatsrat, zum Direktor der Kunstakademie und zum kaiserlichen Bibliothekar. Nach Alexanders I. Thronbesteigung (1801) kehrte er nach Frankreich zurück und lebte nur den Wissenschaften. Vielen jungen Gelehrten gewährte er Schutz und Hilfe. Nach der Restauration wurde er Pair von Frankreich, Staatsminister und Mitglied des Kabinettsrats. Er starb Seine wertvolle Sammlung von Altertümern wurde mit dem Museum im Louvre vereinigt; eine neue Ausgabe seiner »Voyage pittoresque«, von Miller und Hase [* 18] besorgt, erschien Paris 1840-42.