Chiromantie
(auch Chirognomik und
Chirologie, griech.), das
Wahrsagen aus der
Hand,
[* 2] d. h. die vermeintliche
Kunst, aus
Bau,
Linien und
Zügen der hohlen
Hand eines
Menschen sein
Schicksal zu entziffern. Die Chiromantie
, seit den ältesten
Zeiten eine der angesehensten Wahrsagungsformen, welche im
Altertum Chaldäer und
Juden betrieben, geht auf astrologische Grundvorstellungen
zurück, wonach der
Mensch einen
Mikrokosmos darstellen sollte, dessen einzelne
Organe von den
Planeten
[* 3] und
Gestirnen beeinflußt
würden. Danach wurde der Handteller in sieben
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von den Handlinien begrenzte Planetenregionen geteilt, deren Umgrenzungen durch die Handlinien gedeutet wurden. Die hauptsächlichsten derselben sind die fünf Hauptlinien: die Lebenslinie (linea vitalis), zwischen dem Daumen und Zeigefinger anfangend und krumm um den Daumen herum abwärts laufend, sollte durchschnitten und rein ausgeprägt auf Lebenskraft und deshalb auf langes Leben deuten;
die Natur- oder Hauptlinie (linea naturalis s. cephalica), unter dem Zeigefinger anfangend und gewöhnlich mit der Lebenslinie sich vereinigend, sollte bei gehöriger Länge einen guten Zustand des Magens, der Leber und der Lebensgeister anzeigen;
die Tisch-, Gedärm- oder gemeine Linie (linea mensalis s. inguinalis s. communis), unter dem kleinen Finger anfangend, unter den drei letzten Fingern quer über die Hand laufend und unter dem Zwischenraum des Zeige- und Mittelfingers oder unter ersterm endend, sollte stark ausgeprägt gute Zeugungskraft, aber, wenn sie bis ins erste Gelenk des Zeigefingers geht, ein mühseliges Leben andeuten;
die Leber- oder Magenlinie (linea hepatica s. stomachica), von unbestimmtem Anfang, in der Naturlinie endigend, sollte mit dem Zustand der Verdauung in Zusammenhang stehen;
die Rascetta, die erste Querlinie unter der Hohlhand auf dem Handgelenk, deutete, wenn ununterbrochen, auf glücklichen Fortgang in Unternehmungen.
Außerdem wurden sieben Nebenlinien unterschieden: Marslinie (linea Martis s. soror vitalis, Schwester der Lebenslinie), Sonnen- oder Ehrenlinie (linea solis s. honoris), Venusgürtel (cingulum Veneris), Saturn- oder Glückslinie (linea Saturnina), Heirats- oder Ehestandslinien (lineae matrimoniales), Milchstraße (via lactea), Diskriminal- oder Entscheidungslinien (lineae discriminales). Die Räume sind Stellen in der Hohlhand zwischen den angeführten Linien: der Tisch (mensa), zwischen der Natur- und Tischlinie, deutete auf Reichtum und Freigebigkeit;
die Marshöhle oder das Dreieck [* 5] (cavea Martis oder Triangulum), ein dreieckiger Raum zwischen der Lebens-, Natur- und Leberlinie, deutete, wohlgeschlossen, auf Glück im Vaterland sowie auf natürlichen Verstand, Bescheidenheit und stilles Wesen.
Die fünf Berge der Finger (montes) hießen die fleischigen Teile unter den ersten scheinbaren Gelenken der Finger, nämlich: der Venusberg (mons Veneris), unter dem Daumen;
der Jupiterberg (mons Jovis), unter dem Zeigefinger abwärts, bis an die Lebens- und Naturlinie;
der Saturnberg (mons Saturni), unter dem Mittelfinger;
der Sonnenberg (mons solis), unter dem Ringfinger;
der Merkurberg (mons Mercurii), unter dem kleinen Finger;
der Mondberg (mons lunae) war der dem Venusberg entgegengesetzte, erhabene, fleischige Teil der innern Hand unter dem kleinen Finger.
Als eine glückliche Hand galt eine solche, die alle Linien und besonders die Hauptlinien hat und zwar am rechten Ort, wo die Berge sich genau unter ihren bezüglichen Fingern befinden, die Hauptlinien unzerrissen sind, das Dreieck nicht durch verworrene Linien gestört und besonders auch der Venusgürtel vorhanden ist sowie alle Hauptlinien und die Glückslinie gehörig und der Tisch in beiden Händen gleich groß sind.
Die Blütezeit dieser Kunst (16-18. Jahrh.) hat eine reichhaltige Litteratur über die Chiromantie
, meist
in der Form akademischer Leitfäden in lateinischer Sprache
[* 6] hervorgebracht. Die Hauptvertreter derselben
sind: Johann von Hagen
[* 7] (um 1522), Ingenbert (1689), Prätorius (1699), Gocklenius (1692). Abuhaly Ben Omars »Astrologia terrestis«,
aus dem Arabischen (Freystadt 1703), ist besonders wertvoll für die Kenntnis des Zusammenhangs des astrologischen und chiromanti
sch-metoposkopischen
Systems. Noch zu Anfang des 18. Jahrh. wurden auf den meisten deutschen Universitäten eigne chiromantische
Kollegien gelesen, so in Jena
[* 8] von Hexner, in Halle
[* 9] von Nietzky. Der chiromantische
Aberglaube findet sich jetzt noch häufig
selbst unter Gebildeten. Vornehmlich sind es Zigeuner, welche aus demselben einen Nahrungszweig machen. In neuerer Zeit haben
S. d'Argentigny (»La chirognomonie«, Par. 1843;
deutsch, Stuttg. 1846) und K. G. Carus (»Über Grund und Bedeutung der verschiedenen Formen der Hand«, das.
1846) der Chiromantie
eine wissenschaftliche Seite abzugewinnen und einen haltbaren Kern darin nachzuweisen gesucht.
Vgl. J. ^[Josef] Landsberg, [* 10] Der Handteller (Posen [* 11] 1861).