Titel
Chemie
,
die Wissenschaft von der stofflichen Verschiedenheit der Körper; sie lehrt, aus welchen einfachern Stoffen die Körper bestehen, wie sie in diese stofflich verschiedenen Bestandteile zersetzt, geschieden (daher Scheidekunst), und wie sie aus denselben zusammengesetzt werden können. Wenn man Siegellack, Glas [* 2] oder Schwefel mit einem Tuch reibt, so erhalten sie die Eigenschaft, leichte Körper, wie Papierschnitzel u. dgl., anzuziehen; ein mit einem Magnetstab gestrichener Stahlstab wird selbst magnetisch, zieht Eisen [* 3] an und nimmt, wenn man ihn in horizontaler Ebene frei schwebend aufhängt, eine nordsüdliche Richtung ein. Schwefel schmilzt beim Erhitzen in einem abgeschlossenen Raum, beginnt zu sieden, ¶
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verdampft und verdichtet sich, wenn der Dampf [* 5] abgekühlt wird, zu einem zarten Pulver. In allen diesen Fällen bleiben aber die genannten Substanzen stofflich unverändert, das geriebene Glas verliert allmählich wieder die Elektrizität, [* 6] der magnetisierte Stahlstab ist nach wie vor Stahl, und das zarte, aus Schwefeldampf verdichtete Pulver ist unveränderter Schwefel. Alle diese Erscheinungen gehören ins Gebiet der Physik, welche sich außerdem auch mit den Gesetzen der Bewegung, mit der Härte, Festigkeit [* 7] und Ausdehnung, [* 8] dem spezifischen Gewicht und dem Leitungsvermögen der Körper für Wärme [* 9] und Elektrizität beschäftigt.
Die Erscheinungen, deren Erforschung der Chemie
zufällt, sind dagegen ganz andrer Art. Der geruchlose
Schwefel, in einem Schälchen an der Luft stark erhitzt, entzündet sich, brennt mit blauer Flamme,
[* 10] verbreitet erstickenden
Geruch und verschwindet vollständig. Ein Stück Eisen rostet an der Lust und verwandelt sich allmählich vollständig in Rost,
welcher nichts mehr von den das Metall charakterisierenden Eigenschaften erkennen läßt. Übergießt man Eisen mit
verdünnter Schwefelsäure,
[* 11] so löst es sich darin unter Entwickelung eines brennbaren Gases, und beim Verdampfen der grünen
Lösung bleibt nicht metallisches Eisen, sondern ein grünes Salz
[* 12] zurück.
Alle diese Vorgänge sind chemischer Natur, es ändert sich bei ihnen die stoffliche Natur der Körper, und die Produkte lassen auf den ersten Blick ihre Abstammung nicht erraten. Wägt man ein Stück Eisen und nach dem Rosten, Glühen oder Auflösen in Schwefelsäure den entstandenen Rost, den Hammerschlag oder das grüne Salz, so ergibt sich eine bedeutende Gewichtszunahme. Es hat sich bei diesen Vorgängen das Eisen mit einem andern Stoffe verbunden; aber die Partikelchen der entstandenen Produkte lassen auch unter der stärksten Vergrößerung niemals ungleichartige Teilchen erkennen. Im Rost hat nicht nur das Eisen, sondern auch der Körper, mit welchem sich dieses verband, alle seine Eigenschaften eingebüßt, und es ist ein vollkommen gleichartiger neuer Körper entstanden.
Mischt man Schwefel mit Eisenpulver sehr innig, so lassen sich mit Hilfe des Magnets, des Mikroskops oder des Wassers die Bestandteile dieses Gemisches sicher unterscheiden. Erhitzt man aber das Gemenge, so tritt ein Moment ein, in welchem sich Schwefel und Eisen unter glänzender Feuererscheinung chemisch miteinander verbinden, und nun sind beide Körper nicht mehr mechanisch voneinander zu trennen, es ist ein gleichartiger Körper mit ganz neuen Eigenschaften entstanden, und nur durch chemische Mittel lassen sich seine Bestandteile erforschen.
Wenn man Kalkstein mit Säure übergießt, so braust er lebhaft auf, und es entweicht ein säuerlich riechendes Gas. Erhitzt man ein gewogenes Stück Kalkstein hinreichend stark, so ergibt eine abermalige Wägung einen bedeutenden Gewichtsverlust. Der gebrannte Kalk braust nicht mehr beim Übergießen mit Säure, und wir schließen, daß beim Erhitzen jenes säuerlich riechende Gas sich von dem Kalk getrennt hat. Hier fand eine chemische Zersetzung statt, der Kalkstein lieferte ein Gas und einen neuen Körper, der sich beim Übergießen mit Wasser sehr stark erhitzt und zu Pulver zerfällt.
Dies vollkommen trockne Pulver wiegt wieder bedeutend mehr als der gebrannte Kalk, der letztere hat sich beim Löschen chemisch mit dem Wasser verbunden, und durch kein noch so scharfes Trocknen ist das chemisch gebundene Wasser auszutreiben. Dagegen entweicht es alsbald, wenn man gasförmige Kohlensäure auf den gelöschten Kalk einwirken läßt; in einem geeigneten Apparat ist es leicht sichtbar zu machen, und das Pulver, welches nun zurückbleibt, zeigt wieder die Eigenschaft des Kalksteins, beim Übergießen mit Säuren zu brausen, es ist regenerierter Kalkstein.
Die Erforschung von Vorgängen wie die geschilderten bildet die Aufgabe der Chemie.
Um sie zu lösen,
bedarf es vor allem einer genauen Kenntnis von den Bestandteilen der Körper, mit deren Wandlungen man sich beschäftigen will.
Diese Kenntnis verschafft die analytische Chemie.
Sie läßt auf Naturprodukte und künstlich dargestellte Stoffe andre Körper
einwirken, beobachtet die dabei auftretenden Erscheinungen und schließt aus diesen auf die Gegenwart
oder Abwesenheit bestimmter Bestandteile. Im Handel findet sich z. B. ein blaues Salz, welches in keiner Weise dem Blick verrät,
woraus es besteht.
Löst man es in Wasser und stellt ein Stück blanken Stahl hinein, so bedeckt sich der Stahl mit einer roten metallischen Haut, [* 13] welche immer stärker wird, es bilden sich metallische Flitterchen, und die Lösung wird fast farblos. Das blaue Salz ist zersetzt, und als ein Bestandteil desselben ist Kupfer [* 14] erkannt. Fügt man zu einer andern Probe der Lösung einige Tropfen Chlorbaryumlösung, so scheidet sich ein weißes Pulver aus, welches auf die Gegenwart von Schwefelsäure in dem blauen Salz deutet.
Weitere systematisch angestellte Proben geben Gewißheit, ob noch andre Stoffe vorhanden sind oder nicht, und nach Beendigung
der qualitativen Analyse weiß man genau, woraus das blaue Salz besteht. Wägt man das ausgeschiedene Kupfer und den weißen
Niederschlag, welchen Chlorbaryum erzeugt hat, so kann auch die quantitative Zusammensetzung des Salzes berechnet
werden. Indem die analytische Chemie
auf solche Weise die Zusammensetzung der Körper erforschte, stieß sie zuletzt auf gewisse
Substanzen, welche jeder Kunst der Zerlegung oder Zersetzung spotteten.
Diese Körper betrachtet man als chemisch einfache oder Elemente, und die quantitative Analyse hat gelehrt, daß sie sich immer nur in ganz bestimmten Verhältnissen miteinander verbinden. Die quantitative Analyse hat in 64 Gewichtsteilen schwefliger Säure 32 Teile Schwefel und 32 Teile Sauerstoff nachgewiesen. Schweflige Säure entsteht beim Verbrennen von Schwefel an der Luft. Mag die Verbrennung nun langsam oder mit höchster Intensität verlaufen, mag nur gerade die nötige Menge oder ein sehr großer Überschuß von Sauerstoff (einem Bestandteil der Luft) vorhanden sein: stets werden sich 32 Teile Schwefel mit nicht mehr und nicht weniger als 32 Teilen Sauerstoff verbinden.
Unter bestimmten Verhältnissen nimmt freilich der Schwefel noch mehr Sauerstoff auf, dann aber nicht etwa 33 oder 34 Teile,
sondern 32+16 Teile. Nun verbinden sich 16 Teile Sauerstoff auch mit 56 Teilen Eisen, und diese selbe Menge
Eisen verbindet sich mit 32 Teilen, aber auch mit 2 x 32 Teilen Schwefel. Diese auf analytischem Wege gewonnenen Resultate wurden
durch die synthetische Chemie
bestätigt, welche sich mit der Herstellung chemischer Verbindungen beschäftigt.
Es ist gelungen, sehr viele der im Mineralreich, in Pflanzen und Tieren vorkommenden Verbindungen künstlich zu erzeugen; aber
noch größer ist die Zahl solcher Verbindungen, welche erst durch das chemische Experiment bekannt geworden sind und niemals
in der Natur vorkommen, weil die Bedingungen zu ihrer Entstehung dort nicht gegeben sind. Der Chemiker
stellt diese Bedingungen künstlich her, und indem er denselben die verschiedensten Stoffe unterwirft, stellt er Fragen an die
Natur, auf welche die Antwort niemals ausbleibt. Es kommt aber alles darauf an, wie die Fragen gestellt werden, und hierin
zeigt sich die Genialität des großen
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Chemikers, welcher die Wissenschaft oft durch ein einziges Experiment mächtig fördert. Es erscheint als die nächste Ausgabe
der synthetischen Chemie
, möglichst zahlreiche Verbindungen der einzelnen Elemente zusammenzusetzen und ihre Eigenschaften zu studieren;
denn erst dann kann man von einer befriedigenden Kenntnis eines Elements sprechen, wenn man nach den verschiedensten Seiten
hin sein Verhalten gegen andre Elemente und Verbindungen erforscht hat. Die Zahl der möglichen Verbindungen ist aber eine so
überwältigend große, daß an eine Erschöpfung gar nicht gedacht werden kann.
Schon jetzt sind viele Tausende von neuen Körpern beschrieben worden, und ihre Zahl wächst täglich. Aber es ist eine große Wandlung in den Ansichten und Absichten der Chemiker eingetreten. Man verwirft heute das Streben entdeckungslustiger Laboranten, welchen es nur um Darstellung vieler bis dahin unbekannter Verbindungen zu thun ist, und man verlangt im Gegenteil vom denkenden Chemiker, daß er sein Streben auf die Beantwortung allgemeiner Fragen richte, auf die Darlegung gesetzmäßiger Beziehungen zwischen bekannten Körpern und auf die Erforschung der wahren Natur der dargestellten Verbindungen.
Die ganze heutige Chemie
basiert auf der Annahme, daß die Körper aus unteilbaren kleinsten Teilchen bestehen, aus Atomen, welche
zwar nicht isolierbar sind, deren Gewicht sich aber durch Erforschung der quantitativen Zusammensetzung der Körper bestimmen
läßt. Wenn 1 Atom Sauerstoff 16 wiegt, so wiegt 1 Atom Schwefel 32 (s. oben), und wir haben gesehen, daß schweflige Säure,
jenes Gas, welches sich beim Verbrennen des Schwefels durch seinen erstickenden Geruch bemerkbar macht, aus 1 Atom Schwefel und 2 Atomen
Sauerstoff besteht.
Eine sauerstoffreichere Schwefelverbindung, die Schwefelsäure, enthält auf 1 Atom Schwefel 3 Atome Sauerstoff. Ein Atom Eisen bildet mit 1 Atom Sauerstoff Eisenoxydul, während 2 Atome Eisen mit 3 Atomen Sauerstoff zu Eisenoxyd sich vereinigen. Dies sind sehr einfache Verhältnisse, aber es gibt auch viel kompliziertere, und es besteht z. B. das Alkaloid der Chinarinde, das Chinin, aus 20 Atomen Kohlenstoff, 24 Atomen Wasserstoff, 2 Atomen Stickstoff und 2 Atomen Sauerstoff.
Offenbar ist mit dieser Erkenntnis schon viel gewonnen, aber bei weitem noch nicht alles. Man muß auch wissen, wie jene Atome gruppiert sind. Die Notwendigkeit solcher Kenntnis zeigen recht deutlich die isomeren Körper, d. h. diejenigen, welche bei gleicher prozentischer Zusammensetzung sehr ungleiche Eigenschaften besitzen. Essigäther und Buttersäure ergeben bei der Analyse eine Zusammensetzung aus 4 Atomen Kohlenstoff, 8 Atomen Wasserstoff und 2 Atomen Sauerstoff; aber durch Geruch und Geschmack, spezifisches Gewicht, Siedepunkt und ihr Verhalten gegen andre Körper unterscheiden sie sich auf das deutlichste, und dies Rätsel kann nur gelöst werden, wenn man erforscht, in welchen nähern Beziehungen die Bestandteile der beiden Körper zu einander stehen.
Dann ergeben sich charakteristische Atomgruppen, welche die Natur der einzelnen Verbindungen bestimmen und ihr Verhalten zu
andern Körpern voraussehen lassen. Die Erforschung solcher Verhältnisse, der Konstitution oder Struktur der Verbindungen,
ist die jetzt am eifrigsten gepflegte Aufgabe der wissenschaftlichen Chemie
, und die Resultate, welche auf diesem Gebiet gewonnen
wurden, sind höchst bedeutende. Wie einst der Astronom Leverrier aus theoretischen Erwägungen die Existenz eines Planeten
[* 16] nachwies, der dann auch von Galle an dem durch Rechnung gefundenen Ort entdeckt wurde, so haben die Chemiker
in zahlreichen Fällen Verbindungen
hergestellt, deren Existenz, ja deren Eigenschaften sie im voraus berechnet hatten.
Diese höchsten Leistungen der speziellen, praktischen oder Experimentalchemie
sind nur ermöglicht worden durch eifrige
Pflege der theoretischen oder allgemeinen Chemie
, welche das Aufsuchen des Gemeinsamen, des Gesetzmäßigen in
thatsächlich festgestellten Erscheinungen, die Erkenntnis des Zusammenhanges verschiedener Erscheinungen,
die Erklärung der Erscheinungen zur Aufgabe hat. Scharf zu trennen sind aber die theoretische und die spezielle Chemie
nicht.
Spezielle chemische Thatsachen müssen als Beweise und Beispiele für die Sätze der theoretischen Chemie
angeführt und erörtert
werden; die Sätze der theoretischen Chemie
geben umgekehrt oft die Kontrolle für die Richtigkeit einzelner
Bestimmungen ab, welche zunächst für die spezielle Erkenntnis einer einzelnen Substanz ausgeführt wurden. Ebenso ist auch
die Betrachtung der physikalischen Eigenschaften von der der chemischen nicht scharf zu trennen, weder in der speziellen noch
in der theoretischen Chemie.
Die Angabe der physikalischen Eigenschaften ist fast unerläßlich, wenn überhaupt
eine Vorstellung von einem bestimmten Körper, auch nur um seine chemischen Eigenschaften zu beschreiben, gegeben werden soll.
Häufig ist ein Zusammenhang zwischen den physikalischen Eigenschaften und der chemischen Zusammensetzung nachweisbar, und
eine genaue Bestimmung der erstern kann in manchen Fällen eine Kontrolle für die richtige Ermittelung der
letztern abgeben, so daß die Kenntnis der physikalischen Eigenschaften geradezu als die der chemischen Eigenschaften bestätigend
betrachtet werden kann. Diese Beziehungen zwischen chemischen und physikalischen Eigenschaften erforscht die physikalische
Chemie.
Der auf alltägliche Beobachtung basierte große Gegensatz zwischen belebten, organisierten, und toten, unorganisierten, Körpern führte auch zu einer Einteilung der speziellen Chemie in organische und unorganische. Letztere ist die Mineralchemie, sie handelt von den Eigenschaften der die Mineralien, [* 17] die toten Körper, zusammensetzenden Stoffe, von deren Verbindungen und Zersetzungen, während die organische Chemie sich mit den Stoffen beschäftigt, aus denen Pflanzen und Tiere bestehen, welche also als Produkte des animalischen und vegetabilischen Lebens zu betrachten sind.
Kompliziertheit der chemischen Vorgänge in den Organismen entzog dieselben lange Zeit und entzieht sie zum großen Teil auch noch heute dem vollkommenen Verständnis, und dies veranlaßte die Chemiker zu der Annahme, daß die Elemente in den lebenden Organismen andern Gesetzen gehorchen als in der unbelebten Natur: man sprach von einer Lebenskraft, welche die Verbindungen und Zersetzungen modifiziere, und betrachtete den Tod als den Sieg des Chemismus über die Lebenskraft.
Die unter der Herrschaft dieser Lebenskraft entstehenden Verbindungen hielt man deshalb auch für ganz eigentümliche und nahm als selbstverständlich an, daß es niemals gelingen könne, sie außerhalb des Organismus künstlich darzustellen. Nun gelang es aber Wöhler 1828, den Harnstoff aus den Elementen zusammenzusetzen, und seitdem sind sehr zahlreiche organische Verbindungen, Pflanzen- und Tierstoffe, aus unorganischen Körpern durch Synthese gewonnen worden. Sämtliche Bestandteile der Pflanzen und Tiere bis auf das Wasser und die als Asche beim Verbrennen zurückbleibenden bestehen aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff, einige enthalten außerdem Stickstoff; aber es gibt auch Verbindungen des Kohlenstoffs, welche im Mineralreich vorkommen, und einige sehr ¶
Im Brockhaus` Konversationslexikon, 1902-1910
Chemie,
ein Teil der Naturwissenschaften, ist die Lehre [* 18] von den stofflichen Eigenschaften der Körper und der diese betreffenden Änderungen. Chemische Körper [* 19] sind physische Körper, die homogen sind, d. h. deren kleinste Teilchen unter gleichen physik. Bedingungen dieselben Eigenschaften haben. Ist in einem Körper der von ihm eingenommene Raum nicht stofflich gleichartig erfüllt, so ist er ein Gemenge so vieler chem. Körper, als verschieden geartete Teilchen in ihm enthalten sind.
Ist somit der Begriff «chem. Körper» ein engerer als der physische Körperbegriff, so ist er andererseits wieder ein weiterer, denn alle substantiell gleichartigen physischen Körper bilden nur einen einzigen chem. Körper. Wird ein Körper durch Änderung der physik. Bedingungen, z. B. durch Erwärmen, Elektrisieren u. s. w. in seinen Eigenschaften nur vorübergehend verändert, sodaß bei Wiederherstellung der frühern Umstände seine Teilchen die alten Eigenschaften wieder annehmen, so ist diese Veränderung eine physikalische gewesen.
Erhitzt man z. B. ein Stück Gold [* 20] auf 600°, so erhalten seine Teilchen die Eigenschaft, Licht [* 21] auszusenden; geht man mit der Temperaturerhöhung bis über 1000° hinauf, so schmilzt es, seine Teilchen nehmen den flüssigen Aggregatzustand an. Die Veränderung ist nur eine physikalische, der Körper bleibt der chem. Körper Gold, denn nach dem Wiederabkühlen werden die Eigenschaften der Teilchen wieder dieselben wie vor dem Erhitzen. Ebenso sind Eis, [* 22] Wasser und Wasserdampf drei verschiedene physik., aber nur ein chem. Körper.
Eine Veränderung jedoch, bei der die Eigenschaften der Teilchen auch nach Wiederherstellung der alten Bedingungen dauernd veränderte sind, die stoffliche Qualität eine andere geworden ist, ist eine chem. Änderung, der Vorgang, der zu dieser stofflichen Änderung führt, ein chemischer Prozeß (s. Chemische Prozesse). Als Wissenschaft vom chem. Prozeß ist die Chemie ein Teil der Naturlehre. Sie hat als solche die Bedingungen der chem. Änderung, damit auch der Entstehung der chem. Körper zu ergründen, die kausale Abhängigkeit der chem. Prozesse voneinander und von den mit ihnen stets in innigstem Zusammenhange stehenden physik.
Veränderungen aufzuklären, die Naturgesetze, die in ihnen zur Erscheinung kamen, aufzufinden. Diese Richtung der Chemie wird als allgemeine Chemie und, soweit sie sich mit den gesetzmäßigen Beziehungen zwischen chem. und physik. Eigenschaften der chem. Körper befaßt, als physikalische Chemie bezeichnet. Da alle chem. Vorgänge als Äußerungen der Affinität (s. d.), einer besondern Kraft, [* 23] angesehen werden, so kann man die allgemeine Chemie auch als die Lehre von den Affinitätswirkungen bezeichnen.
Eine der Aufgaben der Chemie ist auch die Beschreibung und die übersichtliche Anordnung der chem. Körper, sie ist in dieser Beziehung ein Teil der beschreibenden oder klassifizierenden Naturwissenschaften und wird dann specielle Chemie genannt und meist in die anorganische Chemie, die Lehre von den chemisch einfachen Stoffen oder Elementen (s. Chemische Elemente) und ihren sog. mineralischen Verbindungen, und die organische Chemie, die Lehre von den organischen oder Kohlenstoffverbindungen, eingeteilt.
Die specielle und die allgemeine Chemie, die sich nicht unabhängig voneinander behandeln lassen, bilden zusammen die sog. reine Chemie, die im akademischen Vortrage durch Experimente erläutert zu werden pflegt und dann als Erperimentalchemie bezeichnet wird. Ihr gegenüber stehen die Disciplinen der angewandten Chemie, bei denen es sich um die Benutzung der chem. Lehren [* 24] zu praktischen Zwecken oder zur Erklärung anderer Vorgänge handelt. Hierher gehört die analytische Chemie, d. h. die Zusammenstellung der zur chem. Analyse dienenden Methoden;
die synthetische Chemie, die Lehre vom künstlichen Aufbau chem. Verbindungen;
mineralogische und geologische Chemie, die Kenntnis der Natur und der Bildungsgesetze der Mineralien und Gesteinsarten;
Phytochemie, die Lehre von den chem. Bestandteilen der Pflanzen, Zoochemie, die Lehre von den chem. Bestandteilen des Tierkörpers;
physiologische Chemie, die Lehre von den chem. Vorgängen im gesunden, pathologische Chemie, die Lehre von den Vorgängen im kranken lebenden pflanzlichen und tierischen, namentlich aber menschlichen Organismus;
Agrikulturchemie (s.d.), die Lehre von den chem. Gesetzen des Ackerbaues, pharmaceutische Chemie, die Lehre von der Herstellung von Arzneistoffen.
Das große Gebiet der technischen Chemie enthält in ihren zahlreicken Unterabteilungen (Metallurgie, Farbenchemie, Gärungschemie u. s. w.)
^[Artikel, die man unter C vermißt, sind unter K aufzusuchen.] ¶
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die Anwendungen der Chemie auf die Gewerbe, namentlich zur fabrikmäßigen Herstellung von chem. Präparaten, die als Handelsprodukte (s. Chemische Präparate) dienen.
Geschichte der Chemie. Die Chemie als Wissenschaft ist verhältnismäßig noch jung, obgleich man chem. Erscheinungen seit dem grauen Altertum kannte und auch der Name Chemie schon früh, etwa vom 4. Jahrh. an, vorkommt. Der Ursprung desselben ist in Ägypten [* 26] zu suchen, seine ursprüngliche Bedeutung jedoch ist zweifelhaft. Das ägypt. Wort chêmi bedeutet einmal Ägypten selbst, danach könnte Chemie die speciell «ägyptische" Kunst heißen sollen, gleichzeitig aber auch «schwarz», sodaß Chemie die «schwarze Kunst» ist, vielleicht von der Beschäftigung mit einem schwarzen, für alchimist. Zwecke dienenden Präparat.
Erste Veranlassung zu chem. Untersuchungen gab zweifellos das Bestreben, unedle Metalle in Gold zu verwandeln, das wiederum auf der Beobachtung beruhte, daß man namentlich dem Kupfer die Farbe des Silbers und Goldes durch Zusammenschmelzen mit andere Metalle enthaltenden Mineralien zu geben vermag. So hielt man zeitweise das weiße Arsenkupfer für Silber, die Legierungen mit Zinn und Zink für Gold, und bestrebte sich später, als man erkannte, daß diese Produkte sich noch von den wirklichen Edelmetallen unterschieden, Mittel (den Stein der Weisen) zu finden, um die vermeintlich teilweise Umwandlung zu einer vollständigen zu machen. Vom 4. bis zur ersten Hälfte des 16. Jahrh. kannte die Chemie nur diese Aufgabe. Diese Richtung wird Alchimie (s. d.) genannt. Sie ist erst im 19. Jahrh. verschwunden.
Im 16. Jahrh. beginnt die zweite Periode der Entwicklung der Chemie in der sog. Iatrochemie (s. d.). Sie ist in den Händen von Ärzten, welche die Vorgänge im gesunden und kranken Organismus auf chem. Verhältnisse, stets in Anlehnung an alchimist. Vorstellungen, zurückzuführen und durch solche zu erklären suchen. Die Therapie hat für sie den Zweck, die in der Krankheit gestörten normalen chem. Mischungsverhältnisse wiederherzustellen, und bedient sich dazu chem. Präparate als Heilmittel, deren Bereitung Aufgabe der Chemie ist.
Erst von Robert Boyle (1661) an beginnt die Chemie sich zur selbständigen experimentellen Naturwissenschaft, deren Zweck zunächst einzig Naturerkenntnis ist, zu entwickeln. Da ihre Untersuchungsmethoden zunächst rein qualitative waren, so gelangte sie betreffs der Zusammensetzungsverhältnisse der chem. Körper und der Natur großer Gruppen von chem. Prozessen zu Vorstellungen, die vor den in der zweiten Hälfte des 18. Jahrh. aufkommenden Studien über die Mengen der sich vereinigenden Bestandteile chem. Verbindungen vollständig zusammenbrachen. Charakteristisch für jene Zeit und die chem. Theorie beherrschend ist die Erklärung des Wesens der Verbrennungserscheinungen durch die Annahme des hypothetischen Stoffes Phlogiston, sodaß die bis gegen Ende des 18. Jahrh. dauernde Epoche die der phlogistischen Chemie (s. d.) genannt wird.
Unmittelbar auf die Entdeckung des Sauerstoffs folgte die auf quantitative Versuche gestützte richtige Erklärung der Verbrennungsvorgänge durch Lavoisier (1775), und hiermit beginnt die letzte und neueste Entwicklungsstufe der Chemie, die man daher zunächst als Antiphlogistische Chemie (s. d.) bezeichnete. Sie führte bald zur Entdeckung der wichtigsten stöchiometrischen Gesetze (s. Stöchiometrie), zur Aufstellung der naturwissenschaftlichen Atomtheorie durch Dalton, ihrer experimentellen Durcharbeitung durch Berzelius u. s. w. Früher als Scheidekunde bezeichnet, da die Erkennung und Trennung der Bestandteile der chem. Körper ihr Hauptzweck, sie also vorwiegend analytisch war, hat sie sich bald und in wunderbarem Aufschwung den synthetischen Aufbau chem. Verbindungen zu einer ihrer Hauptaufgaben gesetzt.
Während in der ersten Hälfte unsers Jahrhunderts die sog. unorganische Chemie als das wichtigste Arbeitsgebiet erscheint, hat später, namentlich seit etwa 1860, die organische Chemie die führende Rolle übernommen. In diesem synthetischen Zeitalter, in dem sich auch die technische Chemie vielfach entwickelt hat, befindet sie sich noch und häuft theoretisch und praktisch Erfolge auf Erfolge. In neuester Zeit entwickelt sich neben ihr die physikalische Chemie in ungeahnter Weise.
Die chem. Litteratur ist ungemein umfangreich. Besonders zu nennen sind die im folgenden angegebenen Werke. Gesamte Chemie: Graham-Otto, Ausführliches Lehrbuch der Chemie (5 Bde., Braunschw. 1868 fg.);
Regnault-Strecker, Kurzes Lehrbuch der Chemie (von Wislicenus, 2 Bde., ebd.; 1. Bd., 9. Aufl. 1877-81: 2.Bd., 6. Aufl. 1876): Roscoe und Schorlemmer, Ausführliches Lehrbuch der Chemie (5 Bde., ebd. 1879-91): dies., Kurzes Lehrbuch der Chemie (9. Aufl., ebd. 1890).
Handwörterbücher: Neues Handwörterbuch der Chemie (hg. von von Fehling, nach dessen Tode von Hell; gegenwärtig im 6. Bde., ebd. 1871-93);
Handwörterbuch der Chemie, hg. von Ladenburg (Bd. 1-11, Breslau [* 27] 1883-93). - Allgemeine Chemie: von Hofmann, Einleitung in die moderne Chemie (6. Aufl., Braunschw. 1877);
Naumann, Allgemeine und Physik. Chemie (als 1. Bd. der 6. Aufl. von Gmelin-Krants Handbuch der anorganischen Chemie, Heidelb. 1877);
Meyer, Die modernen Theorien der Chemie (5. Aufl., Breslau 1884);
Horstmann, Theoretische Chemie (als I. Abteil. des 1. Bds. von Graham-Ottos Ausführlichem Lehrbuch der Chemie, Braunschw. 1885);
Ostwald, Lehrbuch der Allgemeinen Chemie (2. Aufl., 1. Bd.: Stöchiometrie, Lpz. 1891; 2. Bd., 1. Tl.: Chemische Energie, ebd. 1893);
ders., Grundriß der Allgemeinen Chemie (ebd. 1889);
Mendelejeff, Grundlagen der (aus dem Russischen, Petersb. 1892). - Anorganische Chemie: Gmelin-Krant, Handbuch der anorganischen Chemie (3 Bde., 6. Aufl., Heidelb. 1877; bis 1893 noch nicht vollendet);
Ira Remsen, Anorganische Chemie (Tüb. 1890);
Dammer, Handbuch der anorganischen Chemie (3 Bde.; erschienen Bd. 1 u. 3, Stuttg. 1892-93). - Organische Chemie: Schorlemmer, Lehrbuch der Kohlenstoff-Verbindungen (3. Aufl., Braunschw. 1885 fg.);
Fittig, Wöhlers Grundriß der organischen Chemie (11. Aufl., Lpz. 1886);
Beilstein, Handbuch der organischen Chemie (2. Aufl., 3 Bde., Hamb. 1886-90; 3. Aufl., Hamb. und Lpz. 1892 fg.);
von Richter, Chemie der Kohlenstoffverbindungen oder organische Chemie (6. Aufl., Bonn [* 28] 1891);
Bernthsen, Kurzes Lehrbuch der organischen Chemie (3. Aufl., Braunschw. 1891);
Elbs, Die synthetischen Darstellungsmethoden der Kohlenstoffverbindungen (2 Bde., Lpz. 1891);
Meyer und Jacobson, Lehrbuch der organischen Chemie (in 2 Bdn., ebd. 1891 fg.). - Analytische Chemie: Fresenius, Anleitung zur quantitativen chem. Analyse (6. Aufl., 2 Bde., Braunschw. 1873 - 87);
Bunsen, Gasometrische Methoden (2. Aufl., ebd. 1877);
Hoppe-Seyler, Handbuch der physiol.- und pathol.-chem. Analyse (5. Aufl., Berl. 1883);
Fresenius, Anleitung zur qualitativen chem. Analyse (15. Aufl.,
^[Artikel, die man unter C vermißt, sind unter K aufzusuchen.] ¶
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2 Bde., Braunschw. 1886);
Mohr, Lehrbuch der chem.-analytischen Titriermethode (6. Aufl., bearbeitet von Classen, ebd. 1886);
Post, Chem.-technische Analyse (2. Aufl., 2 Bde., ebd. 1888-91);
Hempel, Gasanalytische Methoden (2. Aufl., ebd. 1890);
Classen, Handbuch der analytischen Chemie (4. Aufl., 2 Bde., Stuttg. 1889-91);
Roscoe, Spektralanalyse [* 30] (3. Aufl., Braunschw. 1890);
Winkler, Lehrbuch der technischen Gasanalyse (2. Aufl., Freiberg [* 31] 1892). - Technische Chemie: Volley, Handbuch der chem. Technologie (8 Bde., Braunschw. 1862-89; nebst «Neuer Folge», 5 Hefte, ebd. 1880-82);
Muspratt, Theoretische, praktische und analytische Chemie in Anwendung auf Künste und Gewerbe.
Encyklopäd. Handbuch der technischen Chemie von F. Stohmann und B. Kerl (4. Aufl., in 8 Bdn.; Bd. 1-4, ebd. 1886-93); von Wagner, Handbuch der chem. Technologie (von Dr. Ferd. Fischer, 13. Aufl., Lpz. 1889); Ost, Lehrbuch der technischen Chemie (Berl. 1890). Einzelbände für die verschiedenen Zweige der chem. Industrie enthält Hartlebens Chem.-technische Bibliothek (Wien). [* 32] - Pharmaceutische Chemie: Schmidt, Ausführliches Lehrbuch der pharmaceutischen Chemie (2. Aufl., 2 Bde., Braunschw. 1887 - 90). - Geschichte der Chemie: Kopp, Geschichte der Chemie (4 Bde., Braunschw. 1843-47);
ders., Die Alchemie (2 Bde., Heidelb. 1886);
von Meyer, Geschichte der Chemie (Lpz. 1889);
Jagnaur, Histoire de la chimie (2 Bde., Par. 1892). - Gerichtliche Chemie: Baumert, Lehrbuch der gerichtlichen Chemie (Braunschw. 1893). - Zeitschriften: die Schriften der größern chem. Gesellschaften, vor allem die «Berichte» der Deutschen Chemischen Gesellschaft zu Berlin, [* 33] das «Journal of the Chemical Society of London» [* 34] und das «Bulletin de la Sociéte chimique de Paris»; [* 35]
ferner Liebigs «Annalen der Chemie» (Lpz.),
die «Annales de physique et de chimie», das «Journal für praktische Chemie» (Lpz.),
«Monatshefte für Chemie» (Wien),
die «Gazetta chimica», das «American Journal of Chemistry», «Chem. Centralblatt» (Hamb.),
«Chemikerzeitung» (Cöthen), [* 36]
«Deutsche [* 37] Chemikerzeitung» (Berl.),
«Repertorium der analytischen Chemie» (Hamb.),
«Zeitschrift für analytische Chemie» (Wiesb.),
«Zeitschrift für physiologische Chemie» (Straßb.),
«Chem.-technische Zeitung» (Lpz.),
«Die chem. Industrie» (ebd.) u. a. Zusammenfassende Berichte giebt regelmäßig der von Liebig begründete «Jahresbericht über die Fortschritte der Chemie» (Gieß.).