Chemie
,
ein Teil der Naturwissenschaften, ist die Lehre [* 2] von den stofflichen Eigenschaften der Körper und der diese betreffenden Änderungen. Chemische Körper [* 3] sind physische Körper, die homogen sind, d. h. deren kleinste Teilchen unter gleichen physik. Bedingungen dieselben Eigenschaften haben. Ist in einem Körper der von ihm eingenommene Raum nicht stofflich gleichartig erfüllt, so ist er ein Gemenge so vieler chem. Körper, als verschieden geartete Teilchen in ihm enthalten sind.
Ist somit der Begriff «chem. Körper» ein engerer als der physische Körperbegriff, so ist er andererseits wieder ein weiterer, denn alle substantiell gleichartigen physischen Körper bilden nur einen einzigen chem. Körper. Wird ein Körper durch Änderung der physik. Bedingungen, z. B. durch Erwärmen, Elektrisieren u. s. w. in seinen Eigenschaften nur vorübergehend verändert, sodaß bei Wiederherstellung der frühern Umstände seine Teilchen die alten Eigenschaften wieder annehmen, so ist diese Veränderung eine physikalische gewesen.
Erhitzt man z. B. ein Stück Gold [* 4] auf 600°, so erhalten seine Teilchen die Eigenschaft, Licht [* 5] auszusenden; geht man mit der Temperaturerhöhung bis über 1000° hinauf, so schmilzt es, seine Teilchen nehmen den flüssigen Aggregatzustand an. Die Veränderung ist nur eine physikalische, der Körper bleibt der chem. Körper Gold, denn nach dem Wiederabkühlen werden die Eigenschaften der Teilchen wieder dieselben wie vor dem Erhitzen. Ebenso sind Eis, [* 6] Wasser und Wasserdampf drei verschiedene physik., aber nur ein chem. Körper.
Eine
Veränderung jedoch, bei der die Eigenschaften der Teilchen auch nach Wiederherstellung der alten
Bedingungen dauernd
veränderte sind, die stoffliche Qualität eine andere geworden ist, ist eine chem.
Änderung, der Vorgang, der zu dieser stofflichen Änderung führt, ein chemischer Prozeß (s.
Chemische Prozesse). Als Wissenschaft
vom chem. Prozeß ist die Chemie
ein
Teil der Naturlehre. Sie hat als solche die
Bedingungen der chem. Änderung, damit auch der
Entstehung der chem. Körper zu ergründen, die kausale Abhängigkeit der
chem. Prozesse voneinander und von den mit ihnen stets in innigstem Zusammenhange stehenden physik.
Veränderungen aufzuklären, die Naturgesetze, die in ihnen zur Erscheinung kamen, aufzufinden. Diese
Richtung der Chemie
wird
als allgemeine Chemie
und, soweit sie sich mit den gesetzmäßigen
Beziehungen zwischen chem. und physik. Eigenschaften der
chem. Körper befaßt, als physikalische Chemie
bezeichnet. Da alle chem.
Vorgänge als Äußerungen der
Affinität (s. d.), einer besondern Kraft,
[* 7] angesehen werden, so kann man
die allgemeine Chemie
auch als die
Lehre von den Affinitätswirkungen bezeichnen.
Eine der
Aufgaben der Chemie
ist auch die
Beschreibung und die übersichtliche
Anordnung der chem. Körper,
sie ist in dieser
Beziehung ein
Teil der beschreibenden oder klassifizierenden Naturwissenschaften und wird dann specielle
Chemie
genannt und meist in die anorganische Chemie, die
Lehre von den chemisch einfachen
Stoffen oder Elementen (s.
Chemische Elemente)
und ihren sog. mineralischen
Verbindungen, und die organische Chemie
, die
Lehre von den organischen oder Kohlenstoffverbindungen,
eingeteilt.
Die specielle und die allgemeine Chemie
, die sich nicht unabhängig voneinander behandeln lassen, bilden zusammen
die sog. reine Chemie
, die im akademischen Vortrage durch Experimente erläutert zu werden
pflegt und dann als Erperimentalchemie
bezeichnet wird. Ihr gegenüber stehen die Disciplinen der angewandten Chemie, bei
denen es sich um die Benutzung der chem.
Lehren
[* 8] zu praktischen Zwecken oder zur Erklärung anderer Vorgänge
handelt. Hierher gehört die analytische Chemie
, d. h. die Zusammenstellung der zur
chem.
Analyse dienenden Methoden;
die synthetische Chemie
, die
Lehre vom künstlichen
Aufbau chem.
Verbindungen;
mineralogische und
geologische Chemie
, die Kenntnis der Natur und der Bildungsgesetze der
Mineralien
[* 9] und Gesteinsarten;
Phytochemie
,
die
Lehre von den chem.
Bestandteilen der
Pflanzen, Zoochemie
, die
Lehre von den chem.
Bestandteilen des Tierkörpers;
physiologische
Chemie
, die
Lehre von den chem. Vorgängen im gesunden, pathologische Chemie, die
Lehre von den Vorgängen im kranken lebenden pflanzlichen
und tierischen, namentlich aber menschlichen Organismus;
Agrikulturchemie (s.d.), die Lehre von den chem. Gesetzen des Ackerbaues, pharmaceutische Chemie, die Lehre von der Herstellung von Arzneistoffen.
Das große Gebiet der technischen Chemie enthält in ihren zahlreicken Unterabteilungen (Metallurgie, Farbenchemie, Gärungschemie u. s. w.)
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die Anwendungen der Chemie auf die Gewerbe, namentlich zur fabrikmäßigen Herstellung von chem. Präparaten, die als Handelsprodukte (s. Chemische Präparate) dienen.
Geschichte der Chemie. Die Chemie als Wissenschaft ist verhältnismäßig noch jung, obgleich man chem. Erscheinungen seit dem grauen Altertum kannte und auch der Name Chemie schon früh, etwa vom 4. Jahrh. an, vorkommt. Der Ursprung desselben ist in Ägypten [* 11] zu suchen, seine ursprüngliche Bedeutung jedoch ist zweifelhaft. Das ägypt. Wort chêmi bedeutet einmal Ägypten selbst, danach könnte Chemie die speciell «ägyptische" Kunst heißen sollen, gleichzeitig aber auch «schwarz», sodaß Chemie die «schwarze Kunst» ist, vielleicht von der Beschäftigung mit einem schwarzen, für alchimist. Zwecke dienenden Präparat.
Erste Veranlassung zu chem. Untersuchungen gab zweifellos das Bestreben, unedle Metalle in Gold zu verwandeln, das wiederum auf der Beobachtung beruhte, daß man namentlich dem Kupfer [* 12] die Farbe des Silbers und Goldes durch Zusammenschmelzen mit andere Metalle enthaltenden Mineralien zu geben vermag. So hielt man zeitweise das weiße Arsenkupfer für Silber, die Legierungen mit Zinn und Zink für Gold, und bestrebte sich später, als man erkannte, daß diese Produkte sich noch von den wirklichen Edelmetallen unterschieden, Mittel (den Stein der Weisen) zu finden, um die vermeintlich teilweise Umwandlung zu einer vollständigen zu machen. Vom 4. bis zur ersten Hälfte des 16. Jahrh. kannte die Chemie nur diese Aufgabe. Diese Richtung wird Alchimie (s. d.) genannt. Sie ist erst im 19. Jahrh. verschwunden.
Im 16. Jahrh. beginnt die zweite Periode der Entwicklung der Chemie in der sog. Iatrochemie (s. d.). Sie ist in den Händen von Ärzten, welche die Vorgänge im gesunden und kranken Organismus auf chem. Verhältnisse, stets in Anlehnung an alchimist. Vorstellungen, zurückzuführen und durch solche zu erklären suchen. Die Therapie hat für sie den Zweck, die in der Krankheit gestörten normalen chem. Mischungsverhältnisse wiederherzustellen, und bedient sich dazu chem. Präparate als Heilmittel, deren Bereitung Aufgabe der Chemie ist.
Erst von Robert Boyle (1661) an beginnt die Chemie sich zur selbständigen experimentellen Naturwissenschaft, deren Zweck zunächst einzig Naturerkenntnis ist, zu entwickeln. Da ihre Untersuchungsmethoden zunächst rein qualitative waren, so gelangte sie betreffs der Zusammensetzungsverhältnisse der chem. Körper und der Natur großer Gruppen von chem. Prozessen zu Vorstellungen, die vor den in der zweiten Hälfte des 18. Jahrh. aufkommenden Studien über die Mengen der sich vereinigenden Bestandteile chem. Verbindungen vollständig zusammenbrachen. Charakteristisch für jene Zeit und die chem. Theorie beherrschend ist die Erklärung des Wesens der Verbrennungserscheinungen durch die Annahme des hypothetischen Stoffes Phlogiston, sodaß die bis gegen Ende des 18. Jahrh. dauernde Epoche die der phlogistischen Chemie (s. d.) genannt wird.
Unmittelbar auf die Entdeckung des Sauerstoffs folgte die auf quantitative Versuche gestützte richtige Erklärung der Verbrennungsvorgänge durch Lavoisier (1775), und hiermit beginnt die letzte und neueste Entwicklungsstufe der Chemie, die man daher zunächst als Antiphlogistische Chemie (s. d.) bezeichnete. Sie führte bald zur Entdeckung der wichtigsten stöchiometrischen Gesetze (s. Stöchiometrie), zur Aufstellung der naturwissenschaftlichen Atomtheorie durch Dalton, ihrer experimentellen Durcharbeitung durch Berzelius u. s. w. Früher als Scheidekunde bezeichnet, da die Erkennung und Trennung der Bestandteile der chem. Körper ihr Hauptzweck, sie also vorwiegend analytisch war, hat sie sich bald und in wunderbarem Aufschwung den synthetischen Aufbau chem. Verbindungen zu einer ihrer Hauptaufgaben gesetzt.
Während in der ersten Hälfte unsers Jahrhunderts die sog. unorganische Chemie als das wichtigste Arbeitsgebiet erscheint, hat später, namentlich seit etwa 1860, die organische Chemie die führende Rolle übernommen. In diesem synthetischen Zeitalter, in dem sich auch die technische Chemie vielfach entwickelt hat, befindet sie sich noch und häuft theoretisch und praktisch Erfolge auf Erfolge. In neuester Zeit entwickelt sich neben ihr die physikalische Chemie in ungeahnter Weise.
Die chem. Litteratur ist ungemein umfangreich. Besonders zu nennen sind die im folgenden angegebenen Werke. Gesamte Chemie: Graham-Otto, Ausführliches Lehrbuch der Chemie (5 Bde., Braunschw. 1868 fg.);
Regnault-Strecker, Kurzes Lehrbuch der Chemie (von Wislicenus, 2 Bde., ebd.; 1. Bd., 9. Aufl. 1877-81: 2.Bd., 6. Aufl. 1876): Roscoe und Schorlemmer, Ausführliches Lehrbuch der Chemie (5 Bde., ebd. 1879-91): dies., Kurzes Lehrbuch der Chemie (9. Aufl., ebd. 1890).
Handwörterbücher: Neues Handwörterbuch der Chemie (hg. von von Fehling, nach dessen Tode von Hell; gegenwärtig im 6. Bde., ebd. 1871-93);
Handwörterbuch der Chemie, hg. von Ladenburg (Bd. 1-11, Breslau [* 13] 1883-93). - Allgemeine Chemie: von Hofmann, Einleitung in die moderne Chemie (6. Aufl., Braunschw. 1877);
Naumann, Allgemeine und Physik. Chemie (als 1. Bd. der 6. Aufl. von Gmelin-Krants Handbuch der anorganischen Chemie, Heidelb. 1877);
Meyer, Die modernen Theorien der Chemie (5. Aufl., Breslau 1884);
Horstmann, Theoretische Chemie (als I. Abteil. des 1. Bds. von Graham-Ottos Ausführlichem Lehrbuch der Chemie, Braunschw. 1885);
Ostwald, Lehrbuch der Allgemeinen Chemie (2. Aufl., 1. Bd.: Stöchiometrie, Lpz. 1891; 2. Bd., 1. Tl.: Chemische Energie, ebd. 1893);
ders., Grundriß der Allgemeinen Chemie (ebd. 1889);
Mendelejeff, Grundlagen der (aus dem Russischen, Petersb. 1892). - Anorganische Chemie: Gmelin-Krant, Handbuch der anorganischen Chemie (3 Bde., 6. Aufl., Heidelb. 1877; bis 1893 noch nicht vollendet);
Ira Remsen, Anorganische Chemie (Tüb. 1890);
Dammer, Handbuch der anorganischen Chemie (3 Bde.; erschienen Bd. 1 u. 3, Stuttg. 1892-93). - Organische Chemie: Schorlemmer, Lehrbuch der Kohlenstoff-Verbindungen (3. Aufl., Braunschw. 1885 fg.);
Fittig, Wöhlers Grundriß der organischen Chemie (11. Aufl., Lpz. 1886);
Beilstein, Handbuch der organischen Chemie (2. Aufl., 3 Bde., Hamb. 1886-90; 3. Aufl., Hamb. und Lpz. 1892 fg.);
von Richter, Chemie der Kohlenstoffverbindungen oder organische Chemie (6. Aufl., Bonn [* 14] 1891);
Bernthsen, Kurzes Lehrbuch der organischen Chemie (3. Aufl., Braunschw. 1891);
Elbs, Die synthetischen Darstellungsmethoden der Kohlenstoffverbindungen (2 Bde., Lpz. 1891);
Meyer und Jacobson, Lehrbuch der organischen Chemie (in 2 Bdn., ebd. 1891 fg.). - Analytische Chemie: Fresenius, Anleitung zur quantitativen chem. Analyse (6. Aufl., 2 Bde., Braunschw. 1873 - 87);
Bunsen, Gasometrische Methoden (2. Aufl., ebd. 1877);
Hoppe-Seyler, Handbuch der physiol.- und pathol.-chem. Analyse (5. Aufl., Berl. 1883);
Fresenius, Anleitung zur qualitativen chem. Analyse (15. Aufl.,
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2 Bde., Braunschw. 1886);
Mohr, Lehrbuch der chem.-analytischen Titriermethode (6. Aufl., bearbeitet von Classen, ebd. 1886);
Post, Chem.-technische Analyse (2. Aufl., 2 Bde., ebd. 1888-91);
Hempel, Gasanalytische Methoden (2. Aufl., ebd. 1890);
Classen, Handbuch der analytischen Chemie (4. Aufl., 2 Bde., Stuttg. 1889-91);
Roscoe, Spektralanalyse [* 16] (3. Aufl., Braunschw. 1890);
Winkler, Lehrbuch der technischen Gasanalyse (2. Aufl., Freiberg [* 17] 1892). - Technische Chemie: Volley, Handbuch der chem. Technologie (8 Bde., Braunschw. 1862-89; nebst «Neuer Folge», 5 Hefte, ebd. 1880-82);
Muspratt, Theoretische, praktische und analytische Chemie in Anwendung auf Künste und Gewerbe.
Encyklopäd. Handbuch der technischen Chemie von F. Stohmann und B. Kerl (4. Aufl., in 8 Bdn.; Bd. 1-4, ebd. 1886-93); von Wagner, Handbuch der chem. Technologie (von Dr. Ferd. Fischer, 13. Aufl., Lpz. 1889); Ost, Lehrbuch der technischen Chemie (Berl. 1890). Einzelbände für die verschiedenen Zweige der chem. Industrie enthält Hartlebens Chem.-technische Bibliothek (Wien). [* 18] - Pharmaceutische Chemie: Schmidt, Ausführliches Lehrbuch der pharmaceutischen Chemie (2. Aufl., 2 Bde., Braunschw. 1887 - 90). - Geschichte der Chemie: Kopp, Geschichte der Chemie (4 Bde., Braunschw. 1843-47);
ders., Die Alchemie (2 Bde., Heidelb. 1886);
von Meyer, Geschichte der Chemie (Lpz. 1889);
Jagnaur, Histoire de la chimie (2 Bde., Par. 1892). - Gerichtliche Chemie: Baumert, Lehrbuch der gerichtlichen Chemie (Braunschw. 1893). - Zeitschriften: die Schriften der größern chem. Gesellschaften, vor allem die «Berichte» der Deutschen Chemischen Gesellschaft zu Berlin, [* 19] das «Journal of the Chemical Society of London» [* 20] und das «Bulletin de la Sociéte chimique de Paris»; [* 21]
ferner Liebigs «Annalen der Chemie» (Lpz.),
die «Annales de physique et de chimie», das «Journal für praktische Chemie» (Lpz.),
«Monatshefte für Chemie» (Wien),
die «Gazetta chimica», das «American Journal of Chemistry», «Chem. [* 22] Centralblatt» (Hamb.),
«Chemikerzeitung» (Cöthen), [* 23]
«Deutsche [* 24] Chemikerzeitung» (Berl.),
«Repertorium der analytischen Chemie» (Hamb.),
«Zeitschrift für analytische Chemie» (Wiesb.),
«Zeitschrift für physiologische Chemie» (Straßb.),
«Chem.-technische Zeitung» (Lpz.),
«Die chem. Industrie» (ebd.) u. a. Zusammenfassende Berichte giebt regelmäßig der von Liebig begründete «Jahresbericht über die Fortschritte der Chemie» (Gieß.).