Chaldäa
,
Landschaft in Vorderasien, südöstlich von Babylon, am untern Euphrat und bis an den Rand der Arabischen Wüste reichend, bewohnt von dem Volk der Chaldäer (assyr. Kaldi, bei den hebräischen Propheten Kasdîm genannt), welches seinen erhaltenen Schriftdenkmälern nach zu den Semiten gehörte. Ihr Name erscheint in den Inschriften etwa seit 900 v. Chr. unter den Titeln der assyrischen Könige, und noch später wird das ganze babylonische Reich als »Land der Kasdîm« bezeichnet; doch ist der Name weit älter und mag ursprünglich vielleicht einen einzelnen Stamm der vorsemitischen Akkadier bezeichnet haben.
Mißbräuchlich werden dann schon im Buch Daniel und später bei den Griechen und Römern eine einzelne Klasse oder die gesamten babylonischen Gelehrten als Chaldäer bezeichnet, weil das Land am untern Euphrat Sitz und Ursprung der orientalischen Astronomie [* 2] und Astrologie [* 3] gewesen ist. Jahrhundertelang müssen die Chaldäer Beobachtungen angestellt haben, um die Periode Saros zu finden, welche gewöhnlich die Chaldäische Periode (in neuern Zeiten auch die Halleysche Periode) genannt wird und nach Suidas chaldäischen Ursprungs ist.
Dieselbe umfaßt einen Zeitraum von 6585 ⅓
Tagen oder von 18 julianischen
Jahren und 11
Tagen (zu 365¼
Tagen), in denen der
Mond
[* 4] 223 synodische
Umläufe zurücklegt, und diente zur
Zeitrechnung und zur Bestimmung der
Sonnen- und
Mondfinsternisse, welche nach Verlauf dieser Zeit in derselben
Ordnung und
Größe wiederkehren. Nach dem arabischen Astronomen
Albategnius bestimmten die Chaldäer die
Länge des
Sternjahrs zu 365
Tagen 6
Stunden 11
Minuten, woraus hervorgehen würde, daß
sie bereits die Vorrückung der
Nachtgleichen kannten, was aber in neuester Zeit aus gewichtige
Gründe
hin in Abrede gestellt wird. Ein chaldäischer Astrologe, Osthanes, der im
Gefolge des
Xerxes war, soll die
Astrologie nach
Griechenland
[* 5] gebracht haben, wo sie bereits um 400
v. Chr. sehr beliebt war. - Die alte Hauptstadt des
Landes war
Ur (einheimisch
Uru, »Stadt«); ihr gegenüber nördlich vom
Euphrat lag
Uruku (jetzt
Warka), weiter landeinwärts Nipur
(jetzt Niffer). Chaldäa
war in alten
Zeiten sehr reich bebaut, was daraus hervorgeht, daß der assyrische König Sarjukin dort 704
v. Chr.
nicht weniger als 89 feste
Städte und 820 kleinere Ortschaften eroberte, und zahllose noch jetzt deutlich erkennbare, aber
längst ausgetrocknete
Kanäle, teils zur
Schiffahrt, teils zur
Bewässerung dienend, durchschnitten das
Land zwischen
Euphrat und
Tigris und auf dem rechten, südlichen
Ufer des erstern
Stroms.
Später teilte Chaldäa
die
Geschicke
Babyloniens (s. d.).
In den drei ersten christlichen
Jahrhunderten stand Chaldäa
unter den Partherkönigen
und genoß unter ihrer Herrschaft großer
Ruhe.
Bald darauf bemächtigte sich indes für 41 Jahre der persische
König
Sapores II. des
Landes. Chaldäa
fing kaum wieder an aufzublühen, als die Glaubenskämpfe der drei christlichen
Parteien:
der Orthodoxen,
Nestorianer und Eutychianer
(Jakobiten), im 5.-6. Jahrh. neue Verwirrung brachten.
Die letztern blieben die zahlreichern und breiteten sich über ganz Asien [* 6] aus. Die Osmanen waren den Chaldäern anfangs günstig gesinnt und bedienten sich ihrer als Statthalter, Geheimschreiber und Ärzte; bald aber teilten diese das Los der andern Christen unter türkischer Herrschaft, nur behielten sie ihre Patriarchen und Oberhäupter. Gegenwärtig versteht man unter dem Namen Chaldäer (Kaldani) oder chaldäische Geister eine Religionspartei in Vorderasien, welche aus den Nachkommen derjenigen Nestorianer (s. d.) besteht, die sich mit der römisch-katholischen Kirche vereinigt, aber wie die übrigen unierten orientalischen Kirchen viele ihrer orientalischen Gebräuche beibehalten haben.