Centovalli
(Val) (Kt. Tessin.
Bez. Locarno).
Thal der
Melezza, die bei
Intragna, etwa 7 km w.
Locarno, den
Onsernone aufnimmt und sich 4 km
weiter unten in 220 m mit der
Maggia vereinigt. Das Centovalli
ist jedoch nur der untere, schweizerische
Teil dieses Flussthals, von
Intragna aufwärts bis zur Einmündung der von NW. kommenden
Ribellasca gleich hinter
Camedo, dem
letzten tessinischen Dorf. Es umfasst nur etwa ⅓ der gesamten Länge des Melezzathals, da der Fluss beträchtlich weiter
w. aus mehreren
Bächen entsteht, die von den
Bergen nw. von dem italienischen Städtchen
Santa Maria
Maggiore
kommen. Hier hat aber das Thal keinen Abschluss, kein Hintergehänge; es geht vielmehr durch eine ganz flache Thalwasserscheide
über in das entgegengesetzt, nach W., fallende und bei Domo d'Ossola mündende Thal, dessen Bach ebenfalls
Melezza heisst.
Das ganze durchgehende Thal von der Schweizer Grenze bis Domo d'Ossola heisst
Val Vigezzo. Es ist dies
eine Thalform, wie sie in den Ostalpen öfter vorkommt, in der
Schweiz dagegen seltener und meist weniger deutlich zu finden
ist. Centovalli
nun ist der ö. untere Teil des Melezzathals und nach W. begrenzt durch
die bereits genannte
Ribellasca,
durch ein kurzes Stück der
Melezza selber und durch den von SO. kommenden Riale dei Confini, d. h. eben den Grenzbach (Confine
= Grenze). Es ist bis
Intragna 8-9 km lang.
Die einschliessenden Berge sind so weit im S. nur noch von mässiger Höhe. In der n. Kette reichen sie etwa von 1000-2000 m, in der s. von 1000 bis gegen 2200 m. Dort hat der Pizzo di Ruscada 2008 m, hier der Ghiridone 2189 m. Dies sind auch die einzigen Felshörner dieser Ketten. Von da nach O., resp. NNO., nehmen die Höhen sehr rasch ab, und die Bergrücken tragen bis oben Wälder und Weiden. Das Thal dazwischen ist ziemlich eng, schluchtartig eingeschnitten, namentlich weist es nirgends breitere Thalebenen auf. Es hat ein mittleres Gefälle von etwa 4%. Die wenigen und durchweg kleinen Dörfer liegen oft sehr malerisch an den zum Teil recht steilen, aber da und dort terrassierten Gehängen beider Seiten.
Sehr zahlreich sind dagegen die überall zerstreuten und bis weit hinauf gehenden kleinen
Weiler und Häusergruppen. Die gesamte
Bevölkerung beträgt 1915
Seelen, wovon auf das höchst romantisch auf dem terrassierten Bergvorsprung zwischen Val Centovalli
und
Val Onsernone gelegene Städtchen
Intragna allein 1184 kommen. Alle die zahlreichen kleinen Oertchen
weiter hinten bilden nur 3 Gemeinden:
Borgnone mit 395,
Palagnedra mit 273 u.
Rasa mit 63 Ew. Da aber das ganze Centovalli
bis
auf die
Kämme hinauf nur etwa 50 km2 umfasst, so sind es doch etwa 40 Ew. auf dem km2 oder, wenn man nur den eigentlich
bewohnten Teil desselben bis auf etwa 1000 m
Höhe in Anschlag bringt, etwa 80 per km2. Dieselben ernähren
sich hauptsächlich von Viehzucht und Landwirtschaft, welch letztere hier bei der s. Lage recht ergibig ist. Der Weinbau
geht auf den untern Stufen der linken
Seite bis an die Schweizer Grenze hinauf, also bis
Borgnone (713
m) und
Camedo (616 m), während die rechte
Seite fast
¶
mehr
gar keinen Weinbau hat. Die Wälder bestehen auf beiden Seiten bis weit hinauf aus Kastanienbäumen. Diesem Wein- und Kastanienklima
entsprechen natürlich auch die Kornfelder, Gemüsegärten und Fruchtbäume, wie man sie auch sonst in ähnlichen Lagen des
Tessins zu finden gewohnt ist. Anderweitiger Erwerb findet sich im Centovalli
wenig. Auch der Fremdenverkehr
ist da noch gering, obwohl das Thal landschaftlich sehr schön und von Intragna, resp. von Locarno aus leicht zugänglich ist;
führt doch auch ein Strässchen an der linken Thalseite bis nach Camedo hinauf.
Dazu bietet dieses Thal mit dem w. folgenden Val Vigezzo und der nur etwa 800 m hohen Thalwasserscheide von Santa Maria Maggiore die kürzeste Verbindung von Locarno nach Domo d'Ossola: eine Tagreise von 9-10 Marschstunden. Auch dem Bergsteiger bieten sich lohnende Ziele, besonders am Syenit- und Dioritstock des Monte Ghiridone oder Limidario (2189 m) mit seinen zackigen, scharfen Zähnen und mit seiner ganz wundervollen Aussicht einerseits auf das Gebirge, andererseits auf den Langensee. Leider sind die Zugänge mühsam, da die Wege meist schlecht, vielfach auf- u. absteigend und infolge der vielen kleinen Seitenschluchten, denen das Thal seinen Namen verdankt, hin und hergewunden sind. Dafür bieten sie aber auch höchst malerische Ausblicke und winden sich durch Weinberge und Kastanienwälder.
[Dr E. Imhof].