Cellularpa
thologie,
diejenige neuere Richtung der allgemeinen Pathologie oder Lehre [* 2] von der Krankheit, welche das Entstehen und Wesen der Krankheiten auf die Thätigkeit der kleinsten, dem bewaffneten Auge [* 3] noch als Ganzes erkennbaren Teilchen des Organismus, der sog. Zellen (s. d.), zurückzuführen sucht. Schon im Altertum hat die Frage nach dem eigentlichen Sitz und Wesen der Krankheit die Ärzte lebhaft beschäftigt und zwei sich schroff gegenüberstehende und bis in die neuere Zeit sich erbittert bekämpfende Parteien hervorgerufen.
Während die
Anhänger der sog. Humoralpathologie, der ältesten und zugleich verbreitetsten
Theorie, die Flüssigkeiten und
Säfte (humores) des Körpers, insbesondere das
Blut, als Ausgangspunkt, Sitz und Verbreitungsmittel der
Krankheiten betrachteten,
erkannten die
Anhänger der
Solidarpathologie nur den festen
Teilen (solida) des Körpers, in erster Linie
den
Nerven
[* 4] (daher auch die Bezeichnung Neuropathologie), einen Einfluß auf die Entstehung und
Verbreitung der
Krankheiten zu
und sahen das
Blut nur als eine für die Einwirkungen der
Nerven besonders befähigte Flüssigkeit an. Allein seitdem
Schwann
(1838) und Schleiden (s. d.) die Zelle
[* 5] als die letzte organisierte
Einheit des tierischen und pflanzlichen Lebens und als Ausgangs- und Mittelpunkt aller Lebenserscheinungen kennen gelehrt
hatten, mußten durch diese größte Entdeckung der mikroskopischen Forschung die seitherigen
Anschauungen über die krankhaften
Vorgänge des Organismus eine vollkommene Änderung erfahren.
Virchow insbesondere führte in zahlreichen
Journalaufsätzen und in seinem größern Werke («Die Cellularpa
thologie in
ihrer
Begründung auf physiol. und pathol. Gewebelehre», Berl.
1858; 4. Aufl. 1872) den Nachweis, daß die Zellen nicht bloß die eigentlichen Herde des Lebens,
sondern deshalb auch der
Krankheit, überhaupt die
Träger
[* 6] jeder lebendigen Funktion sind.
Gesundheit und Krankheit sind nicht mehr durch eine weite Kluft geschieden, sondern Äußerungen derselben, innerhalb der Zellen stattfindenden Lebenserscheinungen; es besteht durchaus kein besonderer Unterschied zwischen den Kräften und Stoffen, welche das gesunde und das kranke Leben bedingen, da hier wie dort dieselben physiol. Gesetze zur Geltung kommen; nur die Bedingungen, unter denen die Kräfte und Stoffe des Körpers wirksam werden, sind im gesunden und kranken Zustande verschieden. Auch unter den am meisten abweichenden pathol. Verhältnissen erzeugt der menschliche Leib keine chem. ¶
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Verbindung, keine organische Form, kein zelliges Gebilde, das nicht in dem normalen Laufe des Lebens etwas Analoges hätte. Denn alle krankhaften Vorgänge beruhen auf Umbildungen oder Rückbildungen oder am unrechten Ort oder zur unrechten Zeit stattfindenden Wiederholungen typischer physiol. Gebilde, und zwar können diese Veränderungen nicht bloß einseitig vom Blut oder vom Nervensystem, sondern von allen Organen und Organgruppen ausgehen, in denen sich lebensfähige Zellen finden. Die cellulare Theorie Virchows, welche unstreitig einen wesentlichen Fortschritt der neuern wissenschaftlichen Medizin darstellt, gipfelt somit in dem Satze, daß die Pathologie auf physiol. Grundlagen ruht. (S. Krankheit.)