(spr. -wuhr),Flecken in der ital.
ProvinzTurin,
[* 2]
Kreis
[* 3]
Pinerolo, am
Fuß eines isolierten, 410 m hohen
Bergs, auf
welchem das alte Caburrum angelegt wurde, und am Pellice, mit (1881) 1921 Einw.,
welche Seidenspinnerei und Leinweberei treiben.
In der
Nähe die 1010 gegründete, einst sehr reiche Benediktinerabtei
Santa Maria
di Cavour.
(spr. -wuhr),GrafCamillo Benso di, ital. Staatsmann, geb. zu
Turin aus altadliger, reicher
Familie, erwarb sich, als jüngerer Sohn zum
Militär bestimmt, in der
Militärakademie
zu
Turin besonders in der
Mathematik ausgezeichnete Kenntnisse und wurde dann als Genieleutnant bei den Fortifikationsarbeiten
in den Alpenpässen verwendet. Doch nahm er, da seine liberalen
Ansichten sich mit dem Militärdienst nicht befreunden konnten, 1831 seinen
Abschied und widmete sich dem
Studium der
Nationalökonomie und der Bewirtschaftung seiner ausgedehnten
Güter in der
Lomellina, erweiterte auch seine wirtschaftlichen und politischen Kenntnisse durch wiederholte
Reisen, besonders
nach
England und
Frankreich.
Das konstitutionelle
System, wie er es in
England durchgeführt fand, nebst der ausschließlichen, aber unbedingten Herrschaft
des
Gesetzes blieb das
Ideal seiner
Politik. Nachdem er sich zu
Haus anfangs mit
Gründung gemeinnütziger
Anstalten zur
Hebung
[* 4] der ökonomischen und sozialen Zustände (z. B. von Kinderasylen und 1842 der
LandwirtschaftlichenGesellschaft) beschäftigt hatte, begründete er infolge der Reformbewegungen, die 1846 in verschiedenen
Teilen
Italiens,
[* 5] besonders im
Kirchenstaat, begannen, mit dem
GrafenCesareBalbo u. a. das
Journal »Il Risorgimento«, für welches
er namentlich nationalökonomische
Artikel schrieb. Seine politische Bedeutung begann mit dem Jahr 1848.
¶
mehr
Durch die Verkündigung der sardinischen Verfassung vom wurde einer seiner heißesten Wünsche erfüllt. Gleichzeitig
unternahm der König KarlAlbert die politische Einigung Italiens. Doch billigte es nicht, daß der König mit den Worten »Italia
farà da se« dies allein unternahm, sondern hielt von Anfang an Allianzen für durchaus notwendig und
schließlich die französische Allianz allein für erreichbar. In der Kammer, in welcher er durch eiserne Willensstärke und
unermüdliche Ausdauer auch nach und nach eine bedeutende Rednergabe entwickelte, zeigte er einen sehr gemäßigten Liberalismus,
welcher die Linke keineswegs befriedigt, und erklärte sich energisch gegen alle revolutionären Ausschreitungen.
So unterstützte er auch 1849 nach Beendigung des Kriegs das MinisteriumAzeglio, in welchem er nach dem TodSantaRosas das Portefeuille
des Handels undAckerbaues und im April 1850 das der Finanzen übernahm. Er schaffte nun Ordnung in den durch den Krieg zerrütteten
Finanzen, schloß Handelsverträge mit mehreren auswärtigen Staaten, sorgte für Herstellung von Straßen
und Eisenbahnen, für Befreiung des Besitzes von feudalen Lasten u. dgl., beherrschte überhaupt mehr
und mehr die ganze Regierung und suchte in der Kammer eine Stütze des Ministeriums dadurch, daß sich dasselbe dem linken Zentrum
(unter Ratazzi) näherte, um die klerikal-revolutionären Elemente zurückzudrängen.
Selbst als der Papst den König und seine liberalen Minister mit dem Kirchenbann bedrohte, ließ sich Cavour nicht von der Durchführung
dieser Reformen abschrecken, wiewohl er deren weitere Konsequenzen, wie die Einführung der Zivilehe und die vollständige Befreiung
des Volkes von der Herrschaft der Kirche, vertagen mußte. Nachdem er durch seine freisinnige und erfolgreiche
Verwaltung sich das Vertrauen nicht bloß der Piemontesen, sondern auch aller liberal und national gesinnten Italiener sowie
die Gunst der öffentlichen Meinung in Frankreich und England erworben hatte, durfte es wagen, das Banner der
Einheit und Unabhängigkeit Italiens zu erheben.
Um seinen nationalen Bestrebungen die Unterstützung der englischen und der französischen Regierung zu verschaffen, bewog
er zunächst den König und die Kammern, sich 1854-55 dem Bündnis der Westmächte gegen Rußland anzuschließen und trotz
der enormen Kosten am Krimkrieg aktiv teilzunehmen. Nach Beendigung desselben gelang es ihm, auf
dem PariserKongreß 1856 trotz alles Widerstandes von seiten Österreichs die »italienische Frage« zur Verhandlung zu bringen und die Mißstände
der Okkupation italienischer Staaten durch fremde Armeen einerseits und die Schwäche der betreffenden italienischen Regierungen,
vor allen der weltlichen Regierung des Papstes, anderseits in hellstes Licht
[* 8] zu setzen, um dadurch die Reformbedürftigkeit
der italienischen Zustände als eine unleugbare Thatsache festzustellen. Es kam ihm vor allem darauf an, Österreich
[* 9] zu isolieren,
weswegen er 1858 auf den Wunsch Rußlands nach dem Besitz des HafensVillafranca bereitwilligst einging, und sich den BeistandFrankreichs zu sichern. Hierbei war ihm von großem Nutzen, daß Napoleon III., dessen persönliche Bekanntschaft
er schon 1852 gemacht hatte, sich namentlich seit dem Orsinischen Attentat aus dynastischen und persönlichen
Gründen die Verdrängung Österreichs aus Italien
[* 10] und die Begründung des französischen Einflusses auf der Halbinsel durch
Begünstigung der nationalen Bestrebungen zum Ziel seiner Politik gesetzt hatte. Im Sommer 1858 hatte Cavour mit
Napoleon eine geheime Zusammenkunft, auf welcher die französisch-sardinische Allianz, die Erwerbung des Lombardisch-Venezianischen
Königreichs wie Parmas und Modenas für Sardinien
[* 11] und die Abtretung von Savoyen und Nizza
[* 12] an Frankreich verabredet wurden.
Napoleon begann den diplomatischen Feldzug gegen Österreich mit dem Neujahrsempfang dem die
italienische Thronrede vom folgte, in welcher Viktor Emanuel auf den »Schmerzensschrei Italiens« hören zu müssen
erklärte. Cavour begann sofort zu rüsten, geriet aber durch die englischen und russischen Friedensvermittelungen,
welche nur die Beseitigung der österreichischen Oberherrschaft in Mittelitalien erstrebten, in nicht geringe Verlegenheit,
aus der ihn zu seinem Glück das österreichische Ultimatum vom 19. April und der Beginn des Kriegs mit dem
Einrücken der Österreicher in Piemont befreiten. Jetzt erschien Österreich als der den Krieg beginnende Teil und stand allein.
Der Krieg nahm einen für die Verbündeten günstigen Verlauf. Um so unerwarteter und überaus schmerzlich
überraschend traf Cavour die Nachricht von dem Abschluß der Friedenspräliminarien von Villafranca Er gab alsbald
seine Entlassung ein und verzweifelte momentan an allem. Bald aber schöpfte er neue Hoffnung. Zunächst wirkte er im Verein
mit maßgebenden politischen Freunden auf die friedliche, durch Volksabstimmungen zu bewirkende Annexion
nicht nur von Mittelitalien, einschließlich des ganzen Kirchenstaats und Toscanas, sondern auch von Süditalien
[* 13] hin. Zu Anfang
des Jahrs 1860 übernahm er aber auch wieder das Ministerium und suchte nun auf amtlichem Weg zu vollenden, was er außeramtlich
begonnen hatte.
Castelfidardo eroberten und den Rest des südlichen Königreichs besetzten, das nun auch mit Sardinien vereinigt
wurde. Mehrere Mächte erhoben gegen dieses revolutionäre Vorgehen heftigen Protest, auch Frankreich rief seinen Gesandten
von Turin ab. Allein Cavour ließ sich nicht mehr beirren. Auf den ward das italienische
Parlament zusammenberufen, einige Tage darauf Viktor Emanuel als König von Italien proklamiert. Nur Rom und
[* 16] Venedig
[* 17] fehlten dem
neuen Reich noch.
Über das erstere, welches von der nationalen Partei als Hauptstadt des Königreichs verlangt wurde, sprach sich Cavour26. März in
den Kammern aus, gab seiner Hoffnung auf friedliche Auseinandersetzung mit dem PapstAusdruck und ermahnte
zu Geduld und Mäßigung. Er vertraute auf den Sieg des Grundsatzes, den er noch auf dem Sterbebett aussprach: »FreieKirche im
freien Staat«. Nicht lange darauf erkrankte er und starb von Piemont und ganz Italien aufs tiefste betrauert. Er
war der größte Staatsmann Italiens seit Jahrhunderten.
Das Werk, das sein Genie geschaffen, überdauerte seinen Tod und erreichte wenige Jahre nachher seine Vollendung in seinem
Sinn, ein Beweis für den Scharfblick, die Staatskunst und die Schöpferkraft seines Gründers. In Turin wurde ihm auf der Piazza
Carlo Emanuele 1873 ein großes Monument von Duprés Meisterhand (fünf Marmorstatuen und Bronzereliefs
enthaltend) errichtet; auch in Rom wird ihm ein Denkmal gesetzt. Die »Discorsi parlamentari del conte Camillo
di Cavour« gab Massari heraus (Turin 1863 ff., 12 Bde.);
»Lettere edite ed inedite del conte Cavour1821-61«veröffentlichteL. Chiala (das. 1883-84, 4 Bde.;
deutsch, Leipz. 1884 ff.), bisher unbekannte
BriefeCavours an Emanuel d'Azeglio aus den Jahren 1852-61 Bianchi (1885).