Castlereagh
(spr. kässlri),
Henry
Robert
Stewart,
Marquis von
Londonderry, bis 1821 unter dem
Titel
Lord Castlereagh
bekannt,
engl. Staatsmann, geb. that sich seit 1793 im irischen
Parlament durch
Beredsamkeit hervor und wurde unter dem
Vizekönig
Lord
Camden, seinem Anverwandten, erster
Staatssekretär. Er
half in rücksichtslosester
Weise
Pitts Unterdrückungssystem gegen seine Landsleute durchführen und trug durch seine
Festigkeit
[* 2] und
Energie, die vornehmste
Eigenschaft seines
Charakters, nicht wenig dazu bei, die
Union
Irlands mit
England
durchzusetzen. Nach derselben trat er 1801 in das englische
Parlament ein und wurde 1804
Minister des
Kriegs und der
Kolonien
im
Ministerium
Pitts, trat nach dessen
Tod (1806) zwar ab, übernahm aber schon 1807 in
Portlands
Kabinett wieder das
Kriegsministerium.
Er war der eifrigste Vertreter der Kriegspolitik gegen
Frankreich, hatte jedoch geringen Erfolg. Die verfehlte, von ihm veranstaltete
Expedition nach
Walcheren führte zum
Zweikampf zwischen Castlereagh
und
Canning und zum
Austritt beider aus dem
Ministerium.
Nach dem Rücktritt des
Marquis
Wellesley (1812) zum
Minister des
Auswärtigen berufen, entwickelte er nach
der
Katastrophe von 1812 eine außerordentliche Thätigkeit zum
Sturz
Napoleons,
dem er anfangs weder die
Insel
Elba bewilligen,
noch den Kaisertitel belassen wollte, wie es der erste
Pariser
Friede von 1814 verfügte.
Sein
Haß gegen alles aus der französischen
Revolution Hervorgegangene, sein
Eifer für die
Legitimität und seine Unkenntnis festländischer Verhältnisse
verwickelte Castlereagh
in mannigfache
Widersprüche.
Aus dem Wiener Kongreß ließ er, der anfangs für die Abtretung Sachsens an Preußen [* 3] und gegen die polnischen Pläne des Zaren Alexander aufgetreten war und sich besonders für den oranisch-niederländischen Staat interessierte, sich schließlich von Talleyrand und Metternich völlig ins Schlepptau nehmen und schloß mit diesen ein Kriegsbündnis, das, gegen Preußen und Rußland gerichtet, ersteres zum Verzicht auf die Hälfte Sachsens nötigte, während letzteres Polen erhielt.
Nach der Rückkehr
Napoleons bot Castlereagh
zwar alles zu dessen abermaligem
Sturz auf, verhinderte aber die preußischen, auf eine
dauernde
Schwächung
Frankreichs gerichteten Absichten. Nach dem
Frieden bewegte sich seine auswärtige
Politik völlig im
Fahrwasser der durch die
Heilige Allianz angebahnten
Reaktion; er wohnte daher auch den
Kongressen von
Aachen,
[* 4] Troppau
[* 5] und
Laibach
[* 6] bei.
Noch unpopulärer machte er sich durch seine Nachgiebigkeit gegen den König beim
Prozeß der
Königin
Karoline und durch die harten Maßregeln, mit denen er der Unzufriedenheit der niedern
Stände entgegentrat.
Darob verfiel er in eine innere Aufregung, in welcher er überall Feinde und Verfolger erblickte, bis er, eben im
Begriff
zum
Kongreß von
Verona
[* 7] zu reisen, seinem
Leben ein Ende machte, indem er sich mit einem Federmesser
die
Schlagader am
Hals durchschnitt Das
Volk erhob auf die Todesnachricht ein Freudengeschrei, ja auf einer
Kirche zu
London
[* 8] wurden
sogar die
Glocken geläutet, und die
Anstifter wurden von der
Jury freigesprochen. In seinem Privatleben war Castlereagh
ein heiterer
und fein gebildeter
Hofmann. Seine
Reden leiden an Wortreichtum und dunkler Weitläufigkeit. Seine »Correspondence,
despatches and other papers« gab sein
Bruder
Ch. W.
Vane,
Marquis von
Londonderry, heraus (Lond. 1847-53, 12 Bde.;
deutsch bearbeitet von
Frankenberg, Hamb. 1853-1854, 5 Bde.).
Vgl. Alison, Lives of Lord and Sir Ch. Stewart (Lond. 1861, 3 Bde.).