(spr. kassell), Stadt im franz. Departement Nord, Arrondissement Hazebrouck, an der nach Dünkirchen
führenden Eisenbahn gelegen, auf einer isoliert stehenden Anhöhe (Montcassel) von 157 m ü. M.
mit weitem Blick auf die flandrische Ebene und die Nordsee, hat 4 Kirchen, ein altes Schloß, schönes Stadthaus, das Hotel de
la noble cour de Cassel (einst Sitz der Stände von Flandern), ein Collège, archäologische Museum, Seifen- und
Kerzenfabrikation, Spitzenerzeugung, Viehhandel und (1876) 3224 Einw. Die Umgegend gleicht in ihrer
üppigen Vegetation einem Garten. Cassel, das alte Castellum Morinorum ist in späterer Zeit als Kampfplatz von 1071, 1328, 1677 und 1814 bekannt.
Es ist auch Geburtsort Vandammes.
1) David, jüd. Gelehrter, geb. 7. März 1818 zu
Glogau, studierte in Breslau und Berlin jüdische Theologie, war 1846-79 Direktor des Nauenschen Stifts zu Berlin, nebenbei Religionslehrer
an verschiedenen Schulen und ist seit 1872 Dozent an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums zu Berlin. Außer kleinern
zerstreuten Arbeiten und Ausgaben älterer jüdischer Schriftsteller (z. B. »Das
Buch Kusari des R. Jehuda Halem«, mit Übersetzung, 2. Aufl., Leipz. 1869) veröffentlichte
er: »Hebräisch-deutsches Wörterbuch« (Berl. 1871);
»Geschichte der jüdischen Litteratur« (das.
1872-74, 2 Bde.);
»Leitfaden für den Unterricht in der jüdischen Geschichte und Litteratur« (6. Aufl., das.
1882);
»Lehrbuch der jüdischen Geschichte und Litteratur« (Leipz.
1879).
2) Paulus, Gelehrter, Bruder des vorigen, geb. 27. Febr. 1827 zu Glogau, studierte in Berlin, führte 1850-56
die Redaktion der »Erfurter Zeitung« und erhielt, nachdem er 1855 zum evangelischen Glauben übergetreten, eine Bibliothekarstelle
in Erfurt. Seit 1859 in Berlin ansässig, wurde er 1866 in das preußische Abgeordnetenhaus gewählt; seit 1867 wirkt er als
Prediger an der Christuskirche daselbst. Großen Beifall fanden seine während mehrerer Winter in Berlin
gehaltenen öffentlichen Vorträge sowie seine »Deutschen Reden« (Berl. 1871, 2 Tle.) aus Anlaß des deutsch-französischen Kriegs.
Von seinen litterarischen Arbeiten sind zu nennen: »Von Warschau bis
Olmütz« (Berl. 1851);
»Über thüringische Ortsnamen«
(Erfurt 1856-58);
»Eddische Studien« (Weim. 1856);
»Der Schwan« (3. Aufl., Berl. 1872);
»Rose und Nachtigal«
(das. 1860);
»Weihnachten. Ursprünge, Bräuche und Aberglauben« (das. 1862);
»Die Schwalbe« (das. 1867);
»Symbola Renati« (3.
Aufl., das. 1872);
»Über den goldenen Thron Salomonis« (das. 1867);
»Drachenkämpfe« (2. Aufl., das.
1878);
»Kaiser- und Königsthron in Geschichte, Symbol und Sage« (das. 1874);
»Der Chezarische Königshof
aus dem 10. Jahrhundert« (das. 1876);
»Vom Nil zum Ganges« (das. 1880);
»Die Symbolik des Bluts« (das. 1882) u. a.;
ferner als
Schriften theologischen Inhalts: »Die Bücher der Richter und Ruth« (Bielef. 1865);
»Altkirchlicher Festkalender« (Berl. 1869);
»Das Evangelium des Sohns Zebedäi« (das. 1870);
»Vom Weg nach Damaskus« (Gotha 1872);
»Aus guten Stunden«
(das. 1874);
»Löwenkämpfe von Nemea bis Golgatha« (das. 1875);
»Das Buch Esther« (Berl. 1878);
»Die Hochzeit zu Kana« (das.
1883);
»Aus Litteratur und Symbolik« (Leipz. 1884);
»Aus Litteratur und Geschichte« (das. 1885)
u. a. Seit 1875 gibt Cassel die theologische Wochenschrift »Sunem«
heraus;
in neuester Zeit hat er sich namentlich als Gegner der Antisemiten bethätigt.
1) Regierungsbezirk der preuß. Provinz Hessen-Nassau, umfaßt den größten Teil des ehemaligen Kurfürstentums Hessen, grenzt
im O. an die thüring. Fürstentümer, im NW. an Waldeck und umgiebt im
SW. das Großherzogtum Hessen. Das Land wird bewässert durch die Flüsse Kinzig, Werra, Fulda, Haun, Schwalm, Eder, Lahn und
Main, ist durchgehends gebirgig: im N. Habichtswald (595 m), Meißner (749 m), Reinhardswald mit Staufenberg (469 m), Kaufungerwald
mit Bilsstein (640 m), Knüllgebirge (632 m); im W. Kellerwald (673 m) und Burgwald (408 m); im S. die
Hohe Rhön mit Wasserkuppe (950 m), und fruchtbar (Getreide, Mais, Hirse, Hanf, Flachs, Rüben, Cichorien, Mohn, Tabak, Hopfen),
mit Wein- und bedeutendem Obstbau, Holz- und Bijouteriewarenindustrie und hat 10077,70 qkm, (1890) 820988 (396444 männl., 424544
weibl.) E., darunter 6716 Militärpersonen, 64 Städte mit 1042,26 qkm, 256910 (124600 männl., 132310
weibl.) E., 1329 Landgemeinden und 279 Gutsbezirke mit 9035,44 qkm, 564078 (271844 männl., 292234
weibl.) E.; ferner 115243 bewohnte, 2299 unbewohnte Wohnhäuser, 171056 Haushaltungen und 494 Anstalten für gemeinsamen Aufenthalt.
Dem Religionsbekenntnis nach waren 665045 Evangelische, 134487 Katholiken, 2729 andere Christen, 182 Dissidenten
und 18468 Israeliten.
Der Regierungsbezirk zerfällt in 8 Reichstagswahlkreise (die angegebenen Abgeordneten wurden im Juni 1893 gewählt): Rinteln-Hofgeismar
(Dr. König, Antisemit), Cassel-Melsungen (Hüpeden, konservativ), Fritzlar-Ziegenhain (Liebermann
von Sonnenberg, Antisemit), Eschwege-Schmalkalden (Leuß, Antisemit), Marburg-Frankenberg (Dr. Boeckel, Antisemit), Hersfeld-Rotenburg
(Werner, Antisemit), Fulda-Schlüchtern (Müller, Centrum), Hanau-Gelnhausen (Stroh, konservativ).
Der Regierungsbezirk zerfällt in die 24 Kreise:
^[Artikel, die man unter C vermißt, sind unter K aufzusuchen.]
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^[Lfd Nr.]
Kreise
qkm
Wohnstätten
Einwohner
Einwohner pro qkm
Evangelische
Katholiken
Andere Christen
Israeliten
1
Stadtkreis Cassel
17,74
2984
72477
4263
63623
6230
607
2017
2
Landkreis Cassel
406,40
5776
51163
126
49262
1479
188
234
3
Eschwege
502,43
6769
42260
84
39971
853
106
1330
4
Fritzlar
340,68
4265
26482
77
23026
2487
7
962
5
Hofgeismar
614,27
5731
36362
59
35142
503
165
552
6
Homberg
320,42
3610
21453
67
20840
146
24
443
7
Melsungen
389,11
4224
27276
70
26274
195
44
763
8
Rotenburg in Hessen-Nassau
554,22
4923
29991
54
28529
431
135
896
9
Witzenhausen
424,06
4752
29256
69
28330
301
349
276
10
Wolfhagen
406,87
4041
23958
58
20510
2933
16
499
11
Marburg
566,90
6666
46633
82
42724
2655
531
723
12
Frankenberg
559,88
3926
24168
43
23241
246
66
615
13
Kirchhain
329,60
3968
21998
66
11848
9262
2
886
14
Ziegenhain
584,18
5751
32416
55
31099
280
78
959
15
Fulda
613,33
7244
49168
80
3599
44872
17
680
16
Hersfeld
501,00
5209
31300
62
30230
335
175
560
17
Hünfeld
443,58
4097
23508
53
7369
15115
-
1024
18
Stadtkreis Hanau
11,40
1796
25029
2275
19303
4871
247
608
19
Landkreis Hanau
297,84
5671
39457
132
32317
5944
63
1133
20
Gelnhausen
643,68
6829
41773
65
26842
13807
51
1073
21
Schlüchtern
462,72
4437
28497
61
19643
7710
11
1133
22
Schmalkalden
279,59
4912
33268
119
32346
547
90
285
23
Rinteln
450,31
6760
41580
92
40686
584
13
297
24
Gersfeld
357,49
3747
21515
60
8291
12701
3
520
2) Landkreis (ohne Stadt Cassel) im Reg.-Bez. Cassel, hat (1890) 51163 (24941
männl., 26222 weibl.) E. in 52 Landgemeinden und 15 Gutsbezirken.
3) Hauptstadt der preuß. Provinz Hessen-Nassau und des Reg.-Bez. Cassel, königl.
Residenzstadt und Stadtkreis, bis 1866 Hauptstadt des ehemaligen Kurfürstentums Hessen, liegt 51° 19'
nördl. Br. und 27° 9' östl. L. von Greenwich (Turm der St. Martinskirche), in
173 m Höhe, anmutig in fruchtbarer Gegend,
zu beiden Seiten der Fulda in einem weiten Thalbecken, das im W. von dem Habichtswald, im N. von dem Reinhardswald, im O.
von dem Kaufungerwald und im S. von der Söhre begrenzt wird. (S. den umstehenden Situationsplan.)
Die mittlere Jahrestemperatur beträgt +9,2° C. (im Sommer + 17,77°, im Winter +1,37° C.).
Bevölkerung. Cassel hatte 1870: 46378, 1885: 64083, 1890: 72477 (35603 männl., 36874 weibl.) E., darunter 63623 Evangelische, 6230 Katholiken, 607 andere
Christen und 2017 Israeliten, d. i. eine Zunahme (1885–90) von 8394 Personen oder 13 Proz. oder jährlich 1678 Personen;
ferner 2899 bewohnte Gebäude, 13994 Familienhaushaltungen, 1025 einzeln lebende selbständige Personen und 72 Anstalten.
Die
Zahl der Geburten betrug (1890) 2017 (darunter 77 Totgeburten), der Sterbefälle 1202, der Eheschließungen 626. In Garnison
(4213 Mann) liegen in Cassel das 3. Bataillon des 32. Infanterieregiments, 1. und 2. Bataillon des 83. Infanterieregiments von
Wittich, das 14. Husarenregiment Landgraf Friedrich Ⅱ. von Hessen-Homburg, die 1., 3. und die reitende Abteilung des 11. Feldartillerieregiments
und das 11. Trainbataillon. ^[Abb: Wappen von Cassel]
Äußere Anlage. Die Stadt, deren Weichbild 17,73 qkm beträgt, besteht aus der Altstadt (s. Plan, 1), der
Ober- und der Unterneustadt (2, 3) und dem neuen Westviertel (Hohenzollernstadtteil, 4). Nur die Unterneustadt, der am tiefsten
gelegene Stadtteil, liegt auf dem rechten, die übrigen Teile auf drei sich sanft abdachenden Hügeln (Kratzenberg, Weinberg,
Möncheberg) auf dem linken Ufer der Fulda, über die eine 1788–94 unter Landgraf Wilhelm Ⅸ. erbaute
steinerne Brücke mit 3 Bogen und eine Drahthängebrücke (1870), letztere nur für Fußgänger, führen. Cassel gehört zu den
schönsten Städten Deutschlands.
Besonders zeichnen sich die Oberneustadt, früher auch Französisch-Neustadt genannt, 1688 nach einem Plane des Baumeisters
du Ry von franz. Auswanderern angelegt, und die neuen westl.
Stadtteile durch breite, gerade Straßen, große, freie Plätze und schöne Häuser aus. An die nach 1767 geschleiften Festungswerke
erinnern noch einige alte Bauwerke, wie das aus Sandstein erbaute Zeughaus an der Artilleriestraße und der Zwehrenturm,
früher als Gefängnis dienend, ferner einige Straßen, wie die Kastenalsgasse, nach einem mit der ehemaligen
Bastion Wilhelmsburg verbundenen Festungsgefängnisse, das Kastenal, genannt, und die Giesbergstraße, nach der Bastion Giesberg
genannt.
Straßen. Plätze. Denkmäler. Von den 180 Straßen und 19 öffentlichen Plätzen sind hervorzuheben die von NO. nach SW. führende
Königsstraße (1600 m lang, 19 m breit), welche den Königsplatz durchschneidet, und an die sich die
nach W. in gerader Richtung nach Wilhelmshöhe führende Wilhelmshöher Allee anschließt, parallel der letztern die Hohenzollernstraße
mit ihren Prachtbauten und weiter nördlich die Kölnische Allee; ferner die Schöne Aussicht unmittelbar über dem herrlichen
Auepark an dem steilen Südostrande des Weinbergs, der Friedrichsplatz (324 m lang, 151 m breit), auf
drei Seiten von einer doppelten Lindenreihe umgeben,
^[Artikel, die man unter C vermißt, sind unter K aufzusuchen.]
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mit dem marmornen Kolossalstandbild des Landgrafen Friedrich Ⅱ. von Nahl und einer Wettersäule, der Theaterplatz mit dem
Bronzestandbild (1883) von Louis Spohr (1822–59 Kapellmeister am Hoftheater) von Hartzer, der runde Königsplatz (143 m
im Durchmesser), bekannt durch sein sechsfaches Echo, der Karlsplatz mit dem Standbild des um Cassel hochverdienten Landgrafen
Karl, der Meßplatz mit der Bronzebüste auf Sandsteinsockel des frühern Oberbürgermeisters Schomburg von Echtermeyer,
der Wilhelmshöher Platz, der große Ständeplatz mit vierfachen Lindenreihen und Anlagen und der Friedrich-Wilhelmsplatz mit
einem Löwenbrunnen (1881). Auf dem Königsplatze, während der westfäl.
Regierung Napoleonsplatz genannt, stand damals auf einem Marmorbrunnen das Marmorstandbild Napoleons. Der 1820 an
Stelle des alten, 1817 abgetragenen Residenzschlosses auf dem Paradeplatz begonnene großartige Bau der Kattenburg wurde wegen
seiner Kostspieligkeit nicht fortgesetzt, sondern 1869 abgebrochen und das Material zu der neuen Bildergalerie (s.
unten) benutzt. Vor der Gemäldegalerie steht die Marmorbüste (1883) des ersten preuß.
Oberpräsidenten der Provinz Hessen-Nassau E. von Möller (gest. 1880) von Hassenpflug, am Fuße des von
der schönen Aussicht ziemlich steil abfallenden Berggartens das Hessendenkmal (1874) «zum
Andenken der als Opfer franz. Fremdherrschaft gefallenen hess.
Patrioten», ein schlafender Löwe aus Marmor auf Granitsockel von G. Kaupert. Auf dem Martinsplatz soll ein Standbild Philipps
des Großmütigen errichtet werden.
Kirchen. Cassel hat 5 reform., je eine luth., kath.
und engl. Kirche, mehrere Kapellen, eine Kirche der Baptistengemeinde sowie eine Synagoge. Die größte ^[] Kirche ist die
St.
Martinskirche auf dem Martinsplatz mit Schiff aus dem 14., Chor aus dem 15. Jahrh. und neuen gemalten Fenstern, 1842 restauriert;
der zweite Turm ist 1891 nach Plänen von Schneider vollendet, im Chor Denkmal des hier beigesetzten Landgrafen
Philipp des Großmütigen aus schwarzem Marmor mit alabasternen Reliefs. Die Oberneustädter Kirche auf dem Karlsplatz bildet
ein von einer mit Kupfer gedeckten Kuppel überwölbtes Achteck und ist 1698–1710 für die damalige franz. Gemeinde erbaut;
die Hof- und Garnisonkirche ist 1757 gegründet, die Unterneustädter Kirche 1801–8 erbaut; die 1781 von dem Landgrafen Friedrich
Ⅱ. durch du Ry erbaute, im Innern prächtige kath. Kirche enthält ein Gemälde von Tischbein.
Weltliche Bauten. Am Friedrichsplatz liegen das ehemals kurfürstl. Palais, 1769 erbaut und 1821 durch das sog.
«Rote Palais» aus rotem Sandstein vergrößert, das Museum Fridericianum (s. unten),
1769–79 unter Landgraf Friedrich Ⅱ. von du Ry erbaut, und das schöne Auethor, ebenfalls unter Friedrich Ⅱ. errichtet
und 1824 erweitert;
an demselben zur Erinnerung an 1870/71 zwei Bronzereliefs mit
Figuren von Siemering (Abschied und Rückkehr
der Krieger darstellend);
am Ständeplatz das 1836 erbaute Ständehaus und das Kunsthaus;
am Königsplatz
das neue Postgebäude, das neue Schollsche Kaufhaus und mehrere Hotels;
am Schloßplatz das Justiz- und Regierungsgebäude,
1876–80 vollendet, mit schönen Treppenhäusern;
an der Bellevuestraße das Schloß Bellevue (s. d.) und die Bildergalerie,
1871–77 nach Plänen von von Dehn-Rotfelser in Renaissancestil aufgeführt, ein langer Mittelbau mit
mächtiger Loggia im Hauptgeschoß und zwei Eckpavillons.