(spr.-noh), Lazare Hippolyte, franz. Publizist und Staatsmann, Sohn des folgenden,
geb. zu St.-Omer, begleitete seinen Vater in die Verbannung nach Magdeburg, wo er deutsche Sprache und Litteratur studierte. 1823 nach
Frankreich zurückgekehrt, betrat er die jurist. Laufbahn, wurde aber bald in die polit.-sociale
Strömung hineingerissen und einer der eifrigsten Anhänger des St.-Simonismus. Als jedoch Enfantins Richtung aufkam, trennte
Carnot sich mit Bazard, P. Leroux, Reynaud u. a. von dieser Schule. 1839 in die Kammer erwählt, schloß
er sich der äußersten Linken an. Nach der Revolution von 1848, die fast alle namhaften Mitglieder dieser
Opposition zu hohen Staatsämtern berief, wurde Carnot Minister des öffentlichen Unterrichts, trat aber wegen
Zwiespalts mit der Konstituierenden Versammlung zurück. Eine Nachwahl in Paris verschaffte ihm einen Sitz in der
Gesetzgebenden Versammlung, wo er sich zu den Republikanern hielt, die zugleich den royalistischen Umtrieben
der Mehr-
^[Artikel, die man unter C vermißt, sind unter K aufzusuchen.]
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heit und den persönlichen Zwecken des Präsidenten entgegenzuarbeiten suchten, aber durch ihr unpolit. Benehmen dem Bonapartismus
Vorschub leisteten. Nach dem Staatsstreiche vom 2. Dez. wurde Carnot 1852 für den Gesetzgebenden Körper in Lyon und 1857 in Paris
gewählt; die Verweigerung des Huldigungseides machte aber beidemal seine Wahl ungültig. Erst als er
diese Bedenklichkeit aufgab und wieder 1864 zu Paris gewählt wurde, nahm er seinen Platz im Gesetzgebenden Körper in der
kleinen hier übrig gebliebenen Oppositionsgruppe; bei den Wahlen von 1869 unterlag er gegen Gambetta und Rochefort.
Nach Beseitigung des Kaiserreichs 1870 wurde Carnot Maire im 8. Arrondissement von Paris und 1871 in die Nationalversammlung
gewählt, wo er sich zur republikanischen Linken hielt; 1875 wurde er zum Senator auf Lebenszeit ernannt. In den J. 1885, 1887 und 1888 wirkte
er im Senat als Alterspräsident. Kurz vor seinem Tode gründete er eine Gesellschaft zur Erforschung der Geschichte der Französischen
Revolution. Er starb Carnot veröffentlichte ein «Exposé
de la doctrine Saint-Simonienne» (Par. 1830 u. ö.),
eine Verteidigung seiner Amtsverwaltung (ebd. 1849) und «La Révolution
française, résumé historique» (2 Bde., ebd. 1867).
–
Vgl. die Litteratur zu dem Artikel Marie François Sadi Carnot.
Lazare Nicolas Marguerite, Graf, geb. zu Nolay in Burgund, von bürgerlicher
Abkunft, Sohn eines Notars, war zu Anfang der Revolution Ingenieurhauptmann. 1784 hatte ihm die Akademie von Dijon für einen
«Éloge de Vauban» den Preis zuerkannt. An die Nationalversammlung richtete er verschiedene Abhandlungen über militär. und
finanzielle Fragen, bis er 1791 Abgeordneter bei der Gesetzgebenden Versammlung wurde. Er nahm anfangs
nur an den Beratungen über militär. Angelegenheiten teil. So wurden auf seinen Vorschlag die zahlreichen ausgewanderten adligen
Offiziere durch Unteroffiziere ersetzt.
Als Mitglied des Konvents stimmte er für Ludwigs ⅩⅥ. Tod. Darauf ward er im März 1793 zum Nordheere gesandt, wo er die
Grenzfestungen von Lille bis ans Meer in stand setzte. Am 14. Aug. trat er in den Wohlfahrtsausschuß und wurde Leiter des Kriegswesens.
Als solcher arbeitete er für Houchard den Plan der Schlacht bei Hondschoote (s. d.) aus und siegte im Okt. 1793 selbst bei
Wattignies. Nach Paris zurückgekehrt, arbeitete er ohne Unterlaß an der Neuschöpfung des Heers.
Von seinem Kabinett aus organisierte er 14 Armeen, ernannte ihre Generale, befestigte die Grenzen und lieferte die Kriegspläne.
Im Wohlfahrtsausschusse suchte er Robespierre zu schwächen. Als Legendre nach dessen Sturze beantragte, Carnot in Anklagezustand
zu versetzen, vereitelte eine Stimme aus der Versammlung: «Ihr könnt den Mann nicht
verdammen wollen, der den Sieg unserer Armeen organisiert hat!» dessen Antrag. Bei der Errichtung des Direktoriums 1795 wurde
Carnot dessen Mitglied und erhielt einige Zeit bedeutenden Einfluß, zerfiel aber mit Barras, ward am 18. Fructidor
als Royalist verdächtigt und zur Deportation verurteilt. Er floh nach Deutschland und gab eine Rechtfertigungsschrift
heraus, die durch Aufdeckung der Schändlichkeiten seiner ehemaligen Kollegen deren Sturz am 30. Prairial beförderte.
Nach dem 18. Brumaire wurde Carnot zurückberufen und im April 1800 Kriegsminister. ^[] Zwar gab er diese Stellung
bald auf, weil er den ehrgeizigen Plänen Bonapartes widerstrebte, und zog sich Ende 1800 in seine Familie
zurück, ward jedoch zum Tribunat berufen.
Die Unbeugsamkeit der Grundsätze, die ihn immer auszeichnete, verleugnete er auch hier nicht; er trat mehrmals der Regierung
entgegen, stimmte gegen Einrichtung der Ehrenlegion, des lebenslänglichen Konsulats und die Kaiserwürde.
Dennoch blieb er im Tribunat bis zu dessen Aufhebung; dann lebte er wissenschaftlichen Arbeiten, hauptsächlich im Gebiete
der Mathematik und der militär. Befestigung. Im Jan. 1814 übertrug ihm Napoleon den Oberbefehl
in Antwerpen, das er heldenmütig bis zur Kapitulation von Paris verteidigte. Zwar behielt er nach der ersten Restauration
seine Würden, verschmähte aber als strenger Republikaner die Gunst des Hofs. Während der Hundert Tage ernannte ihn Napoleon
(beider angeblicher «Briefwechsel» aus dieser Zeit erschien in zwei Fassungen,
Par. 1819) zum Grafen und Pair und drängte ihm das Ministerium des Innern auf, das Carnot mit gewohnter Rechtlichkeit verwaltete.
Sein Einspruch wider die Additionalakte zur Verfassung blieb ungehört. Nach Napoleons zweiter Abdankung
trat Carnot in die Provisorische Regierung, wurde aber von den Bourbonen durch die Verordnung vom verbannt. Er wandte
sich nach Warschau, dann nach Magdeburg, wo er starb. Ein Denkmal (von Roulleau) wurde ihm in
Nolay errichtet. 1889 wurden seine Gebeine aus Magdeburg nach Paris gebracht und dort 4. Aug. im Pantheon beigesetzt.
Unter C.s zahlreichen Schriften sind zu nennen: «Essai sur les machines en général» (Dijon 1784; 2. Aufl.,
Par. 1801),
«De la défense des places fortes» (ebd. 1789; 4. Aufl. 1814;
deutsch, Stuttg. 1820),
«Réflexions sur la métaphysique du calcul infnitésimal» (Par. 1797; 4. Aufl.
1860; deutsch von Hauff, Frankf. 1800),
«Géométrie de position» (Par. 1803; deutsch,
Altona 1808–10),
«Principes fondamentaux de l'équilibre et du mouvement» (Par.
1803; deutsch, Lpz. 1805),
«Exposé de la conduite politique de Carnot depuis
le 1er juillet 1814» (Par. 1815),
«Mémoire sur la fortification primitive» (ebd. 1823). Auch als Dichter
versuchte sich Carnot nicht ohne Glück, wie sein komisches Heldengedicht «Don Quichotte» (Par. 1821) und sein «Télémaque
dans l'île de Calypso» (Par. u. Berl. 1822) beweisen; seine «Opuscules poétiques»
erschienen Paris 1820. -
Vgl. Körte, Das Leben C.s (Lpz. 1820);
Tissot, Mémoires historiques et militaires
sur Carnot (ebd. 1824);
Arago, Biographie de Carnot (Par. 1850);
Depasse, Carnot (ebd. 1883);
Hennet, L. Carnot (ebd. 1888);
Bonnal,
Carnot d'après les archives (ebd. 1888).
Das Hauptwerk sind die Mémoires sur Carnot par son fils Hippolyte Carnot (2 Bde.,
ebd. 1861–64).
(spr. -noh), Marie François Sadi, Präsident der franz.
Republik, Sohn von Lazare Hippolyte Carnot, geb. zu Limoges, besuchte die Polytechnische,
dann die Brücken- und Wegebauschule und wurde Ingenieur in Annecy, wo er wichtige technische Arbeiten, insbesondere die große
Rhônebrücke von Collonge, ausführte. Im Jan. 1871 wurde er Präfekt im Depart. Seine inférieure und
erhielt den Auftrag, als außerordentlicher Kommissar die nationale Verteidigung in der Normandie zu organisieren. Nach Abschluß
des Waffenstill-
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standes, 7. Febr., trat er zurück. Schon am nächsten Tage wurde er in die Nationalversammlung gewählt, wo er zur Union républicaine
gehörte; 1876 entsendete ihn der Wahlbezirk Beaune in die Deputiertenkammer. Als solcher gehörte er zu den 363, die gegen
den Staatsstreich vom protestierten. Er ward 1877 wiedergewählt und Unterstaatssekretär
unter Freycinet als Bautenminister. Am übernahm er selbst dieses Portefeuille unter Ferry und trat mit
diesem zurück.
In der Legislaturperiode 1877–81 stimmte er als gemäßigter Republikaner gegen den Antrag, das Ministerium vom 16. Mai in
Anklagestand zu versetzen, dann gegen Verweltlichung des Volksschulunterrichts, Absetzbarkeit der
Richter und Aufhebung des Cultusbudgets. 1881 wieder gewählt, war er 1883 und 1884 Vicepräsident der Kammer, bis er imMinisterium Brisson wieder die öffentlichen Arbeiten, 16. April die Finanzen übernahm, die er auch in dem folgenden Ministerium
Freycinet bis behielt.
Nach dem Rücktritt Grévys von der Präsidentschaft wurde neben Ferry und Freycinet sofort Carnot als Kandidat aufgestellt,
der zwar nicht die polit. Geltung, aber auch nicht die Herrschsucht und den rücksichtslosen Ehrgeiz jener beiden besaß.
Gleich im ersten Wahlgange erhielt Carnot die meisten Stimmen, und in der engern Wahl drang er mit 616 von 827 Stimmen
der Kongreßmitglieder durch. Von allen republikanischen Parteien ward ihm Vertrauen entgegengebracht, das er durch würdige,
konstitutionelle Haltung zu rechtfertigen suchte.
Seine wiederholten Reisen im Lande und seine friedlichen Kundgebungen gegenüber dem chauvinistischen Drängen der Boulangisten
trugen ihm viel Sympathien der ruhig denkenden Volkselemente ein. 1889 eröffnete er die Weltausstellung
und präsidierte allen Festen. Versuche seiner Gegner, ihn in den Panamaskandal hineinzuziehen, mißlangen. Carnot beabsichtigte,
nach Ablauf seiner Präsidentschaftsperiode sich ins Privatleben zurückzuziehen. Da traf ihn, als er sich im Juni 1894 nach
Lyon zum Besuch der dort stattfindenden Kolonialausstellung begeben hatte, am Abend des 24. Juni, während
er auf der Fahrt nach dem Theater begriffen war, der Dolchstoß eines Anarchisten ital. Herkunft, Namens Santo Caserio. Carnot starb
wenige Stunden darauf 25. Juni morgens und wurde 1. Juli im Pantheon zu Paris neben den irdischen Überresten seines Großvaters,
des Grafen Lazare Carnot, beigesetzt. Carnot war kein glänzender, wohl aber ein klarer Redner. Er übersetzte
J. Stuart Mills Werk über die Revolution von 1848 ins Französische (Par. 1875). –
Vgl. Burdeau, Une famille des patriotes
(Par. 1888);
Hubbard, Une famille républicaine. les Carnot (ebd. 1888);
M. Dreyfous, Les trois Carnot (ebd.
1888);
Barbou, Les grands citoyens de la France. S. Carnot: historie de sa vie (ebd. 1888);
Py, Sadi Carnot, sa vie, ses œuvres,
sa politique 1837–87 (ebd. 1888).
(spr. -noh), Nicolas Léonard Sadi, Physiker, Sohn von Lazare Nicolas Carnot, geb. zu
Paris, trat 1812 in die Polytechnische Schule, 1814 in das Geniekorps, wurde seiner polit. Gesinnung wegen
erst 1826 zum Kapitän befördert, nahm den Abschied 1828 und starb an der Cholera in Paris. Sein hochgeschätztes
Werk «Réflexions sur la puissance motrice du feu et les machines propres à développer cette puissance» ^[]
(Par. 1824) bildet eine
bedeutende Grundlage der heutigen «Mechanischen
Wärmetheorie» (s. d.).