Carducci
(spr. -duttschi), Giosuè, ital. Dichter, auch unter dem Pseudonym Enotrio Romano bekannt, geb. zu Valdicastello bei Pietrasanta im Toscanischen, wuchs in der pisanischen Maremma auf, in welcher sein Vater als Arzt lebte, und empfing hier tiefe und eigentümliche Natureindrücke, die schon den Knaben zu dichterischen Versuchen anregten. Seine spätere Jugendzeit verlebte er zu Florenz, wohin sein Vater übergesiedelt war, betrieb dann philologische Studien aus der Universität in Pisa, erlangte daselbst den Doktorgrad der Philologie und wurde 1860 als Professor der italienischen Litteratur an der Universität zu Bologna angestellt.
Schon früher war er mit kleinen litterarhistorischen Arbeiten in Zeitschriften aufgetreten, desgleichen mit einer lyrischen Sammlung: »Rime« (San Miniato 1857). Kräftiger kam die Eigenart des Dichters in den weitern Sammlungen: »Levia gravia« (neue Ausg., Pistoja 1868) und »I Decennali«, zum Ausdruck. Hier verrät er sich als ein Poet von ungewöhnlicher Kühnheit und Originalität des Gedankens. Sensationellen Erfolg aber hatte eine kleine, 1863 geschriebene Hymne: »Inno a Satana«, welche er 1865 unter dem oben angegebenen Pseudonym als eine Art von Flugblatt zur Verteilung an Freunde drucken ließ.
Der verneinende Geist, die »rebellione«, die »forza vindice della ragione«, wird darin mit schlagende Gewalt der Sprache als die treibende Kraft des Menschenlebens und der Weltgeschichte, als der Genius geistiger Unabhängigkeit und Schrankenlosigkeit, als Prinzip alles Fortschrittes gefeiert. Das Gesamtbild des genialen Dichters geben die »Poesie di Enotrio Romano« (Flor. 1871),
eine Sammlung, in welcher auch das früher Erschienene vereinigt ist, und welcher die »Nuove poesie« (Imola 1873; 4. Aufl., Bologna 1881) und neuerdings »Giambi ed epodi« (das. 1882) folgten. Originalität, männlich freie Gesinnung, welche sich mit Vorliebe als eine altrömische, heidnische gibt, machen Carducci zur interessantesten Dichtererscheinung des
mehr
heutigen Italien. Seine Vorliebe für die altrömische Vergangenheit brachte ihn auch darauf, die Horazischen Odenstrophen in seinen »Odi barbare« (3. Aufl., Bologna 1880) und »Nuove odi barbare« (das. 1882) zu erneuern. Eine deutsche Auswahl seiner Gedichte hat B. Jacobson mit einer Einleitung von K. Hillebrand (Leipz. 1880) erscheinen lassen. Die »realistische Schule« in Italien erkennt Carducci als ihren Meister an; doch ragt er über dieselbe schon dadurch hinaus, daß er nichts Krankhaftes an sich hat und sich fern von allem Trivialen hält.
Der kühne, feurige Poet ist nebenbei ein geduldiger und unermüdlicher Arbeiter auf dem Feld italienischer Philologie und Litteraturgeschichte. Er veröffentlichte: »Studii letterarii« (2. Aufl., Livorno 1881, 2 Bde.),
»Della poesie latine di L. Ariosto« (Bologna 1875),
»Bozzetti critici e discorsi letterarii« (Livorno 1876),
»La poesia barbara nei secoli XV. e XVI.« (Bologna 1881) u. a., schrieb Kommentare und Abhandlungen (darunter einen Kommentar zu Petrarca, 1879) und gab eine Anzahl älterer italienischer Litteraturdenkmäler neu heraus, wie beispielsweise die Poesien Lorenzos de' Medici (1859), »Ballate del secolo XIV. e XV.« u. a. Auch veröffentlichte er die Briefe Guerrazzis (1881). Seine jüngsten Publikationen sind: »G. Garibaldi; versi e prose« (Bologna 1882);
»Confessioni e battaglie« (Rom 1882-83, 3. Serien);
»Conversazioni critiche« (das. 1884) und »Vite e ritratti« (das. 1885).