Die Familie Caprivi stammt aus Krain
[* 3] und heißt eigentlich Kopriva. Die
Söhne eines
Andreas
Kopriva, nämlich
Andreas und
JohannFranz Kopriva, wurden durch
Kaiser Ferdinand III. mit dem
Beinamen «von Reichsberg
und Nesselthal» in den Reichsadelstand erhoben. Der zweite der genannten
Brüder, auf Nesselthal (Koprivnik) in der Landschaft
Gottschee in Krain, später in
Ungarn
[* 4] und Kroatien angesessen, erlangte schon 1657 das ungar. Baronat
und 1666 dessen
Ausdehnung
[* 5] auch auf seinen
BruderAndreas, gest. 1679. Dieser, in Krain und in
Steiermark
[* 6] begütert, hinterließ
einen Sohn
KarlLeopold, der in kaiserl. Kriegsdiensten 1708 starb.
Mit dessen 1695 in
Schlesien
[* 7] geborenen, 1768 verstorbenen
Sohne Julius
Leopold, der sich bereits der Namensform
Caprivi bediente, wandte sich die Familie in die
Grafschaft Wernigerode,
[* 8] welcher Julius
Leopold schließlich als gräflich Stolbergischer
Kanzler vorstand (vgl. Hausig, Der gräflich Wernigerödische Kanzler Jul.
Leop. von Caprivi als Kirchenliederdichter, Berl. 1890). Von
seinen zahlreichen
Kindern traten mehrere in den preuß.
Staatsdienst. Sein Enkel, Julius EduardLeopold
von Caprivi (geb. 1797, gest. königlich preuß.
Geh. Obertribunalsrat, Kronsyndikus und Mitglied des Herrenhauses, war mit Emilie Köpke vermählt und hatte drei
Söhne, deren
ältester,
GeorgLeoCaprivi (s. d.), 1891 in den Grafenstand erhoben wurde.
de
Caprara de Montecuccoli,
GeorgLeo,
Graf von, preuß.
General und Staatsmann, geb. zu
Charlottenburg
[* 9] als Sohn des
Geh. Obertribunalrats und Kronsyndikus Jul. Ed.
Leopold von Caprivi, besuchte das Werdersche Gymnasium
in
Berlin,
[* 10] trat in das
Kaiser-Franz-Grenadierregiment, wurde Sekondelieutenant, besuchte die Krigesakademie,
wurde 1859 Premierlieutenant und
1861 Hauptmann im Generalstabe. Er wurde dem Generalkommando des 1.
Armeekorps,
dann der 5. Division und 1864 dem Generalstab der kombinierten Infanteriedivision überwiesen. 1865 kam er als Compagniechef
in das 64. Infanterieregiment, wurde 1866 in den
Großen Generalstab versetzt, nahm am Feldzuge in
Böhmen
[* 11] im
Stabe des Oberkommandos
der Ersten
Armee teil, wurde zum Major befördert und kam nach dem Frieden zum Generalstabe des Gardekorps. 1870 wurde
er, der als einer der begabtesten
SchülerMoltkes galt,
Oberstlieutenant und
Chef des Generalstabes des 10.
Armeekorps, nahm
an den Kämpfen vor Metz
[* 12] und
Orléans
[* 13] und an der Loire (namentlich an der
Schlacht bei
Beaune-la-Rolande28. Nov.) hervorragenden
Anteil, wurde Dez. 1871 als Abteilungschef in das Kriegsministerium berufen, 1872 Oberst, erhielt den
Rang als Brigadecommandeur, wurde 1877 Generalmajor und 1878 Commandeur der 5. Infanteriebrigade in
Stettin.
[* 14] 1880 wurde Caprivi. Commandeur
der 2. Garde-Infanteriebrigade in
Berlin, im Dez. 1882 Generallieutenant und Commandeur der30. Division in Metz. Am 20. März 1883 erfolgte
seine Ernennung zum
Chef der
Admiralität. Die «Organisatorischen Bestimmungen für die Marine»,
durch die eine zweckmäßige Neuorganisation geregelt wurde, sind sein Werk. Durch umfassende Geschwadermanöver brachte
er die Kriegstüchtigkeit der Flotte zu großer
Vollkommenheit und entwickelte namentlich auch das
Torpedowesen zum Zweck der
Küstenverteidigung. Die von
Kaiser Wilhelm II. geplanten Änderungen in der Organisation der Marine veranlaßten
ihn, um seine Entlassung einzukommen. Der
Kaiser gewährte sie ihm 5. Juli unter hoher
Anerkennung seiner Verdienste
und ernannte ihn schon 10. Juli zum kommandierenden
General des 10.
Armeekorps in Hannover,
[* 15] nachdem Caprivi bereits im April desselben
Jahres zumGeneral der Infanterie befördert worden war.
Nach
Bismarcks Entlassung wurde Caprivi zu dessen Nachfolger als Reichskanzler, preuß.
Ministerpräsident und Minister der auswärtigen Angelegenheiten ernannt. Seine maßvolle Ruhe erwarb ihm bald Vertrauen,
und sein Bestreben, möglichst alle Parteien zu gemeinsamer polit.
Arbeit heranzuziehen, milderte manche Gegensätze, ohne
sie freilich immer überwinden zu können. Mißstände, die sich in der Benutzung der offiziösen
Presse
[* 16] durch die Regierung zeigten, stellte er sogleich ab. Obgleich nicht von Haus aus Freund der
Kolonialpolitik, hielt er es doch
für staatsmännische Pflicht, die eingesetzte Ehre des
Reichs zu wahren und das Erworbene zu behaupten. Um zunächst
mit England in ein möglichst ungetrübtes Verhältnis zu kommen, schloß er, in Befolgung der ihm vom
Kaiser am 2. Mai gegebenen
Weisungen, das deutsch-engl.
Abkommen ab, wodurch das Wituland und das Protektorat über
Sansibar
[* 17] an England kam gegen
Abtretung von
Helgoland
[* 18] an das
Reich. Er verteidigte offen und klar diese Politik in einer veröffentlichten
Denkschrift und in einer Reichstagsrede Im übrigen war es die gebotene Politik für ihn, an dem Bündnisse
mit
Österreich
[* 19] und
Italien
[* 20] festzuhalten. Er knüpfte persönliche
Beziehungen mit den dortigen leitenden Staatsmännern an,
verhandelte während der ZusammenkunftKaiser Wilhelms II. mit
KaiserFranzJoseph in Rohnstock (17. bis
mit dem Minister
Kalnoky
^[Artikel, die man unter C vermißt, sind unter K aufzusuchen.]
¶
mehr
und besuchte den ital. Ministerpräsidenten Crispi in Mailand
[* 22] 7. Nov. und den König von Italien in Monza8. Nov. Die Verlängerung
[* 23] des Dreibundes (s. d.) Juni 1891 war das Ergebnis dieser Bemühungen und befestigte
die polit. Lage, über die er sich in Osnabrück
[* 24] öffentlich aussprach. Einen weitern Ausbau
fand seine europ. Politik durch den Abschluß von Handelsverträgen mit Österreich-Ungarn,
[* 25] Italien und Belgien,
[* 26] denen 1894 ein
Handelsvertrag mit Rußland folgte.
Für die erfolgreiche Verteidigung jener Verträge im DeutschenReichstage wurde er vom Kaiser zum Grafen ernannt.
Freilich verstimmte er durch seine Handelspolitik die Konservativen. Die innere Politik faßte er vom
Gesichtspunkt der socialen Frage auf; er unterstützte deswegen auch die Volksschulgesetzvorlage des Kultusministers
Grafen Zedlitz, von der er eine Förderung der religiösen Gesinnung der untern Stände sich versprach. Als der Kaiser die Vorlage
infolge des Widerspruchs der Mittelparteien fallen ließ, trat Caprivi, nachdem sein Gesuch um Entlassung
aus allen seinen Ämtern vom Kaiser abgelehnt worden war, im März 1892 nur als preuß. Ministerpräsident zurück,
behielt aber neben dem Reichskanzleramt Sitz und Stimme im preuß. Staatsministerium als Minister der auswärtigen Angelegenheiten.
Während Caprivi 1890 eine Verstärkung
[* 27] des Reichsheeres um 18000 Mann durchgesetzt hatte, wurde die von ihm eingebrachte
Militärvorlage vom Reichstag abgelehnt. Nachdem der letztere daraufhin sofort aufgelöst worden war, bewilligte
der neue Reichstag die ermäßigten Forderungen der Regierung Die «Reden
des Grafen von Caprivi 1883 - 93» (Berl. 1893) gab R. Arndt heraus. -
Vgl. Seidel, GeneralG.L. von Caprivi (Langensalza
[* 28] 1890);
Schreck, Reichskanzler GeorgLeo von Caprivi (Düsseld. 1891).