Cancrin
,
Georg (Jegor Franzowitsch),
Graf, russ.
General und Finanzminister, geb. zu
Hanau
[* 2] als Sohn des durch seine »Grundzüge der
Berg- und Salzwerkskunde« (1773-91, 13 Bde.) bekannten
Salinendirektors
Franz
Ludwig Cancrin
, der 1783 nach Rußland berufen wurde, um die großen
Salzwerke zu
Staraja Russa
(Gouvernement
Nowgorod) einzurichten und zu leiten, und 1816 starb. Der Sohn trat nach Absolvierung seiner
Studien als
Regierungsrat in anhalt-bernburgische
Dienste,
[* 3] ohne indes in denselben Befriedigung zu finden. Er schrieb damals einen phantastischen
Roman:
»Dagobert, Geschichte aus dem jetzigen
Freiheitskrieg«
(Altona
[* 4] 1796), voll von französischen
Freiheits- und Gleichheitsideen. 1796 ging
er nach Rußland, arbeitete zuerst unter seinem
Vater, dann im
Ministerium des Innern und in der
Militärverwaltung. 1812 wurde
er infolge eines Werks über die Verpflegung der
Armeen zum
Generalintendanten der Westarmee ernannt und folgte derselben nach
Deutschland.
[* 5]
Seine ausgezeichnete
Verwaltung dieses
Amtes lenkte die
Aufmerksamkeit
Alexanders I. auf ihn, der ihn zum
Generalintendanten sämtlicher
aktiver
Armeen ernannte. Cancrin
war sodann beteiligt an den
Verhandlungen mit
Frankreich über die sogen. Montierungsentschädigung
und erwirkte für Rußland eine
Summe von 30 Mill.
Frank, wofür
er den
Rang eines
Generalleutnants erhielt. Infolge der von der
altrussischen
Partei gegen ihn angesponnenen
Intrigen in eine Untersuchung verwickelt, wußte er sich zu rechtfertigen, erhielt
jedoch 1820 die erbetene Entlassung als
Generalintendant und wurde zum Mitglied des Konseils des
Kriegsministeriums,
nachher zum wirklichen Mitglied des
Reichsrats ernannt.
Da er sich inzwischen als Verfasser staatswirtschaftlicher Schriften einen Namen erworben hatte, ward er 1823 zum Finanzminister befördert. In dieser Stellung, die er 21 Jahre lang einnahm, brachte er zwar Ordnung in das zerrüttete Finanzwesen, hinderte aber zugleich durch Übertreibung des Prohibitivsystems die wirtschaftliche Entwickelung Rußlands in hohem Grad. Zudem betrachtete er die Staatsindustrie als das beste Mittel, dem Staat Geld zu gewinnen, und gebrauchte rücksichtslos die Machtmittel des Staats, um die Konkurrenz der Privatindustrie und des Privatkredits niederzuhalten, während anderseits die von ihm begünstigten Unternehmungen, namentlich Kanal- und Wegebauten, Versicherungsgesellschaften, auch wissenschaftliche Expeditionen, in nachhaltiger Weise unterstützt wurden.
Sein gewaltsames Verfahren erregte natürlich vielen Haß, doch wurde er von Alexander I. und Nikolaus trotz aller Anfeindungen im Amt erhalten. Auf sein mehrmaliges Ansuchen wurde ihm 1844 die Entlassung gewährt. Er begab sich darauf nach Paris, [* 6] kehrte aber bald nach Petersburg [* 7] zurück, wo er starb. Seine Hauptschriften sind: »Weltreichtum, Nationalreichtum und Staatswirtschaft« (Petersb. 1821);
»Über die Militärökonomie im Frieden und im Krieg« (das. 1822-23, 3 Bde.);
»Die Ökonomie der menschlichen Gesellschaften« (das. 1845);
letzteres Werk stand freilich nicht mehr auf der Höhe der Zeit.
Seine »Reisetagebücher 1840-45« wurden vom Grafen Keyserling (1865, 2 Bde.) herausgegeben.
Vgl. »Im
Ural
und
Altai, Briefwechsel zwischen Alex. v.
Humboldt und
Graf G. von Cancrin«
(Leipz. 1869);
über seine Finanzverwaltung: A. Schmidt in der »Russischen Revue« 1875, Bd. 7.