Cancionero
(span., portug. Cancioneiro, »Liederbuch«),
im allgemeinen eine Sammlung kunstmäßiger (lyrischer) Gedichte von einem oder (meist) mehreren Verfassern; insbesondere Bezeichnung der Liederbücher, welche die Produkte geschlossener poetischer Gesellschaften, wie sie im Mittelalter an den Fürstenhöfen der Pyrenäischen Halbinsel bestanden, enthalten und einen gemeinsamen konversationellen Charakter tragen. Das älteste dieser höfischen Liederbücher, welche »in ihrer Ganzheit ein vollständiges abgerundetes Bild nicht nur von der Dichtkunst, sondern auch von dem geselligen Leben und Treiben jener Hofkreise geben« (F. Wolf), zugleich das älteste Denkmal der portugiesischen Litteratur ist der Cancioneiro des Königs Dom Diniz von Portugal [* 2] (1279-1325) und seines Hofs, der in einer Handschrift des Vatikans auf uns gekommen ist. Einen Teil desselben und zwar denjenigen, welcher die dem König Diniz selbst zugeschriebenen Lieder enthält, gab de Moura unter dem Titel: »Cancioneiro del rei Dom Diniz« (Par. 1847) heraus.
Eine Auswahl der übrigen Lieder veröffentlichte F. A. de Varnhagen unter dem Titel: »Cancioneirinho de trovas antigas« (Wien [* 3] 1870);
endlich erschien der ganze Kodex: »Il canzoniere portoghese della Bibliotheca Vaticana« (hrsg. von E. Monaci, Halle [* 4] 1876) und bald darauf mit kritischen Textveränderungen unter dem Titel: »Cancioneiro portuguez da Vaticana« (hrsg. von Th. Braga, Lissabon [* 5] 1878).
Eine Ergänzung dazu bildet der »Canzoniere portoghese Colocci-Brancutti«
(hrsg. von Monaci, 1880), welcher die
Inedita aus einem andern inzwischen aufgefundenen
Manuskript desselben Liederbuchs enthält.
Ferner ist aus dieser
Kategorie erhalten die Liedersammlung vom
Hof
[* 6] der
Könige
Johann II. und
Emanuel von
Portugal, bekannt als »Cancioneiro geral de Resende« (hrsg.
von Resende,
Almeria u.
Lissabon 1516; neuer
Abdruck von Kaußler, Stuttg. 1850-51, 3 Bde.).
Von der poetischen
Gesellschaft am
Hofe von
Aragonien seit
Ferdinand I. haben sich nur handschriftlich erhalten
der »Cançoner d'amor« auf der
Pariser Nationalbibliothek und ein ähnliches Werk auf der Universitätsbibliothek zu
Saragossa,
[* 7] beide in katalonischer
Sprache.
[* 8] Das älteste kastilische und einzig eigentlich höfische Liederbuch
Kastiliens ist der »Cancionero
de
Baena«, der die
Produkte der poetischen
Gesellschaft am
Hof der
Könige
Johann I.,
Heinrich III. und vorzüglich
Johann II. enthält und in neuester Zeit in zwei fast gleichzeitigen
Ausgaben, von
Gayangos und Pidal
(Madr. 1851) und von
Michel
(Leipz. 1852), erschien.
Ebenfalls in kastilischer
Sprache abgefaßt, aber weniger reichhaltig ist der um dieselbe Zeit entstandene »Cancionero
de
Lope de Stuñiga« von den Hofdichtern, welche den König
Alfons V. von
Aragonien nach
Italien
[* 9] begleiteten
(hrsg.
Madr. 1873). Als sich später diese Art Kunstpoesie in immer weitern
Kreisen verbreitete, begannen
Liebhaber derselben
ähnliche Sammlungen anzulegen, die sich aber nicht auf einen bestimmten poetischen
Kreis,
[* 10] ja nicht einmal auf eine strenger
abgegrenzte
Periode beschränkten, sondern
Altes und
Neues ohne strenge Sonderung aufnahmen.
Eine solche Mischsammlung ist der seit Ende des 15. Jahrh. oft gedruckte und allgemein bekannte
»Cancionero
general«. Derselbe wurde zuerst angelegt von
Juan Fernandez de
Constantina, führt den
Titel »Cancionero
llamado Guirnalda esmaltada
de galanes y eloquentes dezires de diversos autores« und erschien ohne Angabe des
Orts und des
Jahrs, wahrscheinlich
aber zu Ende des 15. oder zu Anfang des 16. Jahrh. im
Druck. Vermehrt und weitergeführt von
Fernando del
Castillo, erschien
dieses Liederbuch zu
Valencia
[* 11] 1511. Außerdem sind noch sechs in
Spanien gedruckte Folioausgaben und zwei zu
Antwerpen
[* 12] gedruckte
Oktavausgaben (1557 und 1573) bekannt. Von einer kleinern
Ausgabe kennt
¶
mehr
man nur ein Exemplar der »Segunda parte« (Saragossa 1552) aus der k. k. Hofbibliothek zu Wien. Mehrere ähnliche Mischsammlungen,
unter welchen der »Cancionero
de Juan Fernandez de Jjar« hervorgehoben zu werden verdient, finden sich handschriftlich auf den Bibliotheken
von Madrid
[* 14] und Paris.
[* 15] Zuweilen nennt man Cancionero
auch Sammlungen von Kunstliedern mehrerer über einen
bestimmten Gegenstand, wie die »Vita Christi« (Saragossa 1492) und der »Cancionero
de Ramon Dellavia« (das.
1480). Ganz uneigentlich aber heißt eine der ältesten Romanzensammlungen »Cancionero
de
romances« (s. Romancero).
Vgl. Bellermann, Die alten Liederbücher der Portugiesen (Berl. 1840);
Ferd. Wolf, Über die Liederbücher der Spanier (im Anhang zu Ticknors »Geschichte der spanischen Litteratur«, Bd. 2, Leipz. 1852);
Derselbe, Studien zur Geschichte der spanischen und portugiesischen Nationallitteratur (Berl. 1859);
Diez, Über die erste portugiesische Kunst- und Hofpoesie (Wien 1863).
Die besten bibliographischen Notizen finden sich bei Duran, Romancero general, Bd. 2 (Madr. 1851).