Calvin
,
Johannes (eigentlich
Jean Caulvin oder Cauvin), der berühmte
Reformator und kirchliche
Diktator zu Genf,
[* 2] war zu
Noyon
in der
Picardie als Sohn des Procureur-Fiskals und
Sekretärs des
Bistums,
Gérard Calvin
, geboren.
Frühzeitig zum geistlichen
Stand bestimmt, wurde er, selbst unbemittelt, mit den
Kindern eines
Herrn v. Mommor in dem
Collège
de la
Marche, später in dem
Collège
Montaigu, in welchem bald auch Ignaz von
Loyola seine
Ausbildung empfing, trefflich
unterrichtet.
Kaum hatte er das 18. Jahr erreicht, als bereits seine Gelehrsamkeit und Einreißende Beredsamkeit ihm nicht nur allgemeine Bewunderung, sondern auch eine Pfarrstelle zu Pont l'Evêque erwarben. Auf Wunsch seines Vaters wandte er sich in Orléans [* 3] dem Studium des Rechts mit eiserner Beharrlichkeit und so vorzüglichem Erfolg zu, daß man ihm bei seinem Abgang von da die juristische Doktorwürde anbot. Sodann begab er sich nach Bourges, hörte hier den berühmten Rechtskundigen Andreas Alciatus und erlernte nebenher bei dem Humanisten Volmar die griechische Sprache.
Nach dem
Tod seines
Vaters (1532) ging er nach
Paris,
[* 4] wo er viele den kirchlichen Neuerungen heimlich zugethan
fand. Im
Verkehr mit solchen scheint schon damals eine Umwandlung in ihm sich angebahnt zu haben. Vielleicht um den die neue
Lehre
[* 5] verfolgenden König
Franz I. milder zu stimmen, gab Calvin
damals das Werk
Senecas von der
Gnade heraus, doch ohne Erfolg;
auch soll er, wenigstens nach
Bezas
Bericht, 1533 für den
Rektor der
Universität,
Cop von Basel,
[* 6] jene am
Fest
Allerheiligen
wie üblich vor dem König gehaltene
Rede ausgearbeitet haben, welche den Vortragenden zur
Flucht nötigte.
Aber auch Calvin
selbst, welcher nach einem Besuch bei der
Königin von
Navarra nach
Paris zurückgekehrt war, mußte 1534 nach
Basel
flüchten. Hier gab er (1536) sein oftmals, zuletzt 1559 umgearbeitetes Meisterwerk: »Unterweisung in der
christlichen
Religion« (»Institutio christianae religionis«),
heraus, welchem
Buch er eine
Dedikation an den König
Franz I.
voransetzte, worin er eine Widerlegung jener Behauptung darbot, als seien die in
Frankreich ihres
Glaubens wegen hingerichteten
Reformierten als unruhige
Köpfe, die
Religion und
Staat umstürzen wollten, anzusehen. Dieses Werk enthält
in lichtvoller
Darstellung ein vollständiges
System des christlichen
Glaubens, gegründet auf das protestantische
Prinzip, daß
die
Heilige Schrift die alleinige
Quelle
[* 7] christlicher
Wahrheit sei. Abweichend von
Luther, statuierte Calvin
im
Abendmahl einen geistigen
Genuß des Leibes
¶
mehr
Christi durch den Glauben; in der Lehre von der Gnade und dem freien Willen nahm er eine absolute Vorherbestimmung der Gläubigen zur Seligkeit, der Ungläubigen zur Verdammnis (Prädestinationslehre) an, und in Ansehung der kirchlichen Gebräuche drang er auf gänzliche Abschaffung aller nicht ausdrücklich in der Heiligen Schrift begründeten Zeremonien.
Von Basel
begab sich Calvin
1536 auf kurze Zeit an den Hof
[* 9] der Herzogin von Ferrara,
[* 10] mußte aber von da fliehen,
besuchte nochmals seine Vaterstadt und gedachte sich dauernd in Straßburg
[* 11] oder Basel
niederzulassen. Auf dieser Reise (im August
1536) kam er durch Genf,
wo die neue Lehre nach langem Kampf seit einem Jahr durch einen Regierungsbeschluß
förmlich eingeführt war. Die Verkündiger derselben waren hier die beiden Prediger Wilhelm Farel und Peter Viret. Farel lud Calvin
ein,
in Genf
sein Gehilfe zu werden; Calvin
weigerte sich anfangs, willfahrte aber dann, als ihm Farel mit dem Fluche Gottes drohte, wenn er
sich dem an ihn ergangenen Ruf widersetze. Calvin
nahm die Stelle als Prediger und Lehrer der Theologie in Genf
an
und widmete sich seinem Amt mit der angestrengteste Thätigkeit. Er lehrte auf der Kanzel und dem Katheder, richtete in den
benachbarten Gegenden das Kirchenwesen ein, schlichtete Streitigkeiten, schrieb außer vielen andern
Schriften einen großen und einen kleinen Katechismus und verfocht in häufigen Disputationen seine Meinungen gegen jeden Angriff
mit Hartnäckigkeit und überlegenem Geist.
Sein Anhang bestand vorzugsweise aus eingewanderten französischen Protestanten; diesen stand ein beträchtlicher Teil der
eingebornen Genser als sogen. Libertiner entgegen, denen die Lehre Calvins
zu herb war, und welche als Freunde
der Schweizer die freiere Richtung Zwinglis vorgezogen hätten. Die Erbitterung zwischen beiden Parteien wurde so stark, daß 1583 Calvin
und
Farel, welche ihren Gegnern das Abendmahl verweigerten, aus Genf
verbannt wurden. Calvin
begab sich über Basel
nach Straßburg.
Hier, wo Martin Bucer schon seit zehn Jahren die Reformation befestigt hatte, fand Calvin
ehrenvolle Aufnahme,
hielt theologische Vorlesungen und gründete eine französisch-reformierte Gemeinde. Durch Teilnahme am Frankfurter Reichstag
1539, am Religionsgespräch zu Worms
[* 12] 1540 und zu Regensburg
[* 13] 1541 trat er mit Melanchthon in freundschaftliche Beziehungen. Dabei
waren aber seine Blicke fortwährend nach Genf
gerichtet, woselbst unterdessen Calvins
Anhänger die Oberhand
im Rat erlangt hatten.
Schriftliche Einladungen an denselben führten nicht zum Ziel, da die Straßburger ihn nicht von sich lassen wollten. Erst
als im Mai 1541 eine feierliche Gesandtschaft des Genfer Rats und der dortigen Bürgerschaft in Straßburg erschien, trennte
sich Calvin
von Straßburg. Im September 1541 kam Calvin
in Genf
an und legte sogleich dem Rate daselbst seinen Plan zur
Verbesserung der Kirchendisziplin vor, der ohne Widerspruch angenommen wurde. Dieser Verordnung gemäß sollten von den Predigern
in Vorschlag zu bringende, von der Gemeinde zu bestätigende Älteste bestellt werden, deren zwölf in Gemeinschaft mit sechs
Predigern die oberste kirchliche Behörde, das Konsistorium, bildeten.
Dieses hatte das Recht, Gesetze zu geben sowie Verächter des Gottesdienstes, sittenlose Personen und Verbreiter heterodoxer Meinungen ohne Rücksicht auf ihren Stand zur Rechenschaft zu ziehen und der weltlichen Obrigkeit zur Bestrafung zu übergeben. Hierdurch hauptsächlich drückte er der Genfer Reformation einen theokratischen Charakter auf. Jede, auch die bescheidenste Opposition gegen seine Ansichten wurde unterdrückt und die Thaten, Mienen und Worte eines jeden Bewohners von Gens streng überwacht.
Ein Anführer der Libertiner, Berthelier, Sohn eines Genfer Freiheitsmärtyrers, wurde sogar mit fünf Gesinnungsgenossen als
Aufrührer enthauptet (1555). Dabei wurden theatralische Aufführungen und Tänze untersagt. Auch die Taufe
auf andre als biblische Vornamen und sogar das Tragen deutsch-schweizerischer Trachten wurden verboten, ohne daß sich deshalb
die Sitten im mindesten verbessert hätten. Auch gegen das Hexenwesen wurde unter Calvin
mit massenhaften Verbrennungen eingeschritten.
Mit gleicher Strenge wurden Schriften und Meinungen, die das geistliche Tribunal verdammte, gerichtet. Jakob Gruet
wurde 1547 enthauptet, weil er gottlose Briefe und unsittliche Verse geschrieben, auch die kirchliche Ordnung umzustürzen versucht
habe. Wegen Widerspruchs gegen Calvins
Prädestinationslehre wurde 1551 Bolsec aus Genf
verbannt; das berühmteste Beispiel aber
von Calvins
Glaubenstyrannei ist die Hinrichtung des Spaniers Servet (s. d.) wegen heterodoxer Ansicht über die Trinität 1553. Diese
Mordszene fällt übrigens den Vorurteilen des ganzen Zeitalters zur Last; auch die Lutheraner, sogar Melanchthon, haben die Hinrichtung
eine That der Gerechtigkeit genannt.
Bald nach Servets Tod ward der Antitrinitarier Gribaldo aus Genf verwiesen. Calvins wahrhaft unermeßliche Thätigkeit erhielt durch die 1559 von ihm bewirkte Stiftung einer theologischen Akademie in Genf, der ersten reformierten Universität, einen neuen bedeutenden Zuwachs. Theodor Beza, seinem ihm sehr ergebenen Schüler, übertrug er das Rektorat, er selbst wollte nur Professor der Theologie sein. Aus dieser Pflanzschule gingen die kühnen und geistvollen Männer hervor, welche die reformierte Lehre den kommenden Geschlechtern bewahrten und in andre Länder, zum Teil in weite Ferne trugen. 1549 schon hatte sich Calvin mit den Zürichern (Consensus Tigurinus) über die Abendmahlslehre geeinigt.
Diese Vereinbarung fand die Zustimmung der übrigen evangelischen Kirchen der Schweiz, [* 14] erregte aber den Zorn der Lutheraner, als deren Wortführer Westphal und Heßhusius in eine erbitterte Polemik mit Calvin gerieten. Calvins schwächlicher Körper erlag endlich den ununterbrochenen Anstrengungen und zunehmender Kränklichkeit. Calvin starb seine Gattin (er hatte 1540 Idelette v. Bures, verwitwete Störder, geheiratet) war 1549, sein einziger Sohn noch früher gestorben.
Calvins bleiche und magere Gesichtszüge mit dem langen, schlichten Bart waren die eines kränklichen Mannes; aus der hohen, reinen Stirn und aus den ernst und scharf blickenden Augen aber sprach ein gelehrter, feiner, fester Geist. Seine Uneigennützigkeit ist vielfach bewundert worden. Er predigte beinahe täglich, hielt wöchentlich drei theologische Kollegien, versäumte keine Sitzung des Konsistoriums, leitete die Verhandlungen der Predigergesellschaft, erließ juristische und theologische Gutachten, führte die wichtigsten politischen Verhandlungen, verfaßte seine gediegenen Werke, darunter die ^vortrefflichen Bibelkommentare, und neben diesem allen erstreckte sich sein Briefwechsel nach allen Ländern Europas. Außer seinen gedruckten Werken bewahren die Genfer und Züricher Bibliotheken als Zeugnisse seiner Thätigkeit an 3000 handschriftliche Predigten, Abhandlungen etc. Er schrieb, solange er noch die Feder halten konnte, und als ihm die Krankheit dies nicht mehr erlaubte, diktierte er von seinem Lager [* 15] aus. An Kenntnis der klassischen Litteratur, an ¶
mehr
Darstellungsgabe und Feinheit des Geistes war Calvin (nach Spittlers Urteil) allen andern Reformatoren weit überlegen. Seine Gemütsstimmung war meist melancholisch und finster. Sein harter und unbeugsamer Sinn steigerte sich, durch Widerspruch gereizt, bis zu bitterm Hohn und stolzer Verachtung gegen diejenigen, welche sein Scharfsinn durchschaute und sein Geist beherrschte. Calvins Werke, namentlich seine »Institutio religionis christianae« (zuerst lateinisch 1536, später öfter, auch französisch, am besten von Rob. Stephanus 1559, neuerlich von Tholuck, 2. Aufl., Berl. 1846, herausgegeben) und seine »Commentarii in libros N. T.« (hrsg. von demselben, das. 1833-34, 7 Bde.; 4. Aufl., das. 1864, 4 Tle.),
sind noch heute für die theologische Wissenschaft von Bedeutung. Eine Gesamtausgabe seiner Werke besorgen Baum, Reuß [* 17] und Cunitz im »Corpus reformatorum« (Braunschw. 1863-84, Bd. 1-28). Calvins Briefe wurden von Bonnet (Par. 1854, 2 Bde.) herausgegeben.
Von Calvin rührt auch die Verbesserung der französischen Bibel [* 18] (nach Olivetans Übersetzung) her. Sein Leben beschrieben von feindlicher Seite Bolsec (Par. 1577; neu hrsg. von Chastel, Lyon [* 19] 1875), von befreundeter Th. Beza (Genf 1576; neue franz. Bearbeitung von Franklin, das. 1864); neuerdings Henry (Hamb. 1835-44, 3 Bde.; Auszug in 1 Bd. 1846), Bungener (2. Aufl., Genf 1863; deutsch, Leipz. 1863), Stähelin (Elberf. 1863), Viguet und Tissot ( Calvin d'après Calvin«, das. 1864); vom katholischen Standpunkt: Audin (6. Aufl., Par. 1873, 2 Bde.; deutsch von Egger, Augsb. 1843-44, 2 Bde.).
Vgl. auch außer den allgemeinen reformationsgeschichtlichen Werken: Galiffe, Quelques pages d'histoire exacte sur les procès intentés à Genève en 1547-59 (Vevey 1862);
Derselbe, Nouvelles pages d'histoire exacte, etc. (das. 1863);
Kampschulte, Johann Calvin, seine Kirche und sein Staat in Genf (Leipz. 1869, Bd. 1);
Lobstein, Die Ethik Calvins (Straßb. 1877);