Cabĭnet,
in England Bezeichnung für das Kollegium, welches thatsächlich als Staatsministerium funktioniert, wenn es auch rechtlich nicht Organ des Staatswesens ist. Im Mittelalter war die Exekutive in den Händen der großen Staatsbeamten, welche zusammen im Privy Council (s. d.) den König berieten. Nachdem es üblich wurde, die Würde eines Privy Councillor ohne Staatsamt zu erteilen, vergrößerte sich diese Körperschaft so, daß sie als beratendes Organ nicht mehr brauchbar war.
Das heutige Cabinet
ist ein
Ausschuß des
Privy Council für die Zwecke der Exekutive, ebenso wie das Judicial Committee ein
Ausschuß
für gerichtliche Zwecke ist, nur mit dem Unterschied, daß dieses gesetzlich anerkannt ist, jenes nicht. Nach der Restauration
der
Stuarts bildete sich ein engerer
Rat, mit 6 Mitgliedern des
Privy Council besetzt, der den König über
auswärtige Angelegenheiten beraten sollte, aber thatsächlich alle wichtigern Angelegenheiten besprach, ehe sie dem
Privy Council vorgelegt wurden. Ein ähnliches Kollegium bildete sich nach Clarendons Fall und ist unter dem
Namen
Cabalministerium
(s. d.) berüchtigt geworden. Das
System entwickelte sich unter Wilhelm Ⅲ., und der Grundsatz, daß
der mit der Regierung betraute engere
Rat aus Mitgliedern der im
House of Commons vorwiegenden Partei bestehen solle, kam immer
^[Artikel, die man unter C vermißt, sind unter K aufzusuchen.] ¶
mehr
mehr zum Durchbruch. Ein anderer Umstand veränderte den Charakter dieses regierenden Kollegiums. Während dasselbe früher stets in Gegenwart des Königs tagte, wurde die Abwesenheit des Königs allmählich zur festen Regel. Hierdurch wurde es aber nötig, daß ein Minister besonders den Verkehr mit dem Könige übernahm, und aus dieser Notwendigkeit entwickelte sich das Institut eines Premierministers. Die Existenz eines leitenden Staatsbeamten war früher nicht beliebt gewesen, und die Abschaffung der Hauptstaatsämter Lord High Treasurer und Lord High Admiral hing hiermit zusammen.
Daraus erklärt es sich auch, daß die Bezeichnung Prime Minister noch lange verpönt blieb; Sir Robert Walpole, der thatsächlich
als der erste engl. Premierminister bezeichnet werden muß, lehnte den Titel ab. Erst vom Anfange des 19. Jahrh.
kommt er regelmäßig in Gebrauch. Amtlich ist er zum erstenmal auf dem Berliner Kongreß
[* 4] angewandt worden; in dem Protokoll
wird Lord Beaconsfield als First Lord of Her Majesty's Treasury, Prime Minister of England bezeichnet.
- Die Versuche Georgs III., nach der alten Weise durch Verkehr mit den Staatsdepartements ohne Vermittelung eines Regierungskollegiums
die Geschäfte zu leiten, bedrohten die weitere Entwicklung des Instituts eines Staatsministeriums, mußten aber bereits 1782 aufgegeben
werden. Das in diesem Jahre gebildete Ministerium Rockingham kann als das erste Cabinet
im modernen
Sinne angesehen werden. Von dieser Zeit an entwickelt sich auch der Grundsatz der Solidarität des Cabinet.
Jetzt ist es ein unumstößlicher
Grundsatz, daß, wenn das House of Commons die Politik eines Ministers mißbilligt, dies den Rücktritt aller Minister und
die Nachfolge der Anhänger des neuen Ministerpräsidenten bedingt.
Wenn sich die Lage der Parteien im House of Commons verändert, beruft der Souverän ein leitendes Mitglied
der herrschenden Partei, mit dem Auftrage, ein Cabinet
zu bilden. Wenn er diesen Auftrag annimmt, wird er Prime Minister, und er
besorgt dann die Verteilung der Ämter. Es besteht keine feste Regel darüber, welche Ämter zu einem Sitze
im C. berechtigen. Immer sind im C. der Lord Chancellor (s. d.), der Präsident
des Privy Council, die fünf Staatssekretäre, der First Lord of the Treasury (erster Verweser des Amtes des Lord High Treasurer
- seine Thätigkeit als Departements-Chef ist gering; er ist Leiter der Partei im House of Commons und
meistens Prime Minister) und der Chancellor of Exchequer (Finanzminister). Ist ein neuzuernennender Kabinettsminister noch
nicht Privy Councillor, so muß er vor seiner Ernennung als solcher bestellt werden. Die Beratungen des Cabinet
werden streng geheimgehalten.
(S. auch Kabinett.)