Bundesindi
genat
(Reichsindigenat), der Inbegriff derjenigen Rechte und Befugnisse, welche einem jeden Angehörigen eines jeden zum Deutschen Reiche gehörenden Staats als solchem gewährleistet sind. Aus dem Wesen eines Bundesstaats als eines wirklichen Staats folgt nämlich, daß die Angehörigen der verschiedenen einzelnen Staaten, welche zusammen den Bundesstaat bilden, eine doppelte Unterthaneneigenschaft und ein zwiefaches Staatsbürgerrecht haben.
Sie sind nämlich einmal in ihrer Eigenschaft als Angehörige ihres Einzelstaats Bürger dieses letztern und Unterthanen der Regierung desselben. Sie erscheinen aber auf der andern Seite auch als Angehörige des Gesamtstaats, zu welchem der betreffende Einzelstaat gehört, und es steht ihnen insofern ein mit den Angehörigen der übrigen verbündeten Staaten gemeinsames Staatsbürgerrecht zu. So besteht z. B. in der Schweiz [* 3] ein sogen. Kantonsbürgerrecht für die Angehörigen der einzelnen zum Bund gehörigen Staaten und außerdem ein sogen. Schweizerbürgerrecht vermöge der Zugehörigkeit zu dem Schweizer Föderativstaat.
Ebenso bestand bis zur Auflösung des frühern Deutschen Reichs für die Angehörigen der sämtlichen zugehörigen staatlichen Existenzen neben dem Territorialindigenat ein gemeinsames Reichsindigenat oder Reichsbürgerrecht. Freilich war die Bedeutung der darin enthaltenen Rechte mit der Zeit mehr und mehr abgeschwächt worden, aber jenes gemeinsame Reichsindigenat blieb doch immerhin noch insofern von Wichtigkeit, als es dazu geeignet war, das Bewußtsein der nationalen Zusammengehörigkeit in den einzelnen deutschen Stämmen zu bekunden und aufrecht zu erhalten. Der nachmalige Deutsche [* 4] Bund dagegen war lediglich ein völkerrechtlicher Verein, kein wirklicher Staat. Darum ¶
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mußte auch hier jene zwiefache Unterthaneneigenschaft und jenes doppelte Staatsbürgerrecht hinwegfallen. Allerdings sprach
man auch zur Zeit des vormaligen Deutschen Bundes von einem Bundesindi
genat. Dasselbe beschränkte sich jedoch auf wenige Rechte, welche in
den Bundesgrundgesetzen den Angehörigen der verschiedenen Bundesstaaten als solchen ausdrücklich garantiert waren. Hierzu
gehörte insbesondere das Recht des freien Wegziehens von einem Bundesstaat in den andern; ferner das Recht,
in den Zivil- und Militärdienst eines andern Bundesstaats zu treten, vorausgesetzt, daß, wie die Bundesakte (Art. 18) sagte,
keine Verbindlichkeit zu Militärdiensten gegen das bisherige »Vaterland«
bestand; endlich die Freiheit von der sogen. Nachsteuer beim Übergang von Vermögensgegenständen aus
einem Bundesstaat in den andern. Im übrigen aber standen sich die Angehörigen der einzelnen deutschen Staatskörper als Ausländer
gegenüber, ein nachgerade unerträglicher Zustand, aus dessen Beseitigung denn auch vorzugsweise die deutschen Einheitsbestrebungen
der letzten Jahrzehnte gerichtet waren, wie denn auch die deutschen Grundrechte von 1848 und die Reichsverfassung vom ein
gemeinsames deutsches Reichsbürgerrecht einführen sollten. Die norddeutsche Bundesverfassung vom aber sanktionierte
(Art. 3) für die Angehörigen der sämtlichen Bundesstaaten ein gemeinsames Bürgerrecht, und diese Bestimmung ist mit der
Gründung des Deutschen Reichs auf die süddeutsche Staatengruppe und sodann auch auf Elsaß-Lothringen
[* 6] ausgedehnt worden.
Allerdings kennt die deutsche Reichsverfassung den Ausdruck »Reichsbürgerrecht« nicht, sie gebraucht vielmehr nach dem Vorgang
der norddeutschen Bundesverfassung statt dessen die Bezeichnung Bundesindi
genat. Allein in diesem Bundesindigenat
sind
ebendieselben, ja noch weiter gehende Rechte und Befugnisse enthalten, als sie die Reichsverfassung vom verheißen
hatte. Art. 3 der Reichsverfassung vom bestimmt nämlich folgendes: Für ganz Deutschland
[* 7] besteht
ein gemeinsames Indigenat mit der Wirkung, daß der Angehörige (Unterthan, Staatsbürger) eines jeden Bundesstaats in jedem andern
Bundesstaat als Inländer zu behandeln und demgemäß zum festen Wohnsitz, zum Gewerbebetrieb, zu öffentlichen Ämtern, zur
Erwerbung von Grundstücken, zur Erlangung des Staatsbürgerrechts und zum Genuß aller sonstigen bürgerlichen
Rechte unter denselben Voraussetzungen wie der Einheimische zuzulassen, auch in betreff der Rechtsverfolgung und des Rechtsschutzes
gleich zu behandeln ist. An diese höchst wichtige Bestimmung über das Bundesindi
genat schließen sich nun verschiedene
weitere, bereits zur Zeit des Norddeutschen Bundes erlassene Gesetze an, welche inzwischen zu Reichsgesetzen
erhoben worden sind, und durch welche das im Art. 3 ausgestellte Prinzip näher aus- und durchgeführt wird. Es sind dies
die Gesetze über das Paßwesen vom über die Freizügigkeit vom das Gesetz, betreffend die Gleichberechtigung
der Konfessionen
[* 8] in bürgerlicher und staatsbürgerlicher Beziehung, vom die Gesetze über Beseitigung
der Doppelbesteuerung vom über Erwerbung und Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit vom endlich
auch die norddeutsche, jetzt deutsche Gewerbeordnung vom Auch die Gesetze über Aufhebung der polizeilichen Beschränkung
der Eheschließung vom und über den Unterstützungswohnsitz vom gehören hierher,
doch haben diese beiden Gesetze vermöge
der dem Königreich Bayern
[* 9] in Ansehung der Gesetzgebung über Heimats- und Niederlassungsverhältnisse
gelassenen Sonderstellung in diesem Staat zur Zeit noch keine Geltung, und ebensowenig ist dies in Elsaß-Lothringen der Fall.
Dagegen ist die Einheit der Rechtspflege und die Gleichstellung aller Unterthanen des Deutschen Reichs in
betreff der Rechtsverfolgung und des Rechtsschutzes durch die gemeinsame Justizgesetzgebung und Justizorganisation in Deutschland
in der umfassendsten Weise zur Aus- und Durchführung gelangt.
Vgl. außer den Lehrbüchern des deutschen Staatsrechts Brückner, Über das gemeinsame Indigenat im Gebiet des Norddeutschen Bundes (Gotha [* 10] 1867);
Stolp, [* 11] Die deutsche Staatsangehörigkeits- und Heimatsgesetzgebung (Berl. 1872).