Bulgarin
,
Faddéï Wenedíktowitsch, russ. Schriftsteller und Journalist, geb. 1789 im Gouvernement Minsk, erhielt seine Erziehung im Kadettenkorps zu Petersburg, [* 2] trat 1805 in das Garde-Ulanenregiment Großfürst Konstantin und machte mit demselben den Feldzug gegen Frankreich bis 1807 und den gegen Schweden [* 3] bis 1809 mit. Im J. 1810 verließ er, sich zurückgesetzt sehend, den russischen Kriegsdienst und ging nach Warschau, [* 4] wo er in die beim französischen Heer errichtete polnische Legion eintrat und in derselben die spanischen und italienischen Feldzüge von 1810 und 1811, die Invasion Napoleons I. in Rußland 1812 sowie den Krieg in Deutschland [* 5] und Frankreich 1813 und 1814 mitmachte. In Spanien [* 6] gefangen genommen, sollte er erschossen werden, als eine französische Reiterschwadron ihn befreite.
Ebenso geriet er 1814 in preußische Gefangenschaft, wußte aber auch hier nach kurzer Zeit seine
Freiheit
wiederzuerlangen und begab sich in
Napoleons
Hauptquartier, der ihm den Oberbefehl über die polnischen
Freischaren übertrug.
Nach
Napoleons
Fall ging Bulgarin
nach
Warschau zurück, wo er als Schriftsteller in polnischer
Sprache
[* 7] auftrat. Bei Gelegenheit eines
Besuchs in
Petersburg (1819) faßte
er den Entschluß, für immer in der nordischen
Residenz zu bleiben,
entsagte nun gänzlich seiner
Nationalität und lieferte in russischer
Sprache in
Gretsch'
Zeitschrift
Artikel, die sich gleich
sehr durch scharfe, satirische Zuspitzung und frivole
Haltung wie durch Servilismus der
Gesinnung auszeichneten.
Seit 1823 gab Bulgarin
das
»Nordische
Archiv« heraus, das anfangs ausschließlich der
Geographie, Geschichte und
Statistik gewidmet war, später aber auch humoristisch-belletristische Beiträge brachte. Bulgarin
erwarb sich
bald den
Ruf eines hervorragenden
Geistes, obwohl es seinen Werken in formeller Beziehung an Abrundung und hinsichtlich des
Gehalts an sittlichem
Adel fehlte. In
Verbindung mit
Gretsch begründete er 1825 die vor etwa 20
Jahren eingegangene
»Nordische
Biene«
[* 8] (»Sséwernaja Ptschelá«),
ein politisches Tageblatt, welches damals unter allen Tagesblättern allein das
Recht besaß, politische Nachrichten aufzunehmen und zu besprechen. Bulgarin
starb als
Wirklicher
Staatsrat auf seinem
Gut Karlowa bei
Dorpat.
[* 9] Bulgarin
war gewandt, immer schlagfertig, witzig und vielseitig gebildet. Wie vielen
Fächern der Litteratur er seine
Aufmerksamkeit gleichzeitig zuwandte, ersieht man aus der
Ausgabe seiner »Gesammelten
Schriften«
(Petersb. 1827; polnisch,
Warschau 1828; deutsch von Oldekop, Leipz. 1828, 4 Bde.).
Rußland verdankt ihm das erste dramatische Taschenbuch in russischer
Sprache, die
»Russische
[* 10]
Thalia«, welche seit 1825 viele
Jahrgänge erlebte. Wertvoller sind seine
»Erinnerungen aus
Spanien« (deutsch von Oldekop, Petersb. 1823),
die in pikanter
Weise Erlebtes und
Fingiertes aus seinem Aufenthalt in
Spanien mitteilen. Vielen Beifall fanden auch seine »Gemälde des Türkenkriegs
im Jahr 1828« (deutsch von Oldekop, Petersb. 1828) und sein moralisch-satirischer
Roman
»Iwan Wyshigin, oder der russische
Gil
Blas« (das. 1829; deutsch von Oldekop, das. 1830, 4 Bde.).
Hieran reihte sich als eine Fortsetzung desselben
»Peter Iwanowitsch Wyshigin« (Petersb. 1830; deutsch von Nork, Leipz.
1834, 3 Bde.).
Später erschienen von Bulgarin
noch drei unbedeutende historische
¶
mehr
Romane und das Werk »Rußland in historischer, statistischer, geographischer und litterarischer Hinsicht« (Petersb. 1837, 4 Bde.; deutsch von Brackel, Riga [* 12] 1839-41, 3 Bde.),
worin nur statistische Materialien und urkundliche Aktenstücke mitgeteilt werden;
endlich seine »Memoiren« (Petersb. 1846-50, 6 Bde.;
deutsch von Reinthal und Clemenz, Jena
[* 13] 1858-61, 6 Bde.), welche eine anschauliche
Schilderung der Zustände Polens zur Zeit des Untergangs der Republik entwerfen. Bulgarin
war unter der Regierung des Kaisers Nikolaus
ein eifriger Diener der Reaktion und beherrschte die ganze litterarische Kritik, weshalb auch Puschkin und die ganze junge russische
romantische Schule gegen ihn waren. Der Dichter Fürst P. A. Wjäsemskij bezeichnet ihn treffend als den
»Ludwig XIV. der russischen Litteratur«. Seine Verbindungen mit der geheimen Polizei und seine Unterstützung des Absolutismus
gewährten ihm auf litterarischem Gebiet eine unbeschränkte Macht, die er zum Schaden der aufstrebenden Talente gut auszubeuten
wußte.