Bukarest
[* 2] (rumän. Bukureschti), gegenwärtig Hauptstadt des Königreichs Rumänien [* 3] (früher nur der Walachei) und Residenz des Königs, liegt in 81 m Meereshöhe unter 44° 25' 30'' nördl. Br. u. 26° 6' 9'' östl. L. v. Gr. in der fruchtbaren, aber ziemlich baumlosen walachischen Tiefebene zu beiden Seiten des Flüßchens Dimbowitza, 68 km nördlich von der Donau, 280 km westlich vom Schwarzen Meer entfernt, und gewährt besonders von der Südseite mit ihren 21,000 bunten Häusern und 124 Kirchen mit hell schimmernden Dächern, sämtlich zwischen zahlreichen Gärten und weiten Plätzen zerstreut stehend, einen malerischen Anblick. Das Innere der Stadt, die über 7 km im Durchmesser, keine äußere Begrenzung, aber 14 Barrieren hat, macht einen unregelmäßigen Eindruck; die Straßen sind eng und winkelig geblieben trotz der Umwandlungen, welche die ¶
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Gebäude erfahren haben. Noch vor wenigen Jahrzehnten bot Bukarest
einen ganz orientalischen Anblick dar; heute hat es ein wesentlich
andres Aussehen. Die Straßen sind gepflastert oder chaussiert und haben zum größten Teil Gasbeleuchtung. Nur der Schmutz
im Winter, der Staub im Sommer sowie die Unreinlichkeit der Straßen u. Plätze überhaupt und der Mangel
an Trinkwasser fallen noch unangenehm auf. Erst die gegenwärtig im Bau begriffene Wasserleitung
[* 5] dürfte diesem Übelstand
bald abhelfen.
Über die Dimbowitza, ein schlammiges Flüßchen, das früher durch seine Überschwemmungen gefährlich war, jetzt aber um 10 m tiefer gelegt ist, führen 15 Brücken, [* 6] darunter eine von Stein, vier von Eisen, [* 7] die übrigen von Holz. [* 8] Im Zentrum der Stadt, wo der Handel seinen Sitz hat, sind die Straße Lipzcani (so genannt, weil früher die hiesigen Magazine ausschließlich mit Waren von der Leipziger Messe versehen waren) und die nach N. ziehende Hauptstraße Calea Victoriei bemerkenswert und als diejenigen Stadtteile zu nennen, deren Aussehen sich täglich mehr dem der europäischen Hauptstädte nähert.
Hier finden sich die meisten großen öffentlichen Gebäude, und solide, schöne Wohnhäuser [* 9] mit zwei, ja drei Stockwerken und eleganten Magazinen zur ebenen Erde haben die alten weitläufigen Wohnungen und die orientalischen Karawanseraien mit ihren niedrigen Gewölben verdrängt. In den Nebenstraßen und Vorstädten sind die Häuser meist einstöckig und stehen weniger regelmäßig. Sämtliche Bauwerke sind von Ziegelsteinen, außen bemalt und mit metallenen Dächern bedeckt.
Die zahlreichen Kirchen haben meist die gewöhnliche Kreuzform; nur sehr wenige zeichnen sich durch Größe oder künstlerischen
Charakter aus. Wie die Häuser, sind auch sie niedrig, eine Folge der Erdstöße, welche wiederholt (besonders 1793 und
1802) die Gegend heimsuchten. Als die vornehmsten Kirchen Bukarests
sind zu nennen: die Metropolitankirche (1656 erbaut),
auf einem Hügel, umgeben von der Wohnung des Erzbischofs von Rumänien und dem Sitzungsgebäude der Nationalversammlung;
die Kirche Radu-Voda (1570 erbaut), in der Nähe die Kapelle Bucur, welch letztere man für das älteste Gebäude der Stadt hält;
die Kirche Mihail-Voda (von 1592), deren Kloster jetzt als Staatsarchiv dient;
die Kirche Curte-Veche (1387 gegründet, nach dem Brand von 1847, welcher fast den vierten Teil der Stadt in Asche legte, neuerbaut).
Mehrere andre Kirchen wurden neuerdings restauriert, so St. Georg im Handelsquartier, St. Spiridion mit originellen Glockentürmen, Sarindar (Basilika [* 10] von 1592) in der Hauptstraße. Auch die Kirche Antim, eine der schönsten der Stadt, und die durch harmonische Verhältnisse und Skulpturenschmuck ausgezeichnete Kapelle Stavropoleos (von 1724) verdienen Erwähnung. Eine Hauptzierde der Stadt bildet die katholische Kathedrale, deren Bau 1875 vom Erzbischof Paoli begonnen und 1884 beendet wurde.
Die ältere Hauptkirche, Baratzie genannt, liegt im Handelsviertel; auch zwei protestantische Kirchen sind vorhanden. Unter den Synagogen ist nur eine einzige (ein schöner Backsteinbau) bemerkenswert. Sonstige öffentliche Gebäude sind: das gegenwärtig im Umbau befindliche königliche Palais an der Hauptstraße;
die Akademie, ein Neubau auf der Stelle des alten Klosters St. Sava, mit einem Boulevard und einem Garten, [* 11] in dessen Mitte sich die Bronzestatue des walachischen Fürsten Michael (gest. 1601) von C. Beleuze und die Marmorstatue des Gelehrten I. Heliade erheben;
das alte Hospital Coltza mit einem viereckigen Turm, [* 12] der im 18. Jahrh. von den Soldaten Karls XII. von Schweden [* 13] erbaut ward, aber beim Erdbeben [* 14] von 1802 teilweise einstürzte und gegenwärtig als Feuerturm benutzt wird;
das Hospital Brankovano mit einer 1885 vollendeten, im byzantinischen Stil erbauten Kirche inmitten eines schönen öffentlichen Gartens;
das Nationaltheater mit 1000 Plätzen, worin das Lustspiel in rumänischer Sprache [* 15] und die italienische Oper kultiviert werden;
das Gebäude der Nationalbank;
das Dampfbad auf dem Boulevard Elisabeth;
die Zentralhalle;
die 1884 vollendete Militärschule;
das Militärhospital;
der Justizpalast und mehrere Kasernen im westlichen Teil der Stadt.
Hier befinden sich auch das Asyl Helena, eine 1860 von der Fürstin Helene Cusa gegründete Waisenanstalt, und das Kloster Kotrotscheni, die königliche Sommerresidenz; auf der entgegengesetzten Seite das Kloster Vakareschti, jetzt Gefängnis. Unter den Privatgebäuden endlich sind hervorzuheben: die beiden Paläste Brankovano, die Paläste Soutzo, Ghika (gegenwärtig Beamtenlokale) und die großen Hôtels du Boulevard, Brofft und Impérial. Seit einigen Jahren hat man auf mehreren der großen öffentlichen Plätze der Stadt Gärten oder Squares angelegt.
Außerdem befindet sich in der Mitte derselben ein großer und schöner öffentlicher Garten, Tschismedji genannt, dessen
von Fischen und Schwänen belebter Teich gegenwärtig tiefer gelegt und mit fließendem Wasser versehen wird; der Korso von Bukarest
, die
nach dem Erbauer benannte Chaussee Kisselef, liegt im N. der Stadt, am Ende der Hauptstraße Calea Victoriei.
Endlich besitzt auch eine eisenhaltige Mineralquelle mit provisorischer Badeeinrichtung, die während des Sommers stark besucht
ist.
Die Zahl der Einwohner belief sich 1879 auf 221,805 (eine Volkszählung im April 1885 ergab nur 155,000 Seelen);
im J. 1878 bekannten sich unter den 177,646 Einw. der eigentlichen Stadt 132,987 zur griechisch-katholischen Religion, 16,991 zum römischen Katholizismus, 5854 zum Protestantismus;
ferner waren 796 armenische Christen und 206 Lipowaner;
Juden zählte man 20,749 (mit 10 Synagogen und 20 Kapellen).
Die Römisch-Katholischen, welche zwei Kirchen und ein Kloster mit Mädchenschule besitzen, sind wie die
Protestanten zum größern Teil Deutsche.
[* 16] Auch findet sich eine kleine Anzahl Türken, welche jedoch keine Moschee in Bukarest
besitzen.
- Die Industrie ist noch wenig entwickelt und beschränkt sich auf die Etablissements zur Herstellung der gewöhnlichen Verbrauchsgegenstände:
Mühlen,
[* 17] Bäckereien, Brauereien, Gasfabriken, Ziegeleien, Seife- und Lichtefabriken, Gießereien, Seilereien, Druckereien
etc. Ein großer Teil der Handwerker sind Deutsche und Ungarn.
[* 18] Der Handel ist im Niedergang begriffen, doch immerhin noch recht
lebhaft. Bukarest
bildet das Zentrum sehr ausgedehnter Handelsverbindungen, sowohl im Königreich selbst als nach dem Ausland, und
die Einfuhr fremder Waren, namentlich der verschiedensten Luxusgegenstände, ist sehr bedeutend. Es bestehen 5 größere
Bankinstitute, darunter die Nationalbank mit
[* 2]
^[Abb.: Wappen
[* 19] von Bukarest.]
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30 Mill. Frank Kapital, die Bank von Rumanien mit 25 Mill. Fr. Bukarest
besitzt zwei große, durch eine Gürtelbahn verbundene Bahnhöfe,
[* 21] einen im S. (Philarète), an der Südbahn, welche Bukarest
mit Giurgewo und jenseit der Donau mit den türkischen Eisenbahnen in Verbindung
setzt, und einen an der Nordseite (Straße Heivitza), an der Rumänischen Bahn, welche sich unfern, bei
Bukoweni, in einen östlichen Zweig (nach Rußland und Galizien) und einen westlichen (nach Ungarn) teilt.
An öffentlichen Bildungs- und Unterrichtsanstalten sind vorhanden: eine Universität (1864 gegründet) mit vier Fakultäten (Philosophie und Litteratur, mathematische und physikalische Wissenschaften, Jurisprudenz, Medizin), 2 Lyceen, 2 Gymnasien, ein erzbischöfliches Seminar, eine höhere Militärschule, eine Normalschule für Elementarlehrer, eine landwirtschaftliche Lehranstalt, eine Schule für Brücken- und Straßenbau, eine Handels-, eine Kunst- und Gewerbeschule, ein Musikkonservatorium, eine Schule der schönen Künste, 30 Elementarschulen und fast ebenso viele Privatschulen, außer den Schulen, welche die verschiedenen Religionsgemeinschaften noch besonders unterhalten. Die Söhne der Wohlhabenden vollenden ihre Bildung gewöhnlich auf auswärtigen Universitäten, meist in Frankreich, neuerdings auch in Leipzig [* 22] und Berlin. [* 23] Mit der Universität verbunden sind eine öffentliche Bibliothek, ein Altertumsmuseum und ein naturhistorisches Kabinett.
Als Landeshauptstadt ist Bukarest
Sitz des Erzbischof-Primas von Rumänien, des Senats und der Kammer, sämtlicher Ministerien, des
Kassationshofs, eines Appellhofs (mit drei Sektionen), des Rechnungshofs und aller Zentralverwaltungsbehörden des Landes, zahlreicher
Gesandten und Ministerresidenten sowie eines deutschen Berufskonsuls. Zu den Umgebungen der Stadt gehören das Wäldchen von
Baniassa und die Gärten von Herestreu, am Ende der »Chaussee«; weiter entfernt in malerischer Lage Panteleimon mit einem großen
und schönen Hospital, einer Stiftung der Fürsten Ghika; in noch weiterer Entfernung die beiden Klöster
Tschernika und Passerea, die ehedem in einem großen Walde lagen. Auch die schönen Schlösser Magourelly, Mogoschoia, Colentina,
Paschkany und Bufta mit ihren Parkanlagen verdienen Erwähnung.
Geschichte. Die Gründung der Stadt schreibt man einer sagenhaften Persönlichkeit, dem Schäfer Bucur,
zu; in den Chroniken erscheint sie als Kriegsplatz seit dem 14. Jahrh. Nachher war Bukarest
abwechselnd
mit Tergovischt die Hauptstadt der Walachei. Als 1594 der Hospodar Michael von der Pforte abfiel, ward Bukarest
1595 nach der Schlacht
bei Kalugareni von dem Großwesir Mohammeds III., Sinan Pascha, erobert, fiel aber schon im nächsten Jahr
wieder in die Hände Michaels. Im 17. Jahrh., unter dem Fürsten Matth. Bassarab, zählte Bukarest
6000 Häuser und 100,000 Einw. und
erhielt mannigfache Verschönerungen.
Fürst Konstantin Brankowan verlegte 1698 die Residenz von Tergovischt definitiv nach Bukarest
, das aber unter den Wirren, welche dem
gewaltsamen Tode dieses Fürsten folgten, sehr litt, so daß es 1713 nur noch 50,000 Einw. zählte. 1716 wurde
die Stadt von 1200 Serben unter Dettin überfallen und geplündert. 1738 wurde sie von einer großen Pest heimgesucht. Am siegten
die Russen unter v. Essen
[* 24] bei Bukarest
über die Türken, welche infolge davon die Moldau und Walachei räumen mußten
und erst durch den Friedensschluß vom diese Länder zurückerhielten.
Unter Alexander Ypsilanti (1774-82) wurde
Bukarest
wesentlich verschönert, aber von den Österreichern unter dem Prinzen
Friedrich Josias von Sachsen-Koburg eingenommen und erst im Frieden vom wieder herausgegeben. Verschiedenes
Mißgeschick, wie Erdbeben (1793 und 1802), Pest (1794 und 1812), Feuersbrünste (1804), Überschwemmungen (1805 und 1806),
traf in den nächsten Jahren die Stadt. Am ward hier der Friede zwischen Rußland und der Pforte geschlossen, durch
den letztere ganz Bessarabien und ein Dritteil der Moldau mit den Festungen Chotin, Akjerman, Bender, Ismail
und Kilia an Rußland abtrat. Seit 1829 begann das rapide Wachstum der Bevölkerung
[* 25] und die Verschönerung der Stadt. Nach
der Vereinigung der Walachei und Moldau zum Fürstentum Rumänien wurde Bukarest
1861 zur Residenz- und Regierungshauptstadt erhoben.
Vgl. Sulzer, Geschichte des transalpinischen Dacien (Wien [* 26] 1782);
Berindey, Bucuresci, étude historique en langue roumaine (in der »Revista Romana« 1861).