Brüssel
(franz. Bruxelles, hierzu der Stadtplan), die Haupt- und Residenzstadt des Königreichs Belgien, zugleich die Hauptstadt der Provinz Brabant sowie der ehemaligen österreichischen, früher spanischen Niederlande, liegt 15 m ü. M., unter 50° 51' 10'' nördl. Br. und 4° 22' 13'' östl. L. v. Gr., an der Senne, einem Nebenflüßchen der Schelde, aus welchem der mitten in der Stadt von vier Bassins ausgehende schiffbare Kanal von Willebroek in die Rupel führt, wodurch die Stadt mit der Schelde und folglich auch mit Antwerpen in Verbindung steht, während ein andrer Kanal nach Charleroi geht und in die Sambre mündet. Das Klima ist feucht und veränderlich, die mittlere Jahrestemperatur 9,94° C. (im Winter 2,87°), die mittlere Regenhöhe 71,2 cm. Die Stadt liegt in fruchtbarer und gut angebauter Gegend, beinahe in der Mitte des Landes und besteht aus einem nordwestlichen untern Teil, welcher von mehreren Armen der Senne und von Kanälen durchschnitten ist, und einem südöstlichen obern Teil, welcher die aus dem Thal der Senne sanft ansteigende Höhe bedeckt. Sie hat einen Umfang von fast 8 km; als Einfassung ziehen sich ringsherum mit doppelter Reihe von Bäumen besetzte Boulevards, die ehemaligen Wälle. Jenseit derselben breiten sich die volkreichen Vorstädte mit regelmäßigen und breiten Straßen aus, an die sich weiter hinaus eine Anzahl (7) industrieller Dörfer und Gemeinden anschließen, die allmählich mit der Stadt verschmelzen. Rechts und links des Sennebettes laufen breite, gewölbte Kanäle zur Aufnahme der städtischen Kloaken; das Sennebett selbst ist in neuerer Zeit ebenfalls überwölbt und über demselben ein die Unterstadt in ihrer ganzen Breite durchziehender Boulevard angelegt worden. Die beiden Hauptteile der Stadt sind durch Charakter und Bevölkerung durchaus verschieden.
Die Oberstadt, der schönste und gesündeste Teil, wird von der Adels- und Geldaristokratie bewohnt; hier sind die Paläste des Königs und der Kammern, die stattliche, aber einförmige Rue Royale, die Rue de la Loi und die Rue Ducale mit den Büreaus der Ministerien, die Place Royale mit dem 1848 aufgestellten Reiterstandbild Gottfrieds von Bouillon (von Simonis), den großen Gasthöfen und dem Palast des Grafen von Flandern, das neue, glänzende Quartier Léopold etc.; Sprache und Sitte sind größtenteils französisch. Die noch vielfach enge und winkelige Unterstadt ist dagegen der Sitz des Handels und der Gewerbe und charakterisiert sich durch vlämische Sprache und Sitte. Bezeichnend ist für sie und ihre alte Bedeutung der große Marktplatz (Grande Place), der mit seinem prächtigen Rathaus, den imposanten Zunfthäusern und seinem sonstigen Reichtum an mittelalterlicher Architektur einen Anblick von höchstem Interesse gewährt. Auch die Unterstadt erhält, zumal nach der Anlage der neuen Boulevards, immer mehr ein modernes Gepräge. Ober- und Unterstadt sind unter andern durch die viele glänzende Läden enthaltende Rue de la Madeleine verbunden. In der Mitte der Oberstadt liegt der von Maria Theresia angelegte große Park von 13 Hektar Flächeninhalt, mit prachtvollen Laubgängen, Wasserbecken und Marmorstatuen, in den Septembertagen 1830 ein Hauptkampfplatz. Andre Plätze sind: die Place de la Monnaie; die Place des Martyrs mit dem Denkmal der im September 1830 gefallenen Freiheitskämpfer, von einer (von Geefs modellierten) befreiten Belgia gekrönt; die Place des Palais; die Place St.-Joseph und Place de l'Industrie; die Place du Grand-Sablon und die du Petit-Sablon, auf welcher das Denkmal der Grafen Egmont und Hoorn steht (das sich früher auf der Grande Place befand, s. Tafel »Bildhauerkunst X«, Fig. 9), inmitten schöner Gartenanlagen, welche von einem eisernen, mit Bronzestatuen geschmückten Gitter umgeben sind; die Place des Barricades mit dem Standbild des Anatomen Vesalius; endlich die Place du Congrès mit der 1859 errichteten, das Standbild Leopolds I. (von Geefs) tragenden dorischen Konstitutionssäule (45 m hoch). Von Kirchen verdienen Erwähnung: in der Oberstadt die gotische Kathedrale zu St. Gudula und St. Michael, die bedeutendste Kirche der Stadt, eine Art Basilika aus dem 13.-15. Jahrh., mit Chorumgang und tiefen, kapellenartigen Seitennischen, zwei schönen, aber unvollendeten Türmen auf der Westseite und zwei Kapellen (das Ganze 1848-56 restauriert); ferner die im antiken Stil 1776-85 erbaute Kirche St.-Jacques auf dem Coudenberg (Kaltenberg) an der Place Royale, mit Säulenhalle und den Standbildern Moses' und Davids (zur Zeit des Konvents Tempel der Vernunft); die Kirche Notre Dame des Victoires (aus dem 14.-16. Jahrh., auch Notre Dame de Sablon genannt, gegenwärtig restauriert) und die gotische Kirche Notre Dame de la Chapelle (aus dem 13.-15. Jahrh.) mit
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wertvollen Wand- und Ölgemälden; in der Unterstadt die neuerbaute St. Katharinenkirche; die Eglise du Béguinage (mit einer Kolossalstatue Johannis des Täufers von Puyenbroek); die durch ihr schönes Portal ausgezeichnete Kirche Notre Dame de Finisterre; die Kirche Notre Dame de Bon Secours (1621 nach der Santa Casa von Loreto in Italien auf Veranlassung der Infantin Isabella aufgeführt); die neue prächtige Kirche der heiligen Jungfrau (im romanischen Stil mit achteckiger Grundform nach den Plänen von Ovenstraeten erbaut) mit schlanken, durchbrochenen Türmen; die Kirche St. Joseph (im Renaissancestil, 1849 erbaut und von den Redemptoristen benutzt) mit einem Altarbild von Wiertz u. a. Die von der niederländischen Regierung dem evangelischen Kultus eingeräumte Augustinerkirche (aus dem 17. Jahrh.) dient gegenwärtig als Hauptpostamt. Einige protestantische Kapellen sind unansehnlich; eine neue Synagoge ist 1878 von de Keyser erbaut.
In der Oberstadt sind die bemerkenswertesten Profanbauten: der königliche Palast, am Park, ein wenig ausgezeichnetes Bauwerk aus dem vorigen Jahrhundert, das kürzlich durch einen neuen Flügel vergrößert wurde (es enthält im Innern eine Sammlung von Gemälden von zum Teil hervorragendem Kunstwert); der frühere Palast des Prinzen von Oranien (Palais Ducal), jetzt Eigentum des Staats, mit einer Sammlung von Gipsabgüssen und den Sitzungssälen der Akademie der Wissenschaften; der Nationalpalast, von Maria Theresia 1779-83 für die alte Ratsversammlung von Brabant erbaut, 1817 bis 1830 Palais der Etats Généraux, jetzt Sitzungslokal der belgischen Kammern, nach dem Brand von 1883 neuerbaut (mit einer Statue König Leopolds von Geefs). An der Place du Musée steht der »alte Hof«, der von 1731 an, nach Einäscherung des alten Palastes, Residenz der österreichischen Statthalter war, jetzt die berühmte Gemäldesammlung (Musée) und ein Naturalienkabinett enthält. Daran stoßen das Musée de l'industrie nebst Industrieschule und die kostbare königliche Bibliothek (s. unten) mit einer Kupferstichsammlung (im Hof des Palastes steht das 1846 errichtete Denkmal des österreichischen Generalstatthalters Karl von Lothringen, von Jehotte). Noch sind hervorzuheben: das Universitätsgebäude (der ehemalige Palast des Kardinals Granvella) mit dem Standbild Verhaegens, eines Mitbegründers der Universität; der herzoglich Arenbergsche Palast (1548 erbaut, einst die Wohnung des Grafen Egmont) mit Gemäldesammlung; das Gefängnis Les Petits-Carmes (1847 im englisch-gotischen Stil nach dem Zellensystem erbaut auf der Stelle eines 1811 niedergerissen Karmeliterklosters, in dessen Nähe ehemals das gräflich Kuylenbergsche Haus, der Versammlungsort der aufständischen niederländischen Edelleute unter Philipp II., stand); ferner der neue Justizpalast, ein Bau von kolossalen Verhältnissen nach den Plänen des Architekten Poelart, und das zierliche Blindeninstitut, mit halbgotischem Glockenturm (von Cluysenaar erbaut). Endlich enthält die Oberstadt auch noch den Überrest der ehemaligen Befestigung, die Porte de Hal am Ende der Rue haute (1381 erbaut und kürzlich restauriert), die zu Albas Zeit als Kerker diente, jetzt eine Waffen- und Altertümersammlung enthält.
Die Unterstadt enthält die vorzüglichsten ältern Bauwerke Brüssels. Hier prangt an dem 110 m langen, 68 m breiten Marktplatz das herrliche Rathaus (Hôtel de Ville), das merkwürdigste Gebäude Brüssels. Es bildet ein Viereck von 60 m Länge und 50 m Tiefe, das einen Hof mit zwei Marmorbrunnen umschließt, und kehrt seine Fronte (im gotischen Stil 1402-43 erbaut) dem Markt zu. Auf der Vorderseite, doch nicht in der Mitte, erhebt sich ein schöner, 114 m hoher Turm, den als Wetterfahne die 5 m hohe Figur des Erzengels Michael aus vergoldetem Kupfer krönt. Auch die andern Seiten des Marktes zeigen, wie erwähnt, mehrere sehr ansehnliche und interessante mittelalterliche Gebäude, namentlich die alten Zunfthäuser (das Haus der Brauer, der Bogenschützen, der Schiffer, der Zimmerer etc.) und das uralte sogen. Brothaus (auch Maison du Roi genannt), in welchem Egmont und Hoorn in der Nacht vor ihrer Hinrichtung, die aus dem Marktplatz stattfand, gefangen saßen. Andre hervorragende Gebäude der Unterstadt sind: das Theater (1817 erbaut, im Innern nach dem Brand von 1855 ganz umgeändert) mit einem Portikus von acht ionischen Säulen und mit herrlichem Giebelrelief (von Simonis); die königliche Münze; die neue Börse (im Renaissancestil nach dem Plan des Baumeisters Suys); das St. Johannishospital (in einfach edlem, aber großartigem Stil, mit Raum für 600 Kranke) etc.
Prächtig ist die Galerie oder Passage St.-Hubert, ein 1847 angelegter, mit Glas gedeckter, 213 m langer, 8 m breiter und 18 m hoher Gang, der den Marché aux Herbes mit der Rue de l'Ecuyer verbindet und die glänzendsten Kaufläden, Cafés etc. enthält. Auch mehrere überdeckte Gemüse- und Fruchtmärkte (marchés couverts) besitzt Brüssel (den ersten, Marché de la Madeleine, seit 1848) sowie seit 1842 große Abattoirs oder Schlachthäuser. Ein anderer bedeckter Markt für Lebensmittel (Halles centrales) ist neuerdings vollendet worden. Auch die große Kaserne Petit-Château und das Entrepôt Royal (Warenlager und Zollamt) sind noch zu erwähnen. In den Straßen befinden sich 30 Springbrunnen, darunter auf einem Eckbrunnen hinter dem Rathaus das Wahrzeichen Brüssels, der sogen. Manneken-Pis, der für die Brüsseler ein Gegenstand besonderer Verehrung ist. Es ist ein nicht ganz 1 m hoher, 1619 nach einer Zeichnung von Dusquesnoy ausgeführter Cupido, der nach altem Herkommen an hohen Festtagen bekränzt und bekleidet wird und dazu acht Anzüge (darunter einen Napoleonshut) besitzt; Ludwig XV. hat ihm sogar das Ludwigskreuz verliehen.
Die Bevölkerung Brüssels hat seit der Selbständigkeit Belgiens stark zugenommen; sie betrug 1824: 84,000, 1846: 123,874, 1856: 152,828, 1866: 157,905, 1876: 161,816 und 1884: 168,029 Einw., mit den sieben angrenzenden Gemeinden (Etterbeek, Ixelles, St.-Gilles, Anderlecht, Molenbeek, Schaerbeek und St.-Josseten Noode) 1882: 388,781 Einw. In der Stadt selbst stieg die Dichtigkeit der Bevölkerung pro Hektar von (1846) 139 Einw. auf (1881) 185. Die Bewegung der Bevölkerung betrug 1882:
Brüssel | Vororte | |
---|---|---|
Lebendiggeborne | 5809 | 7452 |
Totgeborne | 369 | 322 |
Trauungen | 1729 | 1911 |
Ehescheidungen | 50 | 47 |
Todesfälle | 4808 | 4244 |
Von den Lebendiggebornen waren in Brüssel selbst 28,5 Proz. unehelich, in den Vororten nur 15 Proz. Der natürliche Zuwachs der Bevölkerung betrug in Brüssel 0,5 Proz., in den Vororten 1,3 Proz. Auf 1000 Einwohner kamen in der Stadt 29 Todesfälle, in den Vororten noch nicht 20. In der Stadt selbst gab es 1880: 17,643 bewohnte Häuser (1866: 17,641) mit 44,784 Haushaltungen (1866: 44,116). Die
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Bevölkerung ist fast ausschließlich katholisch; es gibt nur ca. 6000 Protestanten und wenige Juden. Von Ausländern sind etwa 12,000 Deutsche und 4000 Engländer. Brüssel ist eine Fabrik- und Handelsstadt von großer Bedeutung. Unter den Fabrikationszweigen steht obenan die Spitzenklöppelei (Brabanter oder Brüsseler Spitzen), die von mehreren Tausend Familien in und um Brüssel betrieben wird und das Vollendetste in dieser Art Arbeit liefert; der Flachs dazu wächst bei Hal (der beste bei dem Ort Rebecque). Den zweiten Rang in der Fabrikation behaupten die Wollzeug- (Tuch, Decken, Coatings, Kalmucks, Borys, Kirseys, Kamelotts, gewirkte Tapeten) und Baumwollwaren (Kattune, Pikees, Musseline, Siamoisen etc.). Ausgebreiteten Ruf genießen auch die Brüsseler Spielkarten, die dortigen Papierfabrikate und mehr noch die Wagen und Kutschen. Außerdem fabriziert man Seife, Talg- und Wachslichte, Hüte, Gold- und Silberwaren, Nadeln, Porzellan, Fayence, Glas, Zucker, Band, Posamentier- und Galanteriewaren, Borten, Leder etc. Der Handel Brüssels beschäftigt sich nicht allein mit den angeführten Fabrikaten und den reichen Produkten der Umgegend, Getreide, Klee-, Lein- und Rübsamen, Flachs, Bausteinen etc., sondern die Stadt nimmt von Antwerpen aus auch bedeutenden Anteil an Handelsunternehmungen zur See, welcher Verkehr durch den aus dem 16. Jahrh. herrührenden Kanal über Vilvorde zur Schelde, der zugleich den Hafen von Brüssel bildet, und den über Hal zur Sambre sehr begünstigt wird. Hauptlebensadern sind ihm in neuerer Zeit die Eisenbahnen geworden, deren sechs (von Antwerpen, Ostende, Lille, Charleroi, Namur und Lüttich) hier zusammentreffen. Zu seiner Unterstützung und Förderung dienen außerdem in Brüssel eine Börse, mehrere Banken (darunter die Nationalbank, seit 1850, mit einem Kapital von 50 Mill. Frank, das noch vermehrt werden kann, einer Filiale in Antwerpen und zahlreichen Zweigkontoren und Agenturen) sowie sehr frequente Märkte. Die Versorgung der Stadt mit Gas, welche 1842 einer englischen Gesellschaft übertragen war, ist 1875 in den Besitz der Stadt selbst übergegangen.
Unter den zahlreichen Wohlthätigkeitsanstalten verdienen vornehmlich Erwähnung: das Institut für Taubstumme und Blinde; das St. Johannishospital; das Hospice des vieillards, ein Verpflegungshaus für 600 Greise, mit eigner Kirche; das reichdotierte, 1568 gestiftete Findelhaus und die Hospitäler St. Peter und St. Gertrud. Unter den öffentlichen Anstalten für Wissenschaft und Kunst steht die 1834 gegründete sogen. freie Universität mit vier Fakultäten und 1881/82: 1232 Studenten obenan (vgl. Vanderkindere, L'université de Bruxelles 1834-84, Brüss. 1884). Die polytechnische Schule (seit 1873) zählte 1881/82: 109 Hörer. Vorbereitungsanstalt für dieselbe ist ein königliches Athenäum; in den Vororten Ixelles, wo gegenwärtig ein Athenäum errichtet wird, und Schaerbeek gibt es je eine höhere Knabenschule. Ferner bestehen in Brüssel eine Akademie der Wissenschaften und schönen Künste (Académie royale de Bruxelles, 1774 gegründet), eine höhere Militärschule, eine Industrieschule, das bischöfliche Institut St.-Louis (Seminar), eine Akademie für Malerei, Bildhauerei und Architektur, ein Konservatorium für Musik, eine Veterinärschule, eine treffliche Sternwarte (1830-74, unter Quételets Direktorium), ein botanischer Garten (1830 eröffnet). Der Volksunterricht steht noch auf niedriger Stufe, obwohl im letzten Jahrzehnt dank den Fortbildungsschulen und Volksbibliotheken ein großer Fortschritt zu bemerken ist. In der Nähe des ehemaligen zoologischen Gartens steht, in Form einer künstlichen Ruine, das Musée Wiertz, ehemals Landhaus und Atelier des gleichnamigen Künstlers, das nach dessen Tod (1865) in den Besitz der Regierung überging und eine Reihe seiner interessantesten Bilder, zum Teil auf die Wand gemalt, enthält. Unter den übrigen Kunstsammlungen, deren schon oben gedacht wurde, ist das Musée de peinture im Alten Hof, welches ca. 400 Bilder von ältern Meistern enthält (darunter 12 von Rubens, andre wertvolle Schöpfungen von Weenix, Cuyp, Joh. van Eyck, Rembrandt, van Dyck etc.), die bedeutendste; eine besondere Abteilung davon bildet das Musée moderne (mit de Keysers Schlacht von Worringen, der Abdankung Karls V. von Gallait und dem Kompromiß von 1565 von Bièfve). Die königliche Bibliothek besteht aus zwei Abteilungen: der der Handschriften, welche im wesentlichen die berühmte Bibliothèque de Bourgogne, von Philipp dem Guten von Burgund im 15. Jahrh. gestiftet, umfaßt und an 22,000 Nummern zählt, und der Abteilung der gedruckten Bücher, die etwa 400,000 Bände stark ist. Außerdem besitzt die Bibliothek eine Kupferstichsammlung von ca. 100,000 Blättern und eine Medaillensammlung von etwa 12,000 Stück. Auch zahlreiche Gesellschaften und Vereine, welche teils wissenschaftliches Zusammenwirken, teils künstlerische Ausbildung bezwecken (z. B. die Medizinische und Naturforschende Gesellschaft, die Gesellschaft zur Aufmunterung der schönen Künste, die Musikalische Gesellschaft und neuerdings die Geographische Gesellschaft), bestehen in Brüssel. Es ist Vaterstadt vieler in Wissenschaften und Künsten ausgezeichneter Männer und Frauen, z. B. des berühmten Anatomen Andreas Vesalius, des Geschichtschreibers H. Hugo, des Naturforschers J. B. ^[Johan Baptista] van Helmont, des Mathematikers Fr. Aguillon. Brüssel ist Sitz der höchsten Staatsbehörden und eines Provinzialgouverneurs sowie der fremden Gesandtschaften und eines deutschen Konsuls. Was die Finanzen betrifft, so waren 1885 veranschlagt die Einnahmen mit 31,312,402, die Ausgaben mit 31,153,054 Frank, wovon 10½ Mill. außerordentliche. Fast 10 Mill. waren für öffentliche Arbeiten bestimmt. Die Verzinsung der Stadtschuld erforderte nur 250,000 Fr.
Unter den Spaziergängen sind außer den Boulevards die Avenue Louise und das Bois de la Cambre zu erwähnen, die an schönen Sommerabenden von Besuchern zu Roß, zu Wagen und zu Fuß wimmeln, endlich die 1707 angelegte Allée verte, eine vierfache Lindenallee, die längs des Scheldekanals ca. 4 km sich hinzieht und ehedem ebenfalls ein Hauptsammelpunkt der vornehmen Welt war, jetzt aber ziemlich verlassen und verrufen ist. Von da aus führt der Weg nach Laeken (s. d.).
Geschichte.
Im 7. Jahrh. gründete der heil. Gerald, Bischof von Cambrai, auf einer Insel der Senne, der jetzigen Place St.-Gery, eine Kapelle, um welche sich eine Ortschaft bildete, die schon 900 einen Markt hielt, ein Kastell hatte und Bruxella oder Bruchsella genannt wurde; es war damals eine kaiserliche Pfalz und gehörte dann den von den Herzögen von Lothringen lehnsabhängigen Grafen von Löwen, die den Titel Grafen von Brüssel annahmen. Seit der Mitte des 11. Jahrh. war die Stadt Residenz der Herzöge von Niederlothringen und Brabant. Herzog Johann III. erweiterte die Stadt 1361 und verstärkte ihre Befestigung. Die Kastellane des Schlosses von Brüssel hießen Burggrafen, später Vikomten.
Im Brockhaus` Konversationslexikon, 1902-1910
Brüssel,
vläm. Brussel, frz. Bruxelles, Haupt- und Residenzstadt des Königreichs Belgien, zugleich Hauptstadt der Provinz Brabant und der ehemaligen österr., früher span. Niederlande, auch geogr. Mittelpunkt des Landes, liegt unter 50° 51' 10'' nördl. Br. und 4° 22' 13'' östlich von Greenwich, in 15 m Höhe, an der größtenteils überwölbten Senne, einem Nebenfluß der Schelde, und steht nach N. durch den in die Rupel führenden Willebrockkanal mit Antwerpen und nach S. durch den Charleroikanal mit der Sambre in Verbindung. hat eine mittlere Jahrestemperatur von +10,3° C.; das Maximum im Juli beträgt +18,4, das Minimum im Januar +2,3° C. Man zählt nur 48 Tage mit Frost, aber bei durchschnittlich 65 Proz. Wolkenbedeckung nur 12 ganz heitere, dagegen 62 Nebeltage im Jahr. Die Regenhöhe beträgt 730 mm. (Hierzu Plan: Brüssel.)
^[Abb.]
Bevölkerung. Brüssel hatte 1825: 84000, 1846: 123 874, 1856: 152 828, 1880: 162 498, 1890: 182 305 (82 043 männl., 100 262 weibl.) E., darunter 52 860 (22 769 männl., 30 091 weibl.) Analphabeten; 18 500 Wohnhäuser und 1050 nicht zum Wohnen bestimmte Gebäude; einschließlich der Vorstädte Etterbeek, Ixelles, St. Gilles, Anderlecht, Molenbeek-St. Jean, Laeken, Scharbaeck (55000 E.), St. Josse-ten-Noode etwa 480000 E. Die rasche Vermehrung ist vor allem eine Folge der starken Einwanderung; die deutsche Kolonie zählt 5000, mit den Vorstädten 10000, die französische 5300, die holländische 4000 Seelen. Die Zahl der Geburten beträgt jährlich etwa 5000, die der Eheschließungen 1700, die der Sterbefälle 4500.
Anlage, Straßen, Plätze, Denkmäler. Brüssel, auf sehr ungleichmäßigem Boden erbaut, zerfällt in zwei Teile: die Ober- und die Niederstadt. Jene, durch ein neues Viertel, das Quartier Leopold, erweitert, wird von der bemitteltern Bevölkerung bewohnt. In der winkligen und schmutzigen, teils aber auch mit breiten, wohlgepflegten, geraden Straßen und eleganten Boulevards versehenen Niederstadt leben die Handel- und Gewerbetreibenden. Während im obern Teil fast ausschließlich französisch gesprochen wird, wiegt in der Niederstadt das Vlämische vor. Brüssel ist eine schöne Stadt ohne besonders ausgeprägten Charakter. Mit seinen Theatern, Palästen, Museen, Kirchen, Hotels, seinen Tavernen nach Londoner und Brauereien nach Münchener Muster, seinem an den Wiener Prater erinnernden Park, seinem, dem Pariser Bois de Boulogne nachgebildeten Cambrewäldchen, den Fremdenkolonien und dem unaufhörlichen Fremdenverkehr bietet es das Bild der echten Großstadt. Nur das enge Zusammenwohnen und die Verschmelzung der beiden Nationalitäten, Wallonen und Vlamänder, giebt ihr ein besonderes belg. Gepräge. Von den frühern Festungswerken ist jetzt nur noch an der Porte de Hal ein 1381 erbauter Turm zu sehen. An Stelle der Stadtwälle umgeben die großartigen, schattenreichen Boulevards fast die ganze Stadt in Form eines unregelmäßigen Fünfecks. Ihre Gesamtlänge beträgt 6 km. Nahe bei der Porte de Hal liegt ein altes, dichtbevölkertes Stadtviertel, dessen Bewohner, die sog. Marolles, durch Sprache (eine Mischung aus Vlämisch und Wallonisch) und Gebräuche von der übrigen Einwohnerschaft verschieden, gewissermaßen als eine Kaste - die Parias Brüssels - anzusehen sind. Außer den Boulevards verdient als Promenade die großartig angelegte Avenue Louise, die nach dem 2 km entfernten Cambrewäldchen führt, Erwähnung. Eine in den vierziger und fünfziger Jahren, aber jetzt wenig besuchte Promenade ist die am Kanal entlang, halbwegs nach dem 4 km entlegenen königl. Lustschlosse Laeken führende Allée Verte. Den Hauptanziehungspunkt der obern Stadt bildet der mit zwei großen Wasserbecken und vielen Marmorstatuen geschmückte 13 ha. große Park. Der malerische Parc Léopold von gleicher Größe, in dem sich früher ein Zoologischer Garten befand, ist weniger belebt. Unter den zum Teil mit Wasserkünsten gezierten Platz en ist zu erwähnen, die Place Royale mit dem von Simonis gearbeiteten, 1848 errichteten Kolossalreiterstandbild Gottfrieds von Bouillon und der Kirche St. Jacques-sur-Caudenberg mit ihrer mit Statuen und Freskogemälde geschmückten Façade, ferner die Grande Place, der Marktplatz mit dem Rathaus, dem Königs- oder Brothaus sowie vielen, meist aus span. Zeit stammenden histor. Giebelhäusern der ehemaligen Zünfte; die Place de la Monnaie mit dem Théâtre Royal und dem der Vollendung nahen neuen Postpalast, der Märtyrerplatz, auf dem die in den Septembertagen des Jahres 1830 gefallenen Helden ruhen, über deren Gruft sich die Statue Belgiens, den belg. Löwen zu Füßen, auf einem mit Basreliefs geschmückten Sockel erhebt; die Place du Grand
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Sablon mit einem monumentalen Brunnen, die zu einem Square umgeschaffene Place du Petit Sablon mit dem früher auf der Grande Place befindlichen Denkmal Egmonts und Hoorns (von Fraikin), einer mit Statuetten verzierten Umsriedigung und den neuerdings gesetzten Standbildern berühmter Gelehrten und Künstler aus der Zeit der span. Schreckensperiode (Ortelius, van Orley, Locquenghien, Mercator, Dodonće, De Vriend genannt «Floris», Brederode und van Bodeghem); ferner die Place des Barricades mit dem Standbilde des Anatomen Vesalius (1847), die Place Ancessens (früher Place Joseph Lebeau) mit dem 1889 errichteten Denkmal des Märtyrers der Freiheit gleichen Namens, die Place Rouppe mit der Statue der Schutzgöttin der Stadt, endlich der Kongreßplatz mit der herrlichen Aussicht auf die untere Stadt und der mit dem 4 m hohen Bronzestandbilde König Leopolds I. gekrönten 47 m hohen Kongreßsäule (1859, von Geefs). Von Denkmälern seien noch genannt das des franz. Generals Belliard (1836), das des Ministers Gendebien (1874), John Cockerills und der Manneken-Pisbrunnen von Duquesnoy (1619).
Kirchen. Die größte und schönste ist die Kathedrale von St. Gudula, im 12. Jahrh. an Stelle einer alten Kapelle des heil. Michael begonnen und bis 1653 im got. Stile erbaut, mit zwei unvollendet gebliebenen Türmen, 16 m hohen, reichbemalten Fenstern und den Grabstätten mehrerer Herzöge; andere sind: die Kirche St. Jacques-sur-Caudenberg (zur Zeit des Konvents Tempel der Vernunft), dann Notre-Dame de la Chapelle, Notre-Dame de Finistère und die 1874 eingeweihte St. Katharinenkirche. Außerdem giebt es mehrere protest. Kapellen und eine im Rundbogenstil 1878 gebaute Synagoge. Die Kirchen der Vorstädte sind außer der prächtigen St. Marienkirche in Schaerbeek mit der byzant. Kuppel und der eigenartigen von Poelaert entworfenen Kirche in Laeken weniger bemerkenswert.
Weltliche Bauten. Das berühmte 1401-54 im got. Stil erbaute Rathaus mit dem 118 m hohen Turm - einem Meisterwerke mittelalterlicher Baukunst - der über die ganze Niederstadt emporragt und auf seiner Spitze die vergoldete Bildsäule (5,5 m) des Brüsseler Schutzpatrons, des heil. Michael, trägt; das dem Rathaus gegenüberliegende Königs- oder Brothaus, ein uraltes, wieder neu aufgeführtes Gebäude, das vor 1794 mehrern Gerichtshöfen diente und in dem Egmont und Hoorn die Nacht vor der Hinrichtung zubrachten, das Entrepôt am Kanal von Charleroi, die Markthalle (Halles Centrales), die Fischhallen, die Schlachthäuser, das Hospital St. Jean mit 600 Betten, das Grand Hospice, ein Verpflegungshaus für 600 alte Leute, die Staatsbibliothek mit mehr als 300000 Bänden, 12000 Handschriften und einer Sammlung von über 60000 Kupferstichen, davor das Denkmal des österr. Generalstatthalters Karl von Lothringen; der ehemalige Palast des Generalgouverneurs (Ancienne cour), jetzt Museumsgebäude, das Palais de la Nation für die Sitzungen des Senats und der Kammer, das königl. Schloß (zur Zeit der franz. Herrschaft Sitz der Präfektur) mit reichen malerischen Kunstschätzen, das Palais des Académies (der frühere Palast des Prinzen von Oranien) mit einem die bedeutendsten Epochen der belg. Geschichte behandelnden Cyklus von 13 Ölbildern von Slingeneyer, davor das Standbild Quetelets, das Schloß des Herzogs von Arenberg - dessen älterer, rechter Flügel mit dem histor. Egmontzimmer 23. Jan. 1892 ein Raub der Flammen wurde - mit wertvoller Gemäldegalerie, der Palast des Grafen von Flandern, das Wiertz-Museum (ausschließlich Gemälde von Wiertz [s. d.] enthaltend), das königl. Musikkonsevatorium, die Nationalbank, die Börse, ein Prachtbau im Stile Ludwigs XIV., die Universität mit dem Standbilde ihres Hauptbegründers P. Verhaegen (von W. Geess), der große neue Justizpalast in griech.-röm. Stil von Poelaert mit hoher (98 m) Kuppel, 180 m lang, 170 m breit, einer der gewaltigsten Bauten ganz Europas, begonnen 1866 und vollendet 1883 (Baukosten über 50 Mill. Frs.), ferner die 1847 vollendete 213 m lange, 8 m breite, 3 Stockwerk hohe (18 m), von Kaufläden, Cafés u. s. w. besetzte Glasgalerie St. Hubert, eine der schönsten und größten, die Nordpassage, die Handelspassage, endlich der 1880er Ausstellungspalast (Palais du Cinquantenaire) mit dem Museum für Altertümer und Kunstgewerbe.
Verwaltung. Brüssel wird verwaltet von einem Bürgermeister (Buls, 25000 Frs. Gehalt), fünf Schöffen und einem Stadtrat, dessen 29 Mitglieder von 3 zu 3 Jahren auf je 6 Jahre gewählt werden. Die Stadt ist in 6 Divisionen geteilt mit je 11 von Polizeikommissaren geleiteten Sektionen. Zur Erleuchtung dient meist Gas (5500 Straßenlaternen, etwa 14000 Gasuhren, 180 Gasmotoren mit 600 Pferdestärken). Elektrisches Licht findet sich auf einigen größern Plätzen und in Privatgebäuden. Die Wasserleitung, welche gleichzeitig auch die 8 Vorstädte versorgt, hat etwa 320 km Röhrenleitung, davon etwa 172 km in Brüssel selbst und gegen 3000 Hydranten. 1847 belief sich die Gesamtlänge der verdeckten Kanäle auf 45 km, gegenwärtig auf 110 km. Zur Verteidigung der Stadt besteht eine 5625 Mann starke Bürgerwehr. Die Feuerwehr zählt 174 Mann auf 14 Posten. Die Vorstädte haben eigene Bürgerwehr und Löschmannschaften.
Finanzen. Der Gesamteinnahme 1890 mit 24 276 505 Frs. stellte sich eine Gesamtausgabe von 24 217 967 Frs. gegenüber. Die Einnahmen betrugen aus Steuern 3 450 791 Frs., städtischem Grundbesitz (Miete u. s. w.) 4 959 911, Zinsen von ausgeliehenen Geldern 3 678 061, Gas 4 592 077 und Wasserleitung 1 600 472 Frs. Für Verwaltung wurden verausgabt 1 092 276 Frs., für die öffentliche Sicherheit 1 459 319, für Schulen 1 169 060, zur Verzinsung der Gemeindeschuld 8 771 020 Frs.
Brüssel hatte seit 1853 sieben verschiedene Anleihen im Betrage von zusammen 241 600000 Frs. aufgenommen. Diese Anleihen wurden 1886 in eine einzige Anleihe von 289000000 Frs. konvertiert, deren Tilgung in 90 Jahren erfolgen muß.
Behörden. Brüssel ist Sitz der Staatsbehörden, des Senats, der Repräsentantenkammer, der Provinzialregierung und der Vertreter fremder Mächte.
Bildungs- und Vereinswesen. Die 1834 gegründete, von der Provinz, der Stadtgemeinde und den Freimaurerlogen unterhaltene Universität hat eine philos., jurist., mathem.-naturwissenschaftliche und mediz. Fakultät sowie eine pharmaceutische und eine polytechnische Schule mit (1891/92) insgesamt 89 Docenten und 1693 Studierenden; die Universitätsbibliothek hatte vor dem großen Brande (1886) 70000 Bände, jetzt ist sie reorganisiert; die 1838 gegründete königl. Bibliothek hat 375000 Bände, 27000 Handschriften, 80000 Stiche, Karten und Holzschnitte, 32000 Münzen und Medaillen. Ferner
Die Brusteingeweide des Menschen I Der Brustkasten nach Entfernung der vorderen Brustwand.
1. Unterkiefer. 2. Zungenbein. 3. Kehlkopf. 4. Schlüsselbein. 5. Erste Rippe. 6. Siebente Rippe. 7. Knorpel der falschen Rippen. 8. Handgriff. 9. Schwertfortsatz des Brustbeins. 10. Brustfell. 11. Mittelfell oder Mediastinum. 12. Zwerchfell. 13. Bauchwand. 14. Linker oberer Lungenlappen. 15. Linker unterer Lungenlappen. 16. Gemeinschaftliche Drosselblutader. 17. Innere Drosselblutader. 18. Schlüsselbeinblutader. 19. Kopfpulsader. 20. Armpulsader. 21. Innere Brustpulsader. 22. Armvenengeflecht. 23. Schilddrüse.
Die Brusteingeweide des Menschen II Der Brustkasten, senkrecht durchschnitten und von vorn gesehen.
1. Unterkiefer. 2. Zungenbein. 3. Erste Rippe. 4. Siebente Rippe. 5. Knorpel der falschen Rippen. 6. Zehnte Rippe. 7. Kehlkopf. 8. Luftröhre. 9. Luftröhrenäste der rechten (entfernten) Lunge. 10. Rechte Herzkammer. 11. Linke Herzkammer. 12. Rechter Vorhof. 13. Linkes Herzohr. 14. Lungenpulsader. 15. Aorta. 16. Obere Hohlvene. 17. Linke Lunge mit ihren Luftröhrenästen und Blutgefäßen. 18. Brustfell. 19. Zwerchfell. 20. Leber. 21. Großes Netz. 22. Halsnerven.
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besteht eine königl. Akademie der Wissenschaften, Litteratur und Künste, aus der 1769 gegründeten Litterarischen Gesellschaft hervorgegangen, eine Militär- und Kriegsschule, eine mediz. Akademie, Tierarzneischule, ein Athenäum (Gymnasium und Realgymnasium) mit 630 Schülern, ein Musikkonservatorium, Taubstummen- und Blindeninstitut, eine Handelsschule, eine Haushaltungsschule für junge Mädchen und von Gewerbeschulen je eine für Uhrmacher, Schriftsetzer und Schneider. Für den elementaren Unterricht bestehen neben den Staats- und Gemeindeschulen und den von liberalen und religiösen Gesellschaften gegründeten Schulen zahlreiche Privatlehranstalten. Das Palais de Beaux-Arts, ein 1880 vollendeter klassischer Bau, enthält moderne Skulpturen und eine wertvolle Sammlung älterer Gemälde (600), insbesondere der niederländ. Schule. Die Bilder neuerer Meister in Öl und Aquarell sind jetzt in acht Sälen des Musée moderne aufgestellt. Brüssel besitzt acht Theater, darunter das Théâtre royal de la Monnaie mit 210 Vorstellungen jährlich, mehrere größere Musikgesellschaften, einige Vereine für Kunst und Wissenschaften, eine Philanthropische Gesellschaft und eine große Menge von Wohlthätigkeitsanstalten, darunter einen deutschen Hilfsverein, Schillerverein, der gegen 400 Mitglieder zählt und alljährlich gegen 25000 Frs. an bedürftige Landsleute verteilt. Über die Zeitungen s. Belgien (Bd. 2, S. 674 b).
Industrie, Gewerbe, Handel. Von den Gewerbzweigen blühen hauptsächlich Spitzen-, Möbel-, Kutschen-, Papier-, Handschuh- und Lederfabrikation. Der Handel ist vornehmlich Luxus- und Kleinhandel; es giebt wohl eine Anzahl größerer Handelsfirmen, doch ist deswegen die Stadt nicht zu den Handelsplätzen zu zählen. Buch-, Kunst- und Musikalienhandlungen (verbunden mit Leihbibliotheken) sind zahlreich, ebenso Bankinstitute, wie die Société générale und seit 1851 die Banque Nationale und sonstige Handels-, Eisenbahn-, Versicherungs-, Bergwerks- u. a. Gesellschaften. Zur Hebung des Umsatzes besteht ein Handelsmuseum. Durch Konsuln sind in Brüssel vertreten: die Vereinigten Staaten von Amerika, Bolivia, Chile, Columbia, Costa-Rica, das Deutsche Reich, die Dominicanische Republik, Ecuador, Griechenland, Guatemala, Haïti, Honduras, Italien, Japan, Liberia, Luxemburg, Monaco, Nicaragua, die Niederlande, der Oranje-Freistaat, Österreich-Ungarn, Paraguay, Persien, Portugal, Rumänien, Salvador, die Schweiz, Serbien, Siam, Spanien, die Südafrikanische Republik, die Türkei, Uruguay, Venezuela.
Verkehrswesen. Dem auswärtigen Verkehr dienen außer den Kanälen (gegen 12000 Schiffe und Boote jährlich mit etwa 1 300000 t Raumgehalt) die von drei durch Gürtelbahn (mit 8 Haltestellen) verbundenen Bahnhöfen ausgehenden Kunststraßen, vor allem aber Eisenbahnlinien: Brüssel-Herbesthal, Brüssel-Antwerpen, Brüssel-Ostende, Brüssel-Quiévrain, Brüssel-Arlon-Sterpenich, Brüssel-Tervueren, Brüssel-Luttre, Brüssel-Lille der Belg. Staatsbahnen; ferner die Linien Brüssel-Tilbeck-Schepdael, Brüssel-Haecht, Brüssel-Anderlecht-St. Quentin der Belg. Vicinalbahnen. Den Verkehr in der Stadt sowie den mit den Vorstädten erleichtern 10 Pferdebahn-, 4 Dampftrambahn- und 11 Omnibuslinien. Zur Vermittelung des Postverkehrs bestehen außer der Hauptpost 20 Post- und Telegraphenämter (die der Vorstädte inbegriffen). Die Postanstalten sind zugleich auch Zahlstellen für die Sparkasse. Der Telephondienst - gegen 1200 Linien - bisher von einer Privatgesellschaft betrieben, wird demnächst in staatliche Verwaltung übergehen.
Die Umgebung ist zum Teil sehr schön. Besondere Anziehungspunkte neben dem Cambrewäldchen (im SO.) sind der Park zu Laeken im N., im O. der prächtige Park zu Tervueren sowie die im Soigneswald herrlich gelegenen, als Sommerfrischen stark besuchten Dörfer Watermael-Boitsfort, Groenendael (mit Hippodrom) und La Hulpe.
Geschichte. Brüssel erscheint zuerst um 870 als Brosella, im 10. Jahrh. dann als Bruoscella in der Geschichte. Gewöhnlich werden diese Worte von dem alten bro oder bruoc, dem heutigen vläm. brock = Sumpf und selle oder sele = Wohnung hergeleitet. Zuerst scheint es eine Villa der fränk. Monarchen gewesen zu sein. Eine Urkunde Ottos I. von 966 bestätigt das Vorhandensein einer Kirche, unter der neuere Forscher die Kirche zum heil. Michael verstehen, und an deren Stelle später die St. Gudulakirche erbaut wurde. Gerberge, Schwester Ottos d. Gr., brachte die Ortschaft dem Herzoge Giselbert von Lothringen als Mitgift zu. Ihre Enkelin Gerberge heiratete den Grafen Lambert von Löwen. Mit diesem kam der Bezirk Brüssel unter die Herrschaft der Herzöge von Niederlothringen und Brabant, durch deren Einfluß die Stadt zu großem Ansehen gelangte. Von Johann I. an (1251-59) scheint sie Wohnsitz der Fürsten geblieben zu sein, indes Löwen noch den Titel der Hauptstadt behauptete. Nach vielfachen Kämpfen der auf ihre Vorrechte eifersüchtigen Bürger mit den Patriciern oder mit den Fürsten, nach fürchterlichen Bürgerkriegen, die der Tod Johanns III. (1355) über die Stadt hereinbrachte, gelangte das Erbteil seiner Tochter Johanna an die Gräfin von Flandern, Gemahlin des burgund. Herzogs Philipp des Kühnen, welche die Verwaltung Brabants und Limburgs ihrem Sohne Anton übertrug. Nach dem Tode der Söhne desselben (1480) trat Philipp der Gute, Herzog von Burgund, in den Besitz des Herzogtums Brabant, und unter seiner Enkelin Maria, Gemahlin Kaiser Maximilians, ging die stark befestigte, schon bedeutende Stadt an das Haus Habsburg über. Wiederholte Eingriffe desselben in die beschworenen Freiheiten gaben zu steten Aufständen Anlaß, die indes immer mit einer Aussöhnung endeten. Karl V. bereits hatte Brüssel zur Hauptstadt der Niederlande gemacht und mit allem Glanze des Hoflebens umgeben. Unter Philipp II., der hierher den Sitz der Generalstatthalterschaft unter Margarete von Parma verlegt hatte, wurde es der Hauptschauplatz der niederländ. Revolution. Nachdem 5. April 1566 Brederode an der Spitze des verbündeten Adels der Regentin die Beschwerde übergeben hatte, wurde hier am selben Abend der Geusenbund geschlossen. In Brüssel schalteten die Inquisition und Philipps Feldherr Alba mit grausamer Blutgier und schnöder Verletzung der verbrieften Freiheiten.
In dem langen Befreiungskämpfe war Brüssel der Hauptwaffenplatz abwechselnd der Niederländer und der Spanier. 1576 wurde hier die Genter Pacifikation und 9. Jan. 1577 die Brüsseler Union, deren Bedingungen Don Juan von Österreich sich eine Zeit lang unterwarf, abgeschlossen. Nach seiner Entfernung zog Oranien als Ruwaert von Brabant in ein (23. Sept. 1577), mußte aber schon nach Don Juans Sieg bei Gembloux (31. Jan. 1578) die Stadt räumen. Trotz entsetzlicher Zustände im