Brügge
(frz.
Bruges), Hauptstadt der belg.
Provinz Westflandern, liegt 15 km von der Meeresküste entfernt in einer
fruchtbaren Ebene, an der Linie
Brüssel-Ostende der
Belg. Staatsbahnen
[* 2] (122 km), die hier nach
Blankenberghe und Heyst (23
km) abzweigt, den Privatbahnen Brügge
-Kortryk (52 km) und Brügge-Eecloo-Gent (48 km) und der Vicinalbahn Brügge-Sluis.
Brügge
umfließen 3
Kanäle von Gent
[* 3] (SO.) und von
Sluis
(NO.), um zusammen als Ostender
Kanal
[* 4] westwärts zum
Meere zu gehen. Auch
im Innern ist Brügge
von 3 Wasseradern durchzogen.
Die Bevölkerung beläuft sich (1890) auf 47 497 Seelen, darunter
fast ein Drittel
Arme, die Stadt könnte aber bei ihrem
Umfange von ungefähr 9 km, wie einst zu ihrer
Blüte,
[* 5] 200000 E. fassen.
Die breiten
Straßen, die große Zahl altertümlicher Häuser deuten noch auf die ehemalige
Größe. Es giebt 54
Brücken,
[* 6] darunter 12 Holz-
und Wendbrücken zum Durchlaß der Fahrzeuge.
[* 1] ^[Abb.]
Die wichtigsten Bauten sind: der Bahnhof, die viereckige Halle [* 7] auf dem großen Platze (aus dem 14. Jahrh., im 16. Jahrh. erneut) mit einem 107 m hohen Turme und berühmten Glockenspiel;
das neuerdings restaurierte got. Stadthaus, aus dem Ende des 14. Jahrh., dessen 33 Bildsäulen der flandr.
Grafen und Gräfinnen 1792 von den Franzosen verbrannt, in neuester Zeit wiederhergestellt worden sind; der Justizpalast, erbaut an der Stelle, wo einst der Palast der Grafen von Flandern stand, heutzutage nur durch den in Holz [* 8] geschnitzten Kamin im Audienzzimmer des Franc-de-Bruges merkwürdig; die Liebfrauenkirche, frühgotisch, mit einem Spitzturme von 120 m Höhe, einer Madonna mit dem Kinde in Marmor, wohl fälschlich Michelangelo zugeschrieben, mehrern wertvollen Gemälden von Seghers, de Crayer, van Oost, E. Quellyn, und den Grabmälern Karls des Kühnen und seiner Tochter Maria von Burgund; die Kathedrale, ein frühgot.
Backsteinbau aus dem 13. und 14. Jahrh., unscheinbar von außen, aber um so reicher im Innern ausgestattet, mit Bildern von Pourbus, D. Bouts u. a.;
die Kapelle des heiligen Blutes mit vorzüglichen Glasmalereien (s. Tafel: Glasmalerei [* 9] I, [* 1] Fig. 7), ein zweistöckiger Bau, die untere Kirche 1150 erbaut, die obere aus dem 15. Jahrh., 1829-39 prächtig restauriert;
in dieser Kirche legte, der Tradition zufolge, Dietrich von Elsaß 1150 einige aus Palästina [* 10] mitgebrachte Tropfen des Blutes Christi nieder, ein Akt, dessen 700jähriges Jubiläum 1850 mit allem Aufwand kirchlichen Pompes gefeiert ¶
mehr
wurde; die Kirche von Jerusalem, [* 12] spätgotisch, mit einer Nachbildung des heiligen Grabes, von Anselm Adornes erbaut;
die St. Jakobskirche, 1457-1518 erbaut, mit vielen Gemälden;
das geräumige bischöfl.
Seminar, früher die Dünen-Abtei; das St.
Johannspital, in dessen Kapitelsaal nebst mehrern wertvollen Gemälden (darunter sechs von Memling) der Reliquienkasten der
heil. Ursula aufbewahrt wird, auf dessen Flächen Memling das Martyrium der 11000 Kölner
[* 13] Jungfrauen gemalt
hat, und den die Stadt als ihr kostbarstes Kunstwerk betrachtet. hat ein Marmorstandbild Memlings (errichtet 1871), ein Bronzestandbild
Johann van Eycks, ein Standbild des in Brügge
geborenen Mathematikers Simon Stevin, und ein 1887 errichtetes Denkmal der
Anführer der Brügger in der Sporenschlacht (1302) bei Courtrai (Kortrijk), Peter de Koninck und Johann Breidel.
Brügge
ist Sitz eines Bischofs seit 1559 und des Provinzialgouvernements von Westflandern und besitzt eine Kunstakademie (1719
errichtet, 1795 neu erbaut, mit einer Gemäldegalerie), ein Museum, eine öffentliche Bibliothek (580 Handschriften), ein
Konservatorium, zahlreiche Wohlthätigkeitsanstalten, zwei große Krankenhäuser. Die Haupterzeugnisse
der Brügger Gewerbethätigkeit sind Linnen-, Woll-, Baumwoll- und gemischte Zeuge, Spitzen. Bierbrauerei,
[* 14] Branntweinbrennerei
und Schiffbau bilden gleichfalls wichtige Erwerbszweige. Doch ist Brügge
im ganzen als Industrie- und Handelsstadt ein toter Platz. 1889 liefen
im Hafen ein 59 Schiffe
[* 15] (34 Dampfer) mit 14 500 t und aus 60 Schiffe (35 Dampfer) mit 14 819 t.
Die Geschichte der unter allen Städten des Landes am meisten mittelalterlichen Stadt läßt sich bis ins 3. Jahrh. verfolgen,
in welchem der heil. Chrysolus den Bewohnern derselben das Evangelium gepredigt haben soll. Schon im 10. Jahrh. war der Handel
Flanderns mit England sehr bedeutend. Später entwickelte sich derselbe derart, daß sich (vor 1240)
ein großer, sowohl vläm. wie engl. Kaufleute umfassender Gildenverein
bildete, die sog. Londoner oder Vlämische Hanse, deren Hauptsitz Brügge
war, wo der sog. «Graf» der Hanse, immer gewählt aus den
Brügger Gilden, residierte; die Londoner Hanse bestand fort bis 1426. Der Reichtum der Stadt im Mittelalter
war außerordentlich. Im 14. Jahrh. war Brügge
Mittelpunkt des Welthandels im nördl.
Europa.
[* 16]
Doch bewirkte bald die allmähliche Versandung der Häfen von Sluis und Damme, welcher die durch innere Unruhen und Meutereien
allzu sehr beschäftigten Bürger nicht abzuhelfen bemüht waren, das Sinken ihrer Größe und den Aufschwung
ihrer Nebenbuhlerin Antwerpen.
[* 17] Die Empörung der Bürger (1488), die mit der Gefangennehmung Kaiser Maximilians in der noch
jetzt vorhandenen Cranenburg und einer strengen Bestrafung der Stadt endigte, übten auf den Handel eine höchst verderbliche
Wirkung, und nur das Wollmonopol, das 1560, nach dem Verluste von Calais,
[* 18] für die Engländer eine hohe
Bedeutung erreichte, bewahrte ihn vor dem gänzlichen Verfall. Ebenso nachteilig wirkten die massenhaften Auswanderungen während
der Religionswirren unter Philipps II. blutiger Regierung. Die Brügger Tapeten hatten am Ende des 16. Jahrh. den größten
Ruf in Europa, und die Gobelinmanufakturen in Paris
[* 19] wurden von einem Brügger Fabrikanten errichtet. Zu
Brügge
wurden der Maler van Oost, der Buchdrucker Colard Mansion und der Kriminalist Damhouder gehören.