Brügge
(franz.
Bruges), Hauptstadt der belg.
Provinz
Westflandern, 14 km von der Nordseeküste bei
Blankenberghe entfernt,
an der Vereinigung der
Kanäle von
Gent,
[* 2]
Ostende,
[* 3]
Sluis,
Nieuport,
Furnes und
Ypern, durch
Eisenbahnen mit allen bedeutenden
Städten
des
Landes verbunden, einst der
Mittelpunkt des
Welthandels, voll
Glanz und Pracht, jetzt sehr heruntergekommen. Brügge
ist von Wassergräben
umgeben und vielfach durchzogen und hat im Äußern noch ganz mittelalterliches Gepräge.
Die Straßen sind breit, aber tot, die altertümlichen Häuser reich verziert. Von Bauwerken sind anzuführen: die Hallen (Fleisch- und Tuchhalle) mit dem 107,5 m hohen Hallenturm (Belfried, 1291 begonnen);
das zierliche gotische Rathaus mit sechs Türmchen (von 1367, neuerlich restauriert), mit der städtischen Bibliothek (44,000 Bde.);
die Liebfrauenkirche mit 120 m hohem Turm, [* 4] den Grabmälern Karls des Kühnen und seiner Tochter Maria von Burgund, wertvollen Gemälden und einer Statue der heiligen Jungfrau, welche Michelangelo zugeschrieben wird;
die im Innern reich ausgestattete, frühgotische Kathedrale St. Salvator aus dem 13. Jahrh., mit Gemälden;
die Kapelle zum heiligen Blut (auch St.-Basile genannt), eine kleine, zierliche Kirche aus dem 12. Jahrh. (von den Sansculotten verwüstet, aber 1829 bis 1839 restauriert), mit einem modernen Altar [* 5] von vortrefflicher Bildhauerarbeit;
die Jerusalemerkirche, ein einfacher spätgotischer Bau aus dem 15. Jahrh.;
die gotische St. Annenkirche mit vielen Gemälden aus dem 17. u. 18. Jahrh.;
die Jakobskirche, ein spätgotischer Ziegelbau (1469 geweiht);
ferner das große bischöfliche Seminar (Dünenabtei genannt);
das seit länger als 500 Jahren bestehende St. Johanneshospital mit berühmten Gemälden von Memling und dem Reliquienkasten der heil. Ursula, auf dem das Martyrium der 11,000 Kölner [* 6] Jungfrauen von Memling dargestellt ist;
der große Beghinenhof (aus dem 13. Jahrh.);
der Justizpalast, wo einst die Residenz der Grafen von Flandern gestanden, mit berühmtem, in Holz [* 7] geschnitztem Kamin;
die Craenenburg am Großen Markt, wo drei Monate lang König Maximilian 1488 gefangen gehalten ward (jetzt Schenke), u. a. Von dem Prinzenhof, dem alten Palast der Grafen von Flandern, in welchem die Hochzeit Karls des Kühnen mit Margarete von York 1468 gefeiert wurde, sind nur wenige Trümmer übrig.
Unter den öffentlichen Gebäuden neuern Ursprungs ragt hervor das Gefangenhaus mit 300 Zellen. Von Denkmälern sind das Standbild Jan van Eycks gegenüber dem Rathaus, das Marmorstandbild Memlings auf dem frühern Mittwochsmarkt (von Pickery, seit 1871) und das S. Stevins, des Erfinders des Dezimalsystems, zu nennen. Die Bevölkerung [* 8] ist von (1816) 49,803 Einw. auf (1884) 45,073 gesunken; fast die Hälfte derselben lebt in größter Dürftigkeit, und unverhältnismäßig viele sind auf die öffentliche Wohlthätigkeit angewiesen.
Die
Industrie der Stadt liefert besonders
Spitzen,
Leinwand,
Baumwoll- und Wollzeuge,
Leder,
Tabak,
[* 9]
Starke,
Seife; ferner werden Bierbrauerei,
[* 10]
Branntweinbrennerei und
Schiffbau umfangreich betrieben, und der
Handel mit den
Landes- und
Gewerbeprodukten, namentlich mit
Korn,
Flachs,
Hanf und
Öl, vorzüglich aber mit
Leinwand, ist lebhaft. Obgleich Brügge
nur an
Kanälen
liegt, so werfen doch Seeschiffe von 200-300
Ton.
vor der Stadt
Anker,
[* 11] und 100
Schiffe
[* 12] haben
Raum im Hafenbassin
Sluis am Zwin (im
NO. der Stadt, schon in
Holländisch-Zeeland gelegen), wohin ein
Kanal
[* 13] führt.
Der Seehafen Brügges
ist in
Ostende. Die zwei messenähnlichen
Jahrmärkte Brügges
(4. Mai 1. Okt.), jeder 14
Tage dauernd, versammeln
viele ausländische Geldkräfte, und auch die Vieh- und Pferdemärkte sind von Bedeutung. Trotz all dieser
Anstalten aber ist der
Handel des heutigen Brügge
nur noch ein
Schatten
[* 14] gegen den im 13.-15. Jahrh., wo eins seiner Handelshäuser,
van den Beursen, so berühmt wurde, daß die
»Börse« davon ihren
Namen erhielt.
Alle Handelsvölker der bekannten
Welt hatten
hier ihre
Konsulate.
Faktoreien oder privilegierte
Gesellschaften von Kaufleuten aus 17
Königreichen hatten
sich hier niedergelassen. Brügge
war schon früh der
Stapelplatz für die
Städte des Hansabundes und für den englischen Wollhandel.
Mit der
Entdeckung der großen Seewege und dem Emporkommen
Antwerpens sank die
Brügger Handelsmacht. An wissenschaftlichen,
Kunst- und Erziehungsanstalten befinden sich in ein königliches
Athenäum, eine höhere Knabenschule,
Industrieschule, eine Schiffahrtsschule, ein bischöfliches
Seminar, eine
Kunstakademie mit Bildergalerie, ein
Lehrerseminar,
eine vielbesuchte Erziehungsanstalt im
Englischen
¶
mehr
Nonnen-Kloster, ein Taubstummen- u. Blindeninstitut (seit 1835), eine chirurgische und
Hebammenschule, eine öffentliche Bibliothek von 15,000 Bänden und 580 Handschriften (manche mit Miniaturen), ein botanischer
Garten
[* 16] und ein Verein für Nationallitteratur. Brügge
ist Sitz eines Bischofs, der obersten Provinzialbehörden, eines Gerichts, einer
Handelskammer, einer Ackerbaugesellschaft etc. Fast 4 km nordöstlich liegt das Dorf Damme (s. d.).
Geschichte. Brügge
hieß zur Zeit der Merowinger Bruzzia, dann Brugä und soll schon um 865 mit Mauern umgeben gewesen sein. Als
Balduin, Graf von Flandern, 1204 Kaiser des byzantinischen Reichs wurde, bekam die Stadt durch die Verbindung mit ihm Gelegenheit,
ihren Handel über die Levante auszudehnen; sie wurde zugleich als Hansestadt ein Handelsmittelpunkt für
den Weltverkehr (s. oben). Der Versuch Philipps IV. von Frankreich, die flandrischen Städte zu unterwerfen, wurde durch die »vlämische
Vesper«, wobei in unter Führung des Peter Koning über 3000 Franzosen getötet wurden, und durch den Sieg der Städte bei Kortryk 1302 vereitelt.
So kam Brügge
1305 wieder unter die Grafen von Flandern und erhielt von diesen immer mehr Privilegien.
Auch unter den Herzögen von Burgund blühte Brügges
Handel, sank jedoch, als Flandern habsburgisch wurde und Antwerpen
[* 17] sich
hob. Die Häfen von Sluis und Damme versandeten, und innere Zerwürfnisse schwächten die Stadt. 1488 nahmen
die Bürger von Brügge
den römischen König Maximilian I. gefangen, folterten und enthaupteten seine Räte und zwangen ihn, nach
viermonatlicher Gefangenschaft der Regierung Flanderns zu entsagen. Nach mehreren vergeblichen Versuchen wurde die Stadt durch
Maximilians Statthalter, Herzog Albrecht von Sachsen,
[* 18] bezwungen und bestraft, wodurch ihr Ansehen und Handel
sehr geschädigt wurden. 1559 wurde hier ein Bistum errichtet.
Nachteilig für den Wohlstand der Stadt waren die massenhaften Auswanderungen unter Philipps II. blutiger Regierung. 1582 wurde
Brügge
von den Franzosen genommen, aber 1584 von den Spaniern wiedererobert. 1704 wurde es von den Holländern vergeblich belagert,
nach der Schlacht bei Ramillies 1706 von den Verbündeten und 1708 durch Kapitulation von den Franzosen, 1709 abermals
von den Verbündeten besetzt. Im österreichischen Erbfolgekrieg eroberten es die Franzosen 1745 unter dem Marschall von Sachsen
und in der Revolutionszeit 1794 unter Pichegru. Unter französischer Herrschaft war es die Hauptstadt des Lysdepartements.
Seit 1814 gehörte es zu den Niederlanden, seit 1830 zu Belgien.
[* 19]