Brienzersee
(Kt. Bern, Amtsbez. Interlaken). Der östliche der beiden grossen Seen des Berner Oberlandes. Er ist ein richtiger Thalsee und bildet demnach ein langgestrecktes, schmales Becken. Um den Thalcharakter sich recht vorstellen zu können, muss man sich Thuner- und Brienzersee als ein einziges Becken denken und den letztern noch bis Meiringen verlängern, denn erst durch die Deltas der Lütschine und des Lombaches einerseits, durch die Aare andererseits hat der See im Laufe der Zeit seine heutige Form und seine jetzigen Dimensionen erhalten, die sich beide entsprechend der fortgesetzten Ablagerungsthätigkeit der genannten Flüsse stetsfort noch ändern bezw. zu Ungunsten des Sees verschieben (vergl. Art. Aare). Die Länge des Sees beträgt 14 km, die Maximalbreite ca. 2,5 km, die Oberfläche misst 30 km2 (genau 29,183 km2). Die Meereshöhe des Wasserspiegels ist durchschnittlich 566,90 m, die grösste Tiefe 261,90 m. Die durchschnittliche Tiefe beträgt (nach Penck) 176 m. Die Wassermenge berechnet sich auf 5,17 km3.
Die Gestalt des Seebeckens ist einfach und spiegelt den Charakter eines versenkten Flussthales wieder. In der gleichen Neigung, mit der die Abhänge beiderseits des Sees auf das Wasser auftreffen, setzen sie sich in die Tiefe fort bis zu dem flachen Seeboden in ca. 350 m Meereshöhe. Die Wysse ist, wenn überhaupt vorhanden, auf einen schmalen Streifen von 1-5 m zurückgedrängt, dann folgt die Halde. Nur beim Ein- und Ausfluss der Aare ist die Böschung der Ufer eine sanftere, hier infolge der Anschwemmungen der Lütschine, die den Ausfluss des Sees
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ganz an das rechte Ufer desselben hinübergedrückt hat, dort wegen der Auffüllung durch die Aare selbst, die namentlich seit der Korrektion eine Masse von Kies, Sand und suspendiertem Material in den See hinausschafft. Die Wirkungen dieser Sedimentation lassen sich auf dem Seeboden in Gefälle und Relief über 3 km weit verfolgen, und die Zuschüttung des Sees von oben schreitet naturgemäss stetig, wenn auch langsam, fort, wobei die Aare durch mehrere Wildbäche unterstützt wird (Trachtbach, Schwandenbach, Lammbach), von deren Thätigkeit die Katastrophen der letzten Jahre zu erzählen wissen und von deren frühern Gewalt der prachtvolle Schuttkegel Zeugnis gibt, der, ein Muster seiner Art, von Schwanden gegen den See und den Ballenberg abfällt.
Das durchschnittlich 2 km breite Aarethal von Brienz bis Meiringen stellt nur ein in prähistorischer Zeit zugeschüttetes Stück Brienzersee dar. Die Auffüllung durch die Aare haben wir zeitlich mit der Entstehung des Bödeli am untern Seeende zusammenfallend zu denken, und die geleistete grössere Arbeit der Aare versteht sich nicht nur im Hinblick auf ihre Wassermenge, sondern auch beim Vergleich der Einzugsgebiete, die sich ungefähr zu einander verhalten wie 1 (Lütschine) : 1,5 (Aare). Die beim Brienzersee in Betracht kommenden Einzugsgebiete sind nach den Berechnungen des eidgenössischen hydrometrischen Bureaus folgende:
Einzugsgebiet der Aare: | km2 |
---|---|
1. Bis zum Brienzersee | 553.803 |
2. Rechtsseitige Zuflüsse des Brienzersees | 37.032 |
3. Linksseitige Zuflüsse (ohne Lütschine) | 106.801 |
4. Lütschine | 379.667 |
5. Brienzersee selbst | 29.183 |
Einzugsgebiet der Aare mit dem Brienzersee: | 1106.486 |
Wie aus diesen Zahlen hervorgeht, spielen die rechts- und linksseitigen Zuflüsse des Brienzersees im Vergleich zu den grossen Tributären Aare und Lütschine nur eine geringe Rolle. Interessant ist immerhin der Unterschied zwischen der rechten und der linken Seeseite, der sich bei einem Blick auf die orographische Gestaltung des Geländes von selbst erklärt. Auf der rechten Seite vermag die äusserst steile, mauergleiche Kette des Brienzer Grates an und für sich kein grosses Wasserquantum aufzunehmen, und der Mangel an grössern Nischen verhindert meist eine verhängnisvolle Ansammlung der rasch abfliessenden Gewässer, sondern es strömen diese in zahlreichen schwächern Adern, direkt dem Gehänge folgend, in den See.
Dazu sind die untern Partien meist gut bewaldet, wodurch ebenfalls grössere Abschwemmung verhindert wird. Es zeigt sich das auf der Karte auch darin, dass die Tiefenkurven des Sees der Uferlinie folgend fast parallel verlaufen, ohne irgendwo grosse Schuttkegelbildung verratende Ausbauchungen zu bilden. Nicht etwa als ob keine vorhanden wären, im Gegenteil; das Dorf Oberried z. B. steht auf einem typischen Kegel, aber sie sind nicht gross genug, um auf die Gestaltung des Seebeckens bestimmend einzuwirken.
Die rechtsseitigen ^[richtig: linksseitigen] Zuflüsse (es sind hauptsächlich drei: der Giessbach, der Mühlebach bei Iseltwald und der Hauetenbach bei Bönigen) entwässern den gesamten Nordabhang der Faulhorngruppe, die in ihrer Folge von Ketten und Thälern eine viel stärkere Gliederung, daher auch ein grösseres Einzugsgebiet darstellt. Die drei erwähnten Zuflüsse zeigen nun unter sich bemerkenswerte Unterschiede, die gerade in der Gestaltung des Seebeckens sich wiederspiegeln und deshalb hier zu erörtern sind. Der Giessbach übertrifft an Wassermenge wie an Einzugsgebiet seine beiden Rivalen bedeutend. Trotzdem gibt der Verlauf der Tiefenkurven im See kaum eine Andeutung für die Ablagerung seiner Geschiebe und Sinkstoffe, während auf der andern Seeseite viel unbedeutendere Bäche das Böschungsprofil zu modifizieren vermochten.
Der dritte Zufluss endlich, der Hauetenbach bei Bönigen, hat oberhalb dieses Dorfes einen schönen Schuttkegel gebildet, der sich bis in den See erstreckt; immerhin ist sein Anteil an der Zuschüttung des Sees von demjenigen der benachbarten Lütschine nicht zu trennen.
Die oben skizzierte Gestalt des Seebeckens lässt einen Schluss zu auf die Entstehung des Sees. Es ist bemerkt worden, dass der flache Seeboden als altes Thalstück des Aarelaufes aufzufassen sei und einstmals in etwas höherem Niveau von Meiringen bis unterhalb des heutigen Thun sich erstreckte. Schon gleich einer der ersten diluvialen Vorstösse des Aaregletschers (I. und II. Eiszeit) muss Anlass dazu gegeben haben, die eben erwähnte Thalstrecke unter Wasser zu setzen.
Denn wir sehen in der letzten Interglacialzeit die Kander ein Delta in diesen See hinausbauen, dessen weiteres Wachstum später dadurch sistiert wird, dass der zum letzten Male herabsteigende Aaregletscher bezw. die Moränen, welche er zurücklässt, den Fluss ablenken. Gleichzeitig mit der Bildung jenes alten Kanderdeltas werden auch Lombach, Lütschine und Aare ihre Zuschüttungsthätigkeit aufgenommen haben. Dieselbe erlitt dann ebenfalls durch die letzte Eiszeit eine Unterbrechung, ohne aber derartige Flussverschiebungen zur Folge zu haben wie bei der Kander - es fehlte hier oben auch der Raum dazu - und ohne das vorhandene Thal in Form und Ausmass wesentlich zu modifizieren. So wurde denn nach dem definitiven Rückzug der Gletscher das vorher begonnene Werk einfach fortgesetzt. Dass es schon in der Interglacialzeit zur Trennung des Wasserbeckens in zwei Seen kam, ist unwahrscheinlich, da der See damals, wie das alte Kanderdelta beweist, einen höhern Stand hatte.
Ob auch die Gebirgsbildung, speziell die Faltung der Alpen, die Gestalt und Richtung des Seebeckens beeinflusst habe, ist heute schwer zu entscheiden. Eher noch als die orographische Form, die wir als altes Stück eines Erosionsthales genügend erklären können, scheint die Richtung des Sees mit dem Gebirgsbau in Zusammenhang zu stehen, insofern als der Brienzersee ziemlich genau im Streichen der Ketten liegt. Mehr zufällig erscheint der Umstand, dass er die Kreideablagerungen des Brienzer Grates von den Juragesteinen der Faulhorngruppe scheidet.
Doch betrifft das alles nicht den See als solchen, sondern nur als Teilstrecke des Aarethales, wie denn auch thalaufwärts, wo das Aarethal zum Querthal wird, die Ketten und Falten zunächst schief, dann ziemlich senkrecht zur Thalrichtung verlaufen. Dagegen bestimmt die Lage des Sees in einem Längsthal in hohem Masse seinen landschaftlichen Charakter; der Gegensatz des ernsten einförmigen Brienzersees und des offenen abwechslungsreichen Thunersees drängt sich dem Beobachter mit grosser Kraft auf.
Während Messungen der absoluten Wassermenge am Ein- und Ausfluss der Aare bis jetzt fehlen, geben dafür
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die Pegelbeobachtungen Anhaltspunkte für die Beurteilung der relativen Aenderungen des Wasserstandes. Der Ausgangspunkt ist der Pegel bei der Dampfschiffstation Ringgenberg mit einem Nullpunkt von 565,86 m über Meer. Abgesehen von ausserordentlichen Hoch- und Niederwasserständen, die weiter unten Erwähnung finden sollen, geben die Beobachtungsreihen des hydrometrischen Bureaus folgendes Bild, wobei innerhalb eines 10jährigen Zeitraumes drei Jahre ausgewählt sind, die zusammen ein Mittel darstellen.
1886 | 1890 | 1894 | |
---|---|---|---|
m | m | m | |
Jahresmittel | 566.97 | 566.98 | 566.92 |
Sommermittel (April-Sept.) | 567.23 | 567.26 | 567.08 |
Wintermittel (Oktober-März) | 566.77 | 566.72 | 566.75 |
Höchster Stand | 567.99 | 567.86 | 567.39 |
Niedrigster Stand | 566.52 | 566.49 | 566.52 |
Die Zahlen zeigen deutlich, dass der Wasserstand des Sees von Jahr zu Jahr nur wenig sich ändert, dass ferner die Schneeschmelze im Sommerwasserstand merkbar zum Ausdruck kommt und dass endlich auch innert eines Jahres die Amplitude des Wasserstandes, bei Weglassung der nicht alljährlich wiederkehrenden aussergewöhnlichen Hoch- und Niedrigwasser, 1,5 m nicht erreicht.
Ueberaus hohe und ebenso niedrige Wasserstände sind allerdings am Brienzersee nicht gerade selten, bei den steilen Ufern vermögen sie aber im allgemeinen nicht so grossen Schaden anzurichten wie bei Seen der Ebene. Im Folgenden sind diejenigen aussergewöhnlichen Hoch- und Niedrigwasserstände verzeichnet, für die man genaue Zahlen besitzt.
I. Aussergewöhnliche Hochwasserstände:
m | |
---|---|
1851 August | 569.34 |
1874 Juni | 568.38 |
1877 Juli | 568.38 |
1881 Juli | 568.16 |
1884 Juli | 568.21 |
1891 Juli | 568.42 |
II. Aussergewöhnliche Niedrigwasserstände:
m | |
---|---|
1869 Februar | 565.67 |
1870 März-April | 565.68 |
1871 Februar | 566.20 |
1875 April | 566.21 |
1888 März | 565.56 |
1889 Januar | 565.53 |
Der weitaus höchste Wasserstand vom August 1851 ist in der Gegend noch in guter Erinnerung. Das Thal von Meiringen bis Brienz war damals überschwemmt und diese Katastrophe gab den Anstoss zur Kanalisation der Aare, die in den Jahren 1866/75 zur Ausführung kam.
Von den thermischen Verhältnissen des Sees ist besonders bekannt, dass derselbe nie zufriert. Anno 1363 soll dies allerdings vorgekommen sein. Der Grund diese eigentümlichen Verhaltens, worin der Brienzersee mit einigen andern Seen übereinstimmt, liegt wohl einerseits in der geschützten Lage des Sees, andererseits in dessen grosser Tiefe, wobei weniger die maximale als vielmehr die mittlere Tiefe entscheidend ist. Denn in dieser letzteren (176 m) übertrifft der Brienzersee alle schweizerischen Seen (die oberitalienischen eingerechnet) um ein Bedeutendes.
Rechne man dazu die steilen Ufer, den Mangel an tief ins Land einschneidenden flachen Buchten, die geschützte Lage gegen den kalten Nordost (Bise), die in den Alpenthälern im Vergleich zur Ebene geringere Kälte. Weder in den kalten Wintern von 1830 und 1880, noch im Jahre 1891, da sonst alle grossen Seen zufroren, zeigte der Brienzersee Anflug von Eis, worin er mit dem Thunersee, Walensee und dem Lac de Bourget übereinstimmt. Er gehört zum Typus «tropical, subtemperé» von Forel.
Temperaturmessungen sind nur von Delebecque und Forel bekannt geworden. Letzterer mass am in 180-260 m Tiefe eine Temperatur von 4,6° C., der erstere beobachtete am folgende Oberflächentemperaturen:
Zwischen | |
---|---|
Iseltwald und Ringgenberg | 4,2° |
Iseltwald und Oberried | 4,05°, 4,0°, 4,0° |
Iseltwald und Bönigen | 4,07°, 3,8° |
Die kritische Temperatur von 4° war also erreicht, und der See hätte nach den bei andern Becken gemachten Erfahrungen gefrieren können.
Die ausgleichende, die Härten des Klimas mildernde Wirkung einer solchen Wasserfläche bedingt in Verbindung mit der günstigen (Süd-) Exposition den südlichen Charakter der Seeufer, der sich namentlich in der Pflanzenwelt kundgibt. Nussbäume begleiten weithin die rechtsufrige Seestrasse, da und dort bilden sie eigentliche Haine, und sogar am schattigen Südufer steigen sie bei Iseltwald bis 700 m ü. M. Wohl fehlt die Edelkastanie, welche am Thunersee bei Leissigen den Reisenden begrüsst, dafür reifen die Pfirsichbäume ihre goldenen Früchte, und bei Niederried und im Pfarrgarten von Brienz, in Bönigen und Iseltwald hält der Kirschlorbeer im Freien aus. Der Botaniker entdeckt an den gut exponierten Abhängen mehrere interessante Arten, welche den benachbarten Gegenden fehlen, nämlich: Rhamnus alpina, Helianthemum Fumana, Vicia Gerardi u. V. hirsuta, Sedum maximum, Rosa sepium, Cyclamen europaeum, Daphne alpina, Linaria Cymbalaria, Tamus communis, Lilium bulbiferum, Hemerocallis flava und Aceras anthropophora.
Der Fischreichtum des Brienzersees ist gross; die Fische stimmen in ihren Arten mit der Fauna des Thunersees überein; die Seen zeigen aber immerhin trotz ihrer Nähe und ihrer Verbindung durch die Aare einige Abweichungen. Der See beherbergt nach Prof. Heuscher folgende Fischarten:
a) Physostomi. Muraenoidei (Aale): Anguilla vulgaris, der Aal;
Esocini (Hechte): Esox lucius L., der Hecht;
Salmonoidei (Forellenartige): Salmo lacustris, die Seeforelle, S. fario, die Bachforelle, S. salvelinus, der «Emmel» (Rötel, Grundforelle),
Coregonus Wartmanni subspec. alpinus, der Albok, C. exiguus subspec. albellus, der «Brienzlig», C. Schinzii subspec. helveticus, der Balchen;
Cyprinoidei (Karpfenartige): Squalius cephalus L., der Alet, S. leuciscus L., der Hasel (Grundhasel),
Leuciscus ratilus L., der Schwal (Krauthasel),
Scardinius erythrophthalmus L., das «Röteli», Alburnus lucidus, der «Bläulig», Gobio fluviatilis L., das «Grundeli», Cyprinus carpio L., der Karpfen.
b) Anacanthini. Gadoidei (Schellfische): Lofa vulgaris, die «Trüsche».
c) Acanthopteri. Scleroparei (Panzerwangen): Cottus gobio L.,
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die Groppe; Percoidei (Barsche): Perca fluviatilis L., der Barsch, «Egli».
In engem Zusammenhang mit den geschilderten physikalischen Verhältnissen stehen die Siedelungen. Wir finden am Nordufer sechs Dörfer, von denen nur Brienz grösser ist (2500 Einwohner); es sind: Brienz, Ebligen, Oberried, Niederried, Ringgenberg und Goldswil. Ebligen besteht aus zirka einem Dutzend Häuser. Goldswil und Ringgenberg verraten mit ihren Pensionen die Nähe Interlakens wie am Südufer des Sees das Dorf Bönigen, das eigentlich geographisch schon dem Bödeli angehört, so dass als einziges Dorf des Südufers Iseltwald übrig bleibt.
Die schwache Besiedelung erklärt sich genügend aus der Steilheit der Gebirgsketten, die meist unmittelbar an den See hinantreten. Es fehlt dadurch nicht nur der Boden für eine extensive Bebauung, es fehlt vor allem das zum Unterhalt der Bewohner nötige Hinterland. Die Dorfanlagen sind meist auf die Schuttkegel der Wildbäche, als die einzigen Orte geringerer Böschung hinausgebaut (Iseltwald, Bönigen, Niederried z. T., Oberried, Brienz). Goldswil und Ringgenberg sind malerisch in hügeliges Vorgelände des Brienzer Grates eingebettet und stehen mit dem See nur in losem Zusammenhang; Niederried ist halb an die Berghalde, halb auf Schuttkegel gebaut; das kleine Ebligen drückt sich zwischen die Seestrasse und das steile Gehänge. Eine hin und wieder vorhandene schmale Uferzone sanfteren Gefälles gibt zwischen den Dörfern vereinzelten Häusern und Häusergruppen Platz («Moosrain» und «Bei Säge» zwischen Ringgenberg und Niederried).
Neben Ackerbau und Viehzucht, sowie etwas Fischfang beschäftigt die Holzschnitzerei, als Hausindustrie betrieben, einen Grossteil der männlichen Bevölkerung. Von Fabrikanlagen ist ausser den zahlreichen kleinen Dorfsägereien nur das Etablissement der Firma Hamberger (Artikel der Feuerwerkerei) in Oberried zu erwähnen. Der feste und harte Kalk der untern alpinen Kreide (Berriasschichten) wird bei Goldswil und Ringgenberg in vielen Brüchen abgebaut und findet als Baustein oder in Form von Platten mannigfache Verwendung im weitern Umkreise.
Erst in neuerer Zeit ist den Goldswiler Platten, die namentlich für Brunnentröge und Bodenbelag sich eignen, in der Cementindustrie ein ernster Konkurrent erwachsen. In den Interlaken zunächst gelegenen Dörfern, sowie in Iseltwald und Brienz kommt auch der sogenannten Fremdenindustrie, bezw. dem Gasthof- und Pensionswesen, eine nicht unwesentliche volkswirtschaftliche Bedeutung zu, und die Hauptsehenswürdigkeit des Brienzersees, der Giessbach, hat sogar zu ausgedehnten Hotelanlagen mit Drahtseilbahn Veranlassung gegeben, die allerdings nur ein Saisondasein führen, wie die auf einer obern Terrasse gelegenen Kurhäuser der Axalp.
Der Verkehr der Dörfer unter sich und mit den Centren Brienz und Interlaken verteilt sich auf die Uferstrassen, die einerseits Brienz, andererseits Iseltwald mit Interlaken verbinden, sowie auf die Schiffahrt. Doch ist der Schiffsverkehr, wenn wir von den Dampfbooten absehen, sehr gering, u. es fällt der Unterschied gegenüber dem Thunersee sofort auf. Hier, wo viele Anwohner Besitztum auf der andern Seeseite haben, sieht man stets den See mehr oder weniger von Schiffen belebt; auf dem Brienzersee begegnet man ausser wenigen Fischerbooten selten genug einem sog. Bock. Es sind das grosse Lastschiffe, die durch Stehruder und Segel bewegt werden und zum Transport von Steinen, Kies, Sand und Holz dienen. Sie besitzen eine Tragfähigkeit bis zu 30 Tonnen.
Viel mehr Bedeutung als dem internen Verkehr kommt auf dem Brienzersee dem Transit zu, wobei die Personenbeförderung weitaus im Vordergrund steht und unter den Gütern das Reisegepäck (1899: 1200 Tonnen). Für den eigentlichen Güterverkehr ist das Oberhasle seit der Eröffnung der Brünigbahn an Luzern angeschlossen. Dieser Transitverkehr wird ausschliesslich durch die Dampfboote besorgt, die Seestrasse kommt hiefür gar nicht in Betracht. Dieses Verhältnis wird sich übrigens mit der Erbauung einer Bahn, gleichviel auf welcher Seite, sehr zu Gunsten des Landweges ändern.
Wie auf allen oberländischen Verkehrsanstalten ist infolge der Verkehrssteigerung durch den jährlichen Fremdenstrom auch im Schiffsverkehr der Saisonbetrieb eingeführt, indem im Winter nur das in der Konzession vorgeschriebene Minimum von Fahrten ausgeführt wird und auch dieses mit Defizit, während die Sommersaison die Aufbietung aller Mittel erfordert, um den Ansprüchen genügen zu können. Die Dampfschiffgesellschaft des Thuner- und Brienzersees verfügt auf dem letztern zur Zeit über sechs Schiffe: drei Salondampfer für den Sommer (Oberland, Brienz, Jungfrau) und zwei kleine Eindecker für den Winter (Interlaken, Giessbach), sowie ein Güterschiff (Merkur) mit Benzinmotor von 25 HP, das 40 Tonnen Güter tragen und noch 20 Tonnen zu schleppen vermag.
Die beiden Winterschiffe fassen bei 39 bezw. 45 m Länge und 120 bezw. 150 indizierten Pferdekräften 150 bezw. 250 Personen; die Sommerschiffe bei durchschnittlich 50 m Länge und 250-450 Pferdekräften 300-500 Personen. Die Geschwindigkeit der Personenschiffe schwankt von 20-24 km pro Stunde. Im Sommer fahren gewöhnlich drei, z. Z. der Hochsaison im Juli und August sogar vier Schiffe, indem die Zahl der Kurse vermehrt u. Extrakurse eingelegt werden. Es werden mit diesem Material im Winter drei, im Frühling vier, in der Vor- u. Nachsaison, fünf in der Hochsaison bis acht Fahrten in jeder Richtung täglich ausgeführt.
Einzelne Stationen, wie Niederried u. Brienz-Dorf, werden nicht bei allen Kursen angefahren. Das Maximum der Jahresleistung (April-Dezember) eines Schiffes (Oberland) betrug 1899 nahezu 20000 km, die sich auf 942 Fahrten verteilen. Die Zahl der beförderten Personen stieg im gleichen Jahr auf 281062, wovon 218782 auf die Monate Mai-September entfallen. Die grösste Frequenz zeigt immer der August (1899: 87265). Wie sehr der reine Durchgangsverkehr überwiegt, zeigt die Thatsache, dass (wiederum 1899) von 149887 Stück ausgegebenen Billeten 127039 solche von Interlaken nach Giessbach-Brienz oder umgekehrt waren, der Rest 22848 verteilt sich auf die übrigen (Teil-) Strecken, wobei Giessbach-Brienz mit 5227 vorangeht. Diese auf die Billete bezüglichen Zahlen sind fast ausschliesslich den Touristen gutzuschreiben, da die Bevölkerung des Seegestades sich der auf beiden Seen gültigen Abonnementsbillete bedient. Aber auch die blosse Frequenzziffer ohne Rücksicht auf die Art der Billete zeigt das Uebergewicht der Endpunkte Brienz und Interlaken. Sie lautet für 1899:
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Pers. | |
---|---|
Interlaken | 112361 |
Brienz | 94319 |
Zusammen: | 206680 |
Uebrige Stationen | 74382 |
Totalfrequenz: | 281062 |
Interlaken und Brienz partizipieren demnach am Personenverkehr mit 75, die übrigen Stationen mit 25% der Gesamtfrequenz.
Interessant ist eine Vergleichung der Personenbeförderung seeaufwärts und seeabwärts. Es fuhren 1899 seeaufwärts 138973, seeabwärts 142089. Da im internen Verkehr die beiden Richtungen sich ausgleichen, so kommt das Plus der Abwärtsbewegung dem Touristenstrome zu, woraus sich ergibt, dass entweder die Mehrzahl der Reisenden von Luzern her über den Brünig ins Berneroberland eintritt, oder dass dieses Mehr auf Rechnung des dritten Einfallsthores, der Grimselstrasse, zu setzen ist.
Im Rahmen der Gebirgslandschaft des Berneroberlandes stellt aber der Brienzersee nicht bloss das Verbindungsstück zwischen dem Bödeli und dem Brünig bezw. Oberhasle dar, sondern er beansprucht mit Recht eine besondere Würdigung seiner selbst. Tief eingesenkt zwischen die steilen Gebirgsketten ist er ein typischer Alpensee und bildet einen wirkungsvollen Gegensatz zum Thunersee, der, ausgehend von den bescheidenen Molassehügeln und Moränenzügen, nach und nach erst in das Gebirge eintritt. So ist er heiterer und offener, abwechslungsreicher und vielgestaltiger als das ernste und feierliche, engere und einförmigere Becken des Brienzersees, das gerade wegen seines einheitlichen Charakters nicht ohne tiefen Eindruck auf den Reisenden bleibt.
Sowohl die Fahrt auf dem Dampfboot als eine Wanderung längs einem der beiden Ufer bietet hohen Genuss und wer das Glück hat, längere Zeit an den Gestaden zu verweilen, wird sich überzeugen, dass der scheinbar so einförmige See des Reizes der Abwechslung nicht entbehrt. So enthüllt schon eine Dampfbootfahrt in raschem Wechsel eine Folge lieblicher Uferlandschaften. Kaum hat das Schiff in langsamer Fahrt die Kanalufer schonend den offenen See erreicht, so wendet es sich rechts gegen Bönigen, als wollte es noch ein letztes Mal vom Bödeli Abschied nehmen; dann gehts hinüber zur stillen Bucht von Ringgenberg, dessen Schloss und Kirche auf bewaldetem Hügel den Ausgang des Sees bewachen.
Mit Uebergehung von Niederried, das nur einmal täglich angefahren wird, steuern wir hinüber nach Iseltwald, in malerischem Winkel beschattet von den jähen Abstürzen der Faulhornkette. Jenseits leuchten am Fuss des sonnenbeschienenen Brienzer Grates die dichtgeschaarten Häuschen von Oberried, das nächste Ziel des Dampfers. Herrlich erhebt sich über dem Dorfe die Pyramide des Tannhorns. Die weissen Häuschen zur Linken bergen in sicherem Gewahrsam die Feuerwerksartikel der Fabrik Hamberger.
Nochmals kehrt das Boot zurück in den Schatten der Faulhorngruppe, dumpfes Rauschen tönt an unser Ohr, ein silbernes Band schlängelt sich durch den Tannenwald hinunter, ein mächtiges Hotel ragt aus dunklem Grün. Es ist der Giessbach, eines der Wunder des Berneroberlandes. Dann eilt das Schiff raschen Laufes dem freundlichen Brienz zu, das, gewaltig überragt von den Felsmassen des Rothhorns, den Ernst und die Lieblichkeit des Sees nochmals wiederspiegelt.
Eine Wanderung oder eine Fahrt auf der Seestrasse von Interlaken nach Brienz vertieft und vermehrt die auf dem flüchtigen Dampfboot gewonnenen Eindrücke. Da liegt zunächst in Obstbaumhainen fast versteckt Goldswil, mit seinen Villen und Pensionen eine Vorstadt Interlakens. Der ruinengekrönte Burghügel entzieht uns für einen Augenblick den Anblick des Brienzersees, das malerische Idyll des Faulenseeli scheint dafür entschädigen zu wollen. Nussbäume begleiten die Strasse bis nach Ringgenberg, wo die Bewohner sich bemühen, durch polychrome Behandlung der hölzernen Hausfassaden deren Zahnleisten und Flachornamente besser zur Wirkung zu bringen.
Durch geöffnete Thüren und Fenster erblickt man überall die Hobelbank des Schnitzlers, unten glänzt der See und jenseits erheben sich die Abstürze der Faulhornkette zu der zackigen Gratlinie des Oberberghorns und der Schienigen Platte. Gegen Niederried erscheint über den Höhen ob Iseltwald der Felszahn des Schwabhorns und bald folgt die feinziselierte Pyramide des Faulhorns. Ueber Nieder- und Oberried läuft die Strasse immer in ziemlicher Höhe über dem See dahin mit schönen Ausblicken auf den Hintergrund des Aarethales und die leuchtenden Gipfel des Hasleberges.
Die Faulhorngruppe gegenüber lässt immer gewaltigere Häupter aufmarschieren; über den nackten Felsgebilden des Axalphorns und des Oltschikopfes erscheinen die dräuenden Wände des Wildgerst und des Gerstenhorns. Eine kleine Ueberraschung, liegt Ebligen, angeklebt an das steile Gehänge, bis zuletzt verborgen demjenigen, der von Oberried her kommt. Aber für eine Säge war doch noch Platz. Dann folgen wir dem See; das nahe Brienz scheint stetsfort zurückzuweichen, aber in einer halben Stunde betreten wir die Hauptstadt des Brienzersees mit den engen holzgebräunten Gassen.
Bietet die Wanderung auf der sonnigen Strasse des rechten Ufers Gelegenheit zum Studium der Landschaft und der Siedelungen, so geniesst der Besucher des linken Ufers den Reiz landschaftlicher Stimmungsbilder. Die Strasse, die von Bönigen nach Iseltwald führt, hat als Sackgasse wenig Verkehr; staublos und schattig ladet sie zum Spaziergang. Noch schöner aber ist der Weg von Iseltwald zum Giessbach. Bald unten am See, bald hoch oben am Gehänge, durch saftige Matten und dunklen Wald gelangt man in einer Stunde zu dem ewig rauschenden Wasser, wo dann auch die Möglichkeit gegeben ist, auf gebahntem Pfade die Alpen und Gipfel der Faulhornkette zu erreichen.
So stellt der Brienzersee ein schönes Glied in jener Kette geographischer Einheiten dar, die einerseits durch die individuelle Ausgestaltung ihres landschaftlichen Charakters, andererseits durch ihre Verbindung untereinander jenen Eindruck des Erhabenen und Lieblichen zugleich hervorrufen, der das Berneroberland als das ersehnte Reiseziel all derer erscheinen lässt, für die landschaftliche Schönheit ein seelischer Genuss und ein Bedürfnis ist.
(Mit Beiträgen vom eidg. hydrometr. Bureau [Wasserstände], von Prof. F. A. Forel [Thermik], von Prof. Heuscher Zürich [Fischerei] und von der Direktion der Dampfschiffahrtgesellschaft, bearbeitet von Dr. R. Zeller).