Titel
Brentano
,
1) Klemens, bekannter Dichter der romantischen Schule, Enkel der Schriftstellerin Sophie Laroche und Bruder der Bettina v. Arnim, geb. zu Frankfurt [* 2] a. M., wurde gegen seine Neigung zum Kaufmann bestimmt, besuchte dann, da er auf keinem Kontor gutthat, eine höhere Schulanstalt und ging nach seines Vaters Tod (1797) nach Jena, [* 3] wo er zuerst mit der romantischen Schule in Verkehr trat und allerlei romantische Extravaganzen ausführte. Bis 1804 reiste er dann viel und lebte abwechselnd in Dresden, [* 4] Jena, Marburg [* 5] (bei Savigny), Frankfurt, Wien [* 6] und wieder an der Lahn und am Rhein (bei Lasaulx). Während dieser Zeit schrieb er den Roman »Godwi, oder das steinerne Bild der Mutter« unter dem Pseudonym Maria (Bremen [* 7] 1800-1802, 2 Tle.),
1801 das Lustspiel »Ponce de Leon« (Götting. 1804),
1802 in Düsseldorf [* 8] das Singspiel »Die lustigen Musikanten« (Frankf. 1803),
1803 die »Chronika eines fahrenden Schülers« (neue Ausg., Berl. 1872) u. a. Im J. 1803 verheiratete er sich mit Sophie Mereau, der geschiedenen Frau eines Professors und Justizamtmanns, welche selbst »Gedichte« (Berl. 1800-1802, 2 Bde.) und mehrere Romane, z. B. »Kalathiskos« (das. 1801 bis 1802, 2 Bde.),
im hochromantischen
Stil veröffentlicht hat. Nach dem frühzeitigen
Tode derselben begab sich
Brentano
nach
Heidelberg,
[* 9] wo er mit seinem
Freund
Achim v.
Arnim »Des
Knaben Wunderhorn« und 1807 die »Einsiedlerzeitung«
herausgab und den »Ersten
Bärenhäuter« u. a. schrieb, und verlobte sich dann in
Frankfurt mit
Auguste Busmann, der exzentrischen
Nichte des
Bankiers
Bethmann, die er entführte und in
Kassel
[* 10] heiratete, um sich nach kurzer Zeit wieder von ihr scheiden zu
lassen. Brentano
wandte sich nun zunächst nach
Berlin,
[* 11] wo er die schon früher begonnenen
»Romanzen vom
Rosenkranz«
fortsetzte, die
Erzählung »Der
Philister vor, in und nach der Geschichte« (Berl. 1811, nur in wenigen
Exemplaren gedruckt)
verfaßte und seines sprühenden
Witzes wegen allgemein gefeiert wurde; dann begab er sich nach
Böhmen
[* 12] auf das Familiengut
Bukowan, das sein jüngerer
Bruder,
Christian, verwaltete, und nach einjährigem Aufenthalt daselbst, während
dessen er das historisch-romantische
Schauspiel »Die
Gründung
Prags«
(Pest 1815) schrieb, nach
Wien.
Hier verfaßte er 1813 für das Hoftheater in wenigen Stunden das Festspiel »Am Rhein, am Rhein!« und für das Theater [* 13] an der Wien das Festspiel »Viktoria und ihre Geschwister« (Berl. 1817),
das jedoch nicht zur Aufführung kam, und begab sich dann wieder nach Berlin, wo er die Erzählungen: »Geschichte vom braven Kasperl und der schönen Annerl«, »Die mehreren Wehmüller« und »Die drei Nüsse« schrieb, und wo er sich im Umgang mit einer schwärmerischen Dame zum bigotten Katholizismus bekehrte. Im Herbst 1818 zog er sich nach Dülmen im Münsterschen zurück, wo er bei der visionären Anne Katharine Emmerich [* 14] (s. d.) bis zu deren Tod (1824) blieb, ganze Bände ihrer Betrachtungen aufschreibend, von denen später mehrere im Druck erschienen.
Dann lebte er wieder unstet in
Bonn,
[* 15]
Winkel
[* 16] am
Rhein,
Wiesbaden,
[* 17]
Frankfurt,
Straßburg
[* 18] (bei
Görres) und
Koblenz,
[* 19] wo er einige Zeit blieb, bis er sich 1833 in
München
[* 20] niederließ, immer deutlicher alle
Anzeichen von
Verrücktheit kundgebend.
Sein letztes Werk war das bekannte
Märchen »Gockel, Hinkel und Gakeleia« (Frankf. 1838; neue Ausg.,
Regensb. 1880).
Als er im
November 1841 bedenklich erkrankte, holte ihn sein
Bruder
Christian zu sich nach
Aschaffenburg;
[* 21] hier starb Brentano
Brentano
war ein Dichter von üppig wuchernder
Phantasie und inniger Gefühlstiefe, der
aber ohne
Wirkung
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mehr
blieb, weil es ihm an Gestaltungskraft und an Beharrlichkeit des Willens fehlte, seinen Werken eine künstlerisch durchgearbeitete Form zu geben. Er wurde von Shakespeare bedeutend beeinflußt, nahm aber, wie die übrigen Romantiker, mit Vorliebe gerade die Auswüchse dieses Genius in sich auf. Sein erstes Werk: »Godwi«, charakterisiert sich selbst als »verwilderter Roman« hinlänglich;
die Heldin ist eine »Emanzipierte im großen Stil, eine Prophetin der Wollust und Sinnlichkeit, voll Haß gegen die Ehe und den Zwang der Tugend«.
Die »Romanzen vom Rosenkranz« hat man nicht unzutreffend als eine romantische Faustiade
bezeichnet, in welcher jedoch der Trieb und Stolz des Wissens von Haus aus als dämonisch und verwerflich
geschildert wird. Die größte objektive Dichtung Brentanos
ist die »Gründung Prags«, genannt Drama, in Wirklichkeit aber nur
eine Art dramatischer Symphonie voll phantastischer Gestalten, Empfindungen und Gedanken, während das Lustspiel »Ponce de Leon«
mit seinen sich überstürzenden Wortwitzen an ein »komisches Raritätenkabinett
mit den ausgestopften Marotten Shakespeares« gemahnt. Am erfreulichsten erscheint der Dichter in seinen
kleinern Erzählungen, namentlich in der »Geschichte vom braven Kasperl«, in welcher bereits der Ton der spätern Dorfgeschichten
mit Glück angeschlagen ist, wiewohl auch hier einzelne Ausschweifungen der Phantasie und spukhafte Züge den Genuß stören.
Als Lyriker ist in kleinern Liedern und Romanzen am bedeutendsten, von denen manche durch volksmäßige Einfachheit des Tons einen erquicklichen Eindruck machen. Seine verdienstlichste Arbeit aber ist die mit v. Arnim herausgegebene Sammlung deutscher Volkslieder: »Des Knaben Wunderhorn« (Heidelb. 1806-1808, 3 Tle.; neue wortgetreue Ausgabe von Birlinger, Wiesb. 1873);
auch besorgte er eine Ausgabe von Wickrams »Goldfaden« (Heidelb. 1809).
Seine »Märchen«, schon 1811 geschrieben, gab Guido Görres heraus (Stuttg. 1848, 2 Bde.; 2. Aufl. 1879). Seine »Gedichte« erschienen zu Frankfurt 1854, in neuer Auswahl, 2. Aufl. 1861; seine »Gesammelten Schriften« daselbst 1852-55 in 9 Bänden, die kleinern prosaischen Schriften in neuer Ausgabe 1862 in 2 Bänden. »Ausgewählte Schriften« gab Diel heraus (Freiburg [* 23] 1873, 2 Bde.).
Vgl. Arsten in den »Blättern für litterarische Unterhaltung« 1852, Nr. 48 und 51; Diel, K. ein Lebensbild (Freiburg 1877-78, 2 Bde.).
2) Lorenz, bekannt durch seine Teilnahme an der badischen Revolution, geb. 1812 zu Mannheim,
[* 24] studierte in Heidelberg
Jurisprudenz und ward 1837 Advokat, 1846 Abgeordneter von Mannheim in der badischen Zweiten Kammer, 1848 Mitglied der Nationalversammlung.
Den republikanischen Schilderhebungen 1848 blieb Brentano
fremd, war aber ihr Verteidiger vor den Assisen zu Freiburg,
in der Kammer und in der
Presse.
[* 25] Seine Wahl zum Bürgermeister in Mannheim Anfang 1849 wurde von der Regierung nicht bestätigt.
Als im Februar und März 1849 die radikale Partei zum größern Teil die Kammer verließ, trat auch er aus. Am 14. Mai übernahm
er an der Spitze des Landesausschusses die Regierung Badens und ward von diesem Augenblick an die Stütze der gemäßigten Elemente;
als aber Struve auf der Flucht zu Freiburg
28. Juni den Antrag durchsetzte, daß Unterhandlungen mit dem preußischen
Okkupationsheer als Vaterlandsverrat angesehen werden sollten, floh Brentano
nach Schaffhausen,
[* 26] von wo aus er in einem Manifest seine eigne ehemalige
Partei schonungslos kritisierte.
Aus der Schweiz
[* 27] ausgewiesen, ging Brentano
1850 nach Nordamerika,
[* 28] wo er eine Farm in Michigan bewirtschaftete. 1859 zog
er nach Chicago, praktizierte hier zuerst als Advokat und leitete dann 1860-67 als Chefredakteur die republikanische »Illinois-Staatszeitung«,
die er zu einem der einflußreichsten Blätter des Nordwestens zu machen wußte. Auch vertrat er 1862 Chicago in der Legislatur
von Illinois und stand 1868 als Präsident an der Spitze des Erziehungsrats von Chicago. 1872-76 war Brentano
amerikanischer
Konsul in Dresden, dann einige Zeit Mitglied des Kongresses als Repräsentant des Staats Illinois.
3) Franz, Philosoph, geb. 1838 zu Marienberg bei Boppard, ursprünglich kath. Theolog, ward 1866 Privatdozent, später Professor der Philosophie zu Würzburg, [* 29] legte infolge des Infallibilitätsdogmas 1873 seine Professur freiwillig nieder und übernahm 1874 eine ordentliche Lehrkanzel der Philosophie an der Universität zu Wien, von welcher er, nachdem er 1879 zum Protestantismus übergetreten war, 1880 gleichfalls freiwillig zurücktrat, ohne indes seine Lehrthätigkeit (als Privatdozent daselbst) aufzugeben.
Außer mehreren populären Vorträgen schrieb er: »Über die mannigfache Bedeutung des Seienden nach Aristoteles« (Freiburg 1862);
»Psychologie des Aristoteles« (Mainz [* 30] 1867) und im Anschluß an Lotze und die neuern Engländer sein (noch unvollendetes) Hauptwerk: »Psychologie vom empirischen Standpunkt« (Leipz. 1874, Bd. 1);
»Über des Aristoteles Kreatianismus« (Wien 1882) und »Offener Brief an Professor E. Zeller« (Leipz. 1883).
In weitern Kreisen machte er sich durch ein Bändchen »Neue Rätsel« (Wien 1878) bekannt.
4) Lujo, Nationalökonom, geb. zu Aschaffenburg, ging 1861 nach Dublin,
[* 31] wo er ein Jahr Vorlesungen an der Universität
hörte. Zurückgekehrt, studierte er in München, Heidelberg, Würzburg und Göttingen
[* 32] und arbeitete hierauf im königlichen
statistischen Seminar zu Berlin. 1868 begleitete er dessen Direktor E. Engel auf einer Reise nach England,
wo er sich dem Studium der englischen Arbeiterverhältnisse, namentlich der Gewerkvereine, widmete. Die Frucht desselben ist
das Werk »Die Arbeitergilden der Gegenwart« (Leipz. 1871-72, 2 Bde.). 1872 zum
außerordentlichen, 1873 zum ordentlichen Professor der Staatswissenschaften an der Universität Breslau
[* 33] ernannt, folgte er 1882 einem Ruf an die Universität Straßburg. Im Streite der deutschen Freihandelsschule mit den Kathedersozialisten
(Verein für Sozialpolitik) nahm Brentano
für letztere Partei, namentlich gegen H. Brentano
Oppenheim (s. d.) im »Hamburger Korrespondent«.
Seine Arbeitergilden wurden durch Ludwig Bamberger (s. d.) in seiner »Arbeiterfrage« angegriffen, welches
Buch Brentano
zu einer Gegenschrift veranlaßte: »Die wissenschaftliche Leistung des Herrn L. Bamberger« (Leipz. 1873). Andre Arbeiten
von ihm sind: »Über Einigungsämter. Eine Polemik mit Dr. Alex. Meyer« (Leipz. 1873);
»Über das Verhältnis von Arbeitslohn und Arbeitszeit zur Arbeitsleistung« (das. 1877);
»Das Arbeitsverhältnis gemäß dem heutigen Recht« (das. 1877);
»Die Arbeiterversicherung gemäß der heutigen Wirtschaftsordnung« (das. 1879);
»Der Arbeiterversicherungszwang, seine Voraussetzungen und seine Folgen« (Berl. 1881);
»Die christlich-soziale Bewegung in England« (2. Aufl., Leipz. 1883);
der Abschnitt »Die gewerbliche Arbeiterfrage« in Schönbergs »Handbuch der politischen Ökonomie« (Tübing. 1882);
»Die englische Chartistenbewegung« in Hildebrands »Jahrbüchern für Nationalökonomie«. ¶