Brahmanen
(Braminen, im
Sanskrit Brâhmana), einst die Priesterkaste und der oberste
Stand in
Indien, jetzt zwar noch
eine höchst einflußreiche
Kaste
daselbst, aber weder ausschließlich
Priester noch der tonangebende Teil
der
Bevölkerung
[* 2] mehr. In der ältesten Zeit des indischen
Volkes war der
Hausvater zugleich
Priester für sich und seine
Familie,
und die Opferpriester der Stammesfürsten, die Purôhitas, die schon in jüngern Wedaliedern auch Brahmanen
genannt
werden, bildeten noch keinen bevorzugten
Stand.
Als aber die Zahl der Gebete und Zeremonien wuchs, teils infolge der Verschmelzung einzelner Stammeskulte, teils durch die Entfaltung der phantastischen religiösen Anlage der Inder, gehörte ein eignes Studium dazu, um sie alle zu übersehen und gegenwärtig zu haben. Diese exklusive, förmlich gelehrte Kenntnis der göttlichen Dinge hat eine eigne Priesterkaste geschaffen, die schließlich in langwierigem Kampf mit Adel und Königtum, von dem sich z. B. im Mahâbhârata dunkle Erinnerungen erhalten haben, die Suprematie über das ganze indische Volk errang.
Die theologische
Doktrin der Brahmanen
gipfelte in der
Schöpfung der
Lehre
[* 3] vom
Brahma (s. d.); die Brahmanen
, die
»Beter«, haben das
Geschäft
und
Privilegium ihres
Standes, das
Gebet, einerseits zum absoluten Ursein (das
Brahma), anderseits zum höchsten
Gotte (der
Brahmâ) gestempelt und dadurch die alte
Vorstellung von der alles bezwingenden
Kraft
[* 4] des
Gebets und
Opfers auf den
entschiedensten
Ausdruck zurückgeführt (s.
Brihaspati). Das
Brahma entfaltet sich zur
Welt; aus dieser Emanationslehre folgen
die beiden Dogmen vom Weltübel und von der
Seelenwanderung, welche den
Kern der indischen Weltanschauung
und die Grundlage der brahmanischen
Hierarchie bilden, die in der ausgebildeten Rangordnung der
Kasten (s. d.) ihre Vollendung
fand. Im 6. Jahrh.
v. Chr. trat der
Buddhismus (s. d.) auf, der alle, ohne Unterschied der
Kaste, zur
Erlösung aus dem
Kreislauf
[* 5] der
Existenz zuließ. Die Brahmanen
vermochten die Verbreitung der neuen, ungleich duldsamern
Lehre nicht zu wehren; durch König
Acoka im 4. Jahrh.
v. Chr. wurde der
Buddhismus Staatsreligion. Nach der Vertreibung der Buddhisten aus
Vorderindien seit dem 7. Jahrh.
n. Chr. nahm der
Brahmanismus einen neuen Aufschwung, indem er manche
Idee des
Buddhismus zu der seinigen
machte (s.
Brahmanismus).
Unter den muselmanischen Herrschern war für die Brahmanen
als geistliche Ratgeber keine
Stelle mehr an den
Höfen der Andersgläubigen.
Die Beschäftigung mit den heiligen
Schriften, einst ihre ausschließliche Aufgabe, vertauschen sie von nun an mit weltlichen
Geschäften; in den von eingebornen
Fürsten regierten Vasallenstaaten fungieren sie als
Schreiber und
Lehrer,
an den
Höfen als oberste Beamte. Uneigennützige
Charaktere sind selten unter ihnen; auch in diesen
Stellungen haben sie zu
keiner Zeit versäumt, für sich zu sorgen, und derjenige
Staat ist schlecht regiert, in welchem sie, wie in
Gwalior (s. d.),
die
Regierung führen.
Unter der englischen Herrschaft mußte der Einfluß der Brahmanen
als
Priester um so mehr schwinden, als diese
keiner
Religion Zuschüsse bewilligte und den Einfluß der
Kaste zu brechen versuchte. Für den höhern Verwaltungsdienst eigneten
sich die Brahmanen
nicht; sie erkannten aber richtig ihre
Ausgabe, besuchten die englischen
Schulen, lernten
Englisch und
sicherten ihrer
Kaste die niedern Beamten- wie die Lehrerstellen. Einige haben es in den neuen Lehrfächern schon zu solcher
Meisterschaft gebracht, daß ihnen Lehrstühle der englischen Litteratur in
Indien
übertragen werden konnten. Als die fähigsten
und intelligentesten
Köpfe unter den
Hindu werden die Brahmanen
immer eine
¶
mehr
große Rolle in der Geschichte und Kulturentwickelung ihres Vaterlandes spielen. Sie zeigen schon durch ihre hellere Hautfarbe, daß sie sich mehr als alle übrigen Kasten rein erhielten und sich mit Aboriginerblut wenig vermischten. Sie sind in zahlreiche Unterabteilungen gespalten; der größte Stolz findet sich bei den aus Audh abstammenden. Erfundene Stammbäume und ausführliche Legenden, worin sie mit Heroen und Göttern in Verbindung treten, sollen ihren Zusammenhang mit den Vorvätern darlegen.
Ihre Hauptplätze sind die östlichen Teile der Nordwestprovinzen, das untere Ganges-Dschamna-Doab und die angrenzenden Distrikte;
hier heißen sie auch Gaur, von einem alten Landesnamen. Durch Energie und geistige Begabung zeichnen sie
sich im Westen Indiens, im Marathenland, aus; weniger Eifer zeigen sie in Bengalen, wo sie meist auf einer niedrigen Stufe geistiger
Bildung stehen; sehr zahlreich und fleißig ist die Brahmanen
kaste dagegen im Süden von Indien, in Maissur und Travankor. Im
allgemeinen haben sich die Brahmanen
als aristokratische Klasse erhalten.
Priester in unserm Sinn ist in Indien der Vorbeter, und diesen Dienst teilen die Brahmanen
mit Angehörigen andrer Kasten. Sie greifen
außerdem zu allen Erwerbsarten, suchen aber die reine Handarbeit nur in der Not. Überraschend groß ist die Zahl der Bettler
unter ihnen; 1864 wurden in Bombay
[* 7] 33 Proz. der dortigen Brahmanen
als Bettler aufgezeichnet.
Die Namen der Hauptabteilungen dieser Kaste haben keine praktische Bedeutung mehr; auch die Zeremonien bei der Geburt, bei dem
Anlegen der heiligen Schnur, die Handstellungen etc. beim Gebet und Opfer sind nicht von allgemeinem Interesse, so peinlich genau
auch alle darauf bezüglichen Vorschriften beachtet werden.
Vgl. Haug, Brahma und die Brahmanen
(Münch. 1871);
Muir, Original sanskrit texts, Bd. 1 (2. Aufl., Lond. 1872);
Campbell, The ethnology of India (das. 1866);
E. Schlagintweit in H. v. Schlagintweits »Reisen in Indien«, Bd. 1 (Jena [* 8] 1869);
Belnos, The Sundya, or daily prayer of the Brahmans (1851).