(spr. braddlah),Charles, engl.
Politiker, geb. 1833 zu
London
[* 2] in den ärmlichsten Verhältnissen als Sohn
eines Advokatenschreibers, wurde mit 12
Jahren Laufbursche, mit 13
Schreiber auf einem Schiffsladeplatz, benutzte seine Mußestunden
dazu, sich durch gute
Bücher zu bilden, ward wegen seiner radikalen
Ansichten in
Politik und
Religion von
seinem Brotherrn entlassen, suchte sich als Kohlenhändler und
Agent eines Fabrikanten von Hosenträgern zu ernähren, hielt
daneben Versammlungen ab, disputierte öffentlich, schrieb
Pamphlete (»Einige
Worte über den Christenglauben«) und trieb trotz
alledem noch die eifrigstenStudien: sprachliche, philosophische, nationalökonomische, juristische, historische;
Während er durch seine rastlose
Energie, seine feurige
Beredsamkeit sowie durch die unverkennbare Selbstlosigkeit seines
Strebens schon eine gewisse
Popularität erworben hatte, steigerte
sich seine äußere
Not; aller Hilfsquellen bar, ließ er sich beim 7. Dragonerregiment als
Soldat anwerben,
und erst 1853 setzte ihn eine kleine
Erbschaft in den
Stand, den Militärdienst zu verlassen. Nach Erschöpfung seiner Barschaft
trat er in den
Dienst eines
Advokaten, auf dessen
Wunsch er sich bis 1868 in seinen
Schriften des
Pseudonyms
»Ikonoklast« (»Bilderstürmer«)
bediente.
Während es ihm nun allmählich gelang, sich durch den
Ertrag seiner schriftstellerischen Thätigkeit
(er veröffentlichte eine große Zahl von
Broschüren, seit den 60er
Jahren auch eine radikale Wochenschrift: »The national
Reformer«) zu nähren, wuchs sein Einfluß in den radikalen
Kreisen der Hauptstadt mehr und mehr. Er wurde
Präsident der
Liga
der
Freidenker, bereiste wiederholt zu propagandistischen
ZweckenItalien
[* 3] und
Nordamerika,
[* 4] ging 1871 nach
Frankreich, um zwischen der
Kommune und der
Regierung von
Versailles
[* 5] zu vermitteln, gründete im
Verein mit seiner gleichgesinnten
Freundin,
Mrs.
AnnieBesant, eine Buchdruckerei und Buchhandlung zum Vertrieb radikaler
Schriften und trat darauf an die
Spitze
zweier andrer von ihm organisierter
Vereine, der
National Secular Society und der Land
LawReformLeague.
Nachdem er zweimal in Preßprozesse verwickelt, beide
Male aber in der höchsten
Instanz freigesprochen war, wurde er im Frühjahr 1880 für
Northampton ins
Unterhaus gewählt.
Da er die Leistung des
Eides ablehnte, beantragten die
Konservativen, ihn als Mitglied nicht
zuzulassen, und setzten im
Gegensatz zu der
Regierung einen entsprechenden Beschluß durch, worauf Bradlaugh, als
er sich trotzdem im
Unterhaus einfand, verhaftet, aber schon am nächsten
Tag wieder freigelassen wurde.
Erst nach vieler Mühe erwirkte
Gladstone als
Ministerpräsident, um neue ärgerliche
Szenen zu vermeiden und der im ganzen
Land lebhaft gewordenenAgitation die
Spitze abzubrechen, einen Beschluß, der Bradlaugh gestattete, statt des
Eides ein Gelöbnis abzulegen. Doch mußte er, nachdem durch gerichtliches
Erkenntnis dieses Gelöbnis für ungenügend erklärt
war, aus dem
Unterhaus austreten. 1881 wurde er in
Northampton wieder gewählt, aber auf den
AntragNorthcotes zur Eidesleistung
nicht zugelassen und gewaltsam von dem Parlamentshaus ausgeschlossen.
Auch in den nächsten
Jahren sind alle
VersucheBradlaughs, seinen
Eintritt ins
Unterhaus zu erzwingen, obwohl er dabei von der
Regierung unterstützt wurde, und obwohl die Wählerschaft von
Northampton fest zu ihm hielt, vergeblich geblieben, indem die
Mehrheit alljährlich den ihn von der Eidesleistung ausschließenden Beschluß erneuerte. Von Bradlaughs
zahlreichen
Schriften können wir nur einige besonders bezeichnende anführen: »Anklage des
HausesBraunschweig«
[* 6] (7. Aufl.;
Zweck:
Verwerfung des
Erbrechts der regierenden Dynastie);
(spr. bräddlah), Charles, engl. Politiker und Freidenker,
geb. zu London in ärmlichen Verhältnissen als Sohn eines Advokatenschreibers, wurde Laufbursche,
dann Schreiber. Er strebte in seinen Mußestunden sich Kenntnisse und Bildung anzueignen, verlor wegen seiner radikalen Ansichten
seine Stellung und suchte sich als Kohlenhändler, dann als Agent, auch als Hilfslehrer an einer sog. kirchlichen Sonntagsschule
zu ernähren. Großen Eindruck machte 1848 die chartistische Bewegung (s. Chartismus) auf ihn, im folgenden
Jahre fand er Zuflucht und Unterstützung bei einem gleichgesinnten Freunde, trieb vielfache Studien, lernte Französisch,
Griechisch und Hebräisch und trat in öffentlichen Versammlungen als Redner auf.
Bereits hatte er sich vom christl. Glauben abgewendet und veröffentlichte mit 17 Jahren seine erste Flugschrift
«A few words on the Christian Creed» (1850). Von äußerer Not getrieben, ließ er sich bei dem Garde-Dragonerregient in Dublin
[* 8] anwerben, kaufte sich aber Okt. 1853 mittels einer kleinen Erbschaft, die ihm zugefallen war, frei und fand in London bei
einem gleichdenkenden Advokaten, Mr. Rogers, eine Anstellung. Um diesen und sich nicht zu gefährden, veröffentlichte
er seine christenfeindlichen Schriften unter dem Pseudonym «Ikonoklast» (Bilderstürmer), das er bis 1868 beibehielt.
Bilderstürmischer Radikalismus, getragen von einem scharfen Verstand, einer kühnen Dialektik und einer zur Meisterschaft
ausgebildeten Beredsamkeit bezeichneten das innerste Wesen seiner Agitation; in ihrer Form war sie teils
litterarisch, teils juristisch, teils ein rastlos wanderndes Kämpfer- und Aposteltum. Er hielt Vorlesungen und öffentliche
Diskussionen in Arbeitervereinen und wurde 1858 Präsident der Londoner Secular Society und redigierte 1858-59 die freidenkerische
Zeitschrift «The Investigator».
Neben seiner Bibelkritik wies er die Arbeiter mit offenster Entschiedenheit auf die praktischen Folgerungen von
Malthus' (s. d.) Bevölkerungslehre hin und vertrat politisch den republikanischen Standpunkt. 1860 gründete er die Wochenschrift
«The National Reformer» und beteiligte sich 1866-67 energisch an den Kämpfen für die Parlamentsreform. Nachdem er 1868 sich
vergeblich um einen Unterhaussitz beworben, führte er ein Jahrzehnt lang das Leben eines wandernden Agitators, sammelte 1870 Sympathieerklärungen
für Frankreich und bereiste England, Frankreich, Spanien
[* 9] und Amerika.
[* 10]
Einen Streit rief die Frage über seine Zulassung oder Nichtzulassung zum Unterhaus hervor, nachdem er 1880 für Northampton
gewählt worden war. Er verweigerte als Atheist den üblichen Eid und forderte gleich den Angehörigen der Sekten nur zur sog.
«Affirmation» zugelassen
zu werden. Das Haus entschied dagegen, ebenso gegen die von ihm
nun beanspruchte Ablegung des Eides und schloß ihn von den Sitzungen aus. Da das befragte richterliche Urteil gegen ihn ausfiel,
legte er sein Mandat nieder, wurde aber 1881, 1882 und im Juli 1885 wiedergewählt. Es wiederholten sich die gleichen
Vorgänge, ja man entfernte ihn mit Gewalt aus dem Sitzungssaal.
Als er aber jedoch 1885 aufs neue als Vertreter von Northampton erschien, ließ ihn das Unterhaus 1886 zur Eidesleistung zu.
Von dieser Zeit an hat er als vollgültiges Mitglied an den Debatten des Unterhauses teilgenommen. Er starb in
London. Wenige Tage vor seinem Tod wurde ihm die Genugthuung, daß das Unterhaus seine Ausschließung aus den Akten streichen ließ.
Bradlaugh war litterarisch außerordentlich thätig; zu erwähnen sind von seinen Schriften: «The National Secular Society'sAlmanach»
(1869),
«A few words about the devil and other biographical sketches and essays»
(1874),
«The freethinker's text-book» (1876),
«Jesus, Shelley and Malthus, or pious poverty and heterodox happiness» (1877),
«A plea for Atheism» (1877),
«The laws relating to blasphemy and heresy» (1878)
u. s. w. Aufsehen erregte Bradlaugh durch seine «Fruits
of Philosophy» und den dadurch 1877 veranlaßten Prozeß wegen Unsittlichkeit, der schließlich mit Freisprechung
endete. -
Vgl. Autobiography of Bradlaugh (Lond. 1873);
Katscher in «Unsere Zeit» (1882 und 1886) und Mackay, Life of Bradlaugh (Lond. 1888).