Borgia
(spr. bordscha), das berühmteste aller päpstl. Nepotengeschlechter. Aus Jativa
bei
Valencia
[* 3] gelangte die Familie
Borja (spr. -cha) Anfang des 15. Jahrh.
nach
Italien.
[* 4] Der erste Bedeutende
dieses
Namens machte sich als
Rat des Königs
Alfons I. von Neapel
[* 5] bei Beseitigung des span.
Schismas verdient, stieg zum
Bischof von
Valencia und Kardinal
auf und wurde 1455 siebenundsiebzigjährig als
Calixtus III. (s. d.)
zum Papst erwählt. Er war es besonders, der das Haus Borgia
zu Macht und Ansehen zu erheben trachtete.
Entgegen seinen vor der Wahl abgegebenen Versprechungen, machte er schon Sept. 1456 zwei seiner Neffen trotz ihrer Jugend und Unfähigkeit zu Kardinälen; außerdem wurde der eine Legat von Bologna, der andere Vicekanzler und Legat der Marken. Sein dritter Neffe, Don Pedro Luis Lançol (Lenzuoli), geb. 1433, der erklärte Günstling Calixtus' III., stieg zum Stadtpräfekten, Herzog von Spoleto (1457) und Gonfaloniere auf, und erhielt 1458 die Vikariate von Benevent und Terracina.
Ehe jedoch
Calixtus III. sein Werk an seiner Familie vollenden konnte, starb er, und die
Orsini und Colonna vereinten sich nun,
um die aufstrebenden Borgia
niederzuwerfen. Dennoch gelang es jenem Rodrigo
Lançol (Lenzuoli), welcher Legat der
Marken geworden
war, 1492 als
Alexander VI. (s. d.) den päpstl.
Stuhl zu besteigen. Habsüchtig und von glühender
Sinnlichkeit,
stand er anfangs
ganz unter dem Einfluß einer schönen Römerin aus niederm
Adel, Vanozza de' Cataneis (gest. 1518), die
ihm 5
Kinder gebar: Giovanni, Cesare, Goffredo, Luigi und Lucrezia. -
Giovanni
(Juan) Borgia
, auf welchen nach dem frühen
Tode Luigis
der von
Spanien
[* 6] erkaufte Herzogstitel von
Gandia übergegangen war, wurde als der Liebling des Papstes von diesem mit allem
weltlichen
Glanz ausgestattet;
er erhielt Juni 1495
Benevent mit
Terracina und Pontecorvo als erbliches
Herzogtum und wurde wahrscheinlich von seinem eifersüchtigen
Bruder Cesare Borgia
, ermordet. Er ist der Begründer
des heute noch blühenden Geschlechts der Borgia
,
Herzöge von
Gandia, aus welchem zahlreiche Prälaten und Kardinäle, insbesondere
der 1572 gestorbene, später heilig gesprochene dritte Jesuitengeneral
Francesco Borgia
,
Herzog von
Gandia,
hervorgingen. - Goffredo Borgia
wurde von
Alexander VI. Aug. 1493 mit
Donna Sancia, der Tochter
Alfons II. von Neapel, vermählt,
welche ihm das Fürstentum Squillace und die
Grafschaft Coriata zubrachte;
von ihm stammen die Prinzen von Squillace.
Cesare Borgia
, geb. 1478, zur geistlichen Laufbahn bestimmt, studierte
in Pisa
[* 7] und wurde von
Alexander VI. schon 1493 zum Kardinal und Erzbischof von
Valencia erhoben, nachdem Bemühungen, ihn mit
einer neapolit. Prinzessin zu verheiraten, gescheitert waren. 1494 mußte er
Karl VIII. von
Frankreich als Geisel auf seinem
Eroberungszuge durch
Italien folgen, doch schon in
Velletri gelang es ihm zu entfliehen. Nach der Ermordung
seines
Bruders
Giovanni trat er an dessen
Stelle; zugleich aber legte er Aug. 1498 die Kardinalswürde nieder.
Bald darauf ging er, um mit Ludwig XII. eine gemeinsame Eroberung Italiens [* 8] zu verabreden, als Überbringer der für Ludwig wichtigen Ehescheidungsbulle nach Frankreich, wo er die Erhebung zum Herzog von Valentinois und seine Vermählung mit Charlotte d'Albret von Navarra erzielte. Der Verabredung entsprechend begann Cesare hierauf Okt. 1499 die Eroberung der Romagna, gestützt auf franz. Truppen und Schweizersöldner und auf päpstl. Geld. Nachdem er Imola, Cesena, Forli unterworfen hatte, ernannte ihn Alexander VI. zum ¶
mehr
Gonfaloniere (s. d.) der Kirche. Darauf setzte er sich in Besitz von Sermoneta, welches Alexander VI. Febr. 1500 an Stelle der
verjagten Gaetani seiner Tochter Lucrezia Borgia
verliehen, deren zweiten ihm unbequemen Gatten, Alfonso von Biseglia,
Bastardsohn Alfons II. von Neapel, Cesare im Aug. 1500 ermordet hatte. Durch Verkauf von Kardinalshüten
mit neuen Mitteln versehen, ging Cesare hierauf an die weitere Eroberung der Romagna; Okt. 1500 bis April 1501 nahm er Pesaro,
Rimini und Faenza, dessen Herrn Astorre Manfredi er ermorden ließ, und wurde nun von Alexander VI. zum Herzog der Romagna erhoben.
Von Frankreich an der Wegnahme Bolognas verhindert, wandte er sich, nachdem ein Versuch auf Florenz [* 10] fehlgeschlagen, mit Erfolg gegen Piombino, Elba und Pianosa. Aus Rom [* 11] wieder nach der Romagna abgezogen, bemächtigte sich Cesare durch Verrat Urbinos und Camerinos, machte hierauf einen erneuten Anschlag auf Florenz, dem jedoch Ludwig XII. entgegentrat. Auf des letztern Anwesenheit in Oberitalien [* 12] stützte sich auch der Aufruhr, den Cesares Condottieri Okt. 1502 gegen diesen anstifteten.
Sie schlossen Cesare in Imola ein, doch gelang es ihm sie bei ihrer Uneinigkeit einzeln zu gewinnen und dann zu vernichten (Dez. 1502). Während zugleich Alexander VI. die Orsini niederschlug und durch Hinrichtungen und Verkauf von Kardinalshüten Mittel schaffte, unterwarf Cesare den Rest von Umbrien und Siena, um dann den Blick auf Neapel zu richten, aus welchem der Papst die Franzosen durch die Spanier hatte wegjagen lassen. Indessen gleichzeitig mit seinem Vater Aug. 1503 erkrankt, wie vielfach angenommen wurde an Gift, das sie für andere bestimmt hatten, war Cesare bei dem 18. Aug. erfolgten Tode des Papstes nicht Herr der Lage. Zwar gelang es ihm, eine Verständigung der Colonna und Orsini zu verhindern und Frankreich für sich zu gewinnen; aber nach dem kurzen Pontifikat Pius' III. (s. d.) erfolgte dennoch die Aussöhnung dieser Familien. Er selbst ließ sich von seinem erbitterten Feinde Giuliano della Rovere täuschen und dazu gewinnen, dessen Erhebung zum Papst (s. Julius II.) zu fördern. Sobald letzterer (Okt. 1503) den päpstl.
Stuhl bestiegen hatte, zwang er Cesare an seine Hauptleute in den romagnolischen Citadellen den Befehl zu deren Auslieferung zu senden. Von aller Macht entblößt, wandte er sich nun an Gonsalvo de Córdova, um in die Dienste [* 13] Spaniens zu treten; dieser jedoch sandte ihn gefangen nach Spanien, wo er 2 Jahre im Kerker zu Medina del Campo verbrachte. Dez. 1506 entfloh er zu seinem Schwager, dem König von Navarra, zog mit diesem nach Castilien und fiel bei der Belagerung des Schlosses von Viana.
Indem Cesare in Italien die Feudalherrschaften und zahllosen kleinen Stadtherrschaften vernichtete, bereitete er nur den Boden für Julius' II. Werk, die Neuaufrichtung des Kirchenstaates, und verschaffte der Fremdherrschaft Eingang. Das Urteil der Nachwelt über ihn hat Machiavelli, welcher als Gesandter vielfach um ihn war, sehr beeinflußt durch die Schilderung, die er von ihm im «Principe» giebt; er feiert ihn als denjenigen, der auf Italiens Einigung ausging, was ihn wohl bestimmte, über seine furchtbaren Thaten hinwegzusehen. -
Vgl.
Leben des Cesare Borgia
, Herzogs von Valentinois (Berl. 1782);
F. Alvisi, Cesare Borgia
duca di Romagna (Imola
1878);
Ch. Yriarte, Cesare Borgia
, sa vie, captivité,
sa mort d'apés de nouveaux documents (2 Bde., Par.
1889);
eine blinde Verteidigung der Borgia
bietet Ollivier, Le
[* 14] pape Alexandre VI et les Borgia
(1. Tl., ebd. 1870).
Lucrezia Borgia
, geb. war von ausgezeichneter Schönheit
und hoher geistiger Begabung. Nach dem Willen ihres Vaters verlobte sie sich zuerst mit Gasparo da Procida, heiratete dann
Juni 1493 den Grafen Gian Francesco von Pesaro, einen Bastardabkömmling von Francesco Sforza. Diese Ehe, welche kinderlos blieb,
löste Alexander VI. wieder Sept. 1497 und verheiratete Lucrezia Juli 1498 an Alfonso von Biseglia, den
natürlichen Sohn Alfons II. von Neapel; 1499 machte sie Alexander VI. zur Regentin von Spoleto und Febr. 1500 zur Herrin von
Sermoneta. Nachdem Cesare ihren zweiten Mann, den sie wirklich liebte, ermordet und ihr Sermoneta entrissen hatte, ward sie
von Alexander VI. mehrmals mit der päpstl. Regierung betraut. Dann mit Alfonso von Este, nachmaligem
Herzog von Ferrara,
[* 15] vermählt, hat sie als dessen Gattin einen trefflichen Ruf hinterlassen. Im Kreise
[* 16] von Dichtern und Gelehrten
zu Ferrara lebend, starb sie als Mutter mehrerer Kinder
Von zeitgenössischen Dichtern, wie Ariosto, Bembo u. a., in Gedichten gepriesen, wurden ihr von ihren Feinden Ausschweifungen schuld gegeben, die sie während ihres Aufenthalts in Rom begangen haben soll, namentlich ein blutschänderischer Umgang mit ihrem Vater und ihrem Bruder Cesare. Ihre Geschichte nach der gewöhnlichen Überlieferung ward von Victor Hugo (1833) zu einem Trauerspiel, von Donizetti (1834) zu einer Oper benutzt. Eine Ehrenrettung Lucrezias hat zuerst W. Roscoe, der Geschichtschreiber Lorenzos de Medici und Leos X., versucht. Ihm folgte darin Gregorovius («Lucrezia Borgia. Nach Urkunden und Korrespondenzen ihrer eigenen Zeit», 1.-3. Aufl., 2 Bde., Stuttg. 1874-75);
doch geht er zu weit, wenn er nicht nur die Böswilligkeit der gegen Lucrezia erhobenen Beschuldigungen, sondern auch die Gewißheit ihrer Unschuld behauptet. -
Vgl. ferner Campori, Una vittima della storia, Lucrezia (in der «Nuova Antologia», 1866);
Antonelli, Lucrezia in Ferrara (Ferrara 1867);
Zucchetti, Lucrezia Borgia, duchessa di Ferrara (Mail. 1869);
Gilbert, Lucrezia Borgia, duchess of Ferrara (2 Bde., Lond. 1869; deutsch, Lpz. 1870);
Cerri, Borgia ossia Alessandro VI ed i suoi contemporanei (2. Aufl., 2 Bde., Tur. 1873-74).