(spr. bollingbrök oder bulingbruck).HenrySaint John,
[* 2]
Viscount, engl. Staatsmann und Schriftsteller,
geb. aus alter, angesehener
Familie, studierte in
Oxford
[* 3] und spielte dann, nachdem
er denKontinent bereist
hatte,
unter den jungen Wüstlingen
Londons eine Hauptrolle. 1701 wurde er in das
Unterhaus gewählt, wo seine glänzende
Beredsamkeit,
sein tiefer
Blick und sein scharfes
Urteil ihn schnell berühmt machten. Anfangs den
Tories angehörig,
nahm er nichtsdestoweniger von
Marlborough 1704 das
Amt des Kriegssekretärs an, wurde aber 1708 auf Betreiben der eifrigen
Whigs aus diesem
Amt verdrängt. Er widmete sich nun zwei Jahre lang, vom öffentlichen
Leben zurückgezogen, wissenschaftlichen
Studien, blieb jedoch in fortwährender
Verbindung mit dem
Hof,
[* 4] namentlich mit der
KöniginAnna.
Tod und der erfolglosen
Landung des Prätendenten in
Schottland von demselben aus Argwohn entlassen. Nach
wiederholten vergeblichen Bemühungen durfte er 1723 auf Verwendung der Geliebten
Georgs I., der Herzogin von
Kendal, nach
England zurückkehren, erhielt zwar seine
Güter zurück, sah sich aber von aller politischen Thätigkeit, selbst vom Zutritt
ins
Oberhaus, ausgeschlossen, weshalb er dasMinisteriumWalpole aufs heftigste in
Schriften bekämpfte.
Er lebte in spätern
Jahren häufig in
Frankreich, wo er sich 1718 nach dem
Tod seiner ersten Gemahlin mit der
Witwe des
Marquis
de
Villette, einer
Nichte der
Frau v.
Maintenon, verheiratet hatte. Er starb in
Battersea. Seine wichtigsten politischen
Schriften sind:
»Dissertation on parties« und »Idea of a patriot king« (1738).
Seine »Letters on the study of history« (neue Ausg.
1881) wurden als gefährlich für
Religion,
Staat und
Kirche von der großen
Jury von
Westminster verdammt.
Dieses Werk nimmt in der Geschichte des englischen
Deismus eine wichtige
Stelle ein.BolingbrokesReden
sind nicht erhalten. Seine sämtlichen Werke sind herausgegeben von
Mallet (Lond. 1753-54, 5 Bde.;
neue Ausg. 1808-1809, 8 Bde.; Philad.
1849, 4 Bde.). Bolingbrokes »Correspondence«
(1798) ist für die Geschichte
Englands in der ersten Hälfte des 18. Jahrh. von Wichtigkeit.
(spr. böllingbruck), Henry St. John, später Lord Bolingbroke, engl.
Staatsmann und Schriftsteller, aus alter hoch angesehener Familie, geb. zu
Battersea in Surrey, studierte in Oxford und erweiterte seine Kenntnisse und seinen Gesichtskreis durch Reisen im Auslande. Glänzende
Begabung, schnelle Auffassung und Reichtum an Kenntnissen verband sich bei ihm mit wüstester Sittenlosigkeit und grenzenlosem
Ehrgeiz. Schon 1700 trat er ins Unterhaus, seine vollendete Rednergabe, seine Meisterschaft in der Debatte
erhoben ihn bald zu einem Führer der gemäßigten Tories.
Dennoch bekämpfte er die Kriegs- und Finanzpolitik des damals toryistischen KabinettsMarlboroughs und Godolphins unter Königin
Anna, bis ihn die Übertragung des Kriegssekretariats (1704) in dessen Dienste zog. Mit dem Anwachsen der Whigpartei im Parlament
drangen deren Führer in die Staatsämter ein, und sein Amtsgenosse Harley mußten weichen. In ländlicher
Zurückgezogenheit beobachtete er, wie die Whigs ihren Sieg mißbrauchten, wie zugleich die Intriguenarbeit Harleys und seiner
Genossin, der Kammerfrau Masham, die Stellung der leitenden Minister bei der Königin untergrub, bis diese Harley 1710 an die
Spitze eines von toryistischer Mehrheit gestützten Kabinetts berief, in dem St. John das Staatssekretariat
des Auswärtigen übernahm.
Sofort strebte er mit Energie und außerordentlicher Gewandtheit den Spanischen Erbfolgekrieg zu enden. Ohne Rücksicht auf
die Bundesgenossen erzwang er den Abschluß des Friedens von Utrecht, Die Erhebung zum Lord Bolingbroke war
sein Lohn. Nun aber folgte ein Zerwürfnis mit seinem Nebenbuhler, Lord-Schatzmeister Harley, dessen SturzBolingbroke gelang.
Nur wenige Tage später, jedoch noch vor dem TodeAnnas, rissen die Whigs die Gewalt an sich, Bolingbroke selbst mußte Harley folgen.
Seine Bemühungen, dem Prätendenten JakobStuartAnerkennung zu verschaffen, mißlangen; noch auf der Reise
nach England erklärte Georg I. Bolingbroke aller seiner Würden für verlustig. Er entwich nach Frankreich und wurde in der Abwesenheit
von den siegreichen Gegnern wegen Hochverrats angeklagt und zum Tode verurteilt. Bolingbroke ging an den HofJakobs III. in St. Germain,
mit dem er schon zuvor Verbindungen unterhalten hatte. Aber mit dem von Pfaffen und Weibern beeinflußten
Schwächling kam es bald zum Bruch; von beiden Seiten ausgestoßen, bat Bolingbroke um die Gnade der Whigs, die ihm erst 1723 in der
Erlaubnis zur Rückkehr zu teil wurde, der dann die Rückgabe seiner konfiscierten Güter, nicht aber
seines Oberhaussitzes folgte. Er lebte zurückgezogen auf seinem Gut Dawnley im Kreise
[* 7] geistvoller Gäste.
Von hier aus lenkte er die Parlamentsopposition und verfaßte wiederholt Flugschriften gegen Walpole. Zeitweilig lebte er in
Frankreich; seit 1743 nahm er seinen Wohnsitz zu Battersea, wo er starb. Seine polit. Tendenzschriften
veröffentlichte er in der Zeitschrift «Craftsman», besonders erschienen
die «Dissertation on Parties» und 1738 die «Idea
of a patriotic king», worin er, der einstmalige Parteityrann, die Parteiherrschaft geißelt. Sonst schrieb er Bemerkungen
zur «Chronologie der BücherMoses», «Untersuchungen über die Entstehungszeit der neutestamentlichen
Schriften».
Skeptisch und polemisch, wie in seiner ganzen Philosophie, ist er besonders auch in den «Letters on the
study of history», einer für den Geist der Aufklärung bahnbrechenden Schrift. Wegen seiner Angriffe auf das Christentum wurden
seine Werke (hg. von Mallet, 5 Bde., Lond.
1753-54; neue Ausg., 8 Bde., 1808-9)
von der großen Jury von Westminster verdammt. Interessant für die Zeitgeschichte sind seine «Letters
and correspondence» (Lond. 1798). Zu bedauern ist, daß bei der frühern Geheimhaltung der Parlamentsdebatten von seinen als
hinreißend geschilderten Reden nichts überliefert ist. Bolingbroke ist der Held von Scribes Lustspiel «Das Glas
[* 8] Wasser». -
Vgl. Cooke,
Memoirs of Lord Bolingbroke (2 Bde., 1835);
M'Knight, Life of Bolingbroke (Lond. 1863);
Brosch, Lord und die Whigs und Tories seiner Zeit (Frankf. a. M. 1883);
G.Koch, B.s polit.
Ansichten und die Squirarchie (Berl. 1890).
Vortreffliches Charakterbild von Noorden im «Histor. Taschenbuch», VI, 1 (Lpz. 1882) und in dessen «Histor.
Vorträgen», hg. von Maurenbrecher (ebd. 1884).