Bojardo,
Matteo Maria, Graf von Scandiano, berühmter ital. Dichter, geboren um 1434 zu Scandiano als Sprößling eines alten vornehmen Geschlechts der Lombardei, widmete sich auf der Universität Ferrara juristischen und humanistischen Studien und trat dann in die Dienste des Hofs von Ferrara. Herzog Herkules I., dessen besonderes Vertrauen er genoß, übertrug ihm die bedeutende Stelle eines Gouverneurs von Reggio, die er bis an seinen Tod bekleidete. Er starb in Reggio. Bojardo zeichnete sich nicht nur als Beamter und Kriegsmann aus, sondern war auch einer der gebildetsten und gelehrtesten Männer seiner Zeit und nimmt als Dichter einen hervorragenden Platz in der italienischen Litteratur ein.
Sein Hauptwerk ist das romantische Epos »Orlando innamorato«, welches die Liebe des aus der Karlssage bekannten Helden Roland zu der schönen Angelika und die hieraus entspringenden Abenteuer zum Inhalt hat. Von den drei Büchern, aus welche das Gedicht berechnet war, sind jedoch nur die beiden ersten, das eine 29, das zweite 31 Gesänge umfassend, vollendet; das dritte ist nur bis zum 9. Gesang fortgeführt, da der Einfall der Franzosen (1494) die friedliche Arbeit des Dichters unterbrach.
Das Hauptverdienst Bojardos besteht in der Erfindung. Er hat den ursprünglichen Kern der Rolandssage aufs glücklichste erweitert, indem er nicht nur die Liebe als ein neues Element in dieselbe aufnahm, sondern auch eine Menge neuer Charaktere und interessanter Abenteuer hinzudichtete und die alte Sage so gewissermaßen zuerst in einer dem Geiste der modernen Dichtung und dem Geschmack seiner Nation insbesondere entsprechenden Gestalt in die neuere Litteratur einführte.
Die wohlklingenden Namen der von ihm neugeschaffenen Helden soll er von Bauernfamilien aus der Gegend von Reggio entlehnt haben. Der »Orlando« erschien zuerst vollständig in Scandiano 1495 und bis 1544 in 16 andern Ausgaben, von welchen die von Mailand 1513 die beste ist. Bojardo hatte aber augenscheinlich nicht Zeit gehabt, die letzte Feile an sein Gedicht zu legen. Sein Ausdruck ist oft unelegant, seine Versifikation nicht selten schwerfällig und seine Sprache namentlich für florentinische Ohren häufig inkorrekt.
Schon im 16. Jahrh. wurden daher zwei Versuche gemacht, Stil und Sprache des Gedichts zu verbessern; der eine von Lodovico Domenichi (zuerst Venedig 1545 u. öfter) ist gegenwärtig vergessen, der andre, durchgreifendere von Fr. Berni (s. d.) gehört zu den klassischen Werken der italienischen Litteratur, und das Original geriet darüber bis auf die neuere Zeit ganz in Vergessenheit, In seiner ursprünglichen Gestalt erschien der Bojardosche »Orlando« erst wieder zu London 1830 in 4 Bänden mit sehr schätzbarer Einleitung von Panizzi und im »Parnasso italiano continuato« von A. Wagner.
Einen geschmacklosen Fortsetzer fand das Gedicht schon in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrh. in Niccolò degli Agostini, der 33 Gesänge hinzufügte, welche indessen von einer andern Fortsetzung, dem hochberühmten »Orlando furioso« des Ariosto (s. d.),
völlig in den Schatten gestellt wurden. Bojardos »Orlando« wurde schon im 16. Jahrh. und seitdem öfter ins Französische und in neuerer Zeit in die meisten andern europäischen Sprachen übersetzt (ins Deutsche von Gries, Stuttg. 1835-37, 3 Bde., und von G. Regis, Berl. 1840). Man hat außerdem von Bojardo noch drei Bücher vortrefflicher »Sonetti e canzoni« (Reggio 1499, Vened. 1501, Mail. 1845),
das Lustspiel »Timone« (Scandiano 1500, Vened. 1517),
fünf »Capitoli« und einige Eklogen. Eine Auswahl der kleinern Gedichte gab Venturi heraus (Modena 1820). Bojardo übersetzte auch den Herodot und den »Goldenen Esel« des Apulejus.