Bohrbrunnen
,
Artesische Brunnen, werden alle tiefern, gebohrten Brunnen [* 2] genannt, unabhängig von dem Umstande, ob dieselben Wasser geben oder dasselbe verschlucken. Die die Erdrinde bildenden Schichten sind zum Teil solche, die Wasser in sich aufzunehmen und weiter zu führen vermögen (Sand, lockere Gesteinsmassen u. s. w.), oder solche, die aus wasserundurchlässigem Material (Thon, Mergel u. s. w.) bestehen. Da die Erdschichten nicht wagerecht übereinander lagern, sondern sich nach den verschiedensten Richtungen hin in die Tiefe erstrecken, so liegt die Möglichkeit offen, mittels eines Bohrlochs, das man an geeigneter Stelle in die Erde treibt, zwischen zwei wasserundurchlässigen Schichten (b b auf vorstehender [* 1] Figur) auf eine wasserführende (a) zu stoßen, die an höher gelegenen Orten zu Tage tritt und daselbst von den atmosphärischen Niederschlägen (Regen, Tau, Schnee [* 3] u. s. w.) gespeist wird.
Infolge des Drucks, den die darüber liegende Wasserschicht auf das Wasser im Bohrloche ausübt, steigt dieses in der Öffnung
empor, tritt wohl
auch über dieselbe hinaus oder springt gar in einem
Strahle in die Höhe (c). Infolge der Reibungsverluste
wird die Höhe des springenden
Strahls c dies Niveau des Wassereintrittes (in der
[* 1]
Figur durch eine wagrechte
Linie dargestellt) natürlich nie vollständig erreichen können. Von
Vorteil für die
Anlage der Bohrbrunnen
erweisen sich kesselförmige
Thalmulden, die von lockern, zwischen Thonschichten ruhenden Gesteinsmassen erfüllt sind.
Besonders günstig zeigen sich in dieser Hinsicht die Verhältnisse von London [* 4] und Paris. [* 5] Beide Orte liegen in dem Becken eines einstigen Meers. Aus großer Entfernung neigen sich mächtige Schichtensysteme älterer Formationen allmählich unter diese Orte und erfüllen eine Mulde, deren Ränder einen großen Teil Englands und Nordfrankreichs umfassen. Das Ergebnis der Bohrungen, das sich auf Grund sorgfältiger Untersuchung der Schichten vorausberechnen ließ, lieferte die glänzendsten Erfolge.
Der
Brunnen von
Grenelle beim Invalidenhause zu
Paris, an welchem durch volle 7 Jahre (1833-41) gearbeitet wurde, ist 647 m
tief und liefert täglich 3 Mill. l vollkommen reines, klares Wasser von 27,7° C., während die mittlere
Temperatur von
Paris
nur 10° C. beträgt. Auf dem Hébert-Platze in
Paris steht seit 1888 ein Bohrbrunnen
, dessen Herstellung 22 Jahre
in
Anspruch nahm und 2 Mill. M. kostete. Er ist 719,2 m tief, hat oben 1,06 m Durchmesser und 34,5° C. Wasserwärme. Die
Stadt St. Louis in den
Vereinigten Staaten
[* 6] von
Amerika
[* 7] hatte seit 1854 den tiefsten bestehenden Bohrbrunnen.
Er lieferte
jedoch Wasser, das wegen seines Schwefelgehalts sich als ungenießbar erwies.
Die Ortsbehörde beschloß daher 1865 einen andern bohren zu lassen, doch gelangte man in der
Tiefe von 1200 m auf die Urformation
des Granit. Die Stadt besitzt wohl den tiefsten, aber freilich wasserlosen artesischen
Bau der Welt. In
geognost.
Beziehung sind namentlich die drei erbohrten salzigen Thermalquellen zu
Bad Nauheim
[* 8] im Großherzogtum Hessen
[* 9] berühmt.
In ihnen wird der Wasserstrahl nicht durch den hydrostatischen Druck, sondern durch die im Innern stattfindende lebhafte
Kohlensäureentwicklung emporgetrieben. In neuester Zeit sind insbesondere die größtenteils durch W.
Zsigmondi geschaffenen Bohrbrunnen
Ungarns bekannt geworden. Auf der Margareteninsel zu
Budapest
[* 10] befindet sich ein solcher von 970 m
Tiefe, der täglich 1,8 Mill. l Thermalwasser liefert und an
Tiefe von keiner bestehenden wirksamen
Anlage dieser Art übertroffen
wird. Zu Ránk in
Ungarn
[* 11] liefert ein Bohrbrunnen
aus einer
Tiefe von 402 m täglich 5,2 Mill. l Wasser für Badezwecke,
der Wasserstrahl springt 19,2 m hoch empor. Zu
Harkany ebendaselbst besitzt das erbohrte Wasser eine
Temperatur von 51° C.
[* 1] ^[Abb.]
Die Herstellung der Bohrbrunnen
erfolgt mit Hilfe des
Bergbohrers (s. d.). Um dem Bohrloche seine Haltbarkeit zu sichern, die nur
im festen Gestein ohne weitere Hilfsmittel vorhanden ist, wird dasselbe nach Maßgabe seiner fortschreitenden
Tiefe durch Einrammen hölzerner, schmiedeeiserner oder gußeiserner Rohre ausgefüttert, die zugleich das unreine, von
den Seiten kommende Tagwasser abhalten.
In den obersten Schichten wird meist ein gewöhnlicher
Schacht ausgehoben, den man
auszimmert oder durch
Mauern verkleidet. Von diesem
¶
mehr
Schachte aus, der später zugleich als Behälter für das sich ansammelnde Wasser dient, wird das Bohren begonnen. Die Dicke des Bohrlochs beträgt dabei meist nur wenige Centimeter.
Hinsichtlich der Anwendung von Bohrbrunnen
ist als wichtigster Zweck die Beschaffung reinen, klaren Wassers für den
häuslichen Gebrauch und den Bedarf verschiedener gewerblicher Unternehmen hervorzuheben. In ersterer
Beziehung tritt ihr großer Wert besonders in jenen Gegenden hervor, in denen gewöhnliche Brunnen gar kein oder schlechtes
Wasser liefern. Brauchbare Ergebnisse wurden nach manchen vergeblichen Versuchen in der auf weite Strecken von niedrigen Marschen
umschlossenen Gegend des deutschen Kriegshafens an der Jademündung erzielt.
Die 1867 fertig gestellten Bohrbrunnen
von 200 und 280 m Tiefe lieferten etwa 0,1 Mill. l Wasser täglich. Seit 1878 ist
eine andere Wasserversorgungsanlage in Betrieb gesetzt worden. Von geringerer Bedeutung ist die Anwendung des emporsteigenden
Strahls zum Betriebe von Mühlen
[* 13] und andern kleinern Maschinenanlagen. Von größerm Belange erweist sich der Umstand,
daß man durch passende Zuleitung des aus Bohrbrunnen
oft warm entströmenden Wassers Mühlgräben und Radstuben im
Winter eisfrei erhalten kann, wie dies in einer Fabrik Heilbronns geschieht.
Desgleichen haben sie zur Erwärmung von Gewächshäusern, Fischteichen u. s. w. Verwendung
gefunden. Um aus Steinsalzlagern reichere Sole in großer Tiefe zu erschließen, hat man gleichfalls Bohrbrunnen
vielfach
benutzt; so in Rehme unfern Minden,
[* 14] ferner in Öynhausen, woselbst zugleich Kohlensäure entströmt, die zu Badezwecken in
eigenen Gasometern aufgefangen wird, weiter in Gottesgabe bei Rheine, wo das zu gleicher Zeit emporsteigende Kohlenwasserstoffgas
zur Beleuchtung
[* 15] und Heizung
[* 16] verwendet wird u. s. w. Zu Badezwecken benutzt man sie auch in
Ungarn.
Trifft man beim Bohren des Bohrbrunnen
Schichten, die wohl Wasser leiten, jedoch von solchem nicht gespeist werden und am untern
Ende geöffnet sind, so kann das Bohrloch Wasser aufnehmen, und der Bohrbrunnen
wird dann ein negativer oder absorbierender
Brunnen genannt. In Frankreich hat man solche mehrfach mit großem Nutzen angelegt; ja in St. Denis hat
man einen Brunnen erbaut, der aus drei ineinander gesteckten Röhren
[* 17] besteht. In der innersten steigt aus einer Tiefe von über 600 m
klares Trinkwasser empor, aus dem Raume zwischen der engsten und mittlern Röhre quillt minder reines Spülwasser, und die
dritte führt den Überschuß der von beiden Öffnungen gelieferten Flüssigkeit wieder ab.
Geschichtliches. Die erste Anwendung der Bohrbrunnen
fällt in ferne Zeiten. Von gebohrten Brunnen in Ägypten
[* 18] spricht bereits Olympiodor
und sagt, daß sie eine Tiefe von 2 bis 300, ja sogar 500 Ellen hätten und das Wasser über der Erdoberfläche ausgössen,
woselbst man es zur Berieselung der Acker verwende. Die großen Oasen von Theben und Dachel sind fast siebartig
mit Bohrbrunnen
durchlöchert; doch sind die meisten derselben verschüttet. Erst im 19. Jahrh.
wurden sie zum Teil eröffnet.
Einer dieser Brunnen zeigte nach der Aufräumung und Reinigung eine eigentümliche Erscheinung, die auch bei Elbeuf
unfern Rouen
[* 19] sich wiederholte: Aus einer Tiefe von etwa 107 m stiegen mit dem Wasser zugleich Fische
[* 20] empor. Auch in China
[* 21] kommen
in solcher Anzahl vor, daß beispielsweise unfern des Fleckens U-thung-khiao auf einem Raume von 1000 qkm deren mehr als 10000
existieren.
Die chines. Brunnen besitzen eine Tiefe bis zu 900 m und 13-15 cm Weite. Mehrere Generationen mußten infolge
des angewendeten zeitraubenden Verfahrens an einem Brunnen arbeiten, ehe der gesuchte Quell erreicht wurde. In Europa
[* 22] waren
Bohrbrunnen
bei Modena und Bologna sowie auch in Niederösterreich schon lange bekannt. Im Kartäuserkloster zu Lillers soll schon 1126 ein
Brunnen dieser Art bestanden haben.
Etwa 500 Jahre später wurde im Fort Urbain ein solcher erbaut, der das Wasser bis in die obersten Geschosse
[* 23] der Häuser führte.
Belidor giebt 1729 bereits wertvolle Beschreibungen der Bohrbrunnen.
Die allgemeine Aufmerksamkeit auf Anlagen dieser Art wurde jedoch
erst 1816 rege, als eine Pariser Gesellschaft einen Preis von 3000 Frs. auf die beste Anweisung zur Erbohrung
fließender Quellen aussetzte. Er wurde von dem Bergbau-Ingenieur Garnier in Arras
[* 24] gewonnen. Von gleicher Wichtigkeit war eine
Arbeit von Héricart de Thury, welche namentlich die geognost. Bedingungen des Gelingens auseinander setzte. Seitdem sind in
Frankreich, Deutschland
[* 25] und Nordamerika
[* 26] vielfach ausgeführt worden und haben sich als ein mächtiges Förderungsmittel
des Wohlstandes bewährt; wichtig für die Bodenkultur sind sie namentlich in Algerien
[* 27] geworden.
Litteratur. Spetzler, Anleitung zur Anlage artesischer
Brunnen (Lübeck
[* 28] 1832);
Héricart de Thury, Geolog. und physik.
Betrachtungen über das Entstehen von Springquellen durch gebohrte Brunnen (übersetzt von Frommann, Kobl. 1833);
Paulucci,
Das technische Verfahren bei Bohrung artesischer
Brunnen (Wien
[* 29] 1838);
Hagen, [* 30] Handbuch der Wasserbaukunst, Bd. 1: «Die Quellen, Brunnen u. s. w.» (3. Aufl., Berl. 1870);
A. Fauck, Anleitung zum Gebrauch des Erdbohrers (Lpz. 1877),
nebst «Fortschritte der Erdbohrtechnik» (ebd. 1385).